Ob die Verwendung von BK oder 0,9 % NaCl einen Effekt auf harte klinische Endpunkte hat, wurde mittlerweile in mehreren großen Studien untersucht. Obwohl in nichtselektierten Populationen keine signifikanten Unterschiede in der Mortalität beobachtet wurden, können die jeweiligen Effekte von BK und 0,9 % NaCl aufgrund von deren breiter Anwendung dennoch von Bedeutung sein; unter Umständen sind sie für bestimmte Patient:innengruppen entscheidend.
Chirurgisches Setting
Zur Frage, ob eine der beiden Lösungen Vorteile im perioperativen Management bietet, existieren einige randomisierte, kontrollierte Studien in verschiedenen Settings (Sectio [
16], Neurochirurgie [
17], große abdominelle Eingriffe [
18]), die zwar keinen klaren Nachteil von 0,9 % NaCl in Bezug auf das klinische Outcome zeigten, jedoch meist kleine Populationen einschlossen und Säure-Basen-Parameter als primären Endpunkt untersuchten. Die große LICRA-Studie an 1136 herzchirurgischen Patient:innen, die chloridreiche (0,9 % NaCl, 4 % Albumin) gegenüber chloridarmen Flüssigkeiten (BK, 20 % Albumin) untersuchte, konnte keinen signifikanten Unterschied in Bezug auf die Nierenfunktion feststellen, weißt jedoch auch einige Limitationen auf, beispielsweise Unterschiede in den Baseline-Charakteristika [
19].
Aufgrund des beschriebenen Mechanismus stellen Patient:innen während bzw. kurz nach einer Nierentransplantation ein besonders gefährdetes Patient:innenkollektiv dar. Randomisierte Studien zeigen, dass die Verabreichung von 0,9 % NaCl auch in dieser Gruppe zu einer metabolischen Azidose führt [
20‐
24]. Außerdem war in einigen Arbeiten eine Hyperkaliämie seltener, wenn BK verabreicht wurden [
25,
26]. Im klinischen Alltag bestehen bei Patient:innen mit Hyperkaliämie oft Vorbehalte gegenüber der Verwendung von BK aufgrund ihres (geringen) Kaliumgehalts (Tab.
1). Die Daten deuten darauf hin, dass der Shift durch die 0,9 %-NaCl-bedingte (verstärkte) Azidose jedoch eine größere Rolle spielt und BK hier Vorteile bieten [
7]. In einer aktuellen Arbeit von 2023, der BEST-Fluids-Studie, konnte die Verabreichung von BK gegenüber 0,9 % NaCl das Auftreten einer verzögerten Transplantatfunktion reduzieren [
27].
Notaufnahme und Intensivstation
Es existieren einige Beobachtungsstudien mit verschiedenen Populationen [
28‐
30] zum Vergleich von balancierten Kristalloiden und 0,9 % NaCl im Bereich der Notfall- und Intensivmedizin, die eine Assoziation des erhöhten Chloridgehalts von 0,9 % NaCl mit der Mortalität zeigen. Eine erste Interventionsstudie von 2012, in der nach einer initialen Phase mit „Standardflüssigkeitstherapie“ chloridreiche Lösungen auf den teilnehmenden Stationen vermieden wurden, zeigte, dass in der zweiten Phase die Inzidenz einer akuten Nierenschädigung („acute kidney injury“ [AKI]) und die Anwendung einer Nierenersatztherapie signifikant reduziert waren [
30]. Auf diese Arbeit folgte zunächst 2015 die SPLIT-Studie, die in 4 neuseeländischen Intensivstationen 2278 Patient:innen einschloss. Es gab keine signifikanten Unterschiede im primären Endpunkt (AKI). Neben der für die Detektion kleiner Unterschiede zu geringen Fallzahl hatte die Studie noch andere Limitationen, wie etwa die geringe Sterblichkeit und den hauptsächlichen Einschluss von Patient:innen mit elektiven Operationen [
31].
Es folgten insgesamt 4 deutlich größere randomisierte, kontrollierte Studien (Tab.
2). Die SMART- und die SALT-ED-Studie wurden am selben Zentrum durchgeführt und hatten ein sehr ähnliches Design mit einer nichtverblindeten Clusterrandomisierung, wobei jeweils zunächst die eine Flüssigkeit für einen Monat und anschließend die andere Flüssigkeit über eine gewisse Zeit verabreicht wurde. In der SALT-ED-Studie wurden nicht kritisch kranke Notaufnahmepatient:innen eingeschlossen. Im primären Endpunkt (krankenhausfreie Tage) zeigte sich kein signifikanter Unterschied. Die Rate an „major adverse kidney events“ (sekundärer Endpunkt) war jedoch bei den Patient:innen, die BK erhielten, niedriger [
32]. Ähnliches zeigte sich in der SMART-Studie, die nur Patient:innen der Intensivstation einschloss; der primäre Endpunkt („major adverse kidney events“ an Tag 30) war hier in der BK-Gruppe signifikant reduziert [
7]. Interessanterweise war dieser Unterschied umso größer, je größer das verabreichte Volumen war.
Tab. 2
Übersicht über die größten randomisierten, kontrollierten Studien, die balancierte Kristalloide und 0,9 % NaCl vergleichen. (Modifiziert nach [
43])
SMART (2018) | Multizentrische (5 ICU, 1 akademisches Zentrum), clusterrandomisierte Multiple-cross-over-Studie | 15.802 erwachsene ICU-Patient:innen | MAKE innerhalb von 30 Tagen | Balancierte Kristalloide reduzierten die Häufigkeit von MAKE |
SALT-ED (2018) | Single-center‑, Multiple-cross-over-Studie | 13.347 erwachsene Notaufnahmepatient:innen (nicht kritisch krank) | Krankenhausfreie Tage bis Tag 28 | Kein signifikanter Unterschied in den krankenhausfreien Tagen, niedrigere MAKE-Rate |
BaSICS (2021) | Multizentrische, randomisierte, kontrollierte Studie | 11.052 erwachsene ICU-Patient:innen | 90-Tage-Mortalität | Kein signifikanter Unterschied in der 90-Tage-Mortalität |
PLUS (2022) | Multizentrische, randomisierte, kontrollierte Studie | 5037 erwachsene ICU-Patient:innen | 90-Tage-Mortalität | Kein signifikanter Unterschied in der 90-Tage-Mortalität |
Es folgte der BaSICS Trial, der keine Unterschiede zwischen den beiden verwendeten Flüssigkeiten hinsichtlich der 90-Tage-Mortalität zeigen konnte. Auch diese Studie hatte einige Limitationen, wobei vor allem die Verabreichung von nicht im Studiendesign berücksichtigter Flüssigkeit und die insgesamt geringe Menge (unter 1 l/Tag) zu nennen sind [
33]. In einer Sekundäranalyse wurde insbesondere die vor der Randomisierung verabreichte Flüssigkeit mituntersucht und es zeigte sich, dass Patient:innen, die nur BK erhalten, sehr wahrscheinlich im Sinne einer besseren 90-Tage-Mortalität profitieren [
34]. Allerdings zeigte 0,9 % NaCl auch in dieser Studie ein vorteilhaftes Signal in der Gruppe von Patient:innen mit
Schädel-Hirn-Trauma. Dieser Effekt scheint durch die höhere Osmolarität von 0,9 % NaCl bedingt zu sein (Tab.
1). Im Jahr 2022 ergab schließlich die PLUS-Studie keine signifikanten Unterschiede bei der 90-Tage-Mortalität [
35]. Zeitgleich mit dieser Arbeit wurde eine Metaanalyse publiziert, die 13 Studien mit insgesamt 35.884 Patient:innen einschloss. Das Resümee dieser Analyse ist, dass sich der durchschnittliche Effekt von BK mit hoher Wahrscheinlichkeit positiv auf die Mortalität auswirkt [
36].
Sowohl deutsche [
37] als auch europäische Leitlinien [
38] kommen daher zu dem Schluss, dass BK bei kritisch Kranken zu bevorzugen sind. Ausnahmen stellen spezifische Gruppen von Patient:innen dar, beispielsweise mit Schädel-Hirn-Trauma oder hypochlorämischer metabolischer Alkalose (meist nach massivem Erbrechen), bei denen primär 0,9 % NaCl eingesetzt werden sollte. Auch in der
Sepsis, einer häufigen Entität, bei der die Flüssigkeitstherapie eine wichtige Rolle spielt, empfehlen die aktuellen Surviving-Sepsis-Campaign(SSC)-Leitlinien als primäre Resuscitation-Flüssigkeit BK (Abb.
3; [
39]). Diese schwache Empfehlung basierte im Wesentlichen auf einer Sekundäranalyse der SMART-Studie, in der BK im Vergleich zu 0,9 % NaCl in der Subgruppe der Patient:innen mit Sepsis zu einer niedrigeren Mortalität und weniger AKI führten [
40]. Auch eine Sekundäranalyse des BaSICS Trial legt nahe, dass, insbesondere wenn viel Flüssigkeit verabreicht wird, diese bei Patient:innen mit Sepsis Einfluss auf die 90-Tage-Mortalität hat [
41].
Leitlinien empfehlen balancierte Kristalloide bei kritisch Kranken – mit Ausnahmen – zu bevorzugen
Kurz soll hier noch auf die Maintenance-Phase eingegangen werden, in der oftmals auch Kristalloide zum Einsatz kommen. Ziel dieser Phase ist es, nach initialer Stabilisierung das Extrazellulärvolumen zu erhalten und die Elektrolyte im Normalbereich zu halten [
42]. In den meisten Fällen ist der Großteil des Bedarfs einerseits durch Flüssigkeiten, die bei der Medikamentenverabreichung benötigt werden, und andererseits durch die Ernährung gedeckt; eine zusätzliche spezielle parenterale Flüssigkeitstherapie ist nur selten nötig [
13]. Eine Flüssigkeitsgabe mit der Indikation „maintenance“ sollte nur dann durchgeführt werden, wenn Patient:innen enteral nicht genug Flüssigkeit aufnehmen können. Die meisten der verfügbaren Empfehlungen beruhen auf Expertenmeinungen. Da eine ständige Verabreichung von Kristalloiden mittel- bis langfristig das Risiko einer Hypernatriämie und Hyperchlorämie birgt, kommen hier teilweise halbisotone Lösungen zum Einsatz, die wiederum mit dem Risiko einer Hyponatriämie einhergehen [
42].