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30.10.2023 | Sonderbericht | Online-Artikel

Antibiotikaresistenzen mit Phytotherapie minimieren

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Antibiotika sind das wichtigste Hilfsmittel in der Behandlung bakterieller Infektionen. Doch aufgrund ihres unkritischen Einsatzes wächst die Zahl multiresistenter Bakterienstämme seit Jahrzehnten. Darum sind neue Strategien gefordert, um diese Entwicklung zu verlangsamen, ohne einzelne Antibiotika zu verlieren. Zur Lösung des Problems tragen auch evidenzbasierte, leitliniengerechte Phytotherapien bei.

Multiresistente Bakterien haben laut Professor André Gessner, Institut für Mikrobiologie und Hygiene, Universität Regensburg, in Europa im Jahr 2015 etwa 33.000 Todesfälle verursacht, ähnlich viele wie Grippe, Tuberkulose und HIV zusammen. Schätzungen zufolge summieren sich die Zusatzkosten für Gesundheitsversorgung und Produktivitätsverluste auf mindestens 1,5 Milliarden Euro. „Wenn wir das Ruder nicht drastisch herumreißen, wird diese Entwicklung dazu führen, dass wir im Jahr 2050 geschätzt zehn Millionen Todesfälle durch Infektionen mit multiresistenten Keimen sehen werden - das sind mehr als durch Krebs und Verkehrsunfälle zusammen“, zitierte Gessner weltweite Hochrechnungen.

Wettlauf Resistenzlage

Ursache für die Resistenzausbreitung ist der Selektionsdruck auf die Bakterien durch den Einsatz von Antibiotika [1]. Um dem entgegenzuwirken, sei der Umstieg auf neue Antibiotika kontraproduktiv, erklärte Gessner. Der unkritische Einsatz neuer Antibiotika habe sich sogar als Treiber der Resistenzentwicklung entpuppt; in der Regel zeigten sich schon sehr kurz nach der Markteinführung zum Teil relevante Resistenzen. Das erkläre sich damit, dass Bakterien sich gegenseitig mit antibiotischen Mechanismen bekämpfen und entsprechende Resistenz- vermittelnde Schutzmechanismen entwickelt hätten, die mit einem neuen Antibiotikum selektioniert würden. Da dieser Wettlauf nicht gewonnen werden könne, zögen sich Pharmafirmen aus der Forschung und Entwicklung von Antibiotika zurück, so Gessner.

Unbestritten sind Antibiotika-Resistenzen derzeit eine der größten Herausforderungen für die globale Gesundheit [2]. Ihre Entstehung könne nicht verhindert, aber verlangsamt werden. Antibiotika könnten allerdings nur als wirksame Therapien erhalten bleiben, wenn die verfügbaren Substanzen sorgsam eingesetzt würden. Die World Health Organization hat deshalb für die Antibiotikanutzung die AWaRe (Access-Watch-Reserve)-Klassifikation entwickelt (s. Abb. 1) [3].

Wenn überhaupt, sollten gemäß des Schemas zuerst verschreibungspflichtige Antibiotika mit geringem Resistenzpotenzial und einer oft besseren klinischen Wirksamkeit (Access-Kategorie) eingesetzt werden, so Gessner. An zweiter Stelle stünden die kritisch wichtigen Watch-Antibiotika mit hohem Resistenzpotenzial (Breitspektrumantibiotika). Die Reserveantibiotika schließlich sollten dem Notfall vorbehalten sein, damit nicht so schnell Resistenzen selektioniert werden. Auch in Deutschland biete das sogenannte Antibiotic Stewardship, eine Initiative des US Centers for Disease Control und Prevention, Unterstützung. Bisher sei es bei uns aber nur in Kliniken gut etabliert und müsse für den ambulanten Bereich angepasst werden.

Leitliniengerecht und evidenzbasiert

Für die Therapieentscheidung in der Praxis müsse laut Gessner bedacht werden, dass 90 Prozent der Atemwegsinfektionen viral bedingt sind und Antibiotika nicht wirken, sondern sogar schaden. Aktuellen Erkenntnissen nach induzieren sie z. B. Mikrobiomveränderungen und greifen das Immunsystem an, erklärte Gessner. Er plädiert deshalb im Einklang mit den Empfehlungen in den Leitlinien anstelle von Antibiotika für eine evidenzbasierte Phytotherapie in der Erstlinie. Laut den Empfehlungen der S2k-Leitlinie kann eine Behandlung der akuten Rhinosinusitis mit einem patentierten (Misch-)Extrakt (BNO 1016, Sinupret®) empfohlen werden (starker Konsens 6/6) [4]. Bei akutem Husten von Erwachsenen entspricht die Zusammensetzung aus Thymian und Efeu (enthalten in Bronchipret®) einer leitliniengerechten Therapie [5, 6]. Ist aber ein Antibiotikum indiziert, sollte die „schmalste“, sicherste und kürzeste Therapievariante nach der 4D-Regel (Drug, Dose, Duration, Deescalation) genutzt werden, so Gessner.


VERANSTALTUNG
Expertenworkshop „Antibiotika – Fluch und Segen – Phytotherapeutika als evidenzbasierte und leitliniengerechte Therapieoption“, virtuell, 4. September 2023
 

Literatur: 

[1] Robert Koch-Institut (RKI), https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/Krankenhausinfektionen-und-Antibiotikaresistenz/FAQ_Liste.html (letzter Zugriff: 26.09.23)
[2] RKI, Grundwissen Antibiotika, https://www.rki.de/DE/Content/Infekt/Antibiotikaresistenz/Grundwissen/Grundwissen_inhalt.html (letzter Zugriff: 26.09.23)
[3] WHO, https://www.who.int/publications/i/item/2021-aware-classification (letzter Zugriff: 26.09.23)
(4) DEGAM/HNO: S2k-Leitlinie Rhinosinusitis, AWMF-Registernummer: 017-049, aktueller Stand
[5] DEGAM: S3-Leitlinie Husten, AWMF-Registernummer: 053-013, aktueller Stand
[6] DGP: S2k-Leitlinie Husten, AWMF-Registernummer: 020-003, aktueller Stand

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Verantwortlich: Ulrike Hafner
Bericht: Ute Ayazpoor, Mainz
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