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Erschienen in: Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie 1/2018

08.01.2018 | Originalarbeit

Zum prognostischen Mehrwert einer integrativen nomothetisch-idiografischen kriminalpsychologischen Prognosebeurteilung – Eine empirische Untersuchung an männlichen Gewalt- und Sexualstraftätern

verfasst von: Prof. Dr. Klaus-Peter Dahle, Prof. Dr. Robert J. B. Lehmann

Erschienen in: Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie | Ausgabe 1/2018

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Zusammenfassung

Für die kriminalprognostische Begutachtung von Rechtsbrechern werden unterschiedliche methodische Ansätze diskutiert, die verschiedenen wissenschaftstheoretischen Modellen folgen (nomothetische/idiografische Urteilsbildung). Beide haben Vorzüge und Begrenzungen. Gesetzlich obliegt die Auswahl der im Einzelfall geeigneten methodischen Strategie letztlich dem beauftragten Gutachter, wobei die deutsche Rechtsprechung vergleichsweise hohe Vorgaben an den Individualisierungsgrad strafrechtlicher Prognosebeurteilungen macht, die letztlich nur eine idiografische Methodik erfüllen kann. Ziel der vorliegenden Arbeit war indessen die Untersuchung einer integrativen Methodik zur prognostischen Urteilsbildung, die die unterschiedlichen Ansätze verbindet mit dem Ziel, die Vorteile der verschiedenen Modelle zu nutzen. Dafür wurde untersucht, inwiefern eine komplexe klinisch-idiografische Fallbeurteilung standardisierte nomothetische Methoden ergänzen kann und ob dies zu einer Verbesserung der Prognosegüte führt. Die Untersuchung einer Stichprobe von N = 221 ehemaligen männlichen Strafgefangenen mit schweren Sexual- und Gewaltstraftaten ergab dabei, dass die Kombination beider methodischer Strategien zu einer Verbesserung der Vorhersageleistung (prognostische Validität) führte. Insofern konnte gezeigt werden, dass die Integration idiografischer Beurteilungen nicht nur den rechtlichen Erfordernissen Rechnung trägt, sondern auch die Zuverlässigkeit von Rückfallprognosen substanziell verbessern kann, jedenfalls wenn sie einer dezidierten Beurteilungsmethodik folgt und nicht nur einer klinisch-intuitiven Gesamteindrucksbildung.
Fußnoten
1
Bei Probanden mit Migrationshintergrund wurden in Fällen leerer BZR-Auszüge für die Zeit nach Haftentlassung die aktuellen Meldedaten abgefragt. Probanden mit Abschiebungs- oder Umzugsvermerk ins Ausland oder unbekannter Meldeadresse wurden aus den Auswertungen ausgeschlossen.
 
2
Ggf. einschließlich Sicherungsverwahrung gemäß § 66 StGB.
 
3
Weitere Erhebungen (Bewährungsberichte, polizeilich registrierte Vorkommnisse, Ermittlungsakten gravierender Rückfallereignisse usw.) sind für die hiesige Fragestellung ohne Belang.
 
4
Hierzu wurden auch die Empirisch Fundierte Prognosestellung im Maßregelvollzug nach § 63 StGB (EFP-63; Gretenkord 2001), der Violence Risk Appraisal Guide (VRAG; Quinsey et al. 1998) sowie die „Dittmannliste“ (Dittmann 2000) herangezogen, Letztere sowohl in einer klinischen Applikation (als Risiko-Rating, wie von den Autoren intendiert) als auch in einer einfachen Summen-Score-Variante, bei der jeder Risikofaktor (ungünstig) mit +1 und jeder Schutzfaktor (günstig) mit −1 gewertet wurde. Auch diese Instrumente erwiesen sich als prognostisch valide, aber gegenüber den genannten Instrumenten als nicht inkrementell bedeutsam.
 
5
Mit Ausnahme des CBR, der zum Zeitpunkt der Auswertung noch nicht verfügbar war.
 
6
Da OLS-Regressionen eigentlich intervallskalierte Daten voraussetzen und es sich bei dem Rückfallschwereindex und den idiografischen Prognosen streng genommen um ordinalskalierte Variablen handelt, wurden die Ergebnisse anhand von Regressionsanalysen für Ordinaldaten (McCullagh 1980) überprüft.
 
7
Für die Analyse 1 mit R² = 0,28 zu Nagelkerkes pseudoR2 = 0,29, für Analyse 2 mit R² = 0,29 zu pseudoR2 = 0,31.
 
Literatur
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Metadaten
Titel
Zum prognostischen Mehrwert einer integrativen nomothetisch-idiografischen kriminalpsychologischen Prognosebeurteilung – Eine empirische Untersuchung an männlichen Gewalt- und Sexualstraftätern
verfasst von
Prof. Dr. Klaus-Peter Dahle
Prof. Dr. Robert J. B. Lehmann
Publikationsdatum
08.01.2018
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Erschienen in
Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie / Ausgabe 1/2018
Print ISSN: 1862-7072
Elektronische ISSN: 1862-7080
DOI
https://doi.org/10.1007/s11757-017-0462-z

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