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Erschienen in: Manuelle Medizin 1/2013

01.03.2013 | Medizinrecht

Wettbewerbsrechtliche Implikationen beim ärztlichen Internetauftritt

Ist die Werbung mit manuelle Medizin/Osteopathie ein Wettbewerbsverstoß?

verfasst von: S. Koch

Erschienen in: Manuelle Medizin | Ausgabe 1/2013

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Auszug

Ende letzten Jahres wurde eine Reihe von Ärzten, die Kinder und Säuglinge manualtherapeutisch behandeln und über diesen therapeutischen Ansatz auf ihren Webseiten informieren, durch einen Wettbewerbsverband aufgefordert, ihre Webseiten vom Netz zu nehmen, eine strafbewährte Unterlassungserklärung zu unterzeichnen und die Kosten der Abmahnung zu übernehmen.1 Weil viele Kollegen nicht bereit waren, der Aufforderung des Verbandes nachzukommen, wurde eine ganze Reihe von vorläufigen Rechtsschutzverfahren eingeleitet. Mit diesen Verfahren waren und sind verschiedene Gerichte im Bundesgebiet befasst, da der Antragsteller jeden betroffenen Arzt an dem für diesen Arzt zuständigen Gericht verklagen musste.2 Die uns vorliegenden Entscheidungen zeigen ein unterschiedliches Bild und damit, dass die Rechtslage alles andere als eindeutig ist. Es mehren sich aber die Fälle, in denen der Verband obsiegt.3 Dies zeigt, dass es sich um ein ernst zu nehmendes Problem handelt, das potenziell für alle Ärzte, Osteopathen und Physiotherapeuten von Bedeutung sein kann. …
Fußnoten
1
Es handelt sich dabei um eine im Wettbewerbsrecht übliche Vorgehensweise. Der Gesetzgeber hat es für sinnvoll erachtet, dass Verbraucherschutzverbände die Interessen ihrer Mitglieder wahrnehmen und schützen können. Leider hat dies in manchen Branchen dazu geführt, dass sich eine „Abmahnungsindustrie“ entwickelt hat, bei der schon lange nicht mehr die Interessen der Verbraucher im Zentrum stehen, sondern oftmals einzig der Profit der Abmahnungsanwälte. Der hier handelnde Verein für sozialen Wettbewerb e. V. fällt jedoch nicht unter diese Kategorie.
 
2
Dies ergibt sich aus dem zivilprozessualen Grundsatz, dass der Kläger den Beklagten an dem für den Wohn- oder Dienstort zuständigen Gericht verklagen muss (§ 14 Abs. 1 S. 1 UWG – Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb v. 3. Juli 2004 – BGBl. I S. 1414).
 
3
Beispielsweise Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts v. 5.11.2012 Az. 3 W 18/12.
 
4
So behauptet der Verband durch seine Anwälte wörtlich: „Die vorliegende Werbung, die die pseudowissenschaftliche Lehre vom KISS-Syndrom ohne jede Einschränkung als wahr darstellt, verstößt gegen § 3 HWG, denn es wird für die beworbene Behandlung eine Wirksamkeit behauptet, die diese nicht haben kann, weil die Diagnose zwangsläufig falsch ist und daher der wissenschaftliche Unterbau der Behandlungsstrategie fehlt.“
 
5
Neufassung vom 19.10.1995 (BGBl. I 1994, 3068).
 
6
3. Juli 2004 – BGBl. I S. 1414.
 
7
Siehe auch EGRL 55/97 CELEX NR: 31997L0055.
 
8
Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 185 Ergänzungslieferung 2011, Dr. Pelchen/Anders, HWG, § 1, Rn. 4.
 
9
BGH GRUR 1999, 335, 337 Es reicht, dass die Botschaft dazu geeignet ist, bei dem Adressaten das Gefühl hervorzurufen, er werde zum Erwerb der bereitgestellten Leistungen und Waren aufgefordert. Auch sachliche oder gar warnende Information kann danach als Werbung zu beurteilen sein, wenn sie mit der Aufforderung zum Erwerb eines bestimmten Produktes oder der Entgegennahme einer kostenpflichtigen Leistung verbunden ist; vgl. BGH GRUR 1991, 860, 861 Pflichtangaben in Arzneimittelpackungen unterfallen dem Begriff der „Werbung“.
 
10
Dr. Pelchen/Anders, HWG, § 1, Rn. 1.
 
11
L. Hamm/J. Brücker, Gesetz über die Werbung auf dem Gebiet des Heilwesens (Heilmittelwerbegesetz), Kommentar, 2011 S. 42.
 
12
BayObLGSt. 56, 284.
 
13
BGH NJW 1995, 3177; BGHZ 50, 1, 4. Die grundgesetzlich garantierte Informations- und Pressefreiheit (Art. 5 GG) gebietet, dass eine gewisse Werbewirkung, die jeder sachlichen Unterrichtung in Form eines wissenschaftlichen Beitrags als unvermeidlicher Nebeneffekt innewohnt, toleriert werden muss.
 
14
Hanseatisches OLG, PhamR 1999, 252.
 
15
U. Doepner, Heilmittelwerbegesetz, Kommentar, 2. Aufl. 2000, § 1 Rn. 19.
 
16
Dr. Pelchen/Anders, HWG, Einleitung Rn. 1.
 
17
BVerfG GRUR 2004, 797.
 
18
Pelchen/Anders, HWG-Kommentar, 2009, Einführung Rn. 2.
 
19
Zur Bedeutung des Internets beim Werbeauftritt von Ärzten führt das BVerfG aus: „… eine Selbstdarstellung im Internet und damit in einem Medium handelt, welches als passive Darstellungsplattform in der Regel von interessierten Personen auf der Suche nach ganz bestimmten Informationen aufgesucht wird und sich daher der breiten Öffentlichkeit nicht unvorbereitet aufdrängt (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats, NJW 2003, S. 2818 f.; so jetzt auch BGH, Urteil vom 9. Oktober 2003, WRP 2004, S. 221).
 
20
Das hat auch das BVerfG mehrfach betont. Im Beschluss v. 30.04.2004 – 1 BvR 2334/03 heißt es: „Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt entschieden, dass den Angehörigen freier Berufe nicht jede, sondern lediglich die berufswidrige Werbung verboten ist (vgl. BVerfGE 71, 162 < 174 >; 85, 248 < 257 >). Sachangemessene Informationen, die den möglichen Patienten nicht verunsichern, sondern ihn als mündigen Menschen befähigen, von der freien Arztwahl sinnvoll Gebrauch zu machen, sind zulässig (vgl. BVerfGE 82, 18 < 28 >). Diese Rechtsprechung ist von der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts in zahlreichen Fällen näher konkretisiert worden (vgl. NJW 2002, S. 1331; 2002, S. 3091; 2003, S. 2818)“.
 
21
So beispielsweise Strebner, Aufklärende Hinweise beseitigen Irreführung, oder?, PhamR 2011, S. 126.
 
22
Auffallend ist, dass nur die unterinstanzlichen Gerichte diese Bezeichnung benutzen, in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes findet sich dieser Term nicht.
 
23
Vgl. BGH GRUR 1980, 797, 799, BGH GRUR 2012, 647-651 – INJECTIOI; OLG Hamburg GRUR-RR 2002, 173, 174 f. Auch die einschlägige Kommentarliteratur hat bislang kaum zwischen AM und Behandlungsmethoden differenziert, vgl. Doepner, HWG § 3 Rn. 22.
 
24
Vgl. § 3 HWG.
 
25
BGH GRUR 2002, 273, 275 – Eusovit; so undifferenziert auch Doepner, HWG, § 3 Rn. 36.
 
26
BT-Drucks. 7/5091 S. 12.
 
27
In Bülow/Ring/Artz/Brixius, Heilmittelwettbewerbsgesetz: HWG-Kommentar, 4. Aufl. 2012, § 3 Rn. 5 ff., so auch Pelchen/Anders, HWG-Kommentar, 2009, Einführung Rn. 2.
 
28
Ganz herrschende Meinung, für alle W. Fikentscher, Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung, Bd. III, Tübingen 1976, S. 658 m.w.N.
 
29
Obgleich der Arzt in dem Verfahren vor dem Hanseatischen OLG (s. o.) darauf hingewiesen hatte, findet sich in den Entscheidungsgründen keinerlei Ausführungen hierzu. Es wird weiterhin undifferenziert an der Rechtsprechung zu Wettbewerbsverstößen in Bezug auf Arzneimittel festgehalten und diese schablonenhaft auf die manualtherapeutische Behandlungsmethoden angewandt.
 
30
Beschluss des Kammergerichts Berlin vom 11.07.2011 – 5 U 115/09 m.w.N.; OLG Düsseldorf, PharmR 2010, 353 ff., so jetzt auch OLG Hamburg, Beschluss vom 5.11.2012 – 3 W 18/12.
 
31
Allerdings fehlen Studien, die zu dieser Schlussfolgerung kommen, eben hierauf stützt sich das OLG Hamburg in seiner aktuellen Entscheidung vom 5.11.2012 – 3 W 18/12. Die derzeitige Klagewelle sollte daher als die ultimative Aufforderung an die Forschergemeinde verstanden werden, hier tätig zu werden.
 
32
Aarts M, Sterenberg A, Wijnen U (2009) Migräne bei Kindern und Jugendlichen; Guerassimiouk D, Markhoff JP (2003) Die therapeutische Wirksamkeit der osteopathischen Behandlung bei Kindern mit auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen; Lamberts A (2002) Einfluss osteopathischer Behandlungen auf Konzentrationsstörungen bei Kindern. Beckewitz-Hübner M, Alexandra A (2008) Haben osteopathische Behandlungen einen Einfluss auf die Artikulationsfähigkeit bei Vorschulkindern mit Sigmatismus/Schetismus?; Nollmann R, Sturhahn F (2005) Osteopathische Intervention bei Kindern mit sprachassoziierten Wahrnehmungsstörungen; Brockmeyer I, Exner-Panne K, Peschke K (2009) Einfluss von osteopathischer und physiotherapeutischer Behandlung auf die idiopathische Säuglingsasymmetrie. Eine randomisierte kontrollierte Studie; Pabst B, Schleupen A (2003) Osteopathie als Therapie der Säuglingsasymmetrie; Niggemeier H, Wilke H (2005) Wirksamkeit osteopathischer Behandlungen bei kongenitalem Torticollis im Säuglingsalter. Eine randomisierte kontrollierte Interventionsstudie; Bockius D, Petra Thomann P (2009) 3-Jahres-Beobachtungsstudie osteopathischer und klinischer Parameter von Kindern mit diagnostizierter Haltungsasymmetrie; Heber A, Senger U (2003) Die osteopathische Behandlung bei 3-Monats-Kolik im Vergleich zur konventionellen Therapie. Alle diese Studien waren aus Sicht des OLG Hamburg nicht ausreichend, da keine dieser Studien für sich allein genommen den wissenschaftlichen Beleg der Wirksamkeit der manualtherapeutischen Behandlung der KISS erbringen könne, jedenfalls hätten diese Studien für sich oder in der Gesamtschau die Schlussfolgerung gewährleisten können, dass die KISS existiert und manualtherapeutisch wirksam behandelt werden könne.
 
33
Philippi et al., Diagnostik und Therapie der infantielen Haltungsasymetrie, Neuropädiatrie in Klinik und Praxis, 2008: 7, S. 32–37; Korbmacher et al., Interdisziplinäre Betrachtung eines manualtherapeutischen Patientengutes, Manuelle Med 2006: 44, S. 12–16; Saterinus et al., Traumatologie der A. vertebralis beim Säugling, Rechtsmedizin 2011: 21, S. 265–271; Saedt et al. KISS in den Niederlanden – aktueller Stand, Manuelle Ther, 2010: 14, S. 1–7; Biedermann/Koch, Zur Differenzialdiagnose des KISS-Syndroms, Manuelle Med 1996: 34, S. 72–81.
 
34
Alle diese Studien waren aus Sicht des OLG Hamburg nicht ausreichend, da keine dieser Studien für sich allein genommen den wissenschaftlichen Beleg der Wirksamkeit der manualtherapeutischen Behandlung der KISS erbringen könne, jedenfalls hätten diese Studien für sich oder in der Gesamtschau die Schlussfolgerung gewährleisten können, dass die KISS existiert und manualtherapeutisch wirksam behandelt werden könne.
 
35
OLG Hamburg, Beschluss vom 5.11.2012 – 3 W 18/12.
 
36
Beschluss des Kammergerichts Berlin vom 11.07.2011 – 5 U 115/09 m.w.N., so auch BGH GRUR 1991, 848 und OLG Hamburg, Beschluss vom 5.11.2012 – 3 W 18/12.
 
37
Die Wichtigkeit dieser Regelung wird vom Gesetzgeber unterstrichen, indem er vorsätzliche Verstöße gegen die hier aufgeführten Verbote unter den Voraussetzungen des § 15 HWG unter Strafe stellt.
 
38
Pelchen/Anders, HWG-Kommentar, 2009 § 11 Rn. 15.
 
39
BGH PhamR 1995 S. 324, 328, 330.
 
40
Spickhoff, Medizinrecht, HWG § 11 Rn. 31.
 
41
BGH NJW-RR 1991, 1391; dies sieht auch das OLG Hamburg, Beschluss vom 5.11.2012 – 3 W 18/12.
 
42
Der Verband hat zum einen eine Stellungnahme der Gesellschaft für Neuropädie e. V. aus dem Jahre 2005 vorgelegt. Zudem den Artikel von C. Happle et al., Cases against KISS: ein diagnostischer Algorithmus des frühkindlichen Torticollis“, Klin Pädiat 2009: 221, S. 430–435.
 
43
OLG Hamburg, Beschluss vom 5.11.2012 – 3 W 18/12.
 
44
Im Beschluss heißt es wörtlich: „Was fehlt, ist eine Studie, die die Wirksamkeit der von dem Antragsgegner [Arzt] beworbenen Therapieform nach anerkannten wissenschaftlichen Standards an einer ausreichend großen Zahl von Probanden untersucht, um den Einfluss etwaiger Begleittherapien zu vermeiden, und zudem Kontrollgruppen einrichtet, um etwaige Placeboeffekte ausschließen zu können.“
 
45
BVerfG Beschluss vom 30.04.2004 – 1 BvR 2334/03 = GRUR 2004, 797; BVerfG, Beschluss vom 17.07.2003 – 1 BvR 2115/02.
 
46
Wenn sie zu Zwecken der Werbung benutzt wird. Allein die Angabe des Tätigkeitsschwerpunktes, wie sie auch auf Praxisschildern zulässig ist, kann beim Internetauftritt nicht verboten sein; vgl. BGH Urteil vom 09.10.2003 – I ZR 167, WRP 2004, 221–224, S. 223: „Für eine interessengerechte und sachangemessene Information, die keinen Irrtum erregt, muss im rechtlichen und geschäftlichen Verkehr Raum bleiben (vgl. BVerfGE 82, 18, 28; BVerfG, Beschl. v. 21.4.1993 – 1 BvR 166/89, NJW 1993, 2988, 2989; Beschl. v. 17.7.2003 – 1 BvR 2115/02, WRP 2003, 1099, 1100; BGH GRUR 1999, 1009, 1010 – Notfalldienst für Privatpatienten). Es ist einem Arzt grundsätzlich unbenommen, in angemessener Weise auf seine Leistungen hinzuweisen und ein vorhandenes, an ihn herangetragenes Informationsinteresse zu befriedigen (BGH GRUR 2001, 181, 182 – Dentalästhetika). Das trifft in besonderer Weise auf im Internet im Rahmen einer Homepage erfolgende Darstellungen seiner Praxis und seiner Leistungen zu; denn diese präsentieren sich dem Leser – anders als Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften – nicht ungefragt, sondern werden als passive Darstellungsplattform in der Regel von interessierten Personen, die bestimmte Informationen suchen, ausgewählt (BVerfG WRP 2003, 1099, 1101 m.w.N.).
 
Metadaten
Titel
Wettbewerbsrechtliche Implikationen beim ärztlichen Internetauftritt
Ist die Werbung mit manuelle Medizin/Osteopathie ein Wettbewerbsverstoß?
verfasst von
S. Koch
Publikationsdatum
01.03.2013
Verlag
Springer-Verlag
Erschienen in
Manuelle Medizin / Ausgabe 1/2013
Print ISSN: 0025-2514
Elektronische ISSN: 1433-0466
DOI
https://doi.org/10.1007/s00337-012-0988-2

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