Die Analyse des berechneten Alterskoeffizienten (ψ >> 1) ergab, dass die Hirnstrukturen der Patienten nach der WBRT im Mittel 9,32-mal schneller alterten. Im Vergleich zur Kontrollgruppe alterte der zerebrale Kortex 8,04-mal schneller, die Hippocampusregion 10,14-mal und andere subkortikale Strukturen 12,57-mal schneller. Eine Subgruppenanalyse von Patienten mit WBRT (n = 55) und Patienten mit HA-WBRT (n = 17) ergab keine signifikanten Unterschiede in der allgemeinen Hirnalterung, konnte aber zeigen, dass die Hippocampusstruktur 8,83-mal langsamer in der HA-WBRT-Gruppe alterte. Subgruppenanalysen für Patienten, die mit Steroiden oder Memantin behandelt wurden, ergaben keine signifikanten Unterschiede.
Kommentar
Diese Studie betrachtet den kognitiven Abbau nach WBRT aus einer neuen Perspektive. Obwohl dieser gut beschrieben ist, ist das Wissen über den tatsächlichen Pathomechanismus immer noch spärlich. Die Autoren bieten den ersten Ansatz zur Untersuchung und Objektivierung der strukturellen Veränderungen nach WBRT und ihres Zusammenhangs mit dem Altern in einer relativ großen Studiengruppe. Es ist bekannt, dass nach einer WBRT strukturelle Veränderungen auftreten, aber frühere Studien konzentrierten sich entweder auf die Gesamtverringerung des Hirnvolumens und die Größe der Ventrikel oder nur auf einzelne Hirnstrukturen [
4,
6]. Neben Untersuchungen zur Korrelation von kognitivem Abbau und strukturellen Hirnveränderungen bei neurodegenerativen Erkrankungen konnten Fu et al. eine Korrelation zwischen Veränderungen in der Bildgebungsmethode – Neurite Orientation Dispersion and Density Imaging (NODDI) – und einer Verschlechterung des Mini-Mental-Status nach einer WBRT zeigen [
7]. Somit bietet diese Studie einen innovativen Ansatz für die Erforschung der Pathomechanismen des kognitiven Verfalls und untersucht potenzielle neue Ziele für Behandlungsoptionen. Die derzeitige Praxis konzentriert sich auf eine biochemische oder steroidbasierte Therapie sowie auf die Verwendung von Behandlungsprotokollen, die den Hippocampus schonen [
3], was in dieser Studie adressiert wurde.
Trotz ihres innovativen Ansatzes erlaubt das retrospektive Design dieser Studie keine Objektivierung des kognitiven Rückgangs der Patienten oder eine klinische Korrelation der Beobachtungen. Eine weitere Einschränkung dieser Studie ist die Heterogenität der Kohorten mit mehreren Primärtumoren, unterschiedlichen Behandlungsprotokollen und einer fehlenden Subgruppenanalyse dieser Parameter. Dies ist besonders relevant, da viele Parameter bei der Bewertung der WBRT gemäß den Richtlinien der American Society for Radiation Oncology (ASTRO) für die Behandlung von Hirnmetastasen bei Patienten mit nichthämatogenen soliden Tumoren aus 2022 berücksichtigt werden müssen. Zu diesen Parametern gehören der Performance-Status der Eastern Cooperative Oncology Group (ECOG), morphologische Merkmale wie die Größe der größten Hirnmetastase, die Anzahl der Hirnmetastasen und das Vorhandensein eines Masseneffekts sowie alternative Behandlungsmöglichkeiten (invasive Optionen, Erfolg der Steroidtherapie, systemische Behandlung; [
8]). Die optimale Behandlungsstrategie und Entscheidungsparameter bei multiplen Hirnmetastasen werden in Deutschland nach wie vor kontrovers diskutiert, was zu unterschiedlichen Behandlungsmöglichkeiten führt. Kraft et al. untersuchten kürzlich in einer Befragung von 193 Strahlentherapeuten aus 111 Krankenhäusern in Deutschland die Behandlungsstrategien multipler Hirnmetastasen. Ihre Umfrage ergab, dass die WBRT immer noch die Behandlung der Wahl bei multiplen Hirnmetastasen ist. Die HA-WBRT wird nur von einer Minderheit gewählt, und die SRS wird nur von ca. einem Drittel angewandt [
8]. Der Stellenwert der SRS bei Patienten mit multiplen Hirnmetastasen ist heute durch gut durchgeführte prospektive Studien belegt und sollte in die Behandlung dieser Patienten aufgenommen werden [
10‐
12]. Seit der Etablierung der S2k-Leitlinie zu zerebralen Metastasen im Jahr 2021 wird die WBRT nur noch empfohlen, wenn eine SRS nicht sinnvoll erscheint. Insbesondere für metastasierte Bronchialkarzinome sind studienbasierte Leitlinien präziser und empfehlen die SRS bei 1–4 Hirnmetastasen [
12]. Da klare Leitlinien für andere metastatische Erkrankungen in Deutschland fehlen, liegt der Cut-off für SRS vs. WBRT in der Literatur zwischen 5 und 10 Metastasen [
10‐
12]. Prospektive Daten aus einer japanischen Kohorte deuten darauf hin, dass es keinen Unterschied im Gesamtüberleben gibt, wenn man mit SRS behandelte Patienten mit 2–4 Metastasen und Patienten mit 5–10 Metastasen vergleicht [
10]. Dies konnte auch durch die Subanalyse einer Studie gestützt werden, in der die SRS zur Behandlung von Patienten mit multiplen Hirnmetastasen und NSCLC untersucht wurde [
11].
Insgesamt deutet die aktuelle Studienlage darauf hin, dass die WBRT auch mit strukturellen Auswirkungen auf das Gehirn einhergeht. Da unterstützende Therapien wie Steroide und Memantin nicht vor Alterung zu schützen scheinen, könnten Protokolle, die wichtige Strukturen schonen, für weitere Entwicklungen zur Verringerung der Nebenwirkungen der WBRT von großer Bedeutung sein.
Fazit
Diese Studie deutet darauf hin, dass die WBRT eine deutliche strukturelle und funktionelle Auswirkung auf die Hirnstruktur der Patienten haben kann und dadurch die Lebensqualität beeinflusst. Da es derzeit keine Supportivtherapie gegen die radiogen bedingte Hirnalterung gibt, sollten die Vor- und Nachteile bei der Entscheidung für die optimale patientenadaptierte Behandlung genau abgewogen werden. Generell zeigen die von uns analysierten Studien einen Trend zum Einsatz der SRS, der auch mit den jüngsten Änderungen in der Erstattung der SRS in Deutschland einhergeht. Weder ein Anstieg des Gesamtüberlebens noch ein besseres klinisches Ergebnis konnten bei Einsatz der WBRT gezeigt werden. Weitere prospektive Studien sind notwendig, um den Einfluss der WBRT auf strukturelle Veränderungen und ihre Bedeutung für den kognitiven Zustand der Patienten zu verstehen.
Paul Warnke, Katharina Kersting, Julia Knop, Robert Blach
Dresden, Berlin, Hannover
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