Chroniker ist nicht gleich Chroniker

Das Muster 55 macht noch keinen Chroniker nach EBM. Ärzte müssen arg aufpassen, wenn sie Kassenpatienten die Bescheinigung für chronisch Kranke aushändigen. In vielen Fällen machen sie das zu voreilig. Oft kommen Patienten in die Praxis und bitten um die Bescheinigung, dass sie chronisch krank sind. Gemeint ist das Formular zur "Feststellung der Belastungsgrenze" nach Muster 55. Darin bestätigen Sie, dass es sich bei den Erkrankungen der betreffenden Person um chronische Leiden handelt. Damit können sich Patienten schneller von Zuzahlungen zu GKV-Leistungen befreien lassen. Doch nicht jedem dürfen Ärzte diese Bescheinigung wirklich ausstellen. Und: Wer denkt, dass er das einfach abrechnen kann, tappt nicht selten ins Fettnäpfchen - zumindest bei gesetzlich Versicherten. Die "Belastungsgrenze" bei Zuzahlungen bezieht sich auf das jährliche Bruttoeinkommen der Patienten. Sie beträgt für Versicherte der GKV zwei Prozent. Kinder sind von den Zuzahlungen befreit. Für chronisch kranke Menschen, die viele Medikamente benötigen, gilt eine niedrigere Belastungsgrenze von einem Prozent des jährlichen Bruttoeinkommens. Fallen höhere Zuzahlungen an, können Patienten sich diese zurückerstatten lassen oder sich vorab befreien lassen. Chronikerrichtlinie maßgeblich Für diese Ein-Prozent-Regelung benötigen die Patienten dann die Bescheinigung nach Muster 55. Wann eine solche chronische Erkrankung vorliegt, hat der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) in der sogenannten Chronikerrichtlinie festgelegt: Der Patient muss seit mindestens einem Jahr wegen derselben Erkrankung in kontinuierlicher Behandlung sein. Zusätzlich muss eine der folgenden drei Voraussetzungen erfüllt sein: notwendige Versorgung mit Arznei-, Hilf- oder Heilmitteln, ohne die eine Verschlechterung oder Beeinträchtigung der Lebensqualität eintreten würde Vorliegen der Pflegestufe 2 oder 3 mindestens 60 Prozent Minderung der Erwerbsfähigkeit (Behindertenausweis) Die vom GBA definierte kontinuierliche Behandlung muss nicht zwingend in der gleichen Praxis stattfinden. Liegen Ihnen etwa Befundberichte mit der immer gleichen chronischen Diagnose von Fachärzten vor, so dürfen diese auch berücksichtigt werden, obwohl kein Kontakt zur eigenen Praxis wegen dieser Erkrankung stattgefunden hat. Nehmen wir zum Beispiel einen Patienten mit Hypertonie und KHK. Dieser besucht in Quartal 1 seinen Hausarzt, in Quartal 2 den Kardiologen, im 3. Quartal wieder seinen Hausarzt und lässt sich im 4. Quartal wieder vom Kardiologen untersuchen und behandeln. Hier wären die Voraussetzungen der chronischen Erkrankung gemäß den Chroniker-Richtlinien des GBA erfüllt. Die Erstellung des Vordruck-Formulars nach Muster 55 kann von Fachärzten mit der EBM-Nummer 01610 (1,46 Euro) abgerechnet werden. Im hausärztlichen Versorgungsbereich ist diese Gebühr allerdings in der Versichertenpauschale enthalten. Jetzt müssen Sie aufpassen: Die Abrechnungsregeln der Chronikerpauschale weichen von der Chronikerrichtlinie des GBA ab. Und hier gilt weiterhin: Die Abrechnung der Chronikerzuschläge funktioniert nach der Faustformel "4-3-2". Das heißt, im Zeitraum der letzten vier Quartale, muss in mindestens drei Quartalen jeweils mindestens ein Arzt-Patienten-Kontakt pro Quartal stattgefunden haben, wobei zwei davon persönliche Arzt-Patienten-Kontakte sein müssen. Ist dies gegeben, kann die Pauschale in der Regel abgerechnet werden. Es macht also für Ärzte nicht nur von der medizinischen Seite her Sinn, Chroniker regelmäßig einzubestellen, sondern ist auch für die Abrechnung wichtig. Fazit: Nicht jeder Patient, für den das Muster 55 ausgestellt werden kann, erfüllt die Voraussetzungen zur Berechnung des Chronikerkomplexes nach den EBM-Nrn. 03220 oder 03221 im EBM. Andersherum wird aber ein Schuh daraus: Jeder Patient, bei dem sein Hausarzt einen Chronikerzuschlag abrechnen kann, hat auch Anspruch darauf, das Formular zur Belastungsgrenze ausgestellt zu bekommen, denn er ist ja dauerhaft wegen einer Erkrankung in Behandlung. Letztlich gilt: Ein Chroniker im Sinne der GKV ist nicht immer Chroniker im EBM. Dr. Dr. Peter Schlüter ist in Hemsbach als Allgemeinarzt niedergelassen. Seit mehr als 20 Jahren gibt er Abrechnungsseminare zu EBM und GOÄ.

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