Durch die Einführung der sog. Krebsfährtensuche mittels Kolposkopie, Zytologie und Histopathologie durch Ernst Navratil (1902–1977) im Jahr 1946 kam es zu einem markanten Aufschwung der Gynäkopathologie an der Grazer Univ.-Frauenklinik. Dieser Aufschwung war im Wesentlichen Fritz Bajardi (1918–2006) und Erich Burghardt (1921–2006) zu verdanken. Diese haben in der Zeit ihrer klinischen Tätigkeit durch ihre Zusammenarbeit wesentliche Erkenntnisse über die Pathogenese des Zervixkarzinoms geliefert. Erich Burghardt ist es im Besonderen zu verdanken, dass die in der Literatur verstreuten diesbezüglichen Publikationen in einem synoptischen Werk zusammengefasst wurden. Es werden die richtungsweisenden Forschungsergebnisse von Bajardi und vor allem von Burghardt im Lichte des heutigen Erkenntnisstandes diskutiert.
Hinweise
Redaktion
H. Ludwig, Basel
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Historische Vorbemerkungen
Das Fachgebiet der Zervixpathologie als Teil der Gynäkopathologie geht auf das Wirken von Carl Arnold Ruge (1848–1926) zurück. Noch zu seiner Zeit, aber vor allem Anfangs des 20. Jahrhunderts wurde das Bedürfnis nach der Erfassung der Vor- und Frühstadien des Zervixkarzinoms immer stärker. Dem trug die österreichische Schule der Gynäko- bzw. Zervixpathologie mit Walther Schauenstein (1870–1943) und Julius Schottlaender (1860–1917) sowie Walter Schiller (1887–1960) und Oskar Frankl (1873–1938) im besonderen Rechnung [1]. Diese Schule war auf die beiden Universitäts-Frauenkliniken in Wien und auf die Frauenklinik Graz beschränkt; ihre Protagonisten gehörten zur Elite der deutschen Gynäkopathologie. Die pathologischen Universitätsinstitute in Wien und Graz hatten an dieser Entwicklung in dieser Zeit allerdings keinen Anteil.
Als ein besonderer „Hotspot“ hatte sich die Grazer Frauenklinik erwiesen, weil dort im Jahre 1946, aus Wien kommend, in der Person von Ernst Navratil (1902–1977) ein engagierter Leiter zum Zuge kam. Er war in Österreich der Erste, der im Jahre 1949 die diagnostische Trias von Kolposkopie, Zytologie und Histopathologie als sog. Krebsfährtensuche an seiner Klinik einführte. Die Realisierung dieses Engagements erforderte, dass er Mitarbeiter mit pathologischer Ausbildung gewinnen musste, die diese Disziplinen praktisch und wissenschaftlich betreiben konnten. Er hatte das Glück, dass sich ihm Fritz Bajardi (1918–2006)1 und Erich Burghardt (1921–2006)2 zur Verfügung stellten. Navratil schwebte ursprünglich ein unabhängiges ganzheitliches gynäkopathologisch-zytologisches Labor an der Klinik vor, was aber am Widerstand der Pathologen scheiterte, ohne dass diese damals ein entsprechendes fachliches Korrelat geboten hätten. So warfen sich Bajardi und Burghardt wegen bzw. trotz aller Beschränkung auf die Zervixpathologie mit Elan auf die ihnen gestellte Aufgabe. Sie fanden insofern ein reiches diagnostisches Material vor, als es ihnen die bald nach ihrem Eintritt an der Klinik (1953 bzw. 1954) eingeführte Routineoperation der Konisation (ursprünglich Ringbiopsie genannt) zur Abklärung pathologischer Befunde an der Cervix uteri ermöglichte, die gewonnenen Präparate systematisch in Serienschnitten untersuchen zu können. Diese Tätigkeit führte bald zu einer bemerkenswerten publizistischen Ernte, weil Bajardi und Burghardt „side by side“ an den Mikroskopen saßen, ihre Ergebnisse diskutieren und gegenseitig in ihre Veröffentlichungen einbringen konnten. In der weiteren Folge verschob sich aber die publizistische Gewichtung immer mehr in Richtung Burghardt. Diese Zusammenarbeit der beiden Protagonisten fand im Jahre 1967 ein Ende, weil Bajardi aus der Frauenklinik ausschied und sich in einer gesonderten Institution nur mehr mit allgemeiner Zytologie beschäftigte.
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Es erwuchs bei Burghardt das Bedürfnis, die Ernte der in den Jahren der Zusammenarbeit mit Bajardi gewonnenen Ergebnisse in einer Art „Summa theologiae der Zervixpathologie“ einzufahren und in monographischer Weise zu publizieren. So kam es im Jahre 1972 aus der Hand Burghardts zu dem Werk „Histologische Frühdiagnose des Zervixkarzinoms, Lehrbuch und Atlas“, bedauerlicherweise ohne die Mitwirkung seines langjährigen Weggefährten Bajardi als Koautor [2, 3].
Navratil führte die triadische „Krebsfährtensuche“ – Kolposkopie, Zytologie, Histopathologie – ein
Es ist jedenfalls Burghardt sehr zu danken, dass er sich der enormen Mühe unterzogen hat, in seinem Werk die gesamte mikroskopische Pathologie der Cervix uteri in einmaliger Bildqualität darzustellen und damit die formale Genese des Zervixkarzinoms weiter aufzuklären. Es erscheint durchaus berechtigt, alle zervixpathologischen Publikationen Burghardts im Brennglas dieser Monographie zu sehen. Nach Meinung der Verfasser existiert bis zum heutigen Tag kein vergleichbares synoptisches Werk. Bedauerlicherweise war diesem Buch die gebührende Aufmerksamkeit trotz positiver Kritiken, wie vor allem von dem bedeutenden deutschen Pathologen Herwig Hamperl (1899–1976; [4]) sowohl im deutschsprachigen als auch im angloamerikanischen Raum versagt. Die Gründe dafür waren vielfältig. Mit dazu gehören möglicherweise eine falsch empfundene wissenschaftliche Konkurrenz zwischen den USA und Europa, eine nicht leichte Lesbarkeit, vor allem in der englischen Ausgabe [3], und vielleicht eine unbewusste Kränkung von Pathologen, dass wesentliche Erkenntnisse ihres Fachgebietes durch einen Kliniker geliefert wurden.
Beurteilung des histopathologischen Oeuvre von Burghardt anhand seiner Monographie 1972
Vorausgeschickt sei, dass zum Zeitpunkt des Erscheinens von Burghardts Monographie im Jahre 1972 das Spektrum der Morphologie des prä- und frühinvasiven Zervixkarzinoms (heute LSIL [„low-grade squamous intraepithelial lesion“] und HSIL [„high-grade squamous intraepithelial lesion“]) mehr oder weniger bekannt war [5], die formale Pathogenese des Zervixkrebses allerdings war noch in Diskussion (Abb. 1 und 2; [2, 3]).
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Das morphologische Konzept zur Pathogenese des Zervixkarzinoms, so wie es Burghardt durch eigene Erkenntnisse und durch Integration des Wissens seines Weggefährten Bajardi und seiner Zeit im Jahre 1972 umfassend formuliert hat, war wie folgend charakterisiert:
Das reife und unreife metaplastische Plattenepithel der gesamten Transformationszone, nicht aber das originäre Plattenepithel der Zervix oder die „squamo-columnar junction“ (SCJ), ist der wichtigste Mutterboden des Zervixkarzinoms.
Besondere Aufmerksamkeit erfuhr die sog. letzte Zervixdrüse als lebenslange anatomische Grenze, die am histologischen Schnittpräparat das originäre Plattenepithel vom metaplastischen Plattenepithel der Transformationszone trennt („original SCJ“). Diese Erkenntnis geht auf Untersuchungen des Kölner Arbeitskreises um Carl Kaufmann [6, 7] zurück.
Die epithelialen Übergänge vom Plattenepithel zum Zylinderepithel („new SCJ“) sind nur selten abrupt. Im Kontaktbereich der beiden Epithelien kommt es zu Formveränderungen der Zylinderzellen in Form von kuboidalen Zellen (Abb. 3). Diese gewebliche Anpassung hatte Bajardi bereits im Jahre 1962 beschrieben und als physiologisch bewertet. Er betonte, dass diese Zellen für die Genese des Zervixkarzinoms keine Rolle spielen [8].
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Nichtinvasive Krebsvorstadien entwickeln sich sowohl im reifen metaplastischen Plattenepithel (sog. klassische CIN 3 [zervikale intraepitheliale Neoplasie], heute: „thick HSIL“) als auch im unreifen metaplastischen Plattenepithel (atypische unreife Metaplasie; Abb. 4, heute: „thin HSIL“; [9]).
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Alle pathologischen Plattenepithelien (LSIL und HSIL) entstehen in Epithelfeldern mit zumeist scharfen Grenzen (Abb. 5).
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Die Bedeutung des appositionellen Wachstums des pathologischen Epithels in Feldern war primär durch Bajardi durch Studien am Bronchialepithel und später am pathologischen Plattenepithel der Cervix uteri erkannt worden [8, 10, 11].
Das Risiko für beginnend invasives Wachstum steigt mit der Größe der epithelialen Gesamtläsion.
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Das endozervikale Adenocarcinoma in situ (AIS) der Zervix leitet sich sehr wahrscheinlich aus der Population der Zylinderepithelzellen, nicht aber von den subkolumnaren Reservezellen ab.
Invasive Zervixkarzinome entstehen in 2 Latenzen: erste Latenz zwischen HSIL/AIS und beginnender Strominvasion und zweite Latenz zwischen beginnender Stromainvasion und Formation eines zur Metastasierung befähigten Tumors.
Die frühe Stromainvasion sowie die mikroinvasiven Zervixkarzinome beginnen zumeist im endozervikalen Drüsenfeld und gehen nur selten vom Oberflächenepithel der Zervix aus (Abb. 6).
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Das fast vergessene morphologische Wissen
Wenige Jahre nach dem Erscheinen von Burghardts Monographie [2, 3] wurde das onkogene Potenzial der humanen Papillomviren (HPV) entdeckt [12, 13], was die Forschung weg von der Morphologie in Richtung Virologie lenkte. Intensive Bemühungen haben zur Entwicklung und zum erfolgreichen Einsatz von HPV-Tests und HPV-Impfstoffen in der primären und sekundären Prävention des Zervixkarzinoms geführt. Auf der anderen Seite hat die Hinwendung zur virologischen Grundlagenforschung das bereits erarbeitete morphologische Wissen zur formalen Pathogenese des Zervixkarzinoms beinahe vergessen lassen, was in den letzten Jahrzehnten zu zum Teil falschen Annahmen und Konzepten geführt hat. Drei Beispiele sollen genannt werden:
Mechanismus des Ersatzes von Zylinderepithel der Zervix durch Plattenepithel: Thomas C. Wright und Brigitte M. Ronnett beschreiben im renommierten Handbuch der Gynäkopathologie „Blaustein“ noch in der 2019 erschienenen Ausgabe einen „direct ingrowth of squamous epithelium of the portio, which is referred to as squamous epithelialization“ [14]. Diese Beschreibung beruht auf den historischen Vorstellungen einer „aufsteigenden Überhäutung der Zervix“ und gilt als überholt [15]. Der Ersatz von Zylinderepithel durch Plattenepithel erfolgt über die Proliferation subkolumnarer Reservezellen (indirekte Metaplasie; [2, 3, 10]; Abb. 4).
Lokalisation von epithelialen Stammzellen: Es wird postuliert, dass die SCJ der Zervix eine Stammzellnische darstelle, der eine Schlüssellokalisation für die HPV-Infektion und subsequente maligne Transformation an der Zervix zukomme [16]. Ignoriert wird dabei, dass die Transformationszone als Ganzes und nicht nur die SCJ zur malignen Transformation befähigt ist, was von Burghardt umfassend dokumentiert wurde. Ebenso bleibt unberücksichtigt, dass SCJ ubiquitär an allen Oberflächen sowie an den Innenflächen der Zervix und in den Zervixdrüsen auftreten. Nach neueren Erkenntnissen finden sich epitheliale Stamm‑/Reservezellen im gesamten zervikalen Zylinderepithelbereich, nicht nur an den epithelialen Übergängen [17]. Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit der Forderung Burghardts, im Rahmen der Konisation von Frauen mit HSIL und abgeschlossener Familienplanung einen signifikanten Anteil vom endozervikalen Zylinderepithel mit zu resezieren, um so (invasiven) Rezidiven vorzubeugen.
Diese Annahme der definitiven Therapie von HSIL durch Entfernung der gesamten „epithelialen Risikozone“ konnte an großen Fallzahlen in der klinischen Praxis bestätigt werden [15, 18], was zukünftig zu einem neuen altersadaptierten Konzept der Behandlung von HSIL führen könnte.
Zellulärer Ursprung des Zervixkarzinoms: Kuboidale Zellen im Grenzbereich von Platten- zu Zylinderepithel (SCJ) werden von einzelnen Forschern als eine besondere Zellart betrachtet, die seit der Pränatalzeit ebendort persistieren. Nach diesem Konzept sind diese Zellen die Vorläufer von Reservezellen, intraepithelialen karzinomatösen Läsionen und von Zervixkarzinomen, aber auch primärer Ort der HPV-Infektion [19]. Aus Sicht der meisten Autoren wird jedoch im Grenzbereich der Epithelien durch eine epitheliale Anpassung lediglich eine andere Zellart vorgetäuscht, ohne dass sich Herkunft oder Differenzierung dieser Zellen verändern oder diesen Zellen eine besondere ätiologische Bedeutung zukommt [20]. Burghardt hat in seiner Monographie 1972 diese Formveränderung von Zylinderepithel im Bereich von SCJ gut dokumentiert (Abb. 3).
Neueste Erkenntnisse zeigen, dass es pränatal zur Aszension von Stammzellen aus dem Urogenitalsinus kommt, aus denen die Reservezellen des zervikalen Zylinderepithels entstehen. Diese Reservezellen sind für die plattenepitheliale Metaplasie und deshalb auch für die nachfolgende maligne Transformation des metaplastischen Plattenepithels der Transformationszone verantwortlich [17].
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Fazit
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass Burghardt in seiner vor etwa 50 Jahren publizierten Monographie bereits alle heute als wichtig angesehenen morphologischen Veränderungen der zervikalen Karzinogenese beeindruckend dokumentiert hat.
Ziel muss es heute sein, dieses z. T. mit neuen Begriffen benannte morphologische Wissen mit den Erkenntnissen der Virologie und der Grundlagenforschung zu einem validen Gesamtkonzept zu vereinen und offene Fragen zu klären. Dazu gehört die endgültige Beantwortung der Frage des zellulären Ursprungs von Zervixkarzinomen, die Klärung der Genese von HPV-negativen malignen Tumoren der Zervix und das Aufzeigen von Mechanismen, welche die intraepithelialen karzinomatösen Läsionen zur Invasion befähigen.
Interessenkonflikt
H. Pickel, O. Reich und K. Tamussino geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Fritz (Friedrich) Bajardi wurde am 12. März 1918 in Graz geboren. Medizinstudium in Graz und Wien. 1941 in Wien promoviert. Bis 1945 als Militärarzt bei der Deutschen Wehrmacht. Danach Eintritt in das Grazer Pathologisch-anatomische Universitätsinstitut. Dort von 1948–1953 Fachausbildung. 1953 Ruf an die Grazer Univ.-Frauenklinik als Pathologe und Leiter eines neu einzurichtenden Zytologisch-Histologischen Laboratoriums. 1963 Habilitation. Im Jahre 1967 Primararzt des zentralen zytologischen Einsendelabors im Landeskrankenhaus Graz. Pensionierung im Jahre 1983. Anfang 1984 richtete sich Bajardi ein privates zytologisches Einsendelabor an seinem Wohnsitz ein, das 10 Jahre bestand. Tod im hohen Alter von 88 Jahren am 7. März 2006.
Erich Burghardt wurde am 20. Juli 1921 in der südungarischen Ortschaft Almapuszta geboren. Er wuchs in einer deutschsprachigen altösterreichischen Familie im heutigen serbischen Novisad (früher Neusatz in der Batschka) auf, wo er die Volks- und Mittelschule besuchte. Nach einem kurzen Intermezzo als Student der Technik in Belgrad wurde er 1941 zur Deutschen Wehrmacht eingezogen. Ab Herbst des Jahres 1945 das Studium der Medizin in Graz, das er 1950 abschloss. 1954 trat er nach einer pathologischen Ausbildung in die UFK Graz ein. An dieser Klinik traf Burghardt auf Fritz Bajardi, der mit ihm ein 13 Jahre bestehendes wissenschaftliches Dioskuren-Paar bilden sollte. 1965 wurde Burghardt habilitiert. Nachfolge von Ernst Navratil als Klinikleiter 1973. Emeritierung 1991. Es war B. vergönnt, ein hohes Alter von fast 85 Jahren bei ausgeprägter geistiger Regsamkeit zu erreichen. Medizinisch-schriftstellerisch war er bis zu seinem Tode an einer Bronchopneumonie am 14. Mai 2006 tätig.