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10.07.2019 | Medizinstudium | Redaktionstipp | Online-Artikel

Blog

Abenteuer PJ – Von den Alpen zum Indischen Ozean

verfasst von: Andia Mirbagheri

Von den Alpen bis zum Indischen Ozean: Unsere Bloggerin Andia Mirbagheri war in ihrem PJ viel unterwegs. Dabei sammelte sie viele Erfahrungen und erhielt Einblicke in andere Gesundheitssysteme.

Mein letztes Tertial in meinem Praktischen Jahr (PJ) teilte ich auf. Jeweils zwei Monate in der Chirurgie absolvierte ich sowohl im schweizerischen Trauma Zentrum Hirslanden in Zürich, als auch in St.-Pierre im französischen Überseedepartement La Réunion.

Dabei gab es einige Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede: Denn ich wusste, dass ich zuerst in einer hochspezialisierten Privatklinik in der Schweiz arbeiten würde und anschließend in einem öffentlichen französischen Uniklinikum.

Die Hauptmotivation für mein chirurgisches Tertial war, dass ich so viel wie möglich im Operationssaal stehen und assistieren wollte, um umfassendste praktische Erfahrung zu gewinnen. Meine Kommilitonen, die ihr Tertial in Deutschland absolviert hatten, hatten am häufigsten gemischte bis sehr negative Resonanz gezogen, die Studierenden würden eher als kostenfreie bis -günstige (PJ-Vergütung variiert je nach Klinik) stumme Hakenhalter rekrutiert ohne Aussicht auf jegliche Lehre. Daher schaute ich mich nach spannenden, aber finanzierbaren Möglichkeiten im Ausland um.

Möglichst viel Praxis sammeln

Bereits in meinem Studienjahr in Montpellier hatte ich enorm von der praxisnahen Ausbildung profitiert, so dass die Entscheidung nicht schwerfiel, erneut nach Frankreich zu gehen. Auf die Empfehlung einer Bekannten schaute ich mich nach einem französischen Überseedepartement um, da ich bisher nur das französische Festland kannte und auch hierfür eine Förderung durch das Erasmus-Programm der Europäischen Union möglich war.

Als primäre Auswanderoase deutscher Mediziner reizte mich zudem die Schweiz, da ich mir gern selbst ein Bild der dortigen Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen machen wollte. Zudem schien es eine realistische Option, da man als dortiger PJler (in der Schweiz: Unterassistent) fester Teil des Teams ist und entlohnt wird.

„Grüezi wohl“ – Alltag in der Schweizer Privatklinik

Meine erste Station im dritten Tertial war daher das Trauma Zentrum Hirslanden mit Schwerpunkt Orthopädie, Unfallchirurgie und plastische Chirurgie. Das Zentrum fungiert als eine Belegarztpraxis in der Klinik Hirslanden, in der viele ehemalige Chefärzte aus der ganzen Schweiz operieren sowie Oberärzte, die spezialisierter arbeiten möchten als in einer Universitätsklinik.

Da es im Trauma Zentrum keine Assistenzärzte gab, war ich als Unterassistentin fast immer die erste Assistenz im OP, keine Selbstverständlichkeit für eine Studierende. Zusätzlich hatte ich jedes zweite Wochenende Rufdienst und es kam nicht selten vor, auch nachts in den OP gerufen zu werden. Obwohl die Arbeit durchaus sehr anstrengend sein konnte, bin ich äußerst dankbar über die Menge an Eingriffen, die ich gesehen und bei denen ich assistieren durfte.

Neben der Arbeit im OP gab es die Möglichkeit den Sprechstunden beizuwohnen. Leider waren diese nicht sehr interaktiv für Studierende, weil es sich meist um hochprivate, sehr wohlhabende Patienten aus der Schweiz und der ganzen Welt handelte, die explizit nur von ihrem Chefarzt untersucht werden wollten. Nachvollziehbar, da sie genau hierfür bezahlen, jedoch kristallisiert sich aus diesem Beispiel heraus, inwiefern sich eine Privatklinik von einem öffentlichen Krankenhaus unterscheidet.

Ein anderes Versichungssystem

Grundsätzlich ist jeder mit Wohnsitz in der Schweiz verpflichtet, sich krankenversichern zu lassen. Es gibt keine staatliche Krankenkasse, jedoch sind die Krankenversicherer gesetzlich verpflichtet, jeden in diese obligatorische Krankenpflegeversicherung aufzunehmen, um eine umfassende Grundversorgung sicherzustellen. Dazu kann man Zusatzversicherungen abschließen, zum Beispiel für die Behandlung in einer Privatklinik.

Solche Privatkliniken, wie auch die Klinik Hirslanden, finanzieren sich hauptsächlich durch die Zusatzversicherten mit dem Angebot einer Chefarztbehandlung und Komfortunterbringung mit Hotelcharakter. Seit 2012 steht die Klinik Hirslanden auf der Zürcher Spitalliste, sodass auch grundversicherte Patienten behandelt werden, nicht zuletzt bedingt durch das 24/7-aktive Notfallzentrum.

Insgesamt war die Zeit im Trauma Zentrum Hirslanden sehr lehrreich, insbesondere in Hinblick auf die Anwendung praktischer Fähigkeiten in der Chirurgie. Zusätzlich war es spannend, zu erleben, dass es solch eine große Diskrepanz zwischen der Arbeit und dem Patientenklientel in einem großen öffentlichen Universitätsklinikum und einer privaten Klinik gibt.

Neben dem Komfort für die Patienten kümmerte sich die Privatklinik auch um seine Mitarbeiter. Das Mitarbeiterzimmer im OP glich einer Mischung aus Café und Warteraum beim Arzt mit stets frisch geröstetem Espresso, frischem Obst und Tageszeitungen.

In meiner kurzen Zeit als PJlerin habe ich indes keine bedeutenden Unterschiede in Bezug auf die Arbeitsbedingungen feststellen können. Zwar verdient man viel mehr als in Deutschland, jedoch arbeitet man auch sehr viel und hat sehr viel höhere Lebenserhaltungskosten, vor allem in Zürich.

Insgesamt kann ich mir die Facharztausbildung in der Schweiz weiterhin sehr gut vorstellen. Als deutscher Mediziner kann man sich gleich um eine Stelle in einem entsprechenden Krankenhaus bewerben und in der Regel gibt es keine Probleme mit der späteren Facharztanerkennung in Deutschland.

Wechsel an den südlichsten Zipfel der EU

Meine nächste und damit letzte PJ-Station war La Réunion, ein Ort, den ich erstmal auf der Weltkarte suchen musste und als die kleine Nachbarin von Madagaskar identifizierte. Im Centre Hospitalier Universitaire de La Réunion (CHU La Réunion), der Universitätsklinik im Süden der Insel, landete ich zufällig auf der Neurochirurgie.

Diese Abteilung sicherte nicht nur auf gesamt La Réunion, sondern auch für die Nachbarinseln Mayotte oder die Komoren die komplette öffentliche neurochirurgische Notfallversorgung.

Vom ersten Tag an wurde ich herzlich in das Kollegium integriert, durfte ab dem zweiten Tag direkt mit im OP arbeiten und meine ersten Bohrlöcher setzen. Anders als in der Schweiz war die technische Ausstattung im OP nicht so umfassend und modern und die Zimmer nicht luxuriös und komfortabel eingerichtet, jedoch profitierte ich sehr von der familiären Atmosphäre des französischen Teams, welches mir jederzeit begeistert Krankheitsbilder und OP-Techniken erklärte.

Essentiell für meine Lernkurve waren Vorkenntnisse aus meinem PJ-Wahlfach an der Charité in Berlin sowie meine Französischkenntnisse, auf die ich noch aus meinem Erasmusjahr in Montpellier zurückgreifen konnte.

Was die Franzosen besser machen

Die französische Facharztausbildung ist staatlich geregelt und legt Wert auf frühe Praxis. Der Chefarzt auf La Réunion erzählte mir, dass ihm in internationalen Fortbildungen öfters aufgefallen sei, dass deutsche Assistenten zwar über umfassendere theoretische Kenntnisse verfügen, Franzosen aber praktisch sehr viel fitter seien, da man seit dem dritten Jahr im Medizinstudium im OP stehe und lerne. In der Tat rotieren viele Assistenzärzte vom französischen Festland regelmäßig in Überseedepartements wie La Réunion, um so wie ich als PJlerin von dem umfassenden OP-Spektrum und der guten persönlichen Betreuung zu profitieren.

Nachteile sind der erschwerte Zugang zur französischen Facharztausbildung, welches nach einem nationalen Ranking vergeben wird und für Ausländer so gut wie unerreichbar ist und der Status der Assistenzärzte als Studierende für weitere drei bis fünf Jahre, welcher zugleich verbunden ist mit einem sehr viel schlechteren Verdienst im internationalen Vergleich.

Auch wenn ich Frankreich zumindest für die Facharztausbildung weitgehend ausschließen muss, bin ich äußerst begeistert und dankbar über meine PJ-Zeit. Wie zu keinem anderen Zeitpunkt im PJ habe ich hier sehr viel lernen und praktisch machen dürfen!

Ein finanzierbarer Blick über den Tellerrand

Insgesamt blicke ich sehr zufrieden auf mein Praktisches Jahr zurück und auf meine Erfahrungen in vier verschiedenen Gesundheitssystemen und Kulturen. Auch habe ich gelernt, dass man sich nicht abschrecken lassen sollte von bürokratischen und finanziellen Hürden, sondern sich wirklich anstrengen sollte, sich frühzeitig zu bewerben und zu informieren, da ich meine Aufenthalte komplett über Ersparnisse und viele Stipendien finanzieren konnte.

Schließlich hatte ich explizit Orte gewählt, die anders als die üblichen Traumoasen von Studierenden wie USA oder Südafrika, keine Studiengebühren erheben und einen nicht vor Berufsstart in einen finanziellen Ruin treiben.

Beeindruckend fand ich, dass obgleich der strukturierten Facharztausbildung in Frankreich und der besseren Verdienstmöglichkeiten in der Schweiz man schließlich an allen Orten sehr viel arbeitet und das eigene Glück damit steht und fällt, wie sehr man in seiner Arbeit aufgeht.

Die Ärzte, denen ich in unterschiedlichsten Winkeln dieser Welt begegnet bin, sind mit höchster Passion und Verantwortung ihrer Berufung nachgegangen und haben diese nicht in Stunden, sondern Qualität bemessen.

Nach wie vor bin ich überzeugt davon, dass die Erfahrungen außerhalb des heimischen Gesundheitssystems, unterschiedliche Herangehensweisen, um medizinische Probleme zu lösen, sowie eine globale Perspektive auf den Klinikalltag eine bessere Ärztin aus mir machen. Ich kann jedem Medizinstudierenden nur ans Herz legen, sich nicht vor den bürokratischen Hürden zu scheuen, sondern das Abenteuer PJ selbst in die Hand zu nehmen.

Die Autorin: Andia Mirbagheri

Andia Mirbagheri ist 25 Jahre alt, studiert an der Charité Humanmedizin und ist aktuell im PJ, das sie in verschiedenen Teilen der Erde verbringt. Sie hat sich noch nicht für eine Fachrichtung entschieden. Hier bloggt sie:

Quelle: Ärzte Zeitung