Operation am offenen Herzen

Auf den Spuren des ersten Herztransplanteurs: Unser Blogger Marcel Schwinger hat seine letzte Famulatur an einem ganz besonderen Ort der Medizingeschichte absolviert. Er durfte in Südafrika vier Wochen lang in der Wirkungstätte von Christiaan Barnard assistieren. „Herrgott, es schlägt wieder!“ Dem Operateur war ein Stein vom Herzen gefallen, als er die Worte sprach, die aus der Hoffnung Gewissheit werden ließen. Kapstadt um 5:52 Uhr am 3. Dezember 1967: Das 31-köpfige Team um Chefarzt Christiaan Barnard hatte die erste Herztransplantation in der Geschichte der Medizin erfolgreich durchgeführt. Wie ein Lauffeuer ging die Nachricht um die Welt. Wenn 52 Jahre später Barnards Nach-Nachfolger als Chefarzt der Herzchirurgie Kapstadt, Prof. Jacques Janson, die Knochensäge über dem Brustbein des Patienten ansetzt, verläuft das alles deutlich weniger spektakulär. 400 Patienten werden am Tygerberg Hospital heute pro Jahr am offenen Herzen operiert. Es ist Routine – und doch auch wieder nicht. Denn wenn die Herz-Lungen-Maschine die Kreislauffunktion übernimmt und das Herz aufhört zu schlagen, ist das auch heute noch ein sehr spezieller Moment. Und wenn es wieder anfängt zu schlagen, erst recht. Bypässe und Schussverletzungen Außergewöhnlich an der Szene im September des Jahres 2019 ist höchstens der Umstand, dass ich, Marcel Schwinger, Studierender zwischen dem 8. und 9. Semester, Professor Janson an diesem Tag assistieren darf. Ich hatte langsam angefangen, mich erst mit der Klinik, der Organisation, der Sprache, dem ganzen Drum und Dran vertraut zu machen. Doch schon wenig später ging es vier Tage pro Woche in den OP. An drei Tagen Herz, an einem Tag Thorax. Am offenen Herzen werden vor allem Bypässe und Herzklappen operiert. Aber auch Schussverletzungen im Bereich des Thorax kommen auf unseren Tisch. Dass ich nach erfolgreichem „Hakenhalten“ gleich bei zwei Herz-Op assistieren darf, ist ein Highlight, an das ich mich noch lange erinnern werde. Die Zusage kam schnell Eigentlich haben mich nicht die großen Namen und die berühmte Geschichte nach Kapstadt gezogen. Es war eher Zufall, dass ich auf der Suche nach einer Famulatur im Ausland an die E-Mail-Adresse von Dr. David Harris geriet und einfach mal die Probe aufs Exempel machte. Ich war mir alles andere als sicher, ob ich überhaupt Antwort erhalten würde und deshalb umso mehr überrascht, dass ich schon nach ein paar Tagen eine Zusage von Dr. Harris vorfand. Nun war „nur“ noch das Organisatorische zu klären – genaue Termine festlegen, Flüge buchen und vor allem: Unterkunft besorgen. Das alles passierte ein ganzes Jahr vorher. Mir blieben 12 Monate, um mich „mental“ auf meine Famulatur in der Herz- und Thoraxchirurgie in Kapstadt vorzubereiten. Im Jahr 2004, als die Südafrikaner die 100 bedeutendsten Landsleute aller Zeiten wählten, kam Christiaan Barnard hinter Nelson Mandela auf Platz 2. Kaum einer erinnert sich heute mehr daran, dass es noch bis in die 1980er dauerte, ehe die Herztransplantation ihren allgemeinen Siegeszug in der Behandlung schwerer Herzinsuffizienz antreten konnte. Der wichtigste Grund bestand darin, dass es damals noch keine effektiv und zielgerichtet wirkende immunsuppremierende Therapie gab. Erst die Entwicklung von Medikamenten wie Ciclosporin stieß die Tür zum durchschlagenden Erfolg auf. Zu diesem Zeitpunkt war Barnard längst ein Held. Er hatte 1967 den Beweis erbracht, dass die Transplantation dieses Organs funktioniert. Das stieß auch tief in die medizinische Ethik vor. Ein Mensch galt auf einmal nicht mehr als tot, wenn das Herz versagte, sondern wenn das Gehirn irreversibel zerstört ist. 10.000 Behandlungsfälle täglich Es ist schon etwas ganz Besonderes, wenn man angesichts dieser Geschichte seine Famulatur in Kapstadt ausgerechnet in der Herzchirurgie absolvieren darf. An die Seite des Groote Schur Hospital, wo 1967 die Transplantation stattfand, ist heute das deutlich größere Tygerberg Hospital getreten, die zweitgrößte Klinik des Landes. Knapp 2000 Betten, 10.000 Behandlungsfälle täglich – ein medizinischer Großbetrieb. Ich hatte mich mit Dr. Harris an meinem geplanten ersten Arbeitstag verabredet und musste erstaunt zur Kenntnis nehmen, dass er für die kommenden zwei Wochen gar nicht da sein würde, da er in einem der angeschlossenen Krankenhäuser aushelfen musste. Dennoch wurde ich offen und herzlich empfangen, wurde bei Visiten und auf der Station sofort aktiv einbezogen. Manche Patienten sprechen nicht so gut Englisch, sondern eine der zahlreichen anderen Sprachen, meist Africans. Das erschwerte ein bisschen die Kommunikation, erst recht in lauten Intensivzimmern. Schon deshalb war den ganzen Tag hindurch höchste Konzentration gefragt, vor allem natürlich im OP. Ich wurde ziemlich gefordert. Aber genau deshalb empfand ich diese – meine letzte – Famulatur als etwas ganz Besonderes. Schönheit und Armut Natürlich wollte und konnte ich auch in anderer Beziehung meinen Horizont erweitern. Ob es der Blick vom Tafelberg auf die Stadt ist oder der vom Kap der Guten Hoffnung auf den Atlantik: Südafrika ist unbeschreiblich schön. Aber die soziale Kluft ist unbeschreiblich groß. Noch immer leben 30 Millionen Südafrikaner in Armut – mit weniger als 500 Rand im Monat. Das sind 33 Euro. Täglich fuhr ich auf meinem Weg ins Tygerberg Hospital an einem großen Township vorbei. Dort, sagte mir meine Vermieterin Mecky, willst du keine Autopanne haben, und wenn du eine hast, dann steigst du nicht aus, bis Hilfe kommt. Auch das ist Südafrika. Mittlerweile hat der Studienbetrieb wieder angefangen. Wenn mich jemand fragt, ob ich es wieder tun würde, dann müsste ich nicht lange überlegen. Denn in Südafrika habe ich nicht nur gelernt, sondern auch dazugelernt. Und zwar Dinge, die man in keiner Vorlesung hört. Empfehlung der Redaktion Ärzte Zeitung Logo 05.12.2018 | Link Ärzte Zeitung Dieser Beitrag stammt aus der Feder unserer Kollegen der Ärzte Zeitung. Noch mehr Beiträge zu Gesundheits- und Berufspolitik, aber auch zu Praxisthemen wie Abrechnung und Recht finden Sie bei Ärzte Zeitung Online.

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