Oft zu spät erkannt: degenerative zervikale Myelopathie

Taubheitsgefühle in den Fingern, Probleme, das Hemd zuzuknöpfen, häufige Stürze, das Handy fällt aus der Hand? Hinter solchen Symptomen kann eine degenerative zervikale Myelopathie stecken. Früh diagnostiziert, stoppt eine Op. die Progression. Hinweis: Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Der 54-jährige Mann klagte schon länger über einen steifen Nacken und taube Finger, auch konnte er sein Hemd kaum noch zuknöpfen. Die Ärzte vermuteten ein Karpaltunnelsyndrom und operierten ihn. Das half jedoch nicht, stattdessen verschlechterte sich sein Zustand: Er stürzte häufig und fühlte sich beim Gehen immer unsicherer. Das MRT offenbarte den wahren Grund: multiple zervikale Spondylosen und Bandscheibenvorfälle mit Rückenmarkskompression. Die Ärzte diagnostizierten schließlich eine degenerative zervikale Myelopathie und schickten den Mann zu einem Chirurgen, wie Ärzte um Dr. Benjamin Davies von der Universität in Cambridge berichten. Dieser könne durch die Dekompression jedoch häufig nur eine Progression der Erkrankung verhindern, bestehende Symptome würden sich meist nicht mehr vollständig zurückbilden, vor allem dann nicht, wenn die Krankheit bereits weit fortgeschritten ist. Daher sei es wichtig, einer Myelopathie möglichst rasch auf die Spur zu kommen. Unbehandelt könne diese in den Rollstuhl führen. Handmuskelschwäche und zunehmende Ungeschicklichkeit Die Diagnostik sei jedoch keine leichte Angelegenheit, da die Erkrankung mit recht unspezifischen Symptomen beginne. Die Neurochirurgen um Davies nennen vor allem Nackenschmerzen, einen steifen Nacken, uni- oder bilaterale Schmerzen, bevorzugt an den Extremitäten, eine Handmuskelschwäche sowie Sensibilitätsstörungen an Armen und Händen, Parästhesien, Gangunsicherheit mit häufigen Stürzen, einen Verlust der Geschicklichkeit und Fingerfertigkeit, aber auch autonome Störungen wie Harninkontinenz und erektile Dysfunktion. Hinweise können zudem ungeschickte Hände liefern: Trägt der Patienten sein Handy in einer äußerst robusten Hülle, die ihm die Kinder gekauft haben, weil ihm das Gerät ständig aus den Fingern gleitet und auf dem Boden zerschellt, sei dies ebenfalls ein Warnzeichen, ergänzt der Arbeitsmediziner Dr. Anthony Williams aus Temple Ewell in der Grafschaft Kent. „Einem Verdacht auf degenerative zervikale Myelopathie sollte bei allen Patienten nachgegangen werden, denen das Handy häufig aus der Hand fällt, vor allem dann, wenn sich die Familie deswegen Sorgen macht“, schreibt Williams. Der Arzt spricht hier von einem „Handy-Zeichen“, das auf die Erkrankung deutet. Ein häufiger Grund, weshalb die Betroffenen einen Arzt aufsuchen, seien jedoch Schmerzen. Zuvor hätten die Patienten oft Beschwerden, die sie auf ihr Alter zurückführten, etwa Stürze und Ungeschicklichkeit, berichten die Chirurgen um Davies. Dies sei besonders heimtückisch, da sich Betroffene erst sehr spät eingestehen, dass etwas nicht stimmt, eben dann, wenn die Krankheit deutlich voranschreite. Die kontinuierliche Progression sei zudem so ziemlich das einzige konsistente Merkmal der degenerativen Myelopathie. Mehr als zwei Jahre bis zur richtigen Diagnose Lenkt eine gründliche Anamnese den Verdacht auf eine zervikale Myelopathie, raten die Chirurgen um Davies zunächst zu einer ausführlichen klinischen Untersuchung auf sensorische und motorische Auffälligkeiten. Dazu gehören eine Hyperreflexie der Extremitäten, Spastiken – vor allem das Taschenmesserphänomen –, Kloni (oft an der Achillessehne), Babinski-Zeichen, Hoffman-Zeichen, Lhermitte-Zeichen, Sensibilitätsminderungen und Gangstörungen. Das Problem mit solchen Untersuchungen: Sie haben alle eine geringe Sensitivität. Sind die Patienten unauffällig, bedeutet dies nicht, dass keine Myelopathie vorliegt. Dagegen ist die Spezifität recht hoch: Ein abnormer Befund spreche für die Erkrankung, geben die Chirurgen zu bedenken. Letztlich sei die Bildgebung per MRT wegweisend. Damit lasse sich die zervikale Degeneration meist gut erkennen. Die Ärzte um Davies weisen jedoch darauf hin, dass die Symptome nicht besonders gut mit dem MRT-Befund korrelieren. Entsprechend gebe es auch häufig Zufallsbefunde bei asymptomatischen Patienten. In einer MRT-Studie unter gesunden Älteren fanden Ärzte bei knapp 60% der Teilnehmer in ihrer fünften Lebensdekade und bei zwei Drittel der über 80-Jährigen Hinweise auf eine Rückenmarkskompression. Eine Operation sollte daher nur erfolgen, wenn die Betroffenen über moderate bis schwere Symptome klagen oder es zu einer Progression der Erkrankung kommt. Die besten Erfolgsaussichten auf eine deutliche Linderung der Beschwerden gibt es nach Studiendaten, wenn die Symptome nicht länger als sechs Monate bestehen. „Dieser Zeitrahmen ist jedoch ziemlich weit außerhalb der üblichen Diagnosedauer“, so Davies und Mitarbeiter. Nach Resultaten einer israelischen Studie müssen Patienten im Schnitt fünf Ärzte konsultieren und über zwei Jahre lang warten, bis die Myelopathie erkannt wird. Empfehlung der Redaktion 2017 | OriginalPaper | Buchkapitel Zervikale Myelopathie / zervikomedulläres Syndrom Das Buchkapitel erläutert, wie es zu dieser Rückenmarksschädigung kommen kann, welches die Folgen sind, wie man die zervikale Myelopathie behandelt und welche Prognose sie hat.

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