Urintest auf Biomarker erkennt Nieren in Not

Mithilfe eines Biomarkertests lässt sich feststellen, ob Nierenzellen nach einer komplexen Op. in Stress geraten sind. Ein Team der Uni Regensburg setzte den Test ein, um Risikopatienten frühzeitig zu identifizieren – und konnte so in vielen Fällen eine akute Nierenschädigung verhindern. Die akute Nierenschädigung (AKI) ist eine gefürchtete Komplikation nach größeren Operationen. Ursachen können der starke Blutverlust, ein inadäquates Flüssigkeitsmanagement oder auch nierentoxische Medikamente sein. Patienten mit Begleiterkrankungen wie Diabetes, Hochdruck oder einer vorgeschädigten Niere gelten als Risikokandidaten. Allerdings existiert bislang kein Konzept, wie man Betroffene noch vor klinischer Manifestation der Schäden identifizieren und entsprechend frühzeitig behandeln kann. Die gängigen Marker, Serumkreatinin, eGFR und Urinausscheidung, liefern konkrete Hinweise auf eine Funktionsstörung der Niere frühestens 24 Stunden nach der Op. An der Universität Regensburg wurde jetzt ein Konzept getestet, das auf einem Biomarkertest beruht: Die beiden Zellzyklusarrest-Biomarker IGFBP7 und TIMP-2 werden per Immunfluoreszenzassay im Urin nachgewiesen und in einer Formel zu einem kombinierten Wert verrechnet. „Erhöhte Werte“, so Dr. Ivan Göcze von der Chirurgischen Abteilung der Uniklinik, „zeigen, dass sich die Nierenzellen nach der Operation unter Stress befinden.“ Randomisierte kontrollierte Studie mit über 120 Patienten In einer Pilotstudie haben die Forscher die Praxistauglichkeit des neuen Markers getestet. Als Schwelle für eine beginnende Schädigung galt ein Wert von 0,3 (ng/ml)2/1000. Bei Werten darüber kam ein Maßnahmenpaket zum Einsatz, wie es von der KDIGO*-Initiative gefordert wird: Dieses besteht aus der Optimierung des Flüssigkeitshaushalts, einer konsequenten Überwachung des Blutdrucks und der Neubewertung der Gabe potenziell nierenschädigender Medikamente. Für die Studie wurden 121 frisch im Bauchraum operierte Intensivpatienten, die über dem Grenzwert lagen, innerhalb von vier Stunden nach Aufnahme in die Intensivstation in zwei Gruppen randomisiert: Die eine Hälfte (n = 61) erhielt die Standardversorgung. Falls für nötig befunden, wurde nach anfänglicher kontinuierlicher Infusion von 100 ml/h bei Bedarf noch ein zusätzlicher Flüssigkeitsbolus von 500 ml über eine halbe bis eine Stunde verabreicht. Den übrigen 60 Patienten wurde das Maßnahmenbündel zuteil: Dementsprechend erfolgte eine gesteigerte kontinuierliche Flüssigkeitsgabe mit bis zu 5 ml/kg/h über sechs Stunden, gesteuert über den zentralen Venendruck. Zudem wurden alle Patienten einem erfahrenen Nephrologen vorgestellt, welcher u. a. die Hämodynamik überwachte, auf Säure-Basen-, Albumin- und Elektrolytstörungen achtete und für das Absetzen potenziell nephrotoxischer Medikamente verantwortlich war. Auch in dieser Gruppe war ein zusätzlicher 500-ml-Bolus erlaubt. An Tag 1 war die Flüssigkeitsbilanz in beiden Gruppen in etwa gleich. An Tag 2 jedoch lag sie in der Interventionsgruppe deutlich niedriger (864 vs. 1342 ml). Ferner war hier auch die benötigte Bolusmenge in den ersten 24 Stunden deutlich geringer (1000 ml vs. 2000 ml). In 20% der Fälle schwere Nierenschädigung verhindert Sieben Tage nach der Op. lag die Rate der Patienten, die eine akute Nierenschädigung (AKI) erlitten hatten, in der Interventionsgruppe zwar nur tendenziell unter der der Vergleichsgruppe (31,7% gegenüber 47,5%). Statistische Signifikanz erreichte der Unterschied allerdings in einer Subgruppe: bei den Patienten, bei denen der Wert des kombinierten Biomarkers zwischen 0,3 und 2,0 betrug. Hier lag die AKI-Rate mit 27,1% in der Interventionsgruppe deutlich unter dem Anteil von 48% in der Kontrollgruppe. In über 20% der Fälle konnte also durch das neue Konzept das Auftreten einer schweren Nierenschädigung verhindert werden. Die Forscher vermuten, dass der Bereich zwischen 0,3 und 2,0 die „verhinderbare Nierenschädigung“ repräsentiert. Ein Wert darüber stehe dagegen für eine sich bereits etablierende AKI, die man nur noch behandeln, nicht aber vermeiden könne. Auf den Test hin waren 35% der Patienten in der Interventionsgruppe zu potenziell nierenschädigenden Medikamenten beraten worden, 53% zur Verbesserung ihres Säure-Basen-Haushalts, ihrer Albuminwerte und Elektrolyte. 10% hatten ein höheres Blutdruckziel empfohlen bekommen. Die Inzidenz einer mittelgradigen bis schweren AKI konnte in der Interventionsgruppe auf 6,7% gesenkt werden, in der Gruppe mit Standardversorgung waren es 19,7% – ein signifikanter Unterschied. Die Interventionsgruppe profitierte außerdem von einem kürzeren Aufenthalt in der Intensivstation (16 vs. 21 Tage). Nicht zuletzt führte das Maßnahmenpaket zu einer Ersparnis von gut 2000 Euro pro Patient, wobei für jeden Patienten zwei Tests veranschlagt wurden. Die Ergebnisse dieser Pilotstudie müssen nun noch durch eine ausreichend große Multicenterstudie bestätigt werden. Der Direktor der Klinik für Chirurgie, Prof. Dr. Hans Jürgen Schlitt, zeigte sich laut einer Pressemitteilung vorsichtig optimistisch: „Perspektivisch können die Ergebnisse dieser Studie dazu führen, dass der Urinmarker-Test bei Risikopatienten nach komplexen abdominellen Operationen zum Standard wird.“

Springer Medizin

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