Der gemeinsame Endpunkt vieler Netzhautdegenerationen ist ein Zelluntergang im retinalen Pigmentepithel und/oder der neurosensorischen Retina und ein damit verbundener irreversibler Visusverlust. Therapieansätze in fortgeschrittenen Erkrankungsstadien müssen folglich ebenfalls den Ersatz dieser verloren gegangenen Zellen und Gewebe adressieren. Hier zeichnen sich in den letzten Jahren vor allem auf dem Gebiet der stammzellbasierten zellulären Transplantationstherapie rasante Fortschritte in Grundlagenforschung und klinischer Anwendung ab. Besonders die induzierten pluripotenten Stammzellen scheinen die personalisierte Medizin signifikant voranbringen zu können, falls es gelingt wesentliche Bedenken und Limitationen zu überwinden. Diese Übersicht benennt retinale Krankheitsbilder, bei denen Zelltherapie eine potenzielle Therapieoption darstellt, und gibt einen kurzen Einblick in bisherige Therapiemöglichkeiten. Darüber hinaus werden insbesondere die potenziellen Anwendungsbereiche induzierter pluripotenter Stammzellen mit ihren Vorteilen, aber auch Problemen beleuchtet. Der Hauptfokus liegt auf dem stammzellbasierten Ersatz des retinalen Pigmentepithels, da dieser im Hinblick auf eine therapeutische Anwendung am Menschen, im Vergleich zu anderen Zellen der neurosensorischen Netzhaut, die größten Fortschritte verzeichnet. Abschließend wird ein Überblick über bereits laufende klinische Studien zur Therapie von Netzhautdegenerationen mittels stammzellbasierter zellulärer Transplantationstherapie gegeben.
Hinführung zum Thema
Zelltherapie, oder auch zellbasierte Transplantationstherapie, umfasst die Anwendung autologer, allogener oder xenogener Zellen – welche meist ex vivo kultiviert oder manipuliert wurden – mit dem Ziel, geschädigte Gewebe und Organe in vivo zu reparieren oder zu ersetzen. Zell- und Gewebeersatz auf der Grundlage humaner Stammzellen besitzt eine besonders große Bedeutung für zukünftige Strategien der regenerativen Medizin. Anwendungen am Augenhintergrund finden sich an der vordersten Front dieser aufstrebenden Therapieform.
Der Augenhintergrund als geeigneter Ort für Zelltherapie
Die transparente Cornea ermöglicht als „Fenster zum Auge“ bereits seit der Erfindung des Augenspiegels (Ophthalmoskop) durch Hermann von Helmholtz im Jahre 1850 einen nicht-invasiven Einblick in die Strukturen des Augeninneren. Insbesondere die zentrale Retina, wo zwischen den beiden retinalen Gefäßbögen die Makula als Stelle des schärfsten Sehens lokalisiert ist, lässt sich gut einsehen. Darüber hinaus sind sichere operative Zugangswege zum hinteren Augenpol in Form der Pars-Plana-Vitrektomie seit den 1970er-/80er-Jahren flächendeckend etabliert. Intravitreale Injektionen sind nahezu komplikationslos im ambulanten Rahmen binnen weniger Minuten durchführbar. Neuere, lasergestützte bildgebende diagnostische Verfahren wie die optische Kohärenztomographie (OCT) erlauben zudem die exakte Beurteilung der retinalen Struktur – gleichsam einer nicht-invasiven In-vivo-Histologie –, da sie sämtliche Netzhautschichten beeindruckend detailliert darstellen können. Auch die signalverarbeitende Funktion der einzelnen Netzhautschichten lässt sich mittels Elektrophysiologie objektivierbar messen.
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Diese im Vergleich zu anderen Geweben und Organen des menschlichen Körpers einfache Einsehbarkeit, detaillierte Darstellbarkeit und auch Zugänglichkeit der Netzhaut erlauben Interventionen und intensive Nachbeobachtungen mit geringem Aufwand und machen somit das Auge besonders interessant für neue Therapieformen, wie die Gentherapie oder auch die stammzellbasierte Transplantationstherapie [1‐3]. Darüber hinaus grenzt die Blut-Retina-Schranke als Barriere die Netzhaut vom Rest des Körpers ab [4], wodurch ein Einsatz von Gentherapie oder Zelltherapie mit geringerer Wahrscheinlichkeit andere Gewebe beeinflusst. Hinzu kommt außerdem, dass sich Zelltypen des Auges, wie das retinale Pigmentepithel (RPE), mittels vergleichsweise unkomplizierter und robuster Protokolle gut aus Stammzellen differenzieren lassen [5‐8] – hierzu folgen unten mehr Details.
Degenerative Erkrankungen am Augenhintergrund als Kandidaten für Zelltherapie
Degenerative Netzhauterkrankungen können vom klinischen Aspekt sehr unterschiedlich imponieren und auch einen sehr heterogenen Verlauf zeigen. Allgemein können monogene, auf hochpenetrante Mutationen in je einem bestimmten Gen zurückzuführende Krankheitsbilder, von komplexen, multifaktoriell verursachten Erkrankungen unterschieden werden. Gemeinsam ist allen ein Zelluntergang im RPE und/oder der neurosensorischen Retina und ein damit verbundener, bis dato irreversibler Visusverlust. Betrifft der Degenerationsprozess die Makula, treten als klassische Symptome einer Makulopathie eine zentrale Visusminderung in Form eines „grauen Flecks“ mit Verlust der Lesefähigkeit, Verzerrtsehen (sog. Metamorphopsien) und zentralen Gesichtsfeldausfällen auf – mit teilweise dramatischen Einschränkungen in der selbstständigen Lebensführung betroffener Personen.
Die mit Abstand häufigste degenerative Makulopathie ist die altersbedingte Makuladegeneration (AMD), eine ophthalmologische Volkskrankheit und die häufigste Erblindungsursache in der älteren Bevölkerung von Industrieländern [9]. Die AMD ist eine komplexe Erkrankung, deren Pathophysiologie das funktionelle Synzytium von Photorezeptoren, retinalem Pigmentepithel (RPE) mit Bruch-Membran und Choroidea betrifft [9, 10]. Im Detail sind die Pathomechanismen noch nicht geklärt, jedoch scheint eine Rolle des Komplementsystems in der Krankheitsentstehung wahrscheinlich [10]. Das visusrelevante klinische Endstadium der AMD wird auch als späte AMD bezeichnet. Hier kann eine feuchte Form mit Gefäßneubildungen (Neovaskularisationen, NV) von einer trockenen Form mit flächigem Untergang des RPE (geographische Atrophie [GA]) unterschieden werden, wobei beide Formen zum unwiederbringlichen Verlust von Photorezeptoren führen [9]. Therapien existieren bislang nur für die feuchte, neovaskuläre Form [9, 11], diese sind lediglich symptomatisch und nicht kausal: Es werden Inhibitoren des Vascular Endothelial Growth Factors (VEGF) mittels intravitrealer Injektion appliziert. Die Behandlung muss allerdings regelmäßig wiederholt werden (durchschnittlich fünfmal im Jahr, im Einzelfall deutlich häufiger) [11], verursacht hohen Aufwand und Kosten und kann den Krankheitsverlauf nur verlangsamen, nicht komplett aufhalten oder gar umkehren [9, 11]. Risikofaktoren für die Entstehung oder Progression der AMD sind in erster Linie hohes Alter: Die Prävalenz der späten AMD nimmt deutlich zu bei über 70-Jährigen und liegt in dieser Altersgruppe bei 10–20 % [9, 12, 13]. Darüber hinaus sind vor allem genetische Faktoren dokumentiert: Derzeit sind 34 Genregionen bekannt, die genetische Varianten mit einer erhöhten Häufigkeit bei der späten AMD aufweisen. Geschätzt über 50 % der Erkrankungen werden durch genetische Faktoren erklärt [14].
Im Gegensatz zur weitverbreiteten AMD sind manche monogen vererbte Netzhautdystrophien extrem selten [15]. Derzeit kennt man etwa 100 verschiedene Krankheitsbilder, als Ursache wurden bereits mehrere Hundert Mutationen an mehr als 250 unterschiedlichen Genen nachgewiesen. Nimmt man alle monogenen hereditären Netzhautdystrophien zusammen, liegt die Prävalenz bei 1:4000. In Europa sind sie für ca. 10 % aller Erblindungsfälle verantwortlich [15, 16].
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Die häufigste hereditäre Fundusdystrophie, welche durch Mutationen in mindestens 60 verschiedenen Genen verursacht wird, ist die Retinitis pigmentosa (Prävalenz 1:6000) [17]. Sie kann autosomal dominant (beste Prognose [18]), rezessiv oder X‑gebunden (schlechteste Prognose [18]) vererbt werden, häufig auch sporadisch auftreten und mit schwerwiegenden systemischen Begleiterkrankungen assoziiert sein. Klassische okuläre Befunde sind u. a. in der Netzhautperipherie lokalisierte, dunkel pigmentierte, scharf abgegrenzte Verklumpungen des RPE (sogenannte Knochenbälkchen). Da der Degenerationsprozess von der peripheren Netzhaut ausgeht und sich von dort Richtung Makula ausbreitet, sind Nachtblindheit sowie peripher beginnende Gesichtsfeldausfälle diesem Prozess entsprechende, klassische Frühsymptome. Schließlich bleibt nur eine winzige zentrale Gesichtsfeldinsel erhalten, die ebenfalls verloren gehen kann [17].
Der Morbus Stargardt ist die häufigste Form der juvenilen Makuladystrophie (Prävalenz ca. 1:10.000) und wird hauptsächlich durch Mutationen im ABCA4-Gen verursacht [19]. Klassische Symptome sind ein progredienter zentraler Visusverlust, beginnend im Kindesalter, mit schlechter Prognose. Klassische okuläre Befunde sind anfänglich gelblich-weißliche Flecken korrespondierend zu Lipofuszinablagerungen im RPE und im Spätstadium eine flächige Atrophie des makulären RPE in Schießscheibenkonfiguration („bull’s eye maculopathy“) [19].
Routinemäßig anwendbare Therapieverfahren gibt es weder für Retinitis pigmentosa noch für Morbus Stargardt. Ein Therapieversuch, um den Krankheitsverlauf der Retinitis pigmentosa möglicherweise günstig zu beeinflussen, ist die hoch dosierte Einnahme von Vitamin A. Sie wird allerdings nur bei erniedrigtem Serumspiegel empfohlen und ist bei Vorliegen von ABCA4-Mutationen kontraindiziert, da diese in Tierversuchen zu einem fehlerhaften Vitamin A-Abbau in der Retina mit Akkumulation toxischer Stoffe führen, was die Progression der Erkrankung sogar verstärken könnte [20]. Mikrochips, die in einem komplexen chirurgischen Verfahren subretinal nahe der Makula transplantiert werden – sogenannte Retina-Implantate – können in Spätstadien der Erkrankungen eine gewisse visuelle Funktion wiederherstellen [21]. Diese bahnbrechenden therapeutischen Entwicklungen stehen im Rahmen von klinischen Studien zur Verfügung und werden beispielsweise in Arbeiten von Zrenner et al. [21] sowie MacLaren [22] sehr anschaulich dargestellt. Bezüglich weiterer Therapieoptionen, z. B. im Rahmen von Gentherapiestudien, soll auf Artikel in diesem Heft verwiesen werden (Ochakovski et al.). Entsprechende klinische Studien der stammzellbasierten Transplantationstherapie werden am Ende dieses Artikels aufgeführt.
Ältere Methoden von Zelltherapie am Augenhintergrund
Wie bereits erläutert ist ein Zelluntergang im RPE und/oder der neurosensorischen Retina die gemeinsame Endstrecke aller degenerativen Netzhauterkrankungen. In den Spätstadien des Erkrankungsprozesses ist die Größe des Schadens der Netzhaut nicht mehr kompensierbar, die Wiederherstellung der Funktion ist somit nur noch durch den Ersatz der verloren gegangenen Zellen möglich. Dieser Ersatz im Rahmen zellbasierter Therapien kann prinzipiell für alle Netzhautdegenerationen gleichermaßen, also unabhängig von z. B. der genauen Vererbung der Erkrankung, angewendet werden.
Da das RPE eine Hauptrolle in der Pathogenese vieler Netzhautdegenerationen spielt, gab es im Laufe der letzten 30 Jahre verschiedene Ansätze das RPE an der Makula zu ersetzen [23]:
i)
Peripher am Augenpol lokalisiertes, noch intaktes RPE wurde entweder gemeinsam mit darunterliegender Aderhaut oder nur als autologe RPE-Zellsuspension chirurgisch unter die Makula transplantiert [23].
ii)
Fötales humanes RPE – frisch oder kultiviert als Mikroaggregate oder Zellsuspension – wurde in lediglich kleinen zweistelligen Patientenkollektiven transplantiert [23]. Jedoch wurden Ansätze mit homologem adultem/post mortem RPE nach erfolglosen Einzelbeschreibungen zügig aufgegeben [23].
iii)
Chirurgisch wurde die neurosensorische Netzhaut der Makula in die Peripherie, d. h. auf eine neue Unterlage mit gesundem RPE verlagert. Letzteres Verfahren wird als Makulatranslokation bezeichnet [24, 25].
Alle diese ophthalmochirurgischen Versuche, besonders die Makulatranslokation, sind extensive, hoch riskante Eingriffe. Meistens benötigen behandelte Patienten weitere Folgeeingriffe, da hier häufig eine komplette Netzhautablösung ausgelöst wird, die zu Folgeablösungen führen kann. Auch können sich nach der Makulatranslokation Doppelbilder durch die Verlagerung der Stelle des schärfsten Sehens entwickeln, die schwierig durch Schieloperationen zu korrigieren sind [24, 25]. Zudem kam es bei der Transplantation von allogenem fötalem RPE meist zur Abstoßung, eventuell aufgrund der Expression fötaler Proteine im adulten Organismus, und immer zu einem Visusverlust [23]. Zusammengefasst konnte sich keine dieser Interventionen durchsetzen.
Stammzellen als neue Quelle für Zelltherapie
Die wohl vielversprechendste Quelle für Zellersatz stellen Stammzellen dar. Diese können zu den jeweils geschädigten bzw. untergegangenen Zelltypen in vitro differenziert, beliebig expandiert und im Rahmen der stammzellbasierten Transplantationstherapie an den Ort der Schädigung gebracht werden [1].
Grundsätzlich ist die Stammzellforschung ein relativ junges, aufstrebendes Forschungsgebiet und wird in der öffentlichen Wahrnehmung zu den Hoffnungsträgern, aber auch Problemfeldern aktueller Lebenswissenschaften, vor allem im Bereich regenerativer Medizin, gerechnet. Eine Stammzelle unterscheidet sich von einer „normalen“ somatischen Zelle dadurch, dass sie sich theoretisch unendlich durch asymmetrische Zellteilung und Beibehaltung ihres generischen oder unspezialisierten Zustands erneuern kann, während sie gleichzeitig ihr Potenzial zur Generierung von spezialisierteren Tochterzellen aufrechterhält [1, 26]. Abb. 1 skizziert die charakteristischen Eigenschaften von Stammzellen und nennt eine Einteilung verschiedener Stammzelltypen im Hinblick auf ihr jeweiliges Differenzierungspotenzial.
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Embryonale Stammzellen (ESCs) werden aus der undifferenzierten inneren Zellmasse eines Embryos im Blastozystenstadium 4–5 Tage nach der Befruchtung und vor der Implantation gewonnen [26]. Die ersten stabilen In-vitro-ESC-Linien wurden von Thomson und Kollegen im Jahre 1998 generiert [26]. ESCs sind pluripotent, das heißt sie können sich zu sämtlichen Zellen der drei Keimblätter differenzieren [26, 27]. Somit gelten sie als hochpotente Therapiewerkzeuge. Allerdings stößt die Verwendung von humanen ESCs (hESCs) für Forschungs- und Therapiezwecke aufgrund der Verwendung von Embryonen aus ethischen Gründen auf Ablehnung. Im Gegensatz dazu gelten z. B. adulte Stammzellen als ethisch unbedenklich(er), sie besitzen allerdings weitaus weniger Differenzierungspotenzial, welches auf die Generierung weniger Zelltypen eines Gewebetyps beschränkt ist [1]. Am Auge gibt es zahlreiche adulte Stammzelltypen – für weitere Details soll an dieser Stelle auf einen Übersichtsartikel von Dhamodaran et al. verwiesen werden, welcher einen aufschlussreichen Überblick inklusive Verweise auf therapeutische Bedeutungen liefert [28].
Induzierte pluripotente Stammzellen als optimale individualisierte Therapieoption?
Seit 2007 lassen sich pluripotente Stammzellen ohne Involvierung eines Embryos generieren: Shinya Yamanaka und Kollegen etablierten die Reprogrammierung humaner induzierter pluripotenter Stammzellen (iPSCs) aus adulten Fibroblasten mittels Überexpression bestimmter Transkriptionsfaktoren (OCT3/4, Sox2, KLF4, c‑Myc) [29]. Diese Technologie gilt als Meilenstein in der personalisierten, regenerativen Medizin, welcher durch die Vergabe des Nobelpreises für Medizin an Yamanaka im Jahr 2012 gewürdigt wurde. iPSCs können individuell vom jeweiligen Patienten gewonnen werden und sind eine wertvolle zelluläre Quelle für die Modellierung degenerativer Krankheitsprozesse, für Arzneimittelscreenings in krankheitsrelevanten Zelltypen und für zellbasierte Transplantationstherapien [30].
Aufgrund der Pluripotenz können iPSCs in nahezu beliebige Zelltypen differenziert werden – auch in Zelltypen die primär nicht zugänglich sind. Hier soll kurz bemerkt werden, dass die Zelltransplantation von pluripotenten Zellen selbst, ohne sie zu Zielzellen zu differenzieren, per Definition der Stammzelleigenschaften unweigerlich zur Teratombildung führt [27, 30].
Seit den Anfängen hat sich die iPSC-Technologie signifikant weiterentwickelt. Beispielsweise dienen mittlerweile nicht nur dermale, mittels Biopsie gewonnene Fibroblasten, sondern auch Blutzellen, aus Urin gewonnene Urothelzellen oder Haarfollikelzellen als Ausgangsmaterial für die Reprogrammierung [30]. Somit ist die Gewinnung des Patientenmaterials noch weniger invasiv und kann daher z. B. auch im Rahmen von großen, populationsbasierten Studien durchgeführt werden, um Biobanken von Spendermaterial anzulegen. Anfänglich erfolgte die Reprogrammierung mittels Retroviren, welche die vier Yamanaka-Transkriptionsfaktoren stabil in das Genom integrierten. Mittlerweile sind nicht-integrierende, z. B. episomale Vektoren sowie xenofreie Zellkulturbedingungen etabliert [27]. Ein Übersichtsartikel von Takahashi und Yamanaka bietet einen gelungenen Einblick in die Entwicklung der iPSC-Technologie [27].
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Die autologe Anwendbarkeit der iPSCs gilt als ihre große Stärke. Sie bringt allerdings mit sich, dass vom Patienten gewonnene Zelllinien auch die pathogenen Mutationen des Patienten tragen. Dies könnte im Rahmen iPSC-basierter Transplantationen nachteilig sein. Seit dem Beginn der CRISPR/Cas9-Ära ist es allerdings prinzipiell möglich, die pathogenen Mutationen vor einer Zelltransplantation in vitro zu korrigieren [31].
Nach wie vor gibt es einige Unwägbarkeiten und ungelöste Probleme auf dem Weg der iPSC-Technologie in die Patientenversorgung. Die 2007 ausgebrochene Euphorie ist etwas abgeklungen, mittlerweile erfolgt eine realistische Bewertung des Potenzials, aber auch der Probleme der iPSC-Technologie. Einige Problemfelder sollen hier kurz angesprochen werden: Die genauen Mechanismen und Gefahren der Reprogrammierung sind immer noch nicht vollständig verstanden [27]. So wird davon ausgegangen, dass genomische Instabilität und das Auftreten von Neumutationen (vermehrt in Genen mit kausativem Effekt in der Tumorentstehung [32]) oder chromosomaler Aberrationen im Rahmen der Zellgenerierung und Propagierung ein großes Sicherheitsrisiko darstellen, welches durch extensive präklinische genetische Testungen ausgeschlossen werden muss [1, 27, 32, 33]. Auch ist unklar, inwieweit die reprogrammierten iPSCs den epigenetischen Fingerabdruck der Ausgangszelllinie behalten und inwieweit dies problematisch für die klinische Anwendbarkeit ist [34]. Weitere limitierende Punkte sind eine durch technische Weiterentwicklungen zwar gesteigerte, aber dennoch relativ geringe Effizienz der Reprogrammierung sowie der hohe Aufwand an Kosten, Arbeitskraft, Sachmittel etc. bei der Generierung und Propagierung der iPSCs [1, 27, 33]. Umso bemerkenswerter ist das konkrete Vorhaben Yamanakas, ganz Japan mit iPSCs versorgen zu wollen [35]. Dies ist freilich nicht mittels Generierung von iPSC-Linien von jedem Einwohner Japans realisierbar. Das spannende Konzept sieht vielmehr die Etablierung einer Zellbank mit iPSC-Linien vor, die homozygot sind für bestimmte humane Leukozyten Antigen (HLA)-Haplotypen [35]. Auf diese Weise sollen Immunabstoßungen vermieden werden.
Die autologe Anwendbarkeit der iPSCs verspricht weniger bzw. keine Immunreaktion. Genau dies ist allerdings Gegenstand intensiver Diskussion [36]. So wird beispielsweise befürchtet, dass auch autolog verwendete iPSC-abgeleitete Zellen durch die Expression embryonaler Proteine eine Immunabstoßung im adulten Organismus zur Folge haben könnten [36]. Am Augenhintergrund sorgt andererseits die Besonderheit der Blut-Retina-Schranke für ein günstiges Immunprivileg. Es wird vermutet und durch Tierversuche angedeutet, dass Immunreaktionen am Auge kein dominierendes Problem darstellen [1, 36]. Allerdings bricht im Rahmen der Netzhautdegeneration diese Blut-Retina-Schranke zusammen und es ändert sich möglicherweise die Situation des Immunprivilegs [1, 4].
Stimmen mehren sich, die in der HLA-kompatiblen Zelltherapie und in der Etablierung sogenannter „Haplobanken“ das sinnvollste Vorgehen sehen [35, 36]. Die Problematik der Immunabstoßung könnte ausreichend umgangen werden und die Herstellung Good Manufacturing Practice (GMP)-konformer Zelllinien scheint in einem derartigen Vorhaben realisierbarer sowie standardisierbarer. Yamanakas Kalkulationen ergaben, dass 64.000 Personen genetisch getestet werden müssen, um 75 geeignete Spender zu identifizieren [35]. Diese relativ geringe Zahl von 75 iPSC-Linien, die dann 80 % der Japaner versorgen würden, ist der geringen genetischen Diversität der Japaner zuzuschreiben und liegt in den meisten anderen Ländern deutlich höher (z. B. Großbritannien ca. 150 iPSC-Linien [36]). Um diese erforderliche Anzahl an Spendern genetisch zu untersuchen und zu rekrutieren, kann unter Umständen auf Stammzellbanken bzw. Nabelschnurbanken oder große populationsbasierte Studien wie die UK Biobank zurückgegriffen werden [35]. Allerdings sieht Yamanakas derzeitiges Projekt nur eine Typisierung und Berücksichtigung der Haupt-Histokompatibilitätsantigene vor, Nebengruppen könnten dennoch zu einer T‑Zell-vermittelten Abstoßung der transplantierten Zellen führen [37]. Auch soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass derzeit die „iPSC-Haplobank“ Zellen von exakt einem Spender beherbergt – bis März 2018 könnten Zelllinien von 5–10 unterschiedlichen Spendern verfügbar sein, die dann kompatibel für 30–50 % der japanischen Bevölkerung sein sollen [38].
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Überblick über derzeit laufende klinische Studien
Eine Recherche über klinische Studien, welche Stammzellen zur Therapie am menschlichen Augenhintergrund anwenden, ist über die Homepage clinicalTrials.gov möglich, da sich dort die meisten Studien registrieren, die guter klinischer und wissenschaftlicher Praxis folgen. Eine Suche nach „stem cells eye“ ergab bemerkenswerte 222 Treffer, eingeschränkt auf „stem cells retina“ fanden sich 71 registrierte Studien, die Hälfte thematisch zum vorliegenden Artikel passend, 12 aktiv rekrutierend (Stand: 01.03.2017). Tab. 1 und 2 sollen einen Überblick über die wichtigsten und aktuellsten Projekte geben, ohne Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben.
Tab. 1
Prospektive PhaseI/II-Sicherheits- und Effizienzstudien stammzellbasierter Therapien für retinale Erkrankungen. Integrierende Zelltherapien zum langfristigen (und funktionellen) Ersatz von degeneriertem endogenem retinalem Pigmentepithel
Studienzentrum/-ort; Firma
Jahr des Studienbeginns/Status
Verwendeter Stammzelltyp
Wichtigste Aspekte des Studienprotokolls/wichtigste Ergebnisse, sofern vorhanden
Publikationen/Quellen
Multi-Center-Studie in den USA;
Advanced Cell Technology Inc.
2011/Bericht publiziert in 2014, aktuell laufende Langzeitbeobachtungen für mind. 15 Jahre
hESC-RPE Suspension
– Submakuläre Injektion mittels Vitrektomie bei 18 Patienten mit trockener AMD (GA) und M. Stargardt
– Daten vorhanden für 22 Monate Nachbeobachtungszeitraum
– Kein Auftreten schwerwiegender Nebenwirkungen, kein Tumorwachstum, keine Abstoßung oder Inflammation
– Zunahme der subretinalen Pigmentierung als Hinweis auf die Persistenz transplantierter Zellen bei 13 von 18 Patienten
– Verbesserung des Visus um mindestens 15 ETDRS Buchstaben (= 3 Zeilen) bei 8 von 18 Patienten, Verbesserung des Quality of Life Index
Autologe hiPSC-RPE Monolayer ohne Substrat/Membran
– Submakuläre Transplantation mittels Vitrektomie, nach Entfernung der CNV
– 6 Patienten mit feuchter AMD geplant, eine Patientin behandelt: nach 25 Monaten keine Komplikationen, keine Abstoßung, Monolayer intakt, Visus stabil, zystoides Makulaödem vorhanden
– GMP-Standard Zellprozessierungseinrichtung, aufwendige präklinische Kontrollen der Zellen
– Studienabbruch, da Nichterfüllung der Kriterien
Kamao et al. [33]; Garber [37]; Mandai et al. [40]
University College London, Moorfields Eye Hospital, London, UK;
– Zusätzlicher primärer Endpunkt: Nebenwirkungen der Immunsuppression
– Sekundäre Endpunkte: Visus, Gesichtsfeld, Elektrophysiologie, Änderungen der Größe der GA vermessen mittels OCT oder Fundus-Autofluoreszenz
– 1 Jahr Nachbeobachtung
NCT02590692
hESC humane embryonale Stammzellen, RPE retinales Pigmentepithel, AMD altersbedingte Makuladegeneration, GA geographische Atrophie, ETDRS Early Treatment Diabetic Retinopathy Study, NCT clinicaltrials.gov-Identifizierung, hiPSC humane induzierte pluripotente Stammzellen, CNV chorioidale Neovaskularisationen, GMP Good Manufacturing Practice
Tab. 2
Prospektive PhaseI/II-Sicherheits- und Effizienzstudien stammzellbasierter Therapien für retinale Erkrankungen. Nicht integrierende Zellinjektionen, die positive Effekte auf endogene Zellen z. B. durch Homing/Modulieren der inflammatorischen Umgebung und/oder durch Ausschütten neuroprotektiver Zytokine generieren sollen
Studienzentrum/-ort; Firma
Jahr des Studienbeginns/Status
Verwendeter Stammzelltyp
Wichtigste Aspekte des Studienprotokolls/wichtigste Ergebnisse, sofern vorhanden
Publikationen/Quellen
Stem Cell Ophthalmology Treatment Study (SCOTS) Teil I und II
Retina Associates of South Florida, Margate, Florida, USA
Al Zahra Hospital Dubai, VAE;
MD Stem Cells
Teil I: 2013/Studienabschluss geplant: 2017;
Teil II: 2016/Rekrutierung läuft, Studienabschluss geplant: 2021
– Teil I: 300 Personen geplant, Teil II: 500 Personen geplant
– Mehrere Fallberichte publiziert
– Unterschiedliche Krankheitsbilder: AMD, hereditäre Netzhautdytsrophien, z. B. Retinitis pigmentosa, M. Stargardt; Durchblutungsstörungen der Netzhaut, Chorioiditis serpiginosa, Zustand nach Netzhautablösungen; Glaukom, nicht arteriitische ischämische Optikusneuropathie, Lebersche hereditäre Optikusneuropathie, andere Optikusschäden
Mittlerweile ist in vitro die Generierung ganzer dreidimensionaler Augenbecherstrukturen aus pluripotenten Zellen beschrieben, die alle wichtigen Zelltypen (inklusive photosensitiver Photorezeptoren) der Retina in regelrechter Schichtung beinhalten [48]. Darüber hinaus gibt es vielversprechende Ansätze zum Ersatz von Photorezeptoren im Tiermodell [49‐51].
Dennoch wird in aktuellen klinischen Studien das RPE als vornehmliches Zielgewebe adressiert, da ein wirksamer Zellersatz des RPE aus mehreren Gründen am machbarsten scheint: Zum einen lassen sich pluripotente Zellen vergleichsweise unkompliziert und robust in RPE differenzieren [5‐8]. Zum anderen ist der Ersatz des RPE-Monolayers, der unterhalb der neurosensorischen Retina lokalisiert ist, einfacher als der Ersatz von Zellen innerhalb der neurosensorischen Retina. Letztere müssten sich in ein komplexes Netzwerk funktionell integrieren, um therapeutische Effekte zeigen zu können. Eine wesentliche Fragestellung der derzeit laufenden Studien ist die subretinale Injektion einer RPE-Zellsuspension versus die subretinale Transplantation eines RPE-Monolayers (mit oder ohne Zellträgermaterial). Letzteres entspricht der natürlichen In-vivo-Situation. Die Zellen sollten das chirurgische Prozedere besser überleben und sich an ihrem Wirkungsort besser integrieren können [41]. Das Trägermaterial kann allerdings zu Immunreaktionen führen oder die Ernährung des RPE durch die darunterliegende Aderhaut aufgrund der Barriere behindern. Bei der Injektion einer Suspension ist fraglich, ob die Zellen tatsächlich imstande sind, einen funktionellen Monolayer zu formieren [41]. Weiterhin ist unklar, ob im Rahmen des funktionellen Synzytiums der Ersatz des RPE alleine ausreicht, um die retinale Funktion zu verbessern, wenn die Photorezeptoren bereits verloren sind. Auch eine stark geschädigte Choroidea kann transplantiertes RPE möglicherweise nicht adäquat versorgen.
Die momentan beste Datenlage bietet eine Multicenter-Studie in den USA, in der Schwartz und Kollegen ein annehmbar großes Kollektiv von 18 AMD- oder Stargardt-Patienten an vier Zentren mittels submakulärer Injektion einer hESC-RPE Suspension therapiert haben [39]. Dies war eine der ersten Studien mit embryonalen Stammzellen am Menschen. Die Ergebnisse geben durchaus Anlass zu Optimismus, da bislang keine schwerwiegenden Nebenwirkungen, insbesondere kein Tumorwachstum und auch keine großflächige Abstoßung, beobachtet wurden; Langzeitbeobachtungen dauern an [39].
Nach wie vor ist die Studie des Riken Instituts in Japan die einzige, die bis dato iPSCs am Menschen angewandt hatte [33, 37, 40]. Sie musste allerdings 2015 nach der Behandlung einer AMD-Patientin abgebrochen werden, da die iPSC-abgeleiteten RPE-Zellen des zweiten Patienten die präklinischen Sicherheitstestungen nicht erfolgreich absolvieren konnten: Es traten Neumutationen im Rahmen der Zellkultivierung und -propagierung auf. Auch hatten sich die rechtlichen Rahmenbedingungen in Japan zwischenzeitlich geändert [37, 40]. Das Studiendesign wurde mittlerweile modifiziert, es werden nun allogene, HLA-kompatible iPSC-RPE Zellen aus der von Yamanaka aufgebauten „iPSC-Haplobank“ verwendet [37]. Ein erster Patient wurde Ende März dieses Jahres transplantiert [38]. Die weiteren Fortschritte dieser durchaus bahnbrechenden Studie werden mit besonders kritischem Interesse verfolgt werden.
Fazit für die Praxis
Der Augenhintergrund ist gut einsehbar, zugänglich, mittels nicht-invasiver bildgebender Verfahren detailliert beurteilbar und somit ein besonders geeigneter Ort zur Implementierung neuer Therapieformen.
Komplexe degenerative Makulopathien sowie monogene Netzhautdystrophien führen im Spätstadium zum Zelluntergang – die einzige Therapieoption ist dann die zellbasierte Transplantationstherapie und der Ersatz der verloren gegangenen Zellen.
Stammzellen als besonders geeignete Quelle für Zellersatz können amplifiziert, zu den jeweils degenerierten Zelltypen in vitro differenziert und in vivo an den Ort der Schädigung transplantiert werden.
iPSCs sind patientenspezifisch generiert und autolog anwendbar. Eine HLA-kompatible Zelltherapie mittels etablierter „Haplobanken“ reicht womöglich zur Umgehung von Immunreaktionen aus und erscheint realisierbar.
Vielversprechende klinische Studien geben erste Hinweise auf die Sicherheit der Applikation von stammzellabgeleiteten RPE-Zellen.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
C. Brandl gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren.
Open Access. Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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