Ist Deutschland mit Endoprothesen überversorgt?

Werden Endoprothesen in Deutschland zu früh implantiert? Gibt es eine Überversorgung? Beim DKOU wurden Zweifel geäußert und Hinweise für eine rationale Indikationsstellung gegeben. Aus dem Barmer-GEK-Report Krankenhaus 2010 geht hervor, dass die Zahl der Hüftprothesen-Implantationen mit etwa 25 pro 10.000 Versicherte seit 2007 etwa stabil ist, die Zahl der Knieprothesen-Implantationen dagegen unvermindert ansteigt von 14/10.000 Versicherte im Jahre 2003 auf über 21/10.000 im Jahr 2009. Bestätigt dies die öffentliche Diskussion um unnötige Endoprothesen-Implantationen bei immer jüngeren Patienten? Eher nein, meint Prof. Dr. Hanns-Peter Scharf vom Universitätsklinikum Mannheim und verweist darauf, dass die Krankenkassen-Daten bereits den Altersstrukturwandel in Deutschland berücksichtigen. Erhebungen in Baden-Württemberg haben zudem ergeben, dass Operationszuwächse eher im siebten und achten Lebensjahrzehnt zu verzeichnen sind, im fünften und sechsten Lebensjahrzehnt sind zumindest die Hüft-TEP-Implantationen im Vergleich zu 2002 sogar rückläufig. Regionale Unterschiede Was allerdings auffällt sind gravierende regionale Unterschiede: Besonders oft werden primäre Knie-TEP-Implantationen im Südosten der Republik sowie in städtischen Ballungsräumen wie Düsseldorf, Frankfurt am Main und München vorgenommen, während dies im Norden und Nordosten im Vergleich deutlich seltener passiert, so Daten der Bertelsmann-Stiftung. Scharf warnte allerdings vor voreiligen Schlussfolgerungen, denn eine ähnliche Verteilung sehe man für Prostat- und Hysterektomien. „Da müssen Mechanismen greifen, die nicht nur etwas mit dem Hüft- und Kniegelenk zu tun haben.“ S3-Leitlinie wenig hilfreich Letztlich dreht sich die Diskussion ja darum, ob die Indikationsstellung tatsächlich rational erfolgt. In diesem Punkt, stellte Scharf fest, sei zum Beispiel die S3-Leitlinie zur konservativen und operativen Therapie bei Koxarthrose nur bedingt hilfreich. Denn dort wird auf die individuell und gemeinsam mit dem aufgeklärten Patienten zu treffende Entscheidung hingewiesen, „allgemein gültige, verbindliche Regeln existieren nicht“, heißt es dort. Natürlich werden dem Arzt Orientierungskriterien an die Hand gegeben. Zieht man die Qualitätsstandards der BQS (Bundesgeschäftsstelle für Qualitätssicherung) – jetzt des AQUA*-Instituts – heran und orientiert sich an mindestens einem Schmerzkriterium, mindestens einem Bewegungseinschränkungs-Kriterium und mindestens fünf Punkten im modifizierten Kellgren & Lawrence-Score (radiologische Kriterien), dann ist zu konstatieren, dass die Indikation zur Hüftendoprothese in Baden-Württemberg zu 95% richtig gestellt wird. Meist handelte es sich radiologisch um mittelschwere bis schwere Koxarthrosen. Nur 0,7% der Operierten hatten präoperativ keine Schmerzen. Oxford Hip Score als Wegweiser Allerdings müsse man fragen, ob der radiologische Befund die Befindlichkeit des Patienten beschreibe, so Scharf. Die Antwort darauf lautet: Nein! „Wir wollen nicht einen Röntgenbefund operieren. Dem Menschen soll es besser gehen!“, betonte der Mannheimer Orthopäde und empfahl, präoperativ zum Beispiel den Oxford Hip Score (OHS) zu Rate zu ziehen. Den entsprechenden, ins Deutsche übersetzten und wissenschaftlich validierten Bogen mit zwölf Fragen kann der Patient ohne ärztliche Hilfe ausfüllen. Die Schmerzen und Alltagsfunktionen werden damit gut beschrieben. Die BQS/AQUA-Kriterien dagegen träfen nicht die Befindlichkeit des Patienten, wie ein Vergleich in Mannheim ergeben hat. „Der Gelenkersatz bei degenerativen Erkrankungen ist ganz klar eine elektive Operation, bei der wir das Selbstbestimmungsrecht der Patienten wahren müssen“, betonte Scharf. Es gebe keine richtige und falsche Operationsindikation, da niemand in die Zukunft schauen könne. Deshalb würden diese Entscheidungen nur rational oder irrational getroffen werden. Dabei müssen die Erwartungen der Patienten in die Entscheidung einbezogen und essentielle von nicht essentiellen Aktivitäten unterschieden werden. Ärzte scheinen übrigens, was rationale Entscheidungen betrifft, gar nicht so schlecht zu agieren. Denn angehende Ökonomen und Banker lernen solche Entscheidungen zu treffen – wer hätte das gedacht – anhand von Beispielen aus der Medizin. *AQUA – Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen Kongressdossier Alle Beiträge zum DKOU 2011 finden Sie im Kongressdossier.

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