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Erschienen in: Forum der Psychoanalyse 1/2015

01.03.2015 | Originalarbeit

Die explizite und die implizite Ethik des Psychoanalytikers

verfasst von: Prof. Dr. phil. disc. pol. Jürgen Körner

Erschienen in: Forum der Psychoanalyse | Ausgabe 1/2015

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Zusammenfassung

Ethikrichtlinien der psychoanalytischen Fachgesellschaften konzentrieren sich auf Verbote; sie zählen vor allem auf, was der Analytiker nicht tun darf. Eine positive Bestimmung ethischer Maximen ist aber geboten, denn Psychoanalytiker müssen in ihrem professionellen Handeln eine „Begründungslücke“ schließen zwischen ihrem abstrakten Wissen und seiner Anwendung auf den konkreten Einzelfall – mit weitreichenden Folgen für den Patienten. Zwei Gruppen ethischer Prinzipien lassen sich unterscheiden: „Explizite“ Ethik bedient sich ethischer Maximen, wie sie in der Medizin seit Längerem diskutiert werden: Nichtschädigung, Autonomie, Fürsorge, Gleichheit und Gerechtigkeit. „Implizite“ Ethik hingegen gründet in der psychoanalytischen Methode selbst; in ihr erscheinen die Menschenbilder und die unbewussten Vorannahmen der Psychoanalytiker. Eine Durchsicht dieser Konzepte ergab, dass die Maxime der „Wahrhaftigkeit“ offenbar von zentraler Bedeutung ist. Allerdings änderte sich deren Ausrichtung im Verlauf der Geschichte psychoanalytischer Konzepte: Anfangs sollte der Patient rückhaltlos über sich sprechen, und der Analytiker enthielt sich jeder Bewertung. Nach der Einführung des interpretierenden Subjekts in die Psychoanalyse verlangte das Prinzip der Wahrhaftigkeit vom Patienten, dass er es wagt, die therapeutische Beziehung fiktional auszugestalten, und vom Analytiker, dass er den Entwürfen seines Patienten nicht widerspricht. Modernere, intersubjektiv ausgerichtete Konzepte verlagern die ethische Anforderung noch weiter hin zum Analytiker: Er soll sich seiner Mitwirkung in der Gestaltung der therapeutischen Beziehung bewusst werden und fähig sein, sich mit dem Patienten auf einen gemeinsamen Beziehungsentwurf zu verständigen.
Fußnoten
2
Sehr häufig wird Freud mit „Arbeits-, Liebes- und Genussfähigkeit“ zitiert, doch hat er diese Trias nirgends verwendet. Zwar erwähnte er in seinem Werk auch einige Male die „Liebesfähigkeit“, aber nicht im Zusammenhang mit therapeutischen Zielsetzungen.
 
Literatur
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Metadaten
Titel
Die explizite und die implizite Ethik des Psychoanalytikers
verfasst von
Prof. Dr. phil. disc. pol. Jürgen Körner
Publikationsdatum
01.03.2015
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Erschienen in
Forum der Psychoanalyse / Ausgabe 1/2015
Print ISSN: 0178-7667
Elektronische ISSN: 1437-0751
DOI
https://doi.org/10.1007/s00451-015-0189-4

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