Vermehrte Gesichtsbehaarung: Hoher Leidensdruck

Wachsen Frauen zu viele Haare im Gesicht, ist der Leidensdruck hoch. Prof. Dr. Uwe Gieler - Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie sowie für Haut- und Geschlechtskrankheiten, Allergologie & Umweltmedizin vom Zentrum für psychosomatische Medizin der Universität Gießen - berichtet von Frauen, die deshalb schon an Selbstmord dachten. Wir fragten ihn, wie diesen Frauen geholfen werden kann. Prof. Dr. Uwe Gieler, Gießen × Weibliche Gesichtsbehaarung scheint auf den ersten Blick kein verbreitetes Problem zu sein – von wie vielen Betroffenen gehen Sie aus? Gieler: Wir gehen davon aus, dass in Deutschland etwa 30–40% der Frauen mehr oder weniger stark von einer übermäßig starken Behaarung betroffen sind. Etwa 10% leiden sogar unter einem Hirsutismus – also einer Behaarung, wie er normalerweise bei Männern vorkommt. Besonders Dunkelhaarige und Südländerinnen, z. B. Griechinnen oder Perserinnen, leiden unter dem Phänomen Damenbart, denn bei ihnen fallen die dunklen Härchen im Gesicht natürlich besonders auf. Kann ein Damenbart für die Betroffenen wirklich zu einem psychischen Problem werden? Gieler: In der Tat begegnen mir in meiner Tätigkeit als Psychodermatologe Patientinnen, die sogar sehr stark unter ihrer Gesichtsbehaarung leiden: Hirsutismus kann das feminine Selbstempfinden zerstören und führt nicht selten zu einer schweren Identitätskrise. Die Folge sind soziale Vermeidungsstrategien, Ängste, Depression und soziale Isolation. Ein Beispiel: Eine meiner Patientinnen hatte z. B. ihren Beruf als Masseurin aufgegeben, da sie von Kunden immer wieder auf ihre starke Behaarung angesprochen wurde – andere ergreifen erst gar keinen Beruf, bei dem sie mit vielen Menschen in Kontakt kommen könnten. Lässt sich denn ein Zusammenhang zwischen Behaarungsintensität und Leidensdruck herstellen? Gieler: Einen direkten Zusammenhang zwischen der Menge störender Haare und Leidensdruck gibt es nicht: Es gibt durchaus Frauen, die ihre offensichtlich starke Gesichtsbehaarung zwar als Schönheitsmakel empfinden, aber damit kein großes Problem haben. Andere Frauen leiden dagegen unter schweren psychosozialen Störungen, auch wenn sie objektiv gesehen viel weniger behaart sind. In unserem Zentrum für psychosomatische Medizin treffe ich häufig auf Frauen, die unter einer übersteigerten Selbstwahrnehmung des Makels Damenbart leiden. Auch wenn für andere der Bartwuchs gar nicht bzw. nicht auffällig sichtbar ist, leiden sie extrem darunter und sind stark in ihrem Verhalten eingeschränkt. Als die eben genannte Patientin bei mir vorstellig wurde, trug sie sich sogar mit Selbstmordgedanken – obwohl objektiv betrachtet ihre Behaarung gar nicht so extrem ausgeprägt war. Durch den Damenbart in die Depression? Das ist doch eher die Ausnahme, oder? Gieler: Eine Fixierung auf einen körperlichen Makel – wie man sie z. B. auch von Essgestörten kennt – ist gar nicht so selten und wird auch körperdysmorphe Störung oder Dysmorphophobie genannt. Die Frauen verbringen gedanklich bis zu acht Stunden pro Tag mit ihrer Behaarung, kontrollieren ständig ihr Gesicht im Spiegel, fahren mit den Händen prüfend über das Gesicht, denken permanent daran, dass anderen Menschen ihre Gesichtsbehaarung auffällt. Dadurch sind sie in ihrem Sozialleben natürlich stark beeinträchtigt und in der Regel gar nicht zu einer Partnerschaft fähig. Aber auch Frauen mit vergleichsweise moderatem Leidensdruck berichteten nach einer erfolgreichen Therapie mit einer Creme, die das Haarwachstum im Gesicht hemmt, über eine wesentlich verbesserte Lebensqualität: Die Sozialkontakte verbesserten sich, Kontakte mit Fremden und am Arbeitsplatz wurden als angenehmer empfunden und die Frauen zeigten nach der Behandlung eine erheblich positivere Einstellung zu Zärtlichkeit sowie ein entspannteres Partnerschaftsverhalten. An wen wenden sich die Frauen mit Damenbart denn Ihrer Erfahrung nach? Gieler: Die große Schwierigkeit ist, dass die Frauen meist nicht von sich aus über dieses Problem sprechen – ganz oft aus Angst, nicht ernst genommen zu werden. Obwohl wir in einer aufgeklärten Gesellschaft leben, ist das Thema „Haare an der falschen Stelle“ immer noch sehr schambehaftet und weder Betroffene noch Ärzte sprechen es offen an. Der richtige Ansprechpartner ist aber auf jeden Fall der Gynäkologe oder ein Dermatologe, der sich auf Haarerkrankungen spezialisiert hat. Was sind denn die Gründe für eine unerwünschte Gesichtsbehaarung bei Frauen? Gieler: In ca. 90% der Fälle ist eine Überbehaarung anlagebedingt – es liegt also in den Genen und kann gar nicht ursächlich behandelt werden. Doch ein Damenbart kann durchaus auch das Symptom einer ernstzunehmenden Erkrankung sein, beispielsweise eines polyzystischen Ovarialsyndroms oder von Androgen-produzierenden Tumoren. Gerade weil sich die Erkrankung über unterschiedliche Symptome äußert, müssen bei der medizinischen Behandlung verschiedene Spezialisten wie Gynäkologe, Dermatologe, Internist und Endokrinologe eng zusammenarbeiten. Ebenso sollte der enorme psychische Leidensdruck aufgefangen werden, der sich bei den Betroffenen oftmals über Jahre hinweg aufgebaut hat. Wie kann einer Patientin konkret geholfen werden? Gieler: In den meisten Fällen bleibt nur eine symptomatische Behandlung, also eine Haarentfernung oder eine Verlangsamung des Haarwuchses. Zur Haarentfernung eignen sich Laser- oder Blitzlampen-Behandlungen. Weil nur die Haare entfernt werden können, die sich gerade in der Wachstumsphase befinden, sind mehrere Sitzungen notwendig. Allerdings funktionieren diese Methoden nicht bei blondem, weißem, grauem oder rotem Haar. Wie alle anderen Verfahren führen auch Laser- und Blitzlampen-Behandlungen nicht zu einer dauerhaften Haarentfernung. Nach einiger Zeit werden die Haare wieder wachsen. ‚Dauerhaft’ darf sich nämlich jede Methode nennen, die eine Verbesserung für den Zeitraum von drei Monaten erwirkt. Seit einiger Zeit hat sich in der dermatologischen Praxis eine Creme mit dem Wirkstoff Eflornithin bewährt. Der Wirkstoff blockiert ein Enzym, das für das Haarwachstum benötigt wird und ist bei allen Haartypen wirksam. Etwa zwei Drittel der behandelten Frauen sprechen gut darauf an. Die Creme muss langfristig zweimal täglich auf die betroffenen Partien aufgetragen werden. Wird die Behandlung abgesetzt, sind die Haare nach sechs bis acht Wochen wieder da. Die Creme wird wie eine Tagescreme aufgetragen und sollte kurz einziehen, bevor z. B. Make-up aufgetragen wird. Die feinen Härchen verschwinden schon nach einigen Tagen, bei borstigen Barthaaren dauert es etwas länger bis der Effekt eintritt. Herr Prof. Gieler, vielen Dank für das Gespräch.

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