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Die Augenheilkunde
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Publiziert am: 14.07.2023

Orbitatumoren und chirurgische Zugangswege

Verfasst von: Wolf Alexander Lagrèze
Orbitaerkrankungen können zu vielfältigen Funktionsstörungen führen und betreffen alle Altersgruppen. Die häufigste Erkrankungskategorie sind Orbitaentzündungen, unter denen die endokrine Orbitopathie an erster Stelle steht. Zweithäufigste Kategorie sind neoplastische und vaskuläre Raumforderungen gefolgt vom Orbitatrauma. Orbitaerkrankungen betreffen viele Fachgebiete und ihre Behandlung wird von mehreren Fächern beansprucht. Patienten wenden sich primär jedoch meist an Augenpraxen und -kliniken, denen somit eine wichtige Rolle in der Weichenstellung zukommt. Im Idealfall werden Orbitaerkrankungen in einem interdisziplinären Orbitazentrum versorgt, damit Patienten zeitnahen Zugang zur bestmöglichen Therapie erhalten. Dieses Kapitel fokussiert sich auf Orbitatumoren. Es werden innovative Behandlungskonzepte vorgestellt und die Grenzen erläutert, jenseits derer eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Kopfdisziplinen einen Zusatznutzen darstellt.

Einleitung

Erkrankungen der Orbita sind häufig, im Erscheinungsbild variabel, differenzialdiagnostisch anspruchsvoll und umfassen von ihrer Dignität ein weites Spektrum von harmlos bis lebensbedrohlich. Die resultierenden klinischen Zeichen sind vielfältig. Sie umfassen Lage-, Form- und Farbänderungen von Auge und seinen umgebenden Weichteilen in Form von En- und Exophthalmus, Lidschwellung und -retraktion, Blepharoptosis, Rötung von Lid- und Bindehaut, Chemosis, Refraktionsänderung und efferente oder afferente Pupillenstörungen. Subjektive Symptome umfassen Schmerz, Doppeltsehen und Visusminderung. Daher suchen Betroffene im Regelfall zunächst Augenärztinnen und Augenärzte auf. Nicht selten wird dann die Therapie in andere Fachdisziplinen verlagert wie z. B. MKG-Chirurgie, HNO-Heilkunde oder Neurochirurgie. Aufgrund der Komplexität von Orbitaerkrankungen können in diesem Kapitel einige Aspekte auf Platzgründen nicht näher adressiert werden: Chemo- und Strahlentherapie, funktionelle Orbitarekonstruktion, Versorgung eviszerierter oder enukleierter Patienten und Primärerkrankungen der Nasennebenhöhlen und Schädelbasis. Hierfür sei auf entsprechende Übersichtsarbeiten verwiesen.
Da Orbitaerkrankungen augenspezifische Symptome zeigen und betroffene Patienten Augenärzte und -kliniken aufsuchen, sollte die Augenheilkunde die Orbita und die Behandlung ihrer Erkrankungen als eigenes Teilgebiet ihres Spektrums betrachten. An dieser Stelle soll darauf hingewiesen sein, dass viele Krankheitsbilder von der Augenheilkunde behandelt werden können, auch chirurgisch, und die Augenheilkunde Sorge tragen muss, dieses Organgebiet nicht zu vernachlässigen. Entsprechend widmet sich dieses Kapitel dem differenzialdiagnostischen Spektrum von Orbitatumoren und den chirurgischen Zugangswegen unseres Fachgebietes.

Epidemiologie

Orbitatumoren können in annähernd jedem Lebensalter auftreten und haben einen Häufigkeitsgipfel in der sechsten Dekade. Das Spektrum im Kindesalter unterscheidet sich dabei deutlich von dem des Erwachsenenalters. Tab. 1 listet die Häufigkeiten typischer Orbitatumoren beider Altersgruppen inklusive Therapieoptionen auf.
Tab. 1
Häufigkeiten und Behandlungsoptionen bei Orbitatumoren im Kindes- und Erwachsenenalter
Kinder
Erwachsene
Tumor
Häufigkeit [%]
Optionen
Tumor
Häufigkeit [%]
Optionen
Chirurgie
Bestrahlung
Pharmakotherapie
Chirurgie
Bestrahlung
Pharmakotherapie
Dermoidzyste
37
E
  
Meningeom*
10
E, T
F, R
 
16
E
F, R
 
Metastase
10
T, B
F
C
Kapil. Hämangiom
15
T
L
S, B
Lymphom
10
T, B
F
 
Lymphangiom
6
T
 
D
8
E
  
Rhabdomyosarkom
5
T
F
C
Pseudotumor
8
T, B
 
S
Neurofibrom
4
O
  
Dermoid
8
E
  
Lymphom
4
T, B
F
 
Mukozele
6
E
  
Mukozele
4
E
  
Tränendrüsentumor
3
E
F
 
Schwannom
3
E
  
Optikusgliom
3
E, B
F, R
 
Sonstige
6
   
Sonstige
34
   
Abkürzungen: E Exzision, T Teilexzision, B Biopsie, F fraktionierte Bestrahlung, R Radiochirurgie, L Laserkoagulation, S Steroide, B Beta-Blocker, C Chemotherapie, D Doxyzyklin oder Picibanil, * inkl. Optikusscheidenmeningeom
Nach Lagrèze W et al. Ophthalmologe 2011, S.  108, 519
Trotz einer Vielzahl von Fallberichten und -serien gibt es nur wenige Publikationen, welche die Inzidenzen und das Spektrum orbitaler Erkrankungen realistisch wiedergeben. Eine Fallserie von 1825 Patienten mit Leitsymptom Exophthalmus ergab, dass Orbitatumoren dabei zu ca. einem Drittel ursächlich waren (Dallow und Pratt 1994). In einer monozentrischen Serie von 1264 orbitalen Raumforderungen waren Lymphome die häufigste Ursache, gefolgt vom Pseudotumor orbitae und vaskulären Malformationen (Shields et al. 2004). In weiterer Serie von 1000 orbitalen Raumforderungen waren 72 % benigne (27 % Pseudotumor orbitae, 17 % IgG4-assoziierte Erkrankungen, 13 % venöse Malformationen) und 28 % maligne (70 % Lymphome) (Goto et al. 2021). Zuletzt ergab eine monozentrischen Fallserie von 2480 Orbitatumoren ohne Einschluss entzündlicher Erkrankungen in 68 % eine benigne (14 % Dermoidzyste, 9 % venöse Malformation) und 32 % eine maligne (12 % non-Hodgkin-Lymphome, 3 % Basaliome, 3 % Metastasen) Ursache (Bonavolontà et al. 2013).

Diagnostik

Anamnestisch muss die Zeitkinetik der Symptome und klinischen Zeichen erfasst und dokumentiert werden. Tumore wachsen langsam – entzündliche Erkrankungen sind weitaus akuter. In der Untersuchung müssen beurteilt werden: Lid- und Bindehautveränderungen, Augenstellung und -beweglichkeit (z. B. Tangententafel), Zustand des Sehnervs (afferenter Pupillendefekt, Schwellung, Atrophie) und vor allem die Lage des Auges in der Orbita. Ein Exophthalmus wird mit einem Exophthalmometer z. B. nach Hertel vermessen. Er kann aber auch gut geschätzt werden, indem man sich vor den sitzenden Patienten stellt, diesen bittet, geradeaus zu schauen und dabei von oben tangential über seine Stirn nach unten schaut und den Hornhautscheitel beider Augen vergleicht. Besteht der Verdacht auf eine Raumforderung, muss eine Bildgebung erfolgen. Auch wenn Sonografie an manchen Ort unmittelbar verfügbar ist, ist sie der MRT unterlegen. Die MRT mit Dünnschichtung, Fettsuppression und Kontrastmittel kann Weichteilveränderungen sehr gut differenzieren. Die Beurteilung der knöchernen Strukturen, also der Orbitawände und auch der Nasennebenhöhlen, ist die Domäne der CT bzw. DVT (Digitale Volumentomografie). Orbitatumoren können anhand ihres Ursprungsgewebe, nach Lokalisation oder Dignität eingeteilt werden. Im Folgenden werden die wichtigsten Tumorerkrankungen der Orbita vorgestellt, eingeteilt nach Lebensalter.

Typische Orbitatumoren des Kindesalters

Dermoidzyste
Hierbei handelt es sich um Choristome aus subkutan verbliebenem Gewebe. Die Zysten sind mit keratinisiertem Plattenepithels ausgekleidet und enthalten adnexale Strukturen wie Haarfollikel, Talg- und Schweißdrüsen. Meist liegen sie im Oberlid oberflächlich lateral unterhalb der Braue (Abb. 1), seltener medial. Palpatorisch imponieren sie wie ein Kirschkern, der sich subkutan meist verschieben lässt. Aufgrund konstantem Wachstums und Perforationsgefahr bei Schädelprellung sollten sie entfernt werden, im Idealfall durch einen Hautschnitt, den man in die Lidfalte legt. Intraoperativ zeigen sie eine zarte, weißliche Kapsel. Ihr Inhalt ist gelblich, pastös, häufig finden sich darin Haare. Sehr selten liegen solche Zysten auch para- oder retrobulbär, teilweise eingebettet in ossäre Strukturen, was ihre Entfernung deutlich schwieriger gestaltet und einer interdisziplinären Operationsplanung bedürfen. Auch können sie mit klarem Sekret gefüllt sein. Eine präoperative Bildgebung durch MRT ist nur erforderlich, wenn die Lage nicht wie im Regelfall anterior und eindeutig durch Palpation zu ermitteln ist.
Optikusgliom
Unter den neurogenen Tumoren ist in dieser Altersgruppe das Gliom (Abb. 2) von Sehnerv und Sehbahn (benignes pilozytisches Astrozytom) am häufigsten. So manifestieren sich ca. ¾ alle Optikusgliome im Alter von unter 10 Jahren. Sie wachsen langsam und können im Rahmen einer Neurofibromatose Typ 1 auftreten, dann auch multilokulär. 59 % imponieren neben Exophthalmus primär durch Optikusatrophie, 35 % durch eine Papillenschwellung (Lee 2007). Biopsien sind nicht notwendig, da diese die Axone des Sehnerven lädieren und eine MRT sensitiv genug ist (T1-hypointense und T2-hyperintense Raumforderung). Aufgrund der guten Prognose ist beobachtendes Abwarten das häufigste Vorgehen. Bei Erblindung des Auges und starkem Exophthalmus kann eine Exzision erwogen werden. Bestrahlungen sind bei Kindern speziell im Vorschulalter zu vermeiden wegen der Gefahr von knöchernen Orbitawachstumsstörungen. Für Fälle mit erhaltener Sehfunktion und Progress existieren chemotherapeutische Protokolle mit Vincristin und Carboplatin. Mit 86 % ist die 10-Jahres-Überlebensrate bei Manifestation eines Glioms im Sehnerv am günstigsten. Sie liegt bei Manifestation im Chiasma oder Hypothalamus unter 50 % (Stokland et al. 2010).
Lymphatische Malformation
Die früher als Lymphangiom bezeichneten Gefäßfehlbildungen sind seltene Anomalien des lymphatischen Systems. Ihnen liegen Störungen im Prox-1- und VEGF-Rezeptor-3-/VEGF-C-Signalweg mit nachfolgend mesodermaler Fehldifferenzierung im 1. Trimenon zugrunde. Sie werden in mikro- und makrozystische Lymphangiome eingeteilt, häufig liegen gemischte Gefäßfehlbildungen von Lymph- und Blutgefäßen vor, die dann als venös-lymphatische Malformationen bezeichnet werden. Orbitale Lymphangiome sind angeboren, werden zu 90 % bis zum 2. Lebensjahr sichtbar und machen 4 % der vaskulären Anomalien im Kindesalter aus (Abb. 3). Lymphangiome zeigen im Gegensatz zu kapillären Hämangiomen – den häufigsten Gefäßtumoren im Kindesalter – keine spontane Regression. Sie können für die Betroffenen durch Größenzunahme oder spontane Einblutung in jedem Lebensalter eine außerordentliche funktionelle und ästhetische Beeinträchtigung darstellen (Abb. 4). In der Mehrzahl finden sich Ptosis und Motilitätsstörungen, weswegen diese Folgen amblyogen sind. Jegliche Operation hat ein sehr hohes Blutungsrisiko und eine Exzision in toto ist unmöglich. Im Bindehautbereich können Lymphhämangiome jedoch entfernt werden. Retro- und parabulbäre, makrozystische Befunde können sklerosiert werden, z. B. OK-432 (Picibanil) oder Doxyzyklin (Lagrèze et al. 2014). In schwierigen Fällen bietet sich dabei eine Unterstützung z. B. durch Augmented reality an (Demerath et al. 2022). Mikrozystische Varianten können sich unter systemischer Therapie mit Sirolimus eindrucksvoll zurückbilden (Lagrèze et al. 2019).
Neurofibrom
Diese Raumforderungen sind stark vaskularisierte, diffus infiltrierende, benigne Tumoren, meist im Rahmen einer Neurofibromatose Typ 1 und bestehen histologisch aus neoplastischen Schwann-Zellen. Eine chirurgische Entfernung in toto ist selten möglich, Verkleinerungen mit sorgfältiger Blutstillung eher. Häufig sind die Lider und die vordere Orbita betroffen (Abb. 5).
Rhabdomyosarkom
Als einzig maligner Tumor dieser Altersgruppe sei hier das schnell wachsende Rhabdomyosarkom mit einer Inzidenz von ca. 1:150.000 erwähnt (Karcioglu et al. 2004). Es ist das häufigste Weichteilsarkom dieser Altersgruppe mit einem mittleren Manifestationsalter im Grundschulalter. Der am häufigsten betroffene Orbitaquadrant ist der nasal obere. Die 5-Jahres-Überlebensrate liegt bei ca. 60–90 %. Nach chirurgischer Exzision oder Biopsie ist eine interdisziplinär abgestimmte Chemo-/Strahlentherapie indiziert, welche von der pädiatrischen Onkologie koordiniert wird. Ein sorgfältiges Staging umfasst die Suche nach Metastasen im Körperstamm sowie eine Lumbalpunktion. Aufgrund des raschen Wachstums sind Verwechslungen mit Orbitaabszessen möglich (Abb. 6).

Typische Orbitatumoren im Erwachsenenalter

Venöse Malformation
Vor der terminologischen Neuordnung der Gefäßanomalien im Jahr 2014 durch die International Society for the Study of Vascular Anomalies (ISSVA) wurde diese Erkrankung auch als Kavernom bezeichnet. Sie gilt als der häufigster Orbitatumor im Erwachsenenalter und ist benigne. Streng genommen handelt es sich nicht um einen Tumor, sondern um eine während des Lebens kontinuierlich in Größe zunehmende Malformation. Histologisch handelt es sich um ektatische Blutgefäße sehr geringem Fluss. 80 % liegen intrakonal, meist in temporal unteren Quadranten (Abb. 7) (Young et al. 2018). Der Häufigkeitsgipfel der Diagnosestellung ist die fünfte Dekade. Eine Operationsindikation besteht bei Exophthalmus, Diplopie, Optikuskompression oder Druckgefühl. Im Regelfall lässt sich der Tumor über einen minimalinvasiven Zugang durch die Bindehaut entfernen, auch wenn er retrobulbär gelegen ist. Die Technik unseres Zentrums ist im Verlauf dieses Kapitels und im Detail an anderer Stelle genau beschrieben (Lagrèze et al. 2016).
Hier soll ferner eine maligne Variante vaskuläre Orbitatumoren erwähnt werden, nämlich das Hämangioperizytom. Der Orbitachirurg muss wissen, dass dieser Tumor intraoperativ außerordentlich stark bluten kann. Radiologisch imponieren sie als glatt begrenzte, nicht infiltrierende Raumforderung. Ein Drittel aller Hämangioperizytome rezidiviert und Metastasen sind in 10 % der Fälle beschrieben (Croxatto und Font 1982).
Lymphom
Das Lymphom ist der häufigste nichtbenigne Orbitatumor dieser Altersgruppe. Es manifestiert sich am häufigsten in der sechsten und siebten Lebensdekade. MR-radiologisch ist es homogen, glatt begrenzt und schmiegt sich um orbitale Strukturen (Abb. 8). Meist handelt es sich nicht um Hodgkin-Lymphome, der häufigste Subtyp ist das extranodale Marginalzonen-B-Lymphom, gefolgt vom follikulären Lymphom, dem diffusen großzelligen B-Lymphom und dem Mantelzelllymphom. Vergleichsweise selten sind T-Zell-Lymphome und Hodgkin-Lymphome. Gerade bei dieser Erkrankung ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit einem Lymphomzentrum essenziell, da sich bei orbitalen Lymphomen in 35 % der Fälle eine systemische Beteiligung zeigt (Schwarcz et al. 2013). Orbitalymphome sprechen gut auf Strahlentherapie an, im Regelfall mit ca. 30 Grey. Die Indikation zur Operation besteht in der Probebiopsie zur Diagnosesicherung sowie zum Debulking.
Tränendrüsentumor
Eine einseitige laterale Oberlidschwellung ist verdächtig für einen Tränendrüsentumor, dessen häufigste Variante das benigne, pleomorphe Adenom darstellt (Abb. 9). In ca. 2 % der Fälle verbirgt sich darin jedoch ein adenoidzystisches Karzinom, aufgrund dessen eine Biopsie vermieden werden sollte und bei Verdacht eine Entfernung der Tränendrüse in toto erforderlich ist (Font et al. 1998). Eine postoperative Strahlentherapie ist bei perineuraler Ausbreitung oder verbleibendem Gewebe indiziert.
Neurogene Tumoren
Das Optikusgliom, welches unter 4. bereits erwähnt wurde, kann sich selten auch im Erwachsenenalter manifestieren. Sehr selten ist die fatale Variante des malignen Optikusglioms, dessen Behandlung rein palliativ ist. Neurinome sind gutartige, langsam wachsende, bindegewebig abgekapselte Tumoren des peripheren Nervensystems, die aus Schwann-Zellen bestehen (Schwannome). Wenn die Raumforderung zu Funktionsstörungen führt, ist eine chirurgische Exzision indiziert. Meningeome können einerseits in der Durascheide des Sehnerven entstehen (Optikusscheidenmeningeom). Die Diagnosesicherung erfolgt radiologisch ggf. unterstützt durch PET-CT. Eine chirurgische Therapie für zwangsläufig zur Erblindung und ist nur großen Befunden mit bereits verlorener Sehfunktion vorbehalten. Standardtherapie ist die fraktionierte Bestrahlung mit guten funktionellen Ergebnissen und beträchtlichem Erholungspotenzial (Eckert et al. 2019). Andererseits können sie in der Dura der knöchernen Orbitabegrenzungen entstehen, typisches Beispiel ist das Keilbeinflügel-Meningeom, dessen operative Therapie eine Domäne der Neurochirurgie ist.
Metastasen
Differenzialdiagnostisch muss bei jedem Orbitatumor an die Möglichkeit einer Metastase gedacht werden. Ihre Wachstumskinetik ist vergleichsweise rasch. Nicht selten führt sie auch zu knöcherner Arrosion. Typische Primärtumoren sind Neuroblastome bei Kindern sowie bei Erwachsenen Brustkrebs, gefolgt von anderen primär Tumoren wie Lungen- oder Prostatakarzinom. An dieser Stelle ist es wichtig zu erwähnen, dass Brustkrebsmetastasen in ihrer fibrosierenden Variante orbitales Fettgewebe einschmelzen können und nicht zu Ex-, sondern auch Enophthalmus führen können (Abb. 10). Metastasen sollten bioptisch gesichert und ggf. verkleinert und mittels Strahlentherapie/Chemotherapie interdisziplinär behandelt werden. Nicht unerwähnt sollen an dieser Stelle Karzinome und Basaliome im Lidbereich sein, welche in die Orbita einwachsen können.

Chirurgische Zugangswege

Allgemeines
Über die im Folgenden beschriebenen extrakraniellen, anterioren Zugänge können Raumforderungen erreicht werden, die im vorderen und mittleren Drittel des Orbitatrichters liegen. Eine knöcherne Orbitotomie ist dabei nur selten erforderlich. Prozesse im Orbitatrichter sind den posterioren Zugängen vorbehalten. Diese umfassen transfrontale, pterionale und endonasale Zugänge. Zur exakten Planung der Operation kommt der präoperativen, radiologischen Bildgebung in verschiedenen Schnittebenen eine überragende Bedeutung zu. Ein wichtiges Kriterium für die Wahl des Zugangs ist, ob eine Raumforderung innerhalb oder außerhalb des Muskelkonus liegt (Abb. 11). Insbesondere bei intrakonalen Raumforderungen hat sich ein transkonjunktivaler Zugang bewährt. Abb. 12 illustriert die bei anterioren Zugängen mögliche Schnittführungen.
Am weitesten medial liegt der sog. Hautschnitt nach Killian. Dies ist ein Zugang, der dem einer Dakryozystorhinostomie ähnelt. Im Unterschied hierzu wird im weiteren Verlauf der Operation das Periost weit nach posterior von der medialen Orbitawand nach Koagulation der vorderen und hinteren Ethmoidalarterie abgehoben. Am Ober- und Unterlid besteht jeweils die Möglichkeit eines transkutanen, transseptalen Zugangs. Am Oberlid erfolgt dieser gerne in der Oberlidfalte, am Unterlid in Form eines subziliaren Schnittes. Eine Modifikation des transkutanen Unterlidzuganges ist der sog. Swinging eyelid-Zugang, für den das laterale Unterlid unter Durchtrennung des unteren Schenkels des Ligamentum canti laterale ausgelöst wird und anschließend die Bindehaut im unteren Fornix eröffnet wird. Der Bindehautfornix kann zur Fettresektion oder bei kleineren Zugängen auch isoliert eröffnet werden. Bei intrakonalen Prozessen wird die Bindehaut am Limbus zirkulär oder sektoriell eröffnet, analog der extraokularen Ablatiochirurgie. Am weitesten lateral liegt der Hautschnitt nach Stallard. Hierbei wird der Schnitt unterhalb der Braue über der Orbitakante bis zum lateralen Lidwinkel und dann in die Fossa temporalis geführt. Dieser Zugang wird üblicherweise mit einer temporären Herauslösung des lateralen knöchernen Orbitapfeilers kombiniert.
Die computerassistierte Neuronavigation, die heutzutage in der Schädelbasischirurgie und in der knöchernen Orbitarekonstruktion ihren festen Platz hat, ist in der Chirurgie der orbitalen Weichteile meist weder notwendig noch sinnvoll, zumal sie die OP-Zeit deutlich verlängert und mit hohem apparativen Aufwand verbunden ist. Augmented reality- und Mixed reality-Systeme können den Operateur ebenfalls unterstützen (Abb. 13) und erreichen inzwischen fast die Präzision stereotaktischer Systeme (Steiert et al. 2022).
Transkonjunktivaler Zugang
Über diesen Zugang lässt sich der para- und retrobulbäre Raum gut erreichen, ohne dass auf dem Weg dorthin viel Gewebe verletzt werden muss (Abb. 14). Er hinterlässt keine kosmetisch auffälligen Narben. Er bietet sich insbesondere an für einen der häufigsten Orbitatumoren des Erwachsenen, nämlich die venöse Malformation (Kavernom, kavernöses Hämangiom), welches meist intrakonal liegt (Lagrèze et al. 2016). Über diesen Zugang kann auch der distale, retrobulbäre Teil des Sehnervs erreicht werden, wenn bei intrakranieller Hypertension eine Optikusscheidenfensterung indiziert ist (Lagrèze et al. 2017).
Transkutane Zugänge zur Orbita
Häufig wird ein transkutaner Zugang bei extrakonal gelegenen Tumoren gewählt. Es bieten sich Schnittführungen in alle vier Quadranten der Orbita an. Der genaue Ort des Zugangs wird sich dabei an der Lokalisation des Tumors orientieren. In der oberen Hälfte gelegene Raumforderungen sollten entsprechend über das Oberlid, im unteren Orbitateil gelegene Raumforderungen über das Unterlid (Abb. 15) angegangen werden. Bei allen transkutanen Zugängen wird das Septum orbitale eröffnet. Beim anschließenden Wundverschluss ist es wichtig, dass das Septum nicht separat vernäht wird, damit es im seltenen Fall einer postoperativen Blutung nicht zu einem visusbedrohenden Orbitahämatom kommt.
Es ist ratsam, an der medialen Orbitawand gelegene Prozesse (Abb. 16) gemeinsam mit HNO-ärztlichen Kollegen zu operieren, wenn die mediale Orbitawand arrodiert ist oder zusätzlich Veränderungen in den Siebbeinzellen vorliegen.
Antero-lateraler, transossärer Zugang
Dieser Zugang ist indiziert, wenn eine Raumforderung in der Tränendrüse oder im lateralen Teil der Orbita liegt. Er erlaubt eine gute Übersicht bis an die Grenze vom mittleren zum hinteren Orbitadrittel (Abb. 17). Zusätzlich zu den in der plastischen und rekonstruktiven Lidchirurgie verwendeten Instrumenten sind eine oszillierende Knochensäge und eine Knochenfasszange erforderlich. Abb. 17 illustriert die Schnittführung der Knochenschnitte.

Komplikationen

Die am meisten gefürchtete postoperative Komplikation ist die Orbitaeinblutung. Hierdurch kann es zu einer druckbedingten Ischämie des Sehnervs mit Funktionseinbußen bis hin zur Erblindung kommen. Die Funktionsminderung ist meist irreversibel, wenn der Druck nicht innerhalb eines Zeitfenster von ca. zwei Stunden entlastet wird (Lagrèze 1998). Daher ist es unbedingt notwendig, am postoperativen Tag mehrmals zu im Operationsprotokoll festgelegten Zeitpunkten den Verband abzunehmen und sich zu vergewissern, dass das operierte Auge sieht und eine normale Pupillenreaktion aufweist. Für die darauffolgende Nacht sollte das Personal angewiesen werden, bei Beschwerden wie z. B. Schmerzen oder neu aufgetretenem Druckgefühl den Verband abzunehmen und eine Orbitaeinblutung auszuschließen. Wenn es zu dieser Komplikation gekommen ist, muss die Wunde unverzüglich eröffnet werden, um die Blutungsquelle zu lokalisieren und koagulieren. Da dieses nicht immer möglich ist, kann alternativ das Ligamentum canthi laterale durchtrennt werden, was zu einer Volumenzunahme der Orbitainhalts führt. Es existieren keine genauen Angaben zur Häufigkeit einer postoperativen Orbitaeinblutung. Sie kann auch nach vermeintlich einfachen, anterior gelegenen Eingriffen auftreten.
Eine häufigere, aber weniger gravierende postoperative Komplikation ist eine durch die Operation bedingte Motilitätsstörung. Wenn sie sich nicht innerhalb von Monaten spontan zurückbildet, sind augenmuskelchirurgische Eingriffe indiziert. Wird intraoperativ zu starker Druck auf den Levator palpebrae, z. B. mit einem Orbitaspatel, ausgeübt, kann es zu einer Ptosis kommen, die sich häufig erst nach vielen Monaten langsam zurückbildet. Kommt es beim Präparieren der Zugänge zu einer Durchtrennung sensibler Nerven, klagen die Patienten postoperativ über Parästhesien im Bereich der Lider, Stirn oder Wange. Nach Monaten können sich diese Parästhesien durch Regeneration der peripher sensiblen Nerven zurückbilden.
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