Die Grenzziehung zwischen Krankheit und Gesundheit hat erhebliche Konsequenzen für das ärztliche Handeln wie auch für die Finanzierung medizinischer Leistungen. Es wird aufgezeigt, dass weder eine allgemeine Gesundheitsdefinition noch eine allgemeine Krankheitsdefinition wissenschaftlich ausreichend begründbar und praktikabel ist. Dies ist nur für einen in einer Diagnose fassbaren speziellen Krankheitsbegriff möglich. Aber auch dieser bleibt mehrdeutig — zumal in der Psychiatrie, für deren Diagnosestellung von zentraler Bedeutung ist, was und wie der Patient sein Erleben kommuniziert. Der Grund dafür liegt in unterschiedlichen Zuschreibungsmodi: Er ist beim Arzt deskriptiv und durch Standardisierung kontrollierbar, beim Patienten askriptiv, d. h. mittels auf Selbsterfahrung beruhender Selbstzuschreibung unkontrolliert individuell. Der appellative Gehalt des askriptiven Moments verweist zudem auf den normativ aus der spezifischen Bedürftigkeit erwachsenden Hilfeanspruch an die anderen, die Solidargemeinschaft, das Gemeinwesen. Der deskriptive Modus ist für die situationsinvariante und damit generalisierbare Feststellung der Krankheit, der askriptive Modus für die Erfassung des individuellen Krankseins relevant.