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Die Geburtshilfe
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Publiziert am: 18.04.2023

Diagnostik und Therapie der fetalen und neonatalen Alloimmunthrombozytopenie

Verfasst von: Ulrich Gembruch und Annegret Geipel
Die fetale und neonatale Alloimmunthrombozytopenie (FNAIT) wird, ähnlich der fetalen und neonatalen Alloimmunanämie, durch plazentagängige maternale IgG-Alloantikörper gegen Antigene auf der Zelloberfläche der fetalen Thrombozyten hervorgerufen. Bei schweren Verläufen dieser Erkrankung kann es bereits antenatal oder perinatal nicht nur zu einer schweren Thrombozytopenie, sondern auch zu einer Hirnblutung kommen, die zum perinatalen Tod und bei Überleben häufig zu schweren bleibenden neurologischen Defiziten führt. Im Gegensatz zur Blutgruppeninkompatibilität kann es bereits während der ersten Schwangerschaft nach Sensibilisierung zu einer schweren FNAIT kommen. Sofern das Risiko einer FNAIT besteht und bekannt ist, kann eine Sekundärprävention mit wöchentlichen intravenösen Infusionen hoch dosierter Immunglobuline (IVIg) erfolgen, die eine schwere FNAIT, insbesondere aber eine Hirnblutung verhindert.

Einleitung

Die fetale und neonatale Alloimmunthrombozytopenie (FNAIT) ist eine seltene, aber schwerwiegende Erkrankung des Feten und Neugeborenen, bei der es zu einer asymptomatischen Thrombozytopenie, aber auch zu fetalen und/oder neonatalen Blutungen bis hin zu Hirnblutungen und konsekutiv perinatalen Todesfällen kommen kann. Ausgelöst wird sie – ähnlich wie bei der Blutgruppeninkompatibilität – durch maternale Alloantikörper, die bei der FNAIT gegen Plättchenantigene gerichtet sind. Als Therapie der Wahl wird derzeit die hoch dosierte intravenöse Gabe von Immunglobulinen (IVIg) an die Schwangere angesehen, mit der es fast immer gelingt, eine perinatale Hirnblutung zu verhindern. Neue Möglichkeiten der Prävention und Behandlung werden derzeit evaluiert.

Pathogenese

Die derzeit 35 bekannten Human-Platelet-Antigene (HPA) sind Epitope auf den fünf Glykoprotein-Komplexen an der Thrombozytenzellmembran, letztere bedeutsam für Plättchenfunktionen, wie Adhäsion, Aktivierung und Aggregation. Polymorphismen dieser Thrombozytenglykoproteine, meist handelt es sich um Single-Nucleotide-Polymorphismen, werden nach der HPA-Nomenklatur klassifiziert.
Bei Europäern werden 80–85 % der FNAIT-Fälle durch maternale Alloantikörper gegen das HPA-1a-Antigen hervorgerufen. HPA-1a und HPA-1b sind Allel-Varianten des β3-Integrin (Glykoprotein [GP] IIIa, CD61) infolge der Substitution der Aminosäure Prolin durch Leucin an Position 33. Antikörper gegen HPA-5b finden sich bei 10 % und HPA-3a bei 3 % der Fälle mit FNAIT (Serrarens-Janssen et al. 2008).
Die gegen die fetalen Blutplättchen gerichteten maternalen HPA-Antikörper gelangen als IgG-Antikörper aktiv durch Transzytose über Anbindung an den endosomalen fetalen/neonatalen Fcγ-Rezeptor (FcRn) durch den Synzytotrophoblasten in die fetale Zirkulation, ein Transport, der um die 16. Schwangerschaftswoche einsetzt. Durch Antikörper sensibilisierte Thrombozyten werden durch das mononukleär-phagozytäre System des Feten abgebaut; zusätzlich scheint es auch zu einer Suppression der Megakaryozytopoese durch HPA-1a Antikörper zu kommen.
Allein 16 dieser HPA-Antigene sind auf unterschiedlichen Regionen der extrazellulären Domäne der ß3-Integrin-Subunit des Intergins αIIb/ß3 (GPIIb/IIIa) lokalisiert. β3-Integrin ist nicht nur Bestandteil der αIIb/β3-Integrin-Glykoprotein-Komplexes der Thrombozyten (Fibrinogen-Rezeptor; GP IIb/IIIa oder C41/CD61), sondern auch des αV/β3-Integrin-Glykoprotein-Komplexes (Vitronectin-Rezeptor). Letzterer befindet sich u. a. an der Zelloberfläche von Endothelzellen großer und kleinster Gefäße der Mikrozirkulation. Anti-HPA-1a sind nicht zielgenau gegen kleine Peptide Leu33Pro-AS-Substitution (HPA-1a/b-Polymorphismus) gerichtet, sondern führen zu einer polyklonalen Antikörper-Reaktion, wobei verschiedene Antikörper mit differenten Domänen innerhalb der Integrin-β3- und der Integrin-α-Kette reagieren. HPA-1a-Antikörper des Anti-αVβ3-Subtyps reagieren mit den Vitronectin-Rezeptoren und führen zu einer Störung der Endothelzellfunktion und somit der Endothelzellproliferation, der Angiogenese und der endothelialen Integrität. Diese Prozesse finden in den medullären Venen des Hirns zwischen 19 und 24 SSW besonders ausgeprägt statt und werden durch die HPA-1a-Antikörper gegen Domänen des αV/β3-Integrin entscheidend gestört. Tierversuche implizieren, dass intrauterine Hirnblutungen (ICH) nur bei Anwesenheit von HPA-1a-Antikörpern des Anti-αV/β3-Subtyps auftreten, nicht aber bei schweren Thrombozytopenien infolge anderer Typen und Subtypen von HPA-Antikörpern oder anderer Genese. Dies erklärt, warum es nur bei 10–25 % der Feten und Neugeborenen mit einer schweren FNAIT-bedingten Thrombozytopenie zu einer perinatalen Hirnblutung kommt, selten aber auch bei moderaten Thrombozytopenien Hirnblutungen im Rahmen einer FNAIT auftreten können.
Der Kontakt mit inkompatiblen Blutplättchen kann zur Immunisierung führen. Bereits früh in der Schwangerschaft gelangen fetale Zellen, auch Thrombozyten in die maternale Zirkulation und können zu immunologischen Reaktionen und einer Sensibilisierung gegen HPA-Antigene führen. Im Gegensatz zur Blutgruppeninkompatibilität, die sich erst in Folgeschwangerschaften manifestiert, kommt es bei einer HPA-1a-Inkompatibilität bei rund 25 % schon während der ersten Schwangerschaft zu einer bisweilen auch schweren Form der FNAIT; bei 75 % der Schwangeren findet die Immunisierung allerdings erst intrapartal statt. Sehr selten ist die Immunisierung bei Frauen im reproduktionsfähigen Alter Folge vorheriger Thrombozytentransfusionen.
Immunisierung und Bildung von HPA-1a-Antikörpern sind stark mit dem Vorhandensein von HLA-class-II-Molekülen kodiert durch HLA-DRB3*01:01-Allele assoziiert. Diese führen zu einer optimalen HLA-1a-Peptid Präsentation und steigern dosisabhängig – bei Homozygotie stärker als bei Heterozygotie – sowohl die Konzentration der HPA-1a-Antikörper als auch die Schwere der fetalen Thrombozytopenie. Hingegen kommt es bei HLA-DRB3*01:01-nullizygoten Frauen – 72 % der HPA-1a negativen Frauen sind HLA-DRB3*01:01-negativ – extrem selten zu einer Immunisierung gegen HPA-1a-Antigen und noch seltener zu einer schweren FNAIT. DRB3*01:01-negative Frauen brauchen daher keine präventive Behandlung, auch nicht beim Nachweis niedriger Anti-HPA-1a-Konzentrationen.
Neben den durch Alloantikörper-bedingten Komplikationen beim Feten selbst scheinen diese Alloantikörper auch Entzündungsprozesse in der Plazenta auszulösen, teilweise früh in der Schwangerschaft, was die beobachtete Assoziation dieser Alloantikörper mit Plazentainsuffizienz, Wachstumsrestriktion, Totgeburt und Spontanabort erklären würde (de Vos et al. 2021; Nedberg et al. 2021; Yougbaré et al. 2017).

Epidemiologie

Ursache einer FNAIT sind bei 80–85 % der Europäerinnen HPA-1a-Alloantikörper, zu rund 10 % anti-HPA-5b, selten anti-HPA-2, -3 und -15; hingegen sind es bei Asiatinnen zumeist anti-HPA-5b, seltener anti-HPA-4b. 2,0–2,5 % der Europäerinnen haben HPA-1b/b-Allele und sind somit HPA-1a-negativ; in Ostasien sind hingegen > 99,9 % der Bevölkerung HPA-1a-postiv. Das Risiko einer Immunisierung HPA-1a-begativer Frauen durch eine Schwangerschaft wird um 9 % angegeben, bei HLA-DRB3*01:01-positiven Frauen rund 13 %. Somit sind 1:50 Schwangere HPA-1a-negativ und bei 1:400 Frauen lassen sich nach einer Schwangerschaft anti-HPA-1a-Alloantikörper nachweisen. Da bei einer FNAIT viele Kinder nur eine asymptomatische Thrombozytopenie aufweisen, ist die Inzidenz einer FNAIT nicht sicher zu beziffern. Eine schwere FNAIT, definiert als FNAIT mit einer Konzentration von < 50 Thrombozyten/nl (schwere Thrombozytopenie), wird mit 1:1500 Schwangerschaften angegeben. Die Inzidenz einer FNAIT-bedingten perinatalen Hirnblutung beträgt 1:10.000 Schwangerschaften. Unter den Fällen einer schweren FNAIT weisen zwischen 10 % und 25 % der Kinder Hirnblutungen auf.

Klinik

Eine FNAIT kann mit einer asymptomatischen Thrombozytopenie einhergehen, ebenso mit Petechien, Schleimhautblutung, Retinablutung, gastrointestinale Blutungen und Hämaturie, aber bereits ante- oder perinatal auch zu einer Hirnblutung führen; diese tritt überwiegend intraparenchymal auf, kann sich aber auch intraventrikulär ausdehnen (Abb. 1 und 2). Porenzephalie und Hydrozephalie können konsekutiv auftreten. Einige der betroffenen Feten versterben; die perinatale Mortalität einer schweren FNAIT mit Hirnblutung wird auf bis zu 35 % beziffert. Rund 60 % der überlebenden Kinder weisen nach einer Hirnblutung schwere neurologische Defizite auf (Winkelhorst et al. 2019). Bei 25–50 % der betroffenen Kinder tritt die Hirnblutung bereits in utero auf, davon zu 70 % < 34 SSW.

Diagnostik und Risikostratifikation

Zumeist wird die Diagnose einer HPA-1a-Inkompatibilität oder einer anderen HPA-Inkompatibilität erst im Rahmen einer Schwangerschaft gestellt, zumeist postnatal bei Symptomen oder bei zufälligem Nachweis einer Thrombozytopenie, selten bereits aufgrund einer antenatalen Hirnblutung. Eine generelle Bestimmung des maternalen HPA-1a-Status oder ein Screening bezüglich maternaler HPA-Alloantikörper ist zwar möglich und wird auch diskutiert, allerdings derzeit im Rahmen der normalen Schwangerenvorsorge nicht durchgeführt. Indiziert sind diese Untersuchungen aber bei Frauen, deren Schwester eine Schwangerschaft mit FNAIT hatte oder bei denen bereits Thrombozytentransfusionen erfolgt sind.
Nach einer Schwangerschaft mit FNAIT besteht ein sehr hohes Wiederholungsrisiko, sofern der Fet wiederum anti-HPA-1a-positiv ist. Auch die Schwere der FNAIT korreliert mit der der vorherigen Schwangerschaft. Ist es zu einer FNAIT-bedingten Hirnblutung gekommen, so ist das Wiederholungsrisiko für das Auftreten einer Hirnblutung in Folgeschwangerschaften bei entsprechendem fetalen Antigenstatus bei 80–90 %.
(1.) Verlauf der Indexschwangerschaft, (2.) Typ des HPA-Alloantikörpers – anti-HPA-1a und anti-HPA-3a gelten als starke Antikörper, anti-HPA-5b und anti-HPA-15 als eher schwache Antikörper, –, (3.) maternale Zygosität bezüglich HLA-DRB3*01:01 und (4.) Konzentration der Alloantikörper bestimmen das Risiko für das Auftreten einer schweren FNAIT mit Hirnblutung. Mittlerweile ist eine Standardisierung der HPA-1a-Antikörpertiterbestimmung erfolgt. In Norwegen, wird die HPA-1a-Antikörperkonzentration bereits zur Risikostratifikation in antenatalen Managementprotokollen genutzt (Tiller et al. 2020), in anderen noch nicht (de Vos et al. 2020; Pacheco et al. 2011). Weitere zukünftig mögliche Parameter zur Risikostratifikation bezüglich einer schweren FNAIT mit Hirnblutung sind, wie oben bereits ausgeführt, der Subtyp des HPA-1-a-Alloantikörpers und ferner das Glykosylierungsprofil der HPA-1a-Antikörper, ähnlich wie auch bei der Rhesus-Inkompatibilität (Kjeldsen-Kragh und Bengtsson 2020).

Antenatales Management

Wird eine fetale Hirnblutung sonografisch diagnostiziert und ergeben die nachfolgenden Laboruntersuchungen, dass ursächlich eine HPA-Inkompatibilität zugrunde liegt, ist ein individuell abgestimmtes Vorgehen vorzunehmen. Eine Option ist der Start einer Behandlung mit hoch dosierten IVIg (wöchentlich 1 g/kg maternalem Körpergewicht), nach der 34. SSW aber auch die Entbindung mittels elektiver Sectio caesarea gefolgt von postnatale Thrombozytentransfusionen. Bei entsprechender Ausdehnung der zerebralen Schädigung ist auch der Abbruch der Schwangerschaft zu diskutieren.
Ist es in einer vorherigen Schwangerschaft zu einer FNAIT gekommen oder ist bekannt, dass die Schwangere HPA-1a-negativ ist, so sollte die HPA-1a-Zygosität des Kindsvaters eruiert werden (Lieberman et al. 2019; Winkelhorst et al. 2017); ist er für HPA-1a-Allel homozygot (HPA-1a/1a), so wird der Fet HPA-1a-positiv (HPA-1a/1b) sein, ist der Kindsvater heterozygot, so kann der Fet ebenfalls heterozygot, zu 50 % aber auch HPA-1a-negativ (HPA-1b/1b) sein. Für andere HPA-Typen wird entsprechend vorgegangen (Kjeldsen-Kragh und Bengtsson 2020).
Besteht die Möglichkeit, dass der Fet HPA-1a-negativ sein könnte, erfolgt die Bestimmung des fetalen Antigenstatus. Hierzu ist es nicht mehr erforderlich, eine Amniozentese durchzuführen; der fetale HPA-1a-Status kann mittlerweile zuverlässig nicht-invasiv im maternalen Blut anhand der dort zirkulierenden zellfreien fetalen DNA bestimmt werden (Kjeldsen-Kragh und Hellberg 2022).
Bestätigt sich, dass bei positiven maternalen HPA-Alloantikörpern der Fet das betroffene Antigen aufweist, gilt es, eine schwere FNAIT, insbesondere eine ante- und perinatale Hirnblutung, zu verhindern. Hierzu sind wöchentliche Gabe von hoch dosierten IVIg an die Mutter geeignet (de Vos et al. 2022; Lieberman et al. 2019; Pacheco et al. 2011; Tiller et al. 2020; Winkelhorst et al. 2017). Die früher durchgeführte Behandlung der fetalen Thrombozytopenie mittels wiederholter intrauteriner Transfusionen eines Thrombozytenkonzentrats ist mittlerweile verlassen, da sie komplikationsbehaftet und auch weniger effektiv ist (Winkelhorst et al. 2017). Auch wirken Thrombozytentransfusionen nicht gegen die anti-αVβ3-bedingte Störung der Endothelzellenfunktion und der Angiogenese.
Immunglobulin-G-Konzentrate werden mittels Plasmapherese aus gepooltem Donorblut gewonnen. Die maternalen IVIg-Therapie mit der Dosis von wöchentlich 1 g IVIg pro kg maternalem Körpergewicht benötigt für eine 70 kg schwere Schwangere bei 20 Gaben 1400 g IVIg, was eine Plasmapherese von rund 160 Stunden erfordert (Tiller et al. 2020). Deshalb ist diese Therapie nicht nur sehr teuer, sondern ist auch nur begrenzt verfügbar. Daher sollten die Behandlungsalgorithmen entsprechend dem Risiko modifiziert werden, insbesondere dann, wenn eine generelle Bestimmung des maternalen HPA-1a-Status und nachfolgend ein Screening auf HPA-1a-Antikörper eingeführt werden sollte. Bei der Behandlung mit hoch dosierten IVIg kann es zu maternalen Nebenwirkungen kommen, und zwar zu Reaktionen an der Einstichstelle, Müdigkeit, Fieber, Rash, Kopfschmerzen, Myalgie, Übelkeit und Erbrechen, selten Erythema multiforme, Stevens-Johnson Syndrom, Anaphylaxie, akutes Nierenversagen, Atemnot und Hämolyse.
Die verabreichten IgG-Antikörper blockieren kompetitiv FcRn-Rezeptoren der Plazenta und reduzieren somit den Transport von anti-HPA in die fetale Zirkulation, hemmen aber auch über die FcRn-Rezeptoren der Endothelzelle und Monozyten das Recycling von anti-HPA-1a im maternalen Blut und beschleunigen so deren Abbau.
Derzeit werden bei Hochrisikoschwangeren – vorhergehendes Kind mit schwerer FNAIT und Hirnblutung – bereits früh mit 12–16 SSW die wöchentlichen Gaben von 1 g IVIg/kg maternalem Körpergewicht begonnen (de Vos et al. 2020), in den U.S.A. sogar mit der Dosis von 2 g IVIg/kg (Pacheco et al. 2011), und bis zur Entbindung mit 35–36 SSW fortgesetzt. Bei Schwangeren mit geringerem Risiko für eine fetale FNAIT-bedingte Hirnblutung – vorhergehendes Kind mit FNAIT ohne Hirnblutung – werden derzeit eine Therapie mit 0,5 g IVIg/kg maternalem Körpergewicht ab 20 SSW empfohlen (de Vos et al. 2020), in den U.S.A. aber auch hohe Dosen von 1 g IVIG/kg ab 12 SSW mit einer Dosiserhöhung auf 2 g/kg ab 32 SSW (Pacheco et al. 2011). Die Entbindung kann nach den niederländischen Empfehlungen auch vaginal erfolgen, nach dem US-amerikanischen Protokoll sollte sie durch eine Sectio caesarea erfolgen. Durch eine derartige Behandlung kann das Auftreten einer FNAIT-bedingten antenatalen Hirnblutung nahezu immer verhindert werden, auch wenn eine schwere Thrombozytopenie bei rund 20 % der Feten bestehen bleibt. In Tierversuchen zeigen Anti-β3-Integrin-positive Mäuse nach repetitiver IVIg-Behandlung im Gegensatz zu den nicht-behandelten Kontrolltieren neben einer Normalisierung der Thrombozytenkonzentration auch eine normale zerebrale Angiogenese, deren Störung wohl der entscheidende Faktor für die Entstehung der FNAIT-bedingten Hirnblutung (Yougbaré et al. 2015). Die neurologische Langzeitentwicklung der im Rahmen der FNAIT mit IVIg-Infusionen behandelten Kinder zeigt keinen Unterschied zu Normalkollektiv (de Vos et al. 2022).
Abweichend von diesem therapeutischen Vorgehen wird in Norwegen nur die Gruppe von Hochrisikoschwangeren mit einer FNAIT-bedingten Hirnblutung in einer vorherigen Schwangerschaft mit IVIg behandelt; Risikoschwangere mit FNAIT, aber ohne Hirnblutung erhalten hingegen keine IVIg (Tiller et al. 2020). Das Outcome letzterer Gruppe unterschied sich aber nicht vom Outcome einer IVIg-behandelten Vergleichsgruppe mit gleicher Risikokonstellation, wobei die Untergruppe von Schwangeren mit einer hohen Anti-HPA-1a-Konzentration generell mittels Kaiserschnitt entbunden wurde (Ernstsen et al. 2022). Aufgrund dieser Studie wären IVIg-Gaben nur bei Schwangeren mit einer FNAIT mit perinatalen Hirnblutungen (ICH) in einer vorherigen Schwangerschaft erforderlich, nicht aber bei denen mit einer FNAIT ohne Hirnblutung.

Postnatales Management

Die postnatale Therapie der FNAIT ist von der neonatalen Thrombozytenkonzentration abhängig. Liegt sie < 25 Plättchen/nl oder besteht eine aktive Blutung, erfolgen Thrombozytentransfusionen, um das Auftreten von Blutungen zu verhindern. Bei > 50 Plättchen/nl erfolgt eine klinische Überwachung, bis eine Plättchenkonzentration > 100/nl erreicht ist. In der Gruppe mit einer Plättchenkonzentration zwischen 25 und 50/nl wird nur bei aktiven Blutungen transfundiert, da bei Frühgeborenen vermehrt Hirnblutungen bei genereller Transfusion zwischen 25 und 50 Plättchen/nl beobachtet wurden (de Vos et al. 2020). Auch wenn HPA-gematchte Thrombozytenkonzentrate zu bevorzugen sind, können im Notfall auch gepoolte, nicht selektierte verwendet werden (Lieberman et al. 2019), ohne dass nachteilige Effekte zu erwarten sind (de Vos et al. 2020). Postnatale IVIg-Gaben scheinen keinen positiven Effekt zu haben (de Vos et al. 2020).

Neue Perspektiven

Diskutiert wird in Analogie zur Erythrozyten-Inkompatibilität eine generelle Bestimmung des HPA-1a-Antigenstatus bereits nach Eintritt der Schwangerschaft und ein Antikörper-Screening bei HPA-1a-negativen Schwangeren. Lassen sich keine Antikörper nachweisen, kann ein Antikörper-Screening nochmals in der Schwangerschaft wiederholt werden. Bei weiterhin HPA-1a-negativen und HLA-DRB3*01:01-positiven Frauen kann möglichst bereits vor oder auch direkt nach Geburt der Antigen-Status des Kindes bestimmt werden und bei einem HPA-1a-positiven Kind eine prophylaktische Impfung mit gepoolten IgG bereits sensibilisierter Spenderinnen erfolgen, um wie bei der Rhesus D-Prophylaxe so eine intrapartale Sensibilisierung zu verhindern. Eine skandinavische Phase-III-Studie hierzu ist noch nicht abgeschlossen (Kjeldsen-Kragh et al. 2012; Kjaer et al. 2020). Ein monoklonaler Antikörper, der sowohl an αVβ3-Integrin als auch an αIIbβ3-Integrin bindet, ist in Entwicklung (Kjaer et al. 2020).
Werden bei diesem Vorgehen hingegen Anti-HPA-1a-Antikörper nachgewiesen und ist die Schwangere zudem HLA-DRB3*01:01-positiv, so erfolgt bei heterozygotem oder unbekanntem Kindsvater die HPA-1a-Antigen-Bestimmung des Feten aus der zellfreien DNA im maternalen Blut. Bei HPA-1a-Antigen-positiven Feten erfolgt nach weiterer Risikostratifikation eine prophylaktische IVIg-Behandlung zur Vermeidung einer FNAIT-bedingten Hirnblutung.
Vielversprechend ist die Behandlung mit FcRn-Rezeptor blockierenden Antikörpern, die den plazentaren Transport von HPA-Alloantikörpern verhindern, ebenso wie deren Recycling in den Monozyten und Endothelzellen (Patel und Bussel 2020; Bussel et al. 2021). Eine Phase-II-Studie mit FcRn-Rezeptoren blockierenden Antikörpern (Nipocalimab) ist derzeit in Planung, allerdings zunächst bei Schwangerschaften mit einer zu erwartenden schweren Rhesus-D-Inkompatibilität; im Gegensatz zur Alloimmunthrombozytopenie kann bei fehlender oder unzureichender Wirksamkeit das Auftreten einer relevanten fetalen Alloimmunanämie antenatal nicht-invasiv rechtzeitig erkannt und behandelt werden (Castleman et al. 2021).
Literatur
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