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Andrologie
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Publiziert am: 26.04.2022

Männlicher Beitrag zur Kontrazeption

Verfasst von: Eberhard Nieschlag
Zu den Aufgaben der Andrologie gehört es, Methoden zur Kontrazeption auf Seiten des Mannes zur Verfügung zu stellen. Derartige Verfahren sind sowohl zum Erhalt einer stabilen Bevölkerung in den Industrienationen als auch zur Eindämmung des Bevölkerungswachstums in Entwicklungsländern erforderlich. In diesem Kapitel wird auf die Begründung für männliche Kontrazeption sowie soziale und demografische Aspekte eingegangen und es werden die konventionellen Verfahren der männlichen Kontrazeption beschrieben: Kondome. Coitus interruptus und periodische Abstinenz. Der Vasektomie und Refertilisierung ist das Kap. „Vasektomie“ gewidmet. Bisher fehlt eine pharmakologische reversible Methode. Die Forschung und Entwicklung auf diesem Gebiet wird in den Kap. „Ansätze zur hormonellen männlichen Kontrazeption“ und „Nicht-hormonelle Ansätze zur männlichen Empfängnisverhütung“ beschrieben werden.

Einleitung

Zu den Aufgaben der Andrologie gehört es, Methoden zur Kontrazeption auf Seiten des Mannes zur Verfügung zu stellen. An die grundsätzlichen Überlegungen in Kap. „Aufgaben und Ziele der Andrologie“ anknüpfend sind derartige Verfahren sowohl zum Erhalt einer stabilen Bevölkerung in den Industrienationen als auch zur Eindämmung des Bevölkerungswachstums in Entwicklungsländern erforderlich.
In diesem Kapitel wird auf die Begründung für männliche Kontrazeption sowie soziale und demografische Aspekte eingegangen und es werden die konventionellen Verfahren der männlichen Kontrazeption beschrieben. Der Vasektomie und Refertilisierung ist ein eigenes Kap. „Vasektomie“ gewidmet, während Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet der männlichen Kontrazeption in den Kap. „Ansätze zur hormonellen männlichen Kontrazeption“ und Kap. „Nicht-hormonelle Ansätze zur männlichen Empfängnisverhütung“ beschrieben werden.

Notwendigkeit und Perspektiven

Globales Ziel: „Sexuelle und Reproduktive Gesundheit

Die WHO hat den Begriff „Sexual and Reproductive Health“ als Ziel ihrer Arbeit auf diesem Sektor eingeführt. Jedem Menschen wird damit das Recht zugestanden, ein befriedigendes Sexualleben zu führen. Reproduktive Gesundheit beinhaltet, dass Fortpflanzung unter Bedingungen vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens stattfindet und bedeutet nicht nur Freiheit von Krankheit und Störungen der Fortpflanzungsfunktionen. Jeder darf über die Anzahl seiner Kinder selbst entscheiden. Das einmal konzipierte Kind soll eine optimale Chance für eine ungestörte Gestation und Geburt sowie für eine gesunde Kindheit und Entwicklung erhalten. Reproduktive Gesundheit impliziert sowohl die Möglichkeiten, Kinderwunsch zu verwirklichen, als auch die Fertilität zu steuern und zu planen. Kontrazeptive Methoden für Frau und Mann werden daher als integraler Bestandteil der Strategien angesehen, die weltweit zu einem hohen Standard der reproduktiven Gesundheit führen sollen.

Kontrazeption, Familienplanung und Weltbevölkerung

Bei der Beratung über kontrazeptive Methoden und Familienplanung sowie der Verschreibung kontrazeptiver Mittel konzentriert sich der Arzt zunächst auf die Wünsche und Probleme des einzelnen Paares. Darüber hinaus sollte er sich bewusst sein, dass Kontrazeption auch demografische Implikationen hat und die Bevölkerungsdynamik beeinflusst. Auch wenn das einzelne Paar seine eigenen Vorstellungen über die Größe seiner Familie hat, so zeigen repräsentative Umfragen nach der gewünschten Familiengröße, dass sich die Vorstellungen der Deutschen im Laufe der Geschichte der Bundesrepublik kaum geändert haben und immer bei etwa 2 Kindern pro Familie lagen; erst mit Beginn der 60er-Jahre und der Einführung der oralen Kontrazeptiva und anderer moderner Methoden sank die tatsächliche Kinderzahl allmählich ab und lag mehrere Jahre unter den Wunschvorstellungen. Erst in den jüngsten Jahren sind Wunschvorsteungen und tatsächliche Geburtenraten kongruent geworden. Diese Tatsache ist aber kein ausschließlich deutsches, sondern ein ubiqitäres Phänomen. Es bleibt jedoch festzuhalten, dass die Anzahl der Kinder pro Paar seit Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert konstant abnimmt, ein Trend, der bereits vor der modernen Kontrazeption in Deutschland und Europa eingesetzt hat (Birg 2001).
Die Einführung moderner kontrazeptiver Mittel hat zu einer sozialen Revolution geführt, von der vor allem die Frauen profitiert haben (Benangiano et al. 2007). Freiwillige Geburtenbeschränkung, z. B. aus ökonomischen Gründen, hat es bereits in früheren Jahrhunderten gegeben (Bengtson und Dribe 2006). Heute stehen die kontrazeptiven Mittel zur Verfügung, um die Wünsche der Paare an die Möglichkeiten gezielter anzupassen. Umgekehrt wäre es falsch anzunehmen, dass das bloße Zurverfügungstellen von Kontrazeptiva zu einem Rückgang der Bevölkerung in den weniger entwickelten Ländern führen würde; die Motivation und Entscheidung des einzelnen Paares bleiben richtungsweisend (Connelly 2008).
Im Jahre 2020 betrug die Weltbevölkerung 7,8 Milliarden Menschen und hat sich damit seit 1950 vervierfacht. Selbst konservativen Prognosen zufolge werden im Jahr 2050 9,7 und 2100 11 Milliarden Menschen auf der Erde leben (Abb. 1). Den wesentlichen Anteil an dem enormen Bevölkerungswachstum haben die weniger entwickelten Länder, vor allem in Subsahara Afrika und Südasien, während die Einwohnerzahlen in den Industrienationen eher stabil oder sogar rückläufig sind (Abb. 2).
Die explosionsartige Zunahme der Weltbevölkerung führt zu kaum beherrschbaren ökologischen und ökonomischen Problemen. Als Beispiel sei Indien erwähnt, wo 1/6 der Weltbevölkerung auf 2,5 % der Landmasse der Erde lebt, und das ungebremste Bevölkerungswachstum den teils spektakulären wirtschaftlichen Fortschritt zunichtemacht. Durch medizinischen Fortschritt wurde es möglich, die Sterblichkeit, vor allem auch der Kinder, entscheidend zu verringern, so dass die durchschnittliche Lebenserwartung 2020 weltweit 70,4 Jahre für Männer und 74,9 Jahre für Frauen beträgt allerdings mit geografisch großen Unterschieden. In der EU betragen diese Zahlen 76,3 für Männer und 83,9 für Frauen. Am höchsten ist die Lebenserwartung in Hongkong, Japan und der Schweiz, am niedrigsten in Subsahara Afrika, wo die Lebenserwartung z. T. unter 40 Jahren liegt. Die Lebenserwartung des Menschen ist vor allem durch die Möglichkeit wirksamer medizinischer Intervention und Vorsorge gestiegen. Mehr und mehr Menschen erreichen das reproduktionsfähige Alter und tragen damit zu einem größeren Bevölkerungswachstum bei.
Inzwischen wird die Welt vom Klimawandel beherrscht, der nach heutiger Kenntnis überwiegend anthropogen verursacht ist. Bei der Diskussion um Emission von Treibhausgasen, Verlust von Resourcen und schwindender Biodiversität einerseits und bei der Suche nach alternativen Energiequellen andererseits wird vergessen, dass die Überbevölkerung der Erde das Hauptproblem in diesem Szenario darstellt (Crist et al. 2017). Denn je mehr Menschen ernährt werden müssen, fossile Energie verbrauchen und einen höheren Lebensstandard anstreben, desto mehr werden die den Klimawandel verursachenden Faktoren amplifiziert. In dieser Diskussion wird bisher die enorme Bedeutung der Kontrazeption vernachlässigt (Bongaarts und O’Neill 2018; Bongaarts und Sitruk-Ware 2019).
Die Medizin bietet zwar Möglichkeiten zur Kontrazeption, aber der Zugang zu den Mitteln ist sehr ungleich über den Globus verteilt. Daher wird auch heute noch in vielen Ländern der als ethisch und kulturell unakzeptabel geltende Schwangerschaftsabbruch zur „Familienplanung“ angewandt. Bei täglich ca. 1.000.000 Konzeptionen, die zu etwa zur Hälfte ungeplant und ungewollt eintreten, erfolgen täglich weltweit etwa 150.000 Schwangerschaftsabbrüche wegen ungewollter Schwangerschaft, von denen 45 % als riskant eingestuft werden, die wiederum zu 97 % in Entwicklungsländer stattfinden (Ganatra et al. 2017). Etwa 500 Abbrüche enden auch für die Mütter tödlich. Vergleichende Untersuchungen belegen eindeutig, dass die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche in den Ländern am höchsten ist, in denen wirksame kontrazeptive Methoden nicht zur Verfügung stehen. In den westlichen Industrienationen basieren die niedrigen Geburtenraten und die mehr oder weniger stabilen demografischen Verhältnisse, die für die Prosperität dieser Länder von entscheidender Bedeutung sind, im Wesentlichen auf Methoden der Kontrazeption.
Bedenklich ist allerdings, dass die Forschung auf dem Gebiet der Kontrazeption in den letzten Jahren erheblich nachgelassen hat. Insbesondere in den Industrienationen wird auf diesem Gebiet kaum mehr geforscht. Die einschlägigen Pharmafirmen haben ihre Forschung zur Kontrazeption auf Seiten der Frau sehr reduziert und die Programme zur Kontrazeption auf Seiten des Mannes sogar eingestellt (Strauss und Chaudhuri 2007; Nieschlag 2013). Staatliche Förderprogramme gibt es nur noch (jedoch in nur bescheidenem Umfang) in den USA und nur noch wenige philantropische Stiftungen (z. B. Population Council, New York) betreiben aktive Forschungsprogramme (Vogelsong et al. 2008).
Auf dem Gebiet der männlichen Kontrazeption tätige Forscher aus aller Welt haben sich angesichts der Flaute in der Forschungsförderung zwischen 1997 und 2007 zu jährlichen „Summit Meetings on Male Contrception“ getroffen und Studienergebnisse diskutiert. Beim ersten Summit Meeting in Weimar wurde das „Weimar Manifesto on Male Contraception“ als Appell an Öffentlichkeit und Pharmaindustrie verfasst (Nieschlag 2007, 2011). Später haben sich diese Forscher im „International Consortium for Male Cotraception“ zusammengeschlossen und in zwei „Pariser Manifesten“ 2016 und 2018 auf die Notwendigkeit zu intensiveren Bemühungen um neue Methoden zur männlichen Kontrazeption hingewiesen. Diese Appelle richteten sich ebenfalls an die Wissenschaft, an die Öffentlichkeit und vor allem an die Pharmaindustrie (Serfaty et al. 2016, 2018; Wang et al. 2016). Letztere konnte aber bisher nicht stimuliert werden, da lukrativer erscheinenden Gebieten Vorrang gegeben wurde.

Bereitschaft zu männlicher Kontrazeption

Die Öffentlichkeit hat ein zunehmendes Interesse an Methoden zur Kontrazeption auf Seiten des Mannes entwickelt. Es wird vom Mann erwartet, dass er nicht nur die Vorteile, sondern auch die Risiken der Familienplanung mit seiner Partnerin teilt. Da ein Risiko meist mit der Dauer der Anwendung steigt, kann das Risiko durch Verteilung der Anwendung auf Mann und Frau für jeden einzelnen reduziert werden. Weltbevölkerungskonferenzen und Weltfrauenkonferenzen haben explizit nach neuen männlichen kontrazeptiven Methoden gerufen. Dennoch gibt es weiterhin keine medikamentöse Methode zur Kontrazeption auf Seiten des Mannes.
Wenn auch mit unterschiedlichen Präferenzen für die verwandten Methoden, verlassen sich weltweit etwa 28 % der Kontrazeption anwendenden Paare auf männliche Methoden (Koitus interruptus, Kondom, Vasektomie) (Ross und Hardee 2017). Allerdings liegt der Anteil der sich auf männliche Methoden verlassenden Paare in Deutschland bei nur 12,3 %. Insgesamt gibt es bei der Vasektomie große regionale Unterschiede. So liegt der Prozentsatz vasektomierter Männer mit Frauen im reproduktionsfähigen Alter in Deutschland bei nur 2,1 % und damit im Weltdurchschnitt von 2,0 %, während Vergleichszahlen in der Schweiz bei 4,9 %, in den USA bei 4,3 %, in Australien und Neuseeland bei 7,7 % und in UK sogar bei 10,4 % liegen (United Nations 2019). In ähnlicher Weise schwankt der Gebrauch von Kondomen von Land zu Land und beträgt weltweit 21 % (Abb. 3).
Erwartungsgemäß variiert der Prozentsatz der Männer, die eine pharmakologische Methode anwenden würden, zwischen verschiedenen Kulturen und in Abhängigkeit von der Applikationsform. So waren bereits vor 25 Jahren bei einer Umfrage in Hongkong und Schanghai die Hälfte und in Edinburgh und Kapstadt 2/3 der Männer bereit, eine täglich oral verabreichte Pille als Kontrazeptivum anzuwenden (Anderson und Baird 1997). Nach sechs Jahrzehnten Pille für die Frau hat sich inzwischen auch die Einstellung der Männer zu neuen Methoden der männlichen Kontrazeption geändert. Weltweit und auch in Deutschland haben Meinungsumfragen eine hohe Bereitschaft der Männer zur Anwendung pharmakologischer kontrazeptiver Methoden erkennen lassen (Heinemann et al. 2005) (Abb. 4). Basierend auf diesen Ergebnissen wurde hochgerechnet, dass alleine in den 9 Ländern, in denen die Umfrage stattfand, etwa 44 Millionen Männer zur Anwendung einer pharmakologischen Methode bereit wären und damit ein großer Anreiz für die Pharmaindustrie bestehen müsste (Dorman und Bishai 2012).
Bevor die moderne Kontrazeption mit der „Pille“ ihren Anfang nahm und damit Frauen die kontrazeptive Verantwortung übernahmen, waren die meisten bis dahin verfügbaren Methoden in der Verantwortung des Mannes. Kondom, Coitus interruptus und Vasektomie sind männliche Methoden und verlangen den bewussten Einsatz des Mannes. Im Laufe der letzten 60 Jahre ist die „reproduktive Macht“ weitgehend auf die Frauen übergegangen. Männer sind heute nicht nur bereit, die Risiken der Kontrazeption mit der Partnerin zu teilen, sondern auch die Verantwortung für die Kontrazeption und Familienplanung zu übernehmen. Allerdings richten sich Programme für Familienplanung weltweit fast ausschließlich an Frauen, anstatt den Mann mit einzubeziehen (Hardee et al. 2017), um vorgefasste Meinungen auf der männlichen Seite und Widerstand gegen weibliche Kontrazeption abzubauen, die vor allem noch in Subsahara Afrika bestehen, also in Ländern, die das größte Bevölkerungswachstum aufweisen (Kriel et al. 2019).

Möglichkeiten

Grundsätzlich kann die Bereitschaft des Mannes, einen Beitrag zur Kontrazeption zu leisten, hoch eingeschätzt werden. Um eine derartige Methode zu akzeptieren, müssen jedoch folgende Voraussetzungen erfüllt sein: Die Methode sollte:
1.
so effektiv wie vergleichbare weibliche Methoden sein,
 
2.
für beide Partner akzeptabel sein,
 
3.
einen schnellen Wirkungseintritt haben,
 
4.
frei von Nebenwirkungen und insbesondere ohne Einfluss auf Männlichkeit, Libido und Potenz sein,
 
5.
keinen Einfluss auf die Nachkommenschaft haben,
 
6.
im Hinblick auf die Zeugungsfähigkeit voll reversibel sein und
 
7.
leicht zugänglich und finanziell erschwinglich sein.
 
Aus diesen Kriterien ergibt sich eine Richtschnur für die Beurteilung der existierenden Methoden und experimentellen Ansätze. Grundsätzlich können diese Methoden in solche eingeteilt werden:
1.
die den Transport der Spermien in den weiblichen Genitaltrakt verhindern,
 
2.
die Spermatogenese supprimieren oder
 
3.
die Spermienreifung bzw. -funktion verhindern.
 
Alle existierenden Methoden gehören zur ersten Gruppe, während sich die Forschung auf Beeinflussung der Keimzellentwicklung und -reifung konzentriert.
Die Möglichkeiten zu einer effektiven und reversiblen Kontrazeption sind auf Methoden bei der Frau beschränkt. Für den Mann stehen die periodische Abstinenz, die Benutzung des Kondoms und der Coitus interruptus als relativ unsichere Methoden oder die Vasektomie als nur bedingt reversible Methode zur Verfügung. Auch die periodische Abstinenz verlangt strikte Kooperation des Mannes.
Die prozentuale Verteilung der Verwendung der verschiedenen kontrazeptiven Methoden auf Seiten der Frau und auf Seiten des Mannes weltweit zeigt (Abb. 3), dass im Grunde nur ein kleines Spektrum von Methoden zur Verfügung steht. Alle pharmakologischen Methoden gehen auf ein Prinzip zurück, nämlich die hormonelle Kontrazeption. Dass die hohe Abhängigkeit von der oralen Kontrazeption gerade in Deutschland Gefahren birgt, liegt auf der Hand, wenn man sich die möglichen Risiken vergegenwärtigt, die zu einer (eventuell auch drastischen) Einschränkung der Anwendung führen könnten. Dies sollte Anlass genug sein, nach neuen Methoden zu suchen. Da es noch keine medikamentöse Kontrazeption für den Mann gibt, bietet sich gerade dieses Gebiet als Forschungsaufgabe an.
Existierende Methoden und experimentelle Ansätze werden in den folgenden Absätzen beschrieben.

Existierende Methoden

Coitus interruptus

An den in 2.4. aufgeführten Kriterien können existierende und neue Methoden der männlichen Kontrazeption gemessen werden. Für die am längsten praktizierte Methode, den Coitus interruptus, gilt dann, dass sie den Vorteil völliger Nebenwirkungsfreiheit hat, ohne jede zusätzliche Hilfe eingesetzt werden kann und keinerlei Kosten verursacht. Allerdings verlangt sie Geschick und Selbstbeherrschung auf der Seite des Mannes und vermindert den durch die Sexualität vermittelten Lustgewinn. Obendrein hat sie eine hohe Versagerquote, da es bei 19 von 100 Paaren im ersten Jahr der Anwendung zu einer Schwangerschaft kommt (Trussell 1998). Bei anderen nicht-penetrativen Sexualpraktiken („dry sex“) dürfte die Schwangerschaftsrate niedriger sein, allerdings gibt es keine genaueren Zahlen hierzu. Die Anwendung des Coitus interruptus unterliegt kulturellen und geografischen Schwankungen. Besonders hoch soll diese Praxis in Rumänien und in der Türkei sein. Von 1000 befragten sexuell aktiven Türkinnen gaben 43 % an, diese Methode zur Kontrazeption zu praktizieren. Nach entsprechender Aufklärung wandten 74 % dieser Frauen moderne Kontrazeptiva an (Demir et al. 2020).

Periodische Abstinenz

Periodische Abstinenz, auf der die verschiedenen Verfahren der natürlichen Familienplanung (NFP) beruhen, beschränkt die sexuelle Aktivität auf sogenannte „sichere Tage“, bei denen die Wahrscheinlichkeit einer Konzeption niedrig ist. Wenn es sich hierbei auch um Beobachtungen zum weiblichen Zyklus handelt, wird doch ein männlicher Beitrag verlangt, da auf Spontaneität und Verkehr über relativ lange Phasen des Zyklus hin verzichtet werden muss. Die Sicherheit dieser Methoden steigt mit der Länge der abstinenten Tage, durchschnittlich wird jedoch auch hier von einer hohen Versagerquote ausgegangen, in dem es bei etwa 20 von 100 Paaren pro Jahr zu einer Schwangerschaft kommt. Weltweit wird diese Methode der Kontrazeption bei 3,6 % der Paare im reproduktiven Alter angewandt (Freundl et al. 2010).
Wenn die Abstinenztage durch das Messen von LH und Estron-3-glucuronid im Urin mittels eines tragbaren Monitorgerätes (Persona®) vorgegeben werden, verringert sich die Schwangerschaftsrate auf 12 % (Bonnar et al. 1999). Dafür muss aber durchschnittlich innerhalb eines Zyklus 13 Tage lang Abstinenz geübt oder in dieser Zeit eine andere Methode praktiziert werden.
Trotz der relativ geringen Effektivität muss bei Beurteilung von Coitus interruptus, periodischer Abstinenz und nicht-penetrativen Sexualpraktiken berücksichtigt werden, dass mit diesen Methoden demografisch gesehen ein Beitrag zur Geburtenkontrolle geleistet werden kann, wobei allerdings das Risiko einer Schwangerschaft für das einzelne Paar hoch bleibt.

Kondome

Das Kondom ist das älteste von den heute zur Verfügung stehenden Kontrazeptiva. Frühe ägyptische Zeichnungen stellen kondomtragende Männer dar. 1200 v. Chr. wurden bei König Minos auf Kreta Fischblasen zur Verhütung von Krankheiten und Schwangerschaften benutzt. In der Neuzeit wurden von dem italienischen Anatom Fallopio 1564 mit Medikamenten getränkte Leinensäckchen als Schutz vor Krankheiten beschrieben. Im 17. Jahrhundert wurden Kondome in England erstmalig für den Zweck der Kontrazeption benutzt. Ob sie ihren Namen von dem englischen Arzt Condom haben, der von 1660 bis 1685 am Hofe Charles II. tätig war und dort Hammeldärme zur Empfängnisverhütung empfahl, ist nicht sicher belegt. Die Methode wurde schnell nach Frankreich exportiert und fand in Paris große Verbreitung. Dort wurden sie „Capote anglaise“ genannt, während sie in England als „French letters“ bezeichnet wurden. Das Kondom auf Latex-Basis wurde erst von dem Amerikaner Charles Goodyear (1800–1860) ermöglicht, nachdem er den Prozess des Vulkanisierens von Kautschuk erfunden hatte. Der erste große Markenhersteller war Julius Fromm, der es 1920 bereits auf eine Tagesproduktion von 150.000 Stück brachte (Amy und Thiery 2015).
Heute werden Kondome nach wie vor überwiegend aus Latex hergestellt, inzwischen sind aber auch Kondome aus Polyurethan und Polyisopren auf dem Markt. Da sie eine höhere Zerreissrate und einen (noch) geringeren kontrazeptiven Schutz als Latexkondome aufweisen, sind sie vorwiegend für den auf Latex allergischen Anwender geeignet. Seit längerem wird an der Entwicklung von aufsprühbaren Kondomen gearbeitet, die das Problem der passenden Größe elegant lösen würden.
Die Herstellung von Kondomen unterliegt einer standardisierten Qualitätskontrolle und Spezifikationen der WHO et al. (2010). Seit 1996 wurden Kondome in Europa nach DIN EN 600 normiert, seit 2002 international nach EN ISO 4074. Diese Normen schreiben z. B. die Größen von 17 resp. 16 cm in den Längen und maximal 5,6 cm im Durchmesser vor. Darüber hinaus müssen die Präservative auf Dichtigkeit, Aufblasbarkeit, Dehnbarkeit und mikrobiologische Reinheit in einer Testserie geprüft werden.
Auch wenn der Herstellungsprozess heute einer Qualitätskontrolle unterliegt, kommt es dennoch in einem hohen Prozentsatz zum Einreissen des Kondoms während des Verkehrs. Dabei nimmt die Zerstörungsrate mit dem Alter des Kondoms zu. Offensichtlich spielt auch die Sexualpraxis eine Rolle, da einige Paare stets eine höhere Zerreissrate als andere berichten und in Studien mit motivierten und erfahrenen Paaren die Zerreissrate sehr niedrig sein kann (Rosenberg und Waugh 1997).
Die Berichte über die kontrazeptive Effektivität des Kondoms zeigen eine erhebliche Schwankungsbreite. Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass es bei 19 von 100 Paaren im ersten Jahr der Verwendung von Kondomen zu einer Schwangerschaft kommt (Trussel 1998). Dies ist deutlich besser als die 85 % Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft bei ungeschütztem Verkehr, bleibt jedoch weit hinter der Wahrscheinlichkeit von 3 % bei Anwendung oraler Kontrazeption seitens der Frau zurück. Der kontrazeptive Schutz scheint bei Polyurethan-Kondomen niedriger als bei Latex-Kondomen zu sein. Zusätzlich sinkt die Effektivität ab, wenn Kondome über längere Zeiträume zur Kontrazeption angewandt werden. Dies hängt nicht nur von technischen Fehlern des Produktes ab, sondern auch von der Tatsache, dass Kondome in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Sexualakt angewandt werden müssen und ständiger Motivation und Aufmerksamkeit bedürfen. Daher betrachten viele Paare in stabilen Beziehungen Kondome nur als eine vorübergehende Methode zur Kontrazeption.
Seit Beginn der AIDS-Epidemie und dem Ruf nach „Safe Sex“ hat das Kondom zur Vermeidung des Übertragungsrisikos enorm an Popularität gewonnen. Die Effektivität im Verhindern der HIV-Übertragung ist jedoch deutlich geringer als die in der Verhinderung von Schwangerschaften. Dies ist angesichts der erwähnten technischen Versagerquote des Produktes und der Tatsache nicht verwunderlich, dass Ansteckungsgefahr nicht nur zum Zeitpunkt der Ovulation, sondern bei jedem Sexualakt besteht. Während einzelne Arbeiten dem Kondom eine hohe Schutzwirkung bescheinigen, kommen Meta-Analysen einschlägiger Arbeiten zu dem Schluss, dass die Versagerquote zur Verhinderung der HIV-Übertragung bei 31 % bis 50 % liegt. Damit muss die Schutzwirkung des Kondoms vor dieser oft letalen Krankheit als unzureichend betrachtet werden (Krishnaratne et al. 2016).

Zusammenfassung

  • Zu den Aufgaben der Andrologie gehört es, Methoden zur Kontrazeption auf Seiten des Mannes zur Verfügung zu stellen.
  • Derartige Verfahren sind sowohl zum Erhalt einer stabilen Bevölkerung in den Industrienationen als auch zur Eindämmung des Bevölkerungswachstums in Entwicklungsländern erforderlich.
  • Ein enger Zusammenhang besteht zwischen den ökologischen Problemen des Klimawandels und der Überbevölkerung, der auch von den Klimaschützern erkannt werden muss, um Kontrazeption in ihr Programm aufzunehmen.
  • Weltweit praktizieren bereits 28 % der Paare im reproduktiven Alter, die Kontrazeption anwenden, männliche Methoden (Kondome, Vasektomie, Coitus interruptus und periodische Abstinenz). Die Bereitschaft zur Anwendung einer reversiblen pharmakologischen Methode wäre hoch, wenn sie auf den Markt käme.
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