Skip to main content
ANZEIGE

29.01.2021 | Online-Artikel

Wenn Arzneimittel Depressionen auslösen

Über 200 Arzneimittel führen Depressionen als mögliche unerwünschte Wirkung in ihren Fachinformationen auf. Darunter sind auch häufig verordnete Medikamente wie β-Blocker, Schmerzmittel und Kontrazeptiva. Doch wie häufig sind diese Arzneimittel tatsächlich Auslöser einer Depression?

Depressiogene Arzneimittel: potenzielle unerwünschte Wirkung inklusive

Die Liste der Arzneimittel, die eine Depression auslösen können, umfasst sowohl freiverkäufliche als auch verschreibungspflichtige Präparate. Tabelle 1 gibt einen Überblick über die wichtigsten Pharmaka, bei deren Einnahme das Auftreten depressiver Symptome als unerwünschte Wirkung in Betracht zu ziehen ist [1].

Tabelle 1: Beispiele für potenziell depressiogene Arzneimittel [2]

Stoffklasse

Medikamente

Antihypertensiva

α-Methyldopa, Clonidin, β-Blocker, Prazosin, Hydralazin, ACE-Hemmer, Kalziumkanalblocker

Antiparkinsonmittel und Muskelrelaxanzien

LDopa, Amantadin, Baclofen, Bromocriptin

Steroidhormone

Glukokortikoide, Gestagene, Danazol

Antirheumatika, Analgetika

Indometacin, Gold, Chloroquin, Pfenylbutazon, Pizotifen, Methysergid, Ibuprofen, Opiate

Tuberkulostatika, Antibiotika, Zytostatika, Antimykotika

INH, Sulfonamide, Nalidixinsäure, Vinblastin, Griseofulvin, Tetrazykline, Streptomycin, Nitrofurantoin, Metronidazol, Gyrasehemmer

Antiepileptika

Hydantoine, Sukzinimide, Clonazepam, Phenytoin

Kardiaka

Porcainamid, Lidocain

Psychopharmaka

Neuroleptika, Barbiturate, Disulfiram,
Amphetamin-Entzug

Virustatika

Aciclovir, Zidovudin

Andere

Interferon, Azathioprin

Die Evidenz für das Auftreten von medikamenteninduzierten Depressionen variiert je nach Präparat. So zeigten beispielsweise Studien eine Korrelation zwischen der Behandlung mit Interferon-α und einem erhöhten Depressionsrisiko [3], wobei der Zusammenhang von β-Blockern und Depressionen weniger konsistent ist [4,5].

Therapieresistenz? Auch an pharmakogene Ursachen denken!

Leidet Ihr Patient an einer therapieresistenten Depression, können diese auch pharmakogene Ursachen haben [1]. Besteht der Verdacht, so lässt sich dieser am besten durch die zeitliche Korrelation zwischen dem Beginn der Therapie und dem Auftreten der depressiven Symptomatik erhärten. Wenn möglich sollte dieser auch durch einen Auslass- oder Umsetzversuch überprüft werden [6].

Polypharmazie erhöht das Depressionsrisiko

Der kombinierte Einsatz potenziell depressionsauslösender Medikamente erhöht die Wahrscheinlichkeit für eine Depression: So lag bei der amerikanischen Querschnittstudie NHANES (National Health and Nutrition Examination Survey) die Depressionsprävalenz bei der Einnahme von drei oder mehr Medikamenten bei 15% im Vergleich zu 4,7% bei Teilnehmern, die keine derartigen Medikamente einnahmen. Bei Präparaten, die nicht mit dem Auftreten einer Depression in Verbindung gebracht werden, war auch bei der Einnahme mehrerer Arzneimittel kein erhöhtes Depressionsrisiko zu verzeichnen (s. Abbildung 1) [7].

Hintergründe der Untersuchung

Vor dem Hintergrund, dass die Einnahme verschreibungspflichtiger, potenziell depressiogener Medikamente in den USA stetig zunimmt, wurden Teilnehmer der amerikanischen Querschnittsstudie NHANES (National Health and Nutrition Examination Survey) hinsichtlich der Assoziation zwischen Medikamenteneinnahme und dem Auftreten einer Depression untersucht. Dafür wurden 26.192 Personen über 18 Jahre zu ihrer Medikamenteneinnahme befragt. Depressive Symptomatiken wurden mittels eines Fragebogens (PHQ-9) erfasst.

Mehr Medikamente, mehr Probleme?Polypharmazie stellt ein zunehmendes Problem bei der Behandlung älterer Patienten dar. Schätzungen zufolge führt eine leitlinienkonforme Therapie bei 42% der über 65-Jährigen in Deutschland zu Polypharmazie – Tendenz steigend. Die Einnahme mehrerer Medikamente führt häufig zu schlechten klinischen Ergebnissen. Ob die Polypharmazie an sich oder die zugrundeliegende Multimorbidität dafür ursächlich verantwortlich sind, kann jedoch nicht eindeutig beantwortet werden [8].
Auch bei der NHANES-Erhebung in den USA bleibt die Frage offen, ob die Depressionen als Nebenwirkungen der Medikamente auftraten oder ob sie durch die zugrundeliegende Erkrankung, z.B. chronische Schmerzen, verursacht wurden. Es wurde außerdem nicht erfasst, ob die Teilnehmer eine Depression in ihrer Vorgeschichte hatten, was das Risiko einer erneuten depressiven Episode ebenfalls erhöhen kann. Die Autoren empfehlen abschließend, Patienten in jedem Fall auf Depressionen als mögliche Nebenwirkungen hinzuweisen, wenn Sie ihnen derartige Medikamente verordnen [7]. 

Literatur:

[1] Schmauss M, et al. Therapieresistente Depression. Teil I: Definition und Ursachen, Prädiktion des Therapieerfolgs, psychotherapeutische Behandlungsstrategien. Fortschr Neurol Psychiat 2010; 78:45-47.
[2] Therapietabellen Psychiatrie/Depression. Nr. 75/3. Auflage/2017. Westermayer Verlags-GmbH.
[3] Schaefer M, et al. Hepatitis C infection, antiviral treatment and mental health: A European expert consensus statement. Journal of
Hepatology 2012; 57:1379-1390.
[4] Boal AH, et al. Monotherapy with Major Antihypertensive Drug Classes and Risk of Hospital Admissions for Mood Disorders. Hypertension 2016; 68:1132-1138.
[5] Barron AJ, et al. Systematic Review of genuine versus spurious side-effects of beta-blockers in heart failure using placebo control: Recommendations of patient information. International Journal of Cardiology 2013; 168:3572-3579.
[6] Bschor T, et al. Chronische und therapieresistente Depression. Diagnostik und Stufentherapie. Deutsches Ärzteblatt 2014; 111:766-76.
[7] Qato DM, et al. Prevalence of Prescription Medications with Depression as a Potential Adverse Effect Among Adults in the United States. JAMA 2018; 319(22):2289-2298.
[8] Moßhammer D, et al. Polypharmazie – Tendenz steigend, Folgen schwer kalkulierbar. Deutsches Ärzteblatt 2016; 113:627-33.

» Zum Impressum von Bayer Vital

Das könnte Sie auch interessieren

ANZEIGE

Vitamin-D-Supplementation: Auch gegen Depressionen?

Von Osteoporose über Herz-Kreislauf-Erkrankungen bis hin zu Krebs: Zahlreiche Erkrankungen werden mit einem Vitamin-D-Mangel in Verbindung gebracht – so auch Depressionen. Aber heißt das auch, dass eine Therapieergänzung mit Vitamin D bei Depressionen sinnvoll ist? 3 Fragen & Antworten für die Praxis.

ANZEIGE

Unipolare Depression & Johanniskraut: Was empfiehlt die Leitlinie?

Immer mehr Patienten bevorzugen eine pflanzliche Medikation bei Depressionen. Obwohl viele Ärzte hochdosiertes Johanniskraut als einen einfachen Einstieg in die medikamentöse Depressions-Therapie sehen, werden synthetische Präparate häufiger verordnet [1]. Wie die S3-Leitlinie „Unipolare Depression“ dazu steht, erfahren Sie hier.

ANZEIGE

Depression behandeln. Natürlich.

Aktuelle Ergebnisse aus in-vitro- und in-vivo-Untersuchungen liefern detaillierte Erklärungen zum Wirkmechanismus von hochdosiertem Johanniskraut-Extrakt: Neu ist die Erkenntnis, dass der Johanniskraut-Extrakt bei chronischem Stress die deregulierte Stressantwort der überaktiven HPA-Achse sowie die Expression des Stressgens FKBP5 normalisieren kann. Mehr zum aktuellen Stand der Wissenschaft bei der Therapie von Depressionen erfahren Sie hier.