Erschienen in:
28.11.2017 | Übersicht
Was lehrt die Lebensgeschichte – und was lehrt sie nicht?
verfasst von:
Prof. Dr. phil. Jörg Baberowski
Erschienen in:
Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie
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Ausgabe 1/2018
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Zusammenfassung
Wer vom Leben eines Menschen erzählt, ist mit Kontingenz konfrontiert. Alles, was wir erlebt haben, können wir so erzählen, als sei, was geschehen ist, gar nicht miteinander verbunden. Wer aber will solche Geschichten hören? Man spricht über sich selbst wie über das Leben anderer Menschen nicht im Modus der Beliebigkeit oder Zufälligkeit. Wir wollen Sinnvolles hören und lesen und machen uns einen Reim auf das Leben. Erzählungen sind Sinngebungen des Sinnlosen. Zwar erzeugen sie Kontingenz, weil sie Verschiedenheit und Zufälligkeit thematisieren. Aber sie bewältigen sie auch, weil die Geschichten uns vertraut sind und plausibel erscheinen. Erzählungen nehmen dem Zufälligen den Status eines Vorfalls und reihen ihn in eine verstehbare Geschichte ein. Durch die Einreihung des Geschehens in eine Erzählung, die durch Ursache, Zweck, Ziel und Intention strukturiert ist, wird aus der ungeordneten eine geregelte Kontingenz. Die Erzählung von Lebensgeschichten ist also ein kreativer Akt, der uns dazu bringt, Erfahrungs- und Erwartungsstrukturen umzuorganisieren. Erzählungen stiften Einsicht, indem sie Wirklichkeit als begriffene Wirklichkeit rationalisieren und Menschen einen verstehbaren Platz in ihr anweisen. Sinnstiftende Lebensgeschichten sind gut begründete Fälschungen der Wirklichkeit.