Die Auseinandersetzung mit der Entwicklung der Mitgliederzahlen im Bereich des Deutschen Sportbundes und später des Deutschen Olympischen Sportbundes lässt sich mehr als 30 Jahre zurückverfolgen, wird jedoch nur unregelmäßig geführt und hat nur relativ wenige (sport)wissenschaftliche Beiträge hervorgebracht.
Zwar setzte sich Kreiß bereits 1988 (Kreiß,
1988) mit der Mitgliederentwicklung im Rudern auseinander und diagnostizierte eine stagnierende Mitgliederentwicklung mit abnehmendem Anteil weiblicher und jugendlicher Mitglieder. Allerdings erst im Zuge einer verstärkten gesellschaftspolitischen Aufmerksamkeit für die Folgen demografischen Wandels in den 2000er Jahren wurde dessen Wirkung auf die Mitgliederentwicklung im organisierten Sport in einigen Beiträgen thematisiert. Breuer und Haase (
2006) setzten sich im Sportentwicklungsbericht 2005/2006 mit den Wirkungen des demografischen Wandels auf den Sport auseinander, ohne diese Betrachtungen in nachfolgenden Sportentwicklungsberichten fortzuführen. Eine sportartspezifische Analyse legt Flatau (
2007) für die Leichtathletik vor. Auf die 10. koordinierte Bevölkerungsbefragung des Statistischen Bundesamtes stützen Steinbach und Hartmann (
2007) ihre Prognosen für die Mitgliederentwicklung im DOSB bis 2030, verweisen jedoch dabei auf mögliche Kompensationseffekte beim Anhalten der insgesamt positiven Entwicklung des Organisationsgrades in den Jahren 1996 bis 2005 bei den 0‑ bis 14-Jährigen. Steinbach und Hartmann (
2007) führen damit die aus Bevölkerungsprognosen bekannten Faktoren Fertilität, Migration und Lebenserwartung mit der Fähigkeit von Sportorganisationen zusammen, einen möglichst hohen Anteil aus der jeweiligen Altersgruppe zu gewinnen und zu binden. Auf die Bedeutung des Organisationsgrades sowie auf dessen regionale Unterschiede weisen Fehres, Blessing-Kapelke, Tzschoppe, und Hartmann (
2011, S. 16 ff.) und Fehres, Tzschoppe, Stanco, Blessing-Kapelke, und Illmer (
2017, S. 25 ff.) hin. So hat sich der Organisationsgrad von 2000 zu 2015 bei den 0‑ bis 6‑jährigen Jungen von 19,2 % auf 26,7 % und bei den Mädchen von 18,9 % auf 24,4 %, bei den 7‑ bis 14-Jährigen von 67,7 % auf 82,4 % (Jungen) und von 50,5 % auf 61,8 % (Mädchen) erhöht. Zugewinne im Organisationsgrad sind zudem in der Altersgruppe der über 60-Jährigen zu verzeichnen. Infolge der Größe der Bevölkerungsgruppen mit stagnierendem bzw. rückläufigem Organisationsgrad ergeben sich für die Gesamtbevölkerung stagnierende Werte von 35,6 % auf 35,7 % bei den Männern und von 21,6 % auf 22,9 % bei den Frauen. Hierbei schwankt der Organisationsgrad 2015 in den einzelnen Landessportbünden bei den Männern zwischen 16,9 % in Brandenburg und 46,5 % im Saarland und bei den Frauen zwischen 9,9 % und 29,4 %, ebenfalls in Brandenburg und im Saarland. Beide vom DOSB verantworteten Publikationen verzichten auf Prognosen zur weiteren Mitgliederentwicklung. Dagegen zielen Emrich, Pitsch, und Rullang (
2012) für den Fußball und Rullang, Pitsch, und Emrich (
2014) für den Handball auf eine Prognose der Mitgliederentwicklung und verwenden dafür die 12. koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung. Im Gegensatz zu Steinbach und Hartmann (
2007) wird in beiden Beiträgen der Unsicherheit der Bevölkerungsvorausberechnung mit der Berücksichtigung einer mittleren Untergrenze und einer mittleren Obergrenze Rechnung getragen. Zudem werden altersspezifische Prävalenzen, letztlich also sportartspezifische Organisationsgrade, in die Prognose integriert. Die zur Prognose verwendeten Prävalenzen werden zudem zum einen aus dem arithmetischen Mittel der Prävalenzwerte der Jahre 1991 bis 2011 gewonnen (
konstante Prävalenz), zum anderen mittels linearer Regression bis zum Jahr 2025 (
lineare Prävalenz) fortgeschrieben (Emrich et al.,
2012, S. 54 f.; Rullang et al.,
2014, S. 50 f.). Damit wird der Vergleich von Bestandsgrößen (z. B. die absolute Zahl der 10-Jährigen handballspielenden Mädchen 2010 und 2020) und von Stromgrößen (z. B. die Veränderung der Beteiligung von Mädchen des Jahrgangs 2000 am Handball) möglich. Diese Differenzierung hat sich bislang jedoch nicht durchsetzen können und wird auch in den neueren Beiträgen von Fehres et al. (
2017) und Kruthaup, Kaphengst, Dahms, und Büsch (
2020), die die Mitgliederentwicklung im Handball mit anderen Spielsportverbänden vergleichen, nicht aufgegriffen. Aufgrund des diskontinuierlichen Monitorings, der rudimentären wissenschaftlichen Quellenlage, fehlender Prognosen, der Überlagerung von allgemeinen Entwicklungen und pandemiebedingten Effekten sowie der Vermischung von Bestands- und Stromgrößen fällt es den Akteuren des organisierten Sports schwer, die Mitgliederentwicklung des Jahres 2020 einzuordnen und zutreffend zu interpretieren (z. B. Häfner,
2021; LSB Rheinland-Pfalz,
2021).