Wie Humboldt seinen Parkinson (er)lebte

Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist die Parkinson-Krankheit unter Ärzten allmählich bekannt geworden. Äußerst präzise, ja genauer als James Parkinson selbst, hat Wilhelm von Humboldt (1767-1835) die Symptome dieser Krankheit, an der er selbst litt, beschrieben. Bereits 1817 hatte James Parkinson (1755-1824) in einem Essay die „Schüttellähmung“ (shaking palsy) beschrieben. Den Namen „Parkinson-Krankheit“ bekam das Leiden erst etwa 70 Jahre später vom französischen Psychiater Jean-Martin Charcot. Wilhelm von Humboldt, der preußische Universalgelehrte, Humanist, Staatstheoretiker, Bildungsreformer und Diplomat, beschreibt in seinen Briefen ab 1828 bis zu seinem Tode jene typischen Symptome, die ihn zunehmend behinderten. Für Mikrographie entschuldigt So entschuldigt er sich im Oktober 1829 bei Charlotte Diede, mit der ihn seit Studententagen eine tiefe Freundschaft verband, für seine schlechte Handschrift. Zugleich betont er, dass es sich nicht um eine Krankheit handele und beklagt eine Art Schwäche „und das Zitterhafte“ der Hand (Horowski et al., Neurology 1995; 45: 565-568). Auch später insistiert er in seiner Korrespondenz, das sei keine Krankheit. Der vorzeitige Alterungsprozess habe wohl mit dem Tod seiner Frau Caroline (sie starb 1829) zu tun. Ärzte lokalisieren die Ursache der „Schwäche“ im Rückenmark, weil dort die Nerven für die Extremitäten entspringen. Später spricht Humboldt weniger von Schwäche als von einer „Unbehilflichkeit“ und „Schwerfälligkeit“. Das zunehmende Zittern der Hände komme wohl von „Nervenschwingungen“. Wenn er sich bemüht, sauber und deutlich zu schreiben, braucht das seine Zeit. Er bemerkt, dass die Schrift am Anfang der Zeile groß ist und dann immer kleiner wird (Mikrographie). Häufig ist es nur noch ein Gekritzel. Ab 1831 geht er mehr und mehr dazu über, seine Korrespondenz zu diktieren. Zittern in den Füßen, dann Rigor und Akinese Zudem beschreibt Humboldt ein unangenehmes Zittern in den Füßen, welches komme und gehe und das Laufen (zunächst) nicht beeinträchtige. Er versucht es willentlich zu unterdrücken, was ihm nur teilweise gelingt, gerade wenn er in Eile ist. Besonders stark ist das Zittern beim Essen, Reden oder bei emotionaler Anspannung. Der 65-Jährige kann keine schweren Dinge mehr heben, was nicht auf Kraftlosigkeit zurückzuführen sei, sondern auf die fehlende Feinmotorik. Detailliert schildert er die Probleme, die mit dem Rigor und der Akinese einher gehen, ob bei der Arbeit am Schreibtisch oder beim Anziehen (Knöpfen der Kleidung). Statuette mit typischer Parkinson-Haltung Die typische Körperhaltung eines Parkinson-Kranken demonstriert eine Statuette, die der Berliner Bildhauer und Architekt Friedrich Drake 1834 von Wilhelm von Humboldt angefertigt hat: Man sieht einen leicht gebeugten Mann, die Arme eng am Körper, etwas angewinkelt und so, als ob sich die ganze Person von innen her festhalten wollte. Der ganze Mensch wirkt steif wie ein Stock. Humboldt war sich dessen und auch seines gestörten Gangbildes bewusst und nahm dies, zumindest äußerlich, mit einer gewissen Nonchalance hin. Sein Gesundheitszustand gebe keinen Anlass zu klagen, wenn man von den „hinderlichen Beschwerden“ einmal absehe, schreibt er noch im Januar 1834, ein Jahr vor seinem Tod. Seine beiden Töchtern sorgen sich dagegen. Er sei schrecklich mager, alles gehe sehr langsam, äußern sie. Der Tremor, die gebeugte Haltung und die tonlose leise Stimme machen sie betroffen. Bruder Alexander von Humboldt schreibt nach dem Tod von Wilhelm am 4. April 1835, die (neurologische) Symptomatik habe im Winter 1834/35 deutlich zugenommen. Gestorben ist Wilhelm von Humboldt an einer Pneumonie. Kein Zweifel: Humboldt quälte ein Parkinson Aus heutiger Sicht bestehe kaum Zweifel, dass er an Morbus Parkinson gelitten hat, einer Krankheit, die erst 15 Jahre zuvor erstmals beschrieben worden war, so Dr. Reinhard Horowski aus Berlin und seine Mitarbeiter im Journal „Neurology“. Der Krankheitsverlauf über sieben bis acht Jahre sei nicht ungewöhnlich für die Vor-Levodopa-Ära.Die geradezu minutiöse Schilderung der Kardinalsymptome der Erkrankung sei jedoch nicht vergleichbar mit dem eher knappen Bericht James Parkinsons, meinen Neurologen. Parkinson hatte zwar die Symptomatik als Krankheit apostrophiert, andererseits ebenso wie Humboldt auf natürliche Alterungsprozesse zurückgeführt. Humboldts behandelnde Ärzte, die besten ihrer Zeit, sahen dies offenbar ähnlich. (TM) Mehr zum Thema Weitere prominente Patienten finden Sie in unserem Dossier.

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