verfasst von:
Mag. Dr. med. univ. Verena-Maria Schmidt, MA, PD MMag. Dr. rer. nat. Johannes Dominikus Pallua, MSc PhD, Primar. Dr. med. univ. Anton Kasper Pallua, Dr. med. univ. Stefan Benedikt, Univ.-Prof. Dr. med. univ. Rohit Arora, ao. Univ.-Prof. Dr. med. univ. Bettina Zelger, Univ.-Prof. Dr. med. univ. Reto Bale, ao. Univ.-Prof. Dr. med. univ. Walter Rabl, MME
Es wird der Todesfall einer 90 Jahre alt gewordenen Frau, die mittels Einbettung in Katzenstreu mumifiziert wurde, vorgestellt. Die Frau lebte mit ihrem arbeitslosen Sohn zusammen. Nach ihrem Tod verheimlichte der Sohn ihr Ableben vor den Behörden und konservierte ihre Leiche im Keller mittels Katzenstreu. Mehr als ein Jahr später wurde die mumifizierte Leiche entdeckt. Der Bericht beschreibt die Bergung der Leiche, die bildgebenden Verfahren, die Obduktion, die histologischen Befunde, die Ergebnisse der Toxikologie und die rechtliche Bewertung des Falles.
Hinweise
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Hinweis des Verlags
Der Verlag bleibt in Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutsadressen neutral.
Fallbericht
Umstände
Anfang September 2021 sollte bei einer 90-jährigen Frau im Rahmen einer routinemäßigen Überprüfung für die Pensionsversicherung („Lebendprüfung“) seitens der örtlich zuständigen Polizeiinspektion eine Befragung an deren Wohnadresse erfolgen. Die Wohnung wurde vom arbeitslosen Sohn, der mit seiner Mutter im gemeinsamen Haushalt lebte, geöffnet. Dieser gab an, dass seine Mutter stationär im Krankenhaus aufgenommen worden sei. Im Krankenhaus wurde ermittelt, dass sich die Frau letztmalig vor zwei Jahren dort aufgehalten habe. Damit konfrontiert äußerte der Sohn hinsichtlich des Aufenthaltes seiner Mutter: „Die liegt im Keller.“ Bei der Nachschau wurde in einer Holzkiste, die mit einer Plane ausgelegt und mit Katzenstreu befüllt war, ein mumifizierter Leichnam aufgefunden. Laut dem Sohn sei seine Mutter bereits vor rund 15 Monaten in ihrem Schlafzimmer verstorben. Er habe die Leiche – um weiterhin seinen Lebensunterhalt mit dem Pensionsgeld seiner Mutter bestreiten zu können – seither im Keller verwahrt. Anfangs habe er dem Leichnam noch wiederholt Kühlelemente beigegeben und die Katzenstreu regelmäßig gewechselt, um die Geruchsbildung zu unterbinden.
Auffindesituation
Die weibliche Leiche befand sich in Rückenlage mit angewinkelten Beinen in einer mit Kunststofffolie mehrlagig ausgeschlagenen Holzkiste in einem Kellerraum (Abb. 1a, b). Zusätzlich fanden sich darin mehrere handelsübliche Kälteakkus, Plastikflaschen mit klarer Flüssigkeit und feinbröckeliges, weißes Material, bei dem es sich um nichtklumpende Katzenstreu auf mineralischer Basis handelte. Die Leiche selbst war mit weißem, teils flüssigkeitsdurchtränktem Krepppapier abgedeckt. Mund und Augen waren mit Tupfern abgedeckt (Abb. 1c). Die Körpervorderseite war dick mit dem feinbröckeligen, weißen Material bedeckt (Abb. 1d). Dieses wurde vorsichtig abgesaugt und mittels Pinsel so weit wie möglich entfernt. An der Körperrückseite war ein gemustertes, teils leicht feuchtes Kleidungsstück zu erkennen (Abb. 1e). Noch vor den weiteren Untersuchungen erfolgte eine postmortale Computertomographie (pmCT).
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Postmortale Computertomographie
Für die pmCT wurde ein Siemens Somatom Confidence (Fa. Siemens, Erlangen, Deutschland) eingesetzt, mit folgenden Scan-Parametern: 3 mm Schichtdicke, 100 kV, 170 mA. An der Leichenoberfläche war Katzenstreu nachweisbar, mit Akkumulationen im Hals- und im Extremitätenbereich. In Mund- und Augenhöhlen war Tupfermaterial erkennbar (Abb. 2a). Im Schädelinneren waren – bedingt durch die Lagerung des Leichnams in Rückenlage – okzipital Hirngewebsreste sichtbar (Abb. 2a, b). Die groben Strukturen des Gehirns waren vorhanden und wiesen keine Hinweise auf Blutungen auf. Eine zerebrale Plexussklerose war erkennbar (Abb. 2b). An der rechten Hinterhaupthälfte bestand ein ausgeprägtes venöses Emissarium (Normvariante; Abb. 2c, d). Zungenbein und Kehlkopfskelett waren unverletzt (Abb. 3a, b). Die Lungenflügel waren kollabiert und in ihren Umrissen noch vorhanden, die Alveolarstrukturen waren deutlich erkennbar (Abb. 4a). Das Herz zeigte Fibrineinlagerungen im Bereich der Verkalkungen der Herzkranzgefäße. In den großen arteriellen Gefäßen wurden höhergradige arteriosklerotische Veränderungen festgestellt (Abb. 4b, c). Weiterhin war eine Verknöcherung der Rippenknorpel erkennbar (Abb. 4c). Im Magen war kein Hinweis auf Blut zu erheben (Abb. 4d). Alle Knochen waren in ihrer anatomischen Lage und unverletzt. Allerdings zeigten sich an der Wirbelsäule pathologische Veränderungen wie Fischwirbel (Abb. 4f) als möglicher Hinweis auf einen M. Bechterew, darüber hinaus Bandscheibenprotrusionen (Abb. 4e) und ausgedehnte alterstypische spondylarthrotische Veränderungen. Die 3D-Rekonstruktionen zeigten, dass die Bänder erhalten geblieben und insbesondere in der Nähe der Gelenkflächen gut sichtbar waren. Auch Überreste aller wichtigen Muskelgruppen waren erhalten.
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Obduktion
Bei einer Körperlänge von 164 cm wog der Leichnam nunmehr 26 kg. Die Frau war mit einem gemusterten Nachthemd und einer Einmalwindelhose bekleidet. Die zweifelsfreie Identifizierung erfolgte anhand eines molekularbiologischen Abgleichs mit dem Sohn. An der Leichenoberfläche und im Inneren – z. B. in den vorderen Schädelgruben (Abb. 5a, b) – bestand reichlich weißer Schimmelbewuchs. Im Mund befanden sich drei Kugeltupfer, die nicht bis in den Rachenraum reichten. Das Gehirn war lagekonform in den hinteren Schädelgruben kondensiert, wobei auf orientierenden Schnitten die groben Strukturen differenziert werden konnten (Abb. 5b). Zungenbein und Kehlkopfskelett waren verknöchert und intakt. Die Brustorgane waren vertrocknet, die Lungen kollabiert (Abb. 5c). An besonderen Befunden zeigten sich höhergradige arteriosklerotische Veränderungen der Aorta und herdförmig stenosierende Einlagerungen in den Koronarien (Abb. 5d). Auch die Bauchorgane waren fortgeschritten vertrocknet. Am Harnblasengrund lag wenig kondensiertes, hellgelbes Material (Abb. 5e), das für chemisch-toxikologische Untersuchungen asserviert wurde. An der Magenschleimhaut fielen rotbraune Reste – wie von Blut – auf (Abb. 5f), wobei dies im CT so nicht abgrenzbar war.
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Histologie
Das im Rahmen der Leichenöffnung gewonnene Gewebsmaterial wurde standardgemäß fixiert, entwässert und in Paraffin eingebettet. Die 4 µm dicken Schnitte wurden mit Hämatoxylin-Eosin (HE) sowie Chromotrop-Anilinblau (CAB) gefärbt. Von Lungen- und Lebergewebe wurden zudem Gefrierschnitte angefertigt und mit Sudan III gefärbt. Autolysebedingt war die Beurteilbarkeit erheblich eingeschränkt, die Organarchitektur mitunter nur schemenhaft erkennbar. Die Gewebe zeigten vollständigen Kernverlust, und es bestanden reichlich kristalline Ausfällungen in Form von Leucin- und Tyrosinkristallen. In der Lunge war eine Anthrakose zu sehen, und es zeigten sich Alveolarsepten ohne erhaltene Pneumozyten und erkennbare myogene Wandungen mittelgroßer Gefäße (Abb. 6a). Eine pulmonale Fettembolie war in der Sudan-III-Färbung nicht nachzuweisen. Das Leberparenchym war nicht mehr beurteilbar und das Nierenparenchym nur andeutungsweise zu erkennen, mit vereinzelt verdichteten nodulären Arealen, Glomerulosklerosen entsprechend (Abb. 6b, c). Die getroffenen Herzkranzarterien wiesen stenosierende arteriosklerotische Einlagerungen mit ausgeprägter Mediaverkalkung und Lumeneinengung über 50 % auf (Abb. 6d). Zwischen den Myokardfasern bestanden vermehrt feinstreifige Bindegewebseinlagerungen, die – v. a. in Zusammenschau mit den koronarsklerotischen Veränderungen – an ein rezidivierendes Infarktgeschehen denken ließen.
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Chemisch-toxikologische Untersuchungen
Für chemisch-toxikologische Untersuchungen wurden im Rahmen der Obduktion Teile der inneren Organe (Gehirn, Leber, Niere), Blutreste aus den großen Gefäßen und kondensiertes Material (Harnrest) aus der Harnblase asserviert, in welchem das Laxans Bisacodyl nachgewiesen werden konnte. Sonstige körperfremde Substanzen wurden weder in den Proben noch in der klaren Flüssigkeit aus den Plastikflaschen festgestellt.
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Klinische Befunde
Die Krankenhausunterlagen zeigten folgende Vorerkrankungen: arterielle Hypertonie, Demenz, Vorhofflimmern, „Halswirbelsäulenprobleme“, Pankreaslipomatose, zerebrale Vasosklerose sowie Harn- und Stuhlinkontinenz. Die letzte ambulante Krankenhausvorstellung erfolgte nach einem häuslichen Sturz 2 Jahre vor Auffindung mit den Diagnosen „Schädelprellung“ und „Riss-Quetsch-Wunde am Hinterkopf“. Das Körpergewicht der Patientin war in den Unterlagen nicht verzeichnet.
Rechtliche Bewertung
Der Sohn wurde vor dem Landesgericht wegen schweren gewerbsmäßigen Betruges nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 1. Fall, 15 StGB und des Vergehens der Störung der Totenruhe nach § 190 Abs 1 StGB angeklagt und zu einer 15-monatigen Freiheitsstrafe, davon 10 Monate auf Bewährung, verurteilt. Die Berufung gegen die Strafe wurde vom Oberlandesgericht abgelehnt.
Diskussion
Die Befundaufnahme und -interpretation war aufgrund der fortgeschrittenen Leichenveränderungen hochgradig erschwert. Die Befunde sprachen nicht gegen die Angaben zur Liegezeit. Eine sicher fassbare Todesursache hat sich bei der Leichenöffnung sowie Durchführung weiterer Zusatzuntersuchungen nicht gezeigt. Es wurden keine knöchernen Verletzungen gefunden. Pathologische Befunde waren höhergradige arteriosklerotische Einlagerungen und Einengungen in den Herzkranzgefäßen und vermehrte Myokardfibrosierungen, die mit dem Tod im Zusammenhang stehen könnten. Gerichtsmedizinisch relevante mumifizierte menschliche Leichen in Österreichs städtischem Umfeld sind selten. Typisch sind Auffindungen zurückgezogen lebender Personen nach Wohnungsöffnungen oder unerwartete Entdeckungen bei Bauarbeiten. Der wohl bekannteste mumifizierte menschliche Leichnam wurde 1991 am Similaungletscher im Ötztal aufgefunden. Die Fallbearbeitung erfordert eine sorgfältige interdisziplinäre wissenschaftliche Herangehensweise, um mehrere Fragenkomplexe, darunter die Todesursache, Identität, kriminalistische Fragestellungen und Leichenliegezeit beantworten zu können [1, 4, 14]. Folgende Aspekte sollten dabei besonders beachtet werden:
1.
Todesursache: Die Beurteilbarkeit ist durch die postmortale Veränderungen erschwert [12].
2.
Identifizierung: kann aufgrund des Zustands der Leiche, der Mumifikation (natürlich oder anthropogen) und des Fehlens herkömmlicher Identifikationsmerkmale eine große Herausforderung darstellen [5, 6, 8, 9, 15, 16].
3.
Kriminalistische Fragestellungen: insbesondere, wenn konkrete Anzeichen von Gewalteinwirkungen oder Hinweise auf kriminelle Handlungen vorliegen.
4.
Liegezeit: Ermittlung kann schwierig sein, da die üblichen Verwesungszeichen möglicherweise nicht vorhanden sind [12].
5.
Radiologische Verfahren: können Einblicke in den Zustand des Körpers und mögliche Traumata bieten [10, 17].
Der Fallbericht verdeutlicht die besonderen Schwierigkeiten, die bei der Untersuchung mumifizierter menschlicher Körper in der Gerichtsmedizin auftreten können, und betont die Notwendigkeit eines multidisziplinären Ansatzes [2, 3, 7, 11, 13].
Fazit für die Praxis
Gerade bei fortgeschrittenen postmortalen Veränderungen ist es entscheidend, interdisziplinär sorgfältig zu planen, welche Untersuchungen möglich sind und welche Analysen im Zusammenhang mit einem mumifizierten Leichnam zur Fallklärung beitragen können.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
V.-M. Schmidt, J.D. Pallua, A.K. Pallua, S. Benedikt, R. Arora, B. Zelger, R. Bale und W. Rabl geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Die Untersuchungen erfolgten unter Einhaltung der Vorgaben der Zentralen Ethikkommission der Bundesärztekammer.
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