Am Freitag, den 25. August, startet in Amsterdam mit der Jahrestagung der European Society of Cardiology (ESC) 2023 der weltweit größte Herzkongress des Jahres. Wir geben Ihnen eine Vorschau auf wichtige neue Studien, die dort in diversen „Hot Line“-Sitzungen präsentiert werden.
Schon 2020 hätte Amsterdam Schauplatz des ESC-Kongresse sein sollen. Die COVID-19-Pandemie machte damals einen Strich durch die Rechnung. Drei Jahre später ist in der Grachtenstadt nun alles für einen informativen und nicht mehr nur per Online-Teilnahme zu verfolgenden Herzkongress vorbereitet.
Eine Schwerpunktthema des diesjährigen ESC-Kongresses ist die Herzinsuffizienz. Fast ein Drittel der für „Hot Line“-Sitzungen vorgesehenen neuen Studien beschäftigen sich mit diesem Thema. Nicht weniger als neun „Hot Line“-Sitzungen mit insgesamt 30 dort erstmals präsentierten kardiologischen Studien stehen auf dem Programm.
Neues zur Herzinsuffizienz des HFpEF-Phänotyps
Eröffnet wird der Studienreigen in der Sitzung „Hot Line 1“ mit der STEP-HFpEF-Studie. In dieser Studie geht um die Therapie bei einer besonderen Form der Herzinsuffizienz, nämlich Herzinsuffizienz mit erhaltener Auswurffraktion (HFpEF) bei Patienten mit Adipositas. Vermutet wird, dass die Fettleibigkeit und damit einhergehende metabolische Störungen wesentlich zur Entwicklung dieses häufigen HFpEF-Phänotyps beitragen. STEP-HFpEF wird zeigen, ob eine Behandlung mit dem GLP-1-Agonisten Semaglutid nicht nur gewichtsreduzierend wirksam ist, sondern darüber auch die Herzsuffizienz-Symptomatik substanziell verbessern kann.
Antikoagulation schon bei Nachweis von atrialen Hochfrequenz-Episoden?
Als nächstes folgt die von Prof. Paulus Kirchhof, Universitäres Herz- und Gefäßzentrum Hamburg, vorgestellte NOAH-AFNET-6-Studie. Für diese vom Kompetenznetz Vorhofflimmern e.V. (AFNET) durchgeführte und vom Deutsche Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) unterstützte Studie sind gezielt Patienten mit per Herzschrittmacher- oder ICD-Device detektierten atrialen Hochfrequenz-Episoden (Atrial High Rate Episodes oder AHRE) ausgewählt worden. Geklärt werden sollte, ob eine orale Antikoagulation mit einem NOAK (Edoxaban) bereits bei diesen Patienten zur Prävention von Schlaganfällen nutzbar ist. Schon seit September 2022 ist nach einer DZHK-Mitteilung bekannt, dass die Studie mangels Aussicht auf einen Wirkungsnachweis vorzeitig gestoppt wurde.
Test von Colchicin auf Wirkung gegen Vorhofflimmern bei Operationen
Mit COP-AF steht dann eine große randomisierte Studie auf dem Programm, in der es um die Frage geht, ob eine antiinflammatorische Behandlung mit Colchicin bei chirurgischen Patienten mit nicht aus kardialen Gründen vorgenommenen größeren Operationen das Risiko für perioperatives Vorhofflimmern oder Myokardschädigungen reduzieren kann. Für die in elf Ländern durchgeführte Studie war eine Aufnahme von bis zu 3.200 Patienten angestrebt worden.
Auch China steuert eine große Studie zum „Hot Line“-Programm des ESC-Kongresses bei. In der QUEST-Studie sollte geklärt werden, ob das in der traditionellen chinesischen Medizin verwendete Mittel Qiliqiangxin geeignet ist, die Prognose von Patienten mit Herzinsuffizienz mit reduzierter linksventrikulärer Auswurffraktion ≤40% (HFrEF) zu verbessern. Primärer Endpunkt der Studie, an der mehr als 4.000 Patienten beteiligt waren, ist die Inzidenz von kardiovaskulären Todesfällen und Hospitalisierungen wegen Herzinsuffizienz.
Noch mehr Daten zur Eisen-Substitution bei Herzinsuffizienz
In gleich zwei „Hot Line“-Präsentationen steht die intravenöse Behandlung mit Eisen-Carboxymaltose bei Patienten mit Herzinsuffizienz und Eisenmangel im Blickpunkt. Zunächst werden die Ergebnisse der randomisierten HEART-FID-Studie vorgestellt, in der bei mehr als 3000 Patienten mit symptomatischer systolischer Herzinsuffizienz (HFrEF) die Effekte dieser Behandlung auf die Mortalität und auf Klinikeinweisungen wegen Herzinsuffizienz untersucht worden sind. Es folgt eine auf individuellen Patientendaten aus mehreren Studien gestützten Metaanalyse, die Aufschluss über die Wirkung von Eisen-Carboxymaltose auf die Inzidenz von wiederholten Hospitalisierungen wegen Herzinsuffizienz geben soll.
Fokus auf kardiale Bildgebung bei perkutaner Koronarintervention
Ein wichtiges Thema beim ESC-Kongress ist auch die Bedeutung der kardialen Bildgebung bei perkutaner Koronarintervention (PCI). Zwei „Hot Line“-Studien (ILUMIEN IV, OCTOBER) beschäftigen sich mit der Frage nach dem Nutzen einer intravaskulären Bildgebung mittels optischer Kohärenztomografie (OCT) im Vergleich zur standardmäßigen Koronarangiografie bei PCI. In einer weiteren Studie (OCTIVUS) ist ein direkter Vergleich von OCT- versus IVUS-gesteuerter PCI vorgenommen worden. In einer vierten Präsentation geht es schließlich um eine Netzwerk-Metaanalyse, die Aufschluss darüber geben soll, welche der drei bildgebenden Modalitäten die beste im Hinblick auf eine Prognoseverbesserung ist.
Was bringt ECMO bei kardiogenem Schock?
Professor Holger Thiele aus Leipzig wird beim ESC-Kongress die randomisierte ECLS-SHOCK-Studie präsentieren. Von ihren Ergebnissen erhofft man sich grundlegende Erkenntnisse in der Frage, ob ein „extracorporeal life support“ (ECLS) durch venoarterielle extrakorporale Membranoxygenierung (vaECMO) bei Patienten mit infarktbedingtem kardiogenem Schock von klinischem Nutzen ist. Prüfstein dafür ist die 30-Tage-Mortalität.
Plättchenhemmung ganz ohne ASS bei PCI
Kein ESC-Kongress ohne Studien zur plättchenhemmenden Therapie nach PCI-Prozeduren. In jüngster Zeit kristallisiert sich hier immer mehr die Monotherapie mit einem P2Y12-Blocker aufgrund eines niedrigeren Blutungsrisikos als attraktive Alternative zur dualen Plättchenhemmung (DAPT) mit P2Y12-Blocker plus ASS heraus. Um die Frage, ob man dabei ganz ohne ASS auskommen kann, geht es in der STOPADAPT-3-Studie. An Zentren in Japan sind dafür rund 6.000 KHK-Patienten mit hohem Blutungsrisiko und/oder akutem Koronarsyndrom vor einer PCI randomisiert einer Monotherapie mit Prasugrel oder einer konventionellen DAPT mit Prasugrel plus ASS zugeteilt worden. Primärer Endpunkt ist die Inzidenz von schweren Blutungen und kardiovaskulären Ereignissen im ersten Monat nach der PCI-Prozedur.
Erste randomisierte Vergleichsstudie zum Nutzen der Pulsed-Field-Ablation
Neues gibt es auch zur Pulsed-Field-Ablation (PFA), die als innovative und ohne thermische Energie auskommende Methode zur Ablationstherapie bei Vorhofflimmern derzeit auf großes Interesse stößt. Sie ist in Deutschland seit 2021 verfügbar. Mit ADVENT wird bei ESC-Kongress eine prospektive randomisierte Studie erwartet, in der die PFA erstmals direkt mit zwei konventionellen, auf der Anwendung thermischer Energien basierenden Ablationsverfahren (Radiofrequenz- bzw. Kryoballon-Ablation) bei Patienten mit paroxysmalem Vorhofflimmern verglichen worden ist. Die Hoffnung besteht, mit der neuen Verödungsmethode durch sogenannte Elektroporation eine effektive Ablation bei gleichzeitiger Schonung angrenzender Gewebestrukturen erzielen zu können.
Ist Katheterablation bei terminaler Herzinsuffizienz noch von Nutzen?
Prof. Christian Sohns von Herz- und Diabeteszentrum Bad Oeynhausen wird mit CASTLE-HTx eine randomisierte Studie bei einer speziellen Patientengruppe mit Herzinsuffizienz vorstellen. Die zu klärende Frage war, ob bei schwerstkranken Patientinnen und Patienten mit terminaler Herzinsuffizienz, die bereits Kandidaten für eine Herztransplantation sind oder dafür geeignet erscheinen, eine Katheterablation von Vorhofflimmern noch von klinischem Nutzen ist. Im Fokus stehen primär die Auswirkungen der Ablation auf die Gesamtmortalität sowie auf Verschlechterungen der Herzinsuffizienz, die eine dringende Herztransplantation oder Implantation eines kardialen Unterstützungssystems (LVAD) erfordern.
Aktualisierungen einiger ESC-Leitlinien
Der ESC-Kongress ist traditionell auch Plattform für die Vorstellung neuer oder aktualisierter europäischer Leitlinien im Bereich der Kardiologie. In diesem Jahr wird es Leitlinien-Updates zum Management bei akutem Koronarsyndrom und zu den Themen Kardiomyopathie, Endokarditis sowie kardiovaskuläre Erkrankungen und Diabetes geben, außerdem eine sogenannte fokussierte Aktualisierung (focused update) zu den zuletzt 2021 überarbeiteten ESC-Leitlinien zum Management bei Herzinsuffizienz.