Erschienen in:
01.02.2020 | Leitthema
Zu viel der Ehre? Ehrenmitglieder der DGN von 1954 bis 1982
verfasst von:
Michael Martin, Heiner Fangerau, Prof. Dr. med. Axel Karenberg
Erschienen in:
Der Nervenarzt
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Sonderheft 1/2020
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Zusammenfassung
Von Mitte der 1950er- bis Anfang der 1980er-Jahre ernannte die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) neben ausländischen auch zahlreiche deutsche Ärzte zu Ehrenmitgliedern. Einige davon sind aus heutiger Sicht als NS-belastet einzustufen, wobei ihr Engagement für die nationalsozialistische „Bewegung“ und deren gesundheitspolitische Ziele bisweilen deutlich über eine formale Zugehörigkeit zu Partei und Parteiorganisationen hinausging. So besteht inzwischen kein Zweifel an der völkischen Gesinnung des Würzburger Psychiaters Martin Reichardt (1874–1966), die er in Vorträgen und Publikationen zum Ausdruck brachte. Der Erb-Schüler Siegfried Schönborn (1874–1966), ebenfalls NSDAP-Mitglied, stand in Verbindung mit Karl Fahrenkamp, der den Reichsführer-SS Heinrich Himmler in medizinischen Fragen beriet. Auch Hans-Robert Müller (1901–1981) aus Hamburg, einer der „Gründerväter“ der DGN, trat 1937 in die Hitler-Partei ein, der aus der Foerster-Schule stammende Neurochirurg Hans Kuhlendahl (1910–1992) war zusätzlich Mitglied der SA. Hans Jacob (1907–1997) – SA-Rottenführer, Parteigenosse und Leiter der Neuropathologie an der Psychiatrischen und Nervenklinik der Universität Hamburg – agierte als typischer Profiteur der „Euthanasie“-Aktionen: Im Rahmen der sog. „Begleitforschung“ untersuchte er mehr als 40 Gehirne von Kindern, die in den „Fachabteilungen“ Langenhorn und Lüneburg getötet worden waren. Dagegen wird der renommierte Neurogenetiker Peter Emil Becker (1908–2000) heute eher als opportunistischer Mitläufer angesehen. Als einer der wenigen stellte Becker sich seiner NS-Vergangenheit, was allerdings zwiespältig aufgenommen wurde, weil er seine Parteimitgliedschaft dabei unerwähnt ließ. Mit Blick auf diese Ehrenmitglieder bleibt die Frage, warum die DGN noch fast 40 Jahre nach Ende des „Dritten Reiches“ Persönlichkeiten ehrte, die teilweise stark in dessen Biopolitik involviert gewesen waren.