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Die Ärztliche Begutachtung
Info
Publiziert am: 12.08.2023

Krebserkrankungen – Sozialmedizinische Begutachtung

Verfasst von: Christa Kerschgens
Die sozialmedizinische Begutachtung in der Onkologie stellt eine wichtige und anspruchsvolle Aufgabe dar.
Für Betroffene sind die Fragen der Teilhabe am beruflichen und sozialen Leben nach oder mit einer Tumorerkrankung und die hierzu ggf. benötigten Unterstützungen und Hilfen ein elementarer Baustein eines „Cancer survivorship“.
Für Sozialleistungsträger klärt die Begutachtung, ob die erforderlichen Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen in einem Solidarsystem erfüllt sind.
Bei der Begutachtung im Rahmen der beruflichen Wiedereingliederung gibt sie allen Beteiligten die Chance einen leidensgerechten Arbeitsplatz für einen leistungsgewandelten Beschäftigten zu finden.
Zur Erfüllung dieser Aufgabe sind für den Gutachter die Kenntnisse zur onkologischen Erkrankung, zu den durchgeführten Therapien und ihren potenziellen günstigen/ungünstigen Wirkungen und der Wechselwirkungen mit ggf. vorbestehenden Leiden erforderlich.
In der Erstellung eines Gutachtens sind die aufmerksame Wahrnehmung der Eigenanamnese, die gründliche körperliche Untersuchung und die kritische Würdigung aller vorliegenden Befunde erforderlich sowie die Bezugnahme auf den Kontext und die Fragestellung, zu der die Begutachtung erfolgt.

Krebserkrankungen

Epidemiologie und Risikofaktoren

Jedes Jahr erkranken in Deutschland ca. 500.000 Menschen an Krebs, in 2019 waren es 234.925 Frauen und 267.730 Männer. Die relative 10-Jahres-Überlebensrate liegt bei 61 % für Frauen und 57 % für Männer.
Zu den häufigsten Krebserkrankungen bei Männern und Frauen zählen Lungenkrebs, Prostatakrebs, Brustkrebs und Darmkrebs.
Es besteht ein deutlicher Zusammenhang zwischen zunehmendem Lebensalter und der Inzidenz. Vor diesem Hintergrund werden Zellalterungsprozesse und Umwelteinflüsse für die Krebsentstehung mitverantwortlich gemacht.
Weiterhin bestehen geschlechterbezogene Unterschiede in der Häufigkeit einzelner Krebserkrankungen, z. B. bei Lungenkrebs. Diese können – wie beim Lungenkrebs – in Zusammenhang mit dem Einfluss von Noxen stehen, z. B. dem Tabakkonsum. So war über viele Jahre das Zigarettenrauchen bei Männern wesentlich häufiger als bei Frauen. Bis zum Jahr 2000 stieg der Anteil der Frauen mit Tabakkonsum kontinuierlich an und mit einer gewissen zeitlichen Verschiebung auch die Inzidenz an Lungenkrebs bei Frauen.
Zugegriffen: 15.01.2023
Auch weitere Faktoren des Lebensstils wie das Bewegungs- und das Ernährungsverhalten sowie der Alkoholkonsum können eine Rolle für die Entstehung von Krebserkrankungen darstellen.
Weiterhin können Viren als Faktor in der Krebsentstehung relevant sein, z. B. Papillomaviren für die Entstehung von Zervixkarzinomen.
Zugegriffen: 15.01.2023
Onkologische Erkrankungen können bei Erfüllung der erforderlichen Kriterien als Berufskrankheit (BK) anerkannt werden, als Beispiele für die kontinuierliche Weiterentwicklung auf dem Gebiet der anerkennungsfähigen BK seien folgende genannt:
In der Liste anerkannter Berufskrankheiten wurde 2016 die Nummer 4104 aufgenommen, das Ovarialkarzinom nach Asbestexposition (GMBl. 31.01.2017, S. 15–28; redaktionell berichtigt: GMBl 2019, S. 1294).
Zugegriffen: 19.01.2023
Bereits seit 1993 (Bek. des BMA v. 08.11.1993 im Bundesarbeitsblatt 1/1994, 67) war das durch Asbest verursachte Mesotheliom des Rippenfells, des Bauchfells oder des Perikards als BK 4105 anerkannt.
Zugegriffen: 19.01.2023
Weiterhin wurden Berufskrankheiten im Jahr 2016 (Bek. des BMAS vom 01.07.2016 – IVa4-45222-Leukämie durch Butadien – GMBl. 26.08.2016, 650–653) neu aufgenommen, deren Ätiologie mit einer Gefahrstoffexposition verbunden wurde, z. B. hämatologische Erkrankungen wie die chronisch-myeloische oder chronisch-lymphatische Leukämie durch 1,3-Butadien.
Zugegriffen: 19.01.2023
Auch genetische Dispositionen können ein Risiko für die Entwicklung von Krebserkrankungen darstellen, zu den bisher bekannten zählen z. B. durch BRCA 1 und 2 genetisch bedingte maligne Tumorerkrankungen.
Zugegriffen: 19.01.2023
Weitere primär nicht maligne Erkrankungen, z. B. eine chronische Entzündung bei Barrett-Ösophagus oder eine chronische Hepatitis können eine Prädisposition für eine Tumorerkrankung darstellen.
Zugegriffen 19.01.2023
Anhand dieser verschiedenen Risikofaktoren für die Entstehung von Krebserkrankungen, die im zeitlichen Verlauf einwirken können, ist von einem multifaktoriellen Geschehen auszugehen.
Da Faktoren der individuellen Lebensweise eine bedeutsame und beeinflussbare Rolle spielen können, wird auf die Prävention durch Verhaltensänderung besonderer Wert gelegt.
Zugegriffen: 19.01.2023

Überblick zur Klassifikation und Systematik von Krebserkrankungen

Cave
Zu beachten ist im umgangssprachlichen Gebrauch die gleichwertige Verwendung der Begriffe von Tumor und Krebs, obgleich es auch gutartige Tumorerkrankungen wie Lipome oder Fibrome gibt, die keine Malignitätskriterien aufweisen.
Der überwiegende Anteil maligner Tumorerkrankungen entsteht aus Schleimhautgewebe, z. B. der Lungen- oder Darmschleimhaut oder der inneren Auskleidung des Brustdrüsengewebes. Diese werden daher als Karzinome bezeichnet. Weiterhin können maligne Transformationen von Bindegewebe, z. B. Fett- oder Knochengewebe auftreten, diese werden als Sarkome bezeichnet. Weitere Krebserkrankungen können im peripheren oder zentralen Nervengewebe, im retikuloendothelialen oder blutbildenden System entstehen, z. B. als Lymphome oder Leukämien.
Karzinome werden in der TNM-Klassifikation nach T = Tumorgröße bzw. Infiltrationstiefe, N = Lymphknotenbefall und M = Metastasierungsausmaß klassifiziert. Für andere Entitäten bestehen Klassifikationssysteme, die z. B. Bezug nehmen auf die Ausdehnung, das Wachstumsverhalten/die Mitoserate oder die Graduierung der Zellart.
Den TNM-Angaben vorangestellte Kleinbuchstaben kennzeichnen die Quelle der Information, so meint ein „p“ den pathohistologischen Befund, also die Untersuchung des Gewebes im Labor im Unterschied zu „c“, der dem klinischen Befund, z. B. aus der körperlichen Untersuchung oder einer radiolog. Untersuchung entspricht.
Tumor-Klassifikationen werden u. a. genutzt zur Stadieneinteilung und daraus abgeleitet als Grundlagen für Therapieentscheidungen und zur Prognoseabschätzung.
Beispiele hierzu sind:
Beim Mammakarzinom wird in der UICC (Union for International Cancer Control) das niedrigste Stadium mit 0 definiert als in-situ-Karzinom ohne befallene Lymphknoten und ohne Metastasen, klassifiziert als Tis N0 M0, beim Stadium UICC IA als T1 N0 M0 und beim Stadium IIA als T0/T1 N1 M0 und das höchste Stadium mit IV definiert durch das Vorhandensein von Metastasierung in andere Organsysteme.
Zugegriffen: 19.01.2023
Bei Lymphomerkrankungen gibt es Klassifikationssysteme, die sich u. a. am Wachstumsverhalten und der Ausdehnung orientieren, z. B. für das Hodgkin-Lymphom. Bei diesem erfolgt die Einteilung in vier Krankheitsstadien (I bis IV) nach der so genannten Ann-Arbor-Stadienklassifikation, hier gekürzt aufgeführt:
  • Stadium I: Befall einer einzigen Lymphknotenregion
  • Stadium II: Befall von zwei oder mehr Lymphknotenregionen auf einer Seite des Zwerchfells
  • Stadium III: Befall von zwei oder mehr Lymphknotenregionen auf beiden Seiten des Zwerchfells
  • Stadium IV: Ausgedehnter Befall von Organen außerhalb des lymphatischen Systems (z. B. Lunge, Leber, Knochenmark) mit oder ohne Befall von Lymphknoten
Ein weiteres Klassifikationsmerkmal können sogenannte B-Symptome sein, hierzu zählen (verkürzt) Fieber, Gewichtsverlust und Nachtschweiß. Wenn allgemeine Krankheitssymptome (B-Symptome) hinzukommen, so erhalten die Stadien den Zusatz B, bei fehlenden Allgemeinsymptomen den Zusatz A.
Zugegriffen: 19.01.2023
Klassifikationssysteme dienen als Grundlage zur Therapieentscheidung und Prognoseabschätzung. Als international genutzte Instrumente ermöglichen sie die Interpretation von Studienergebnissen und die Ableitung neuer Therapiekonzepte.
Selbstverständlich können im Krankheitsverlauf Veränderungen am Wachstumsverhalten und an der Ausdehnung der Tumorerkrankung auftreten, was zu Änderungen der Therapieauswahl und -zielen führen kann.
Hinsichtlich der Ziele einer Krebsbehandlung werden folgende Begriffe verwendet:
  • Kurativ: auf Heilung ausgerichtet
  • Palliativ: eine Heilungsaussicht besteht nicht, das Behandlungsziel ist z. B. die Symptomenkontrolle, eine partielle Remission, Verhinderung weiterer Progression unter Berücksichtigung und mit Abwägung der zu erwartenden unerwünschten Therapiewirkungen.
  • Neoadjuvant: eine vor der eigentlichen Tumorentfernung durchgeführte Therapie (z. B. Strahlentherapie, medikamentöse Therapie), die die Operabilität verbessern soll.
  • Adjuvant: eine nach der Tumorentfernung durchgeführte Therapie (z. B. Strahlentherapie, medikamentöse Therapie), die das Therapieergebnis verbessern soll.

Therapieverfahren

Chirurgie

Chirurgische Verfahren können initial zur Gewebsgewinnung und damit zur Klärung von Diagnose und Tumorstadieneinteilung dienen.
Sie können ebenso in kurativer und palliativer Intention eingesetzt werden. Das Ausmaß möglicher Folgestörungen, die nach chirurgischen Verfahren auftreten können, z. B. fehlende Darmkontinuität und erforderliche Anlage eines Stomas steht in Abwägung zum bestmöglich erreichbarem Therapieziel.
In Abhängigkeit von der Tumorlokalisation können sowohl durch die Tumorerkrankung, aber auch durch die chirurgischen Verfahren Veränderungen in Körperfunktionen und -strukturen auftreten.
Für die sozialmedizinische Beurteilung ist es im Rahmen von Anamnese und körperlicher Untersuchung wichtig, diese Veränderungen zu erfassen.
Für einige Organsysteme sind im Folgenden mögliche Veränderungen aufgeführt:
für das System der Verdauungsorgane:
  • Schluckstörungen
  • Passagestörungen
    • Reflux
    • verzögerte Passage oder Obstruktionen im Magen-Darm-Trakt
    • Erfordernis einer intestinalen Ernährungssonde/PEG
  • Maldigestion und Malabsorption von Nahrungsbestandteilen
  • Veränderungen des Stuhlgangsverhaltens
für das System der Harnorgane:
  • Anatomische Änderungen der ableitenden Harnwege
  • Nephrostomaanlage
  • Stenteinlagen
  • Ileum-Conduit
  • Ileum-Neoblase
  • suprapubische Harnableitung via Katheter
  • Urethrakatheter mit erforderlicher pflegerischer Versorgung
  • Harninkontinenz mit Vorlagenbedarf
für das pulmonale System:
  • Verkleinerung des Lungenvolumens nach thoraxchirurgischen Eingriffen.

Strahlentherapie

Nach einer Strahlentherapie stehen lokale Reaktionen im Bereich des Zielvolumens im Vordergrund. Allerdings können auch durch die Strahlentherapie systemische Wirkungen wie Müdigkeit, Schwäche, Appetitlosigkeit, Übelkeit und Erbrechen auftreten. Diese ungewünschten Wirkungen können während der Radiatio beginnen und auch nach Abschluss der Behandlung noch anhalten.
Zu den lokalen Wirkungen zählen:
Wirkungen auf Haut und Schleimhäute, z. B.: Haarausfall, Hautrötung, Ödembildung im Gewebe, im Verlauf in eine Fibrosierung übergehend, ggf. mit Bildung narbiger Veränderungen, die zu einer Bewegungseinschränkung z. B. im Arm-Schulterbereich führen könnten; in Abhängigkeit von der Lokalisation begleitende Wirkung auf Schleimhäute, z. B. der gastrointestinalen oder urogenitalen Schleimhäute; Entzündung und Vernarbung von Lungengewebe (Pneumonitis).
Zugegriffen: 19.01.2023

Systemische, medikamentöse Therapie

Zu den systemisch eingesetzten Therapieverfahren zählen die Chemotherapie und die neueren Therapieverfahren, die an spezifischen Merkmalen der Tumorzellen angreifen, z. B. der Zelloberfläche oder an molekulargenetischen Merkmalen.
Bei den zuletzt genannten sind fortlaufend neue Entwicklungen zu erwarten, da mit dem Zuwachs an Erkenntnissen bezüglich der Tumorentstehung und des -wachstums in Folge Maßnahmen überlegt werden können, die zur Wachstumshemmung der malignen Zelle und letztlich zur Verbesserung von Remission, Symptomenkontrolle und Überleben führen sollen.
Häufige Nebenwirkungen von systemisch eingesetzten Behandlungsmaßnahmen können sein:
  • Übelkeit und Erbrechen
  • Veränderungen an Haut und Schleimhäuten wie Mucositis/Stomatitis
  • Appetitlosigkeit
  • Haarausfall
  • Schwäche ggf. mit bedingt durch eine Anämie
  • Herzleistungsminderung nach Verwendung potenziell kardiotoxischer Substanzen
  • Stuhlgangsunregelmäßigkeiten
  • Polyneuropathie mit sensiblen, motorischen Ausfällen und/oder Schmerzen
  • Luftnot aufgrund von Blutarmut oder Gasaustauschstörung, z. B. bei Lungenfibrosierung
  • Blutgerinnungsstörungen, Koagulopathien (sowohl Blutungsrisiken bei Thrombopenie oder Hyperkoagulabilität z. B. mit Thrombosen und Embolien bei medikamentös induzierten Veränderungen des Gerinnungssytems)
  • Immobilität durch Schwäche, Schmerzen, Luftnot, Polyneuropathie u. a.
Neuere, zielgerichtete („targeted therapies“) oder personalisierte Therapien sollen das Verhältnis der schädigenden Wirkung auf maligne transformiertes versus gesundem Gewebe zugunsten der gesunden Zellen verschieben. Allerdings können auch bei diesen zielgerichteten Therapieverfahren unerwünschte Wirkungen auftreten, die denen der Chemotherapie ähnlich sein können.
Die Vielfalt möglicher unerwünschter Wirkungen von Tumortherapien verdeutlicht, wie wichtig die Kenntnis des Wirkungsspektrums der eingesetzten Therapie ist und welchen Stellenwert in dem Ausmaß von Funktionsstörungen eine ggf. vorbestehende Gesundheitsstörung hat; z. B. ein vorbestehender Diabetes mellitus und eine zugleich erforderliche Behandlung mit einer Substanz, die ein Risiko der Entwicklung einer Polyneuropathie beinhaltet.
Tipp
Daher ist es in der Begutachtung auch wichtig, gezielt nach häufig auftretenden Funktionsstörungen zu fragen und den Untersuchungsgang darauf auszurichten. Denn diese können für die Beurteilung relevant sein, vom Probanden aber z. B. wegen einer gewissen Adaption nicht genannt werden.

Maßnahmen der supportiven Therapie

Angesichts der zahlreichen möglichen unerwünschten Wirkungen von Tumortherapien sowie der Funktionsstörungen, die durch die Erkrankung selbst auftreten können, hat die supportive Therapie zweifelsfrei eine große Bedeutung. Maßnahmen der Supportivtherapie können helfen die unerwünschten Therapiewirkungen präventiv oder interventionell zu mindern. Durch sie soll die zeit- und dosisgerechte Behandlung unter Erhalt der Lebensqualität erreicht werden. Die Fortschritte in der Supportivtherapie sind u. a. im Leitlinienprogramm der Deutschen Krebsgesellschaft als S3-Leitlinie zusammengefasst.
Zugegriffen 27.01.2023.

Die sozialmedizinische. Begutachtung

Grundlagen zur sozialmed. Beurteilung

Wichtig
In der Begutachtung sind folgende Punkte zu bearbeiten:
  • die onkologische Erkrankung
  • die onkologische Therapie
  • die möglichen Folgestörungen von Krankheit und Therapie
  • der bisherige Verlauf
  • der Kontext und die Fragestellung zur Begutachtung
Bei der Erstellung von Gutachten ist grundsätzlich der Perspektivwechsel im Vergleich zur Patientenversorgung zu berücksichtigen. Während in der ärztlichen Tätigkeit in der Regel das Erkennen von Krankheit, das Abwenden von Gesundheitsschäden und das Erreichen des bestmöglichen körperlichem und seelischen Zustandes des Patienten angestrebt wird, ist bei der Begutachtung die Beurteilung der Funktionseinschränkungen durch Krankheit und Therapiefolgestörung ohne diesen therapeutischen Impetus erforderlich.
Tipp
Die grundlegende Klärung der eigenen ärztlichen Rolle ist daher unerlässliche Voraussetzung für die Begutachtung.
Ein grundsätzliches Problem in der Begutachtung stellt die Basis der medizinischen Klassifikationssysteme dar. So werden sozialmedizinische Bewertungen anhand bestehender Funktionsstörungen durchgeführt, die Basis hierfür stellt die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF) dar. In der ICF werden -ausgehend von einer Gesundheitsstörung- die Auswirkungen auf Körperfunktionen und -strukturen sowie die Folgen für die Aktivitäten und die Teilhabe am beruflichen und sozialen Leben beschrieben. Moderierende Einflußfaktoren (hinderliche oder förderliche) können die personen- und umfeldbezogenen Kontextfaktoren sein.
In der akutmedizinischen Versorgung in Klinik und ärztlicher Praxis wird die Klassifikation nach International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems (ICD) genutzt. Diese klassifiziert Krankheiten und zugehörige Folgen in Organstrukturen nach z. B. Lokalisation und Ausmaß; Funktionsstörungen wie in der ICF werden dabei allerdings nicht berücksichtigt.
Am Beispiel des Herzinfarktes lässt sich diese Klassifikationsbezogene Darstellung folgendermaßen darstellen:
in der ICD 10 würde in dem Code I21.0–I21.3 unterschieden, ob ein Herzinfarkt an der Vorder-, Hinterwand oder an einer nicht näher bezeichneten Lokalisation aufgetreten ist;
Zugegriffen: 14.01.2023
In der ICF-Systematik würde hingegen geprüft, welche Auswirkungen der Herzinfarkt auf z. B. den Herzmuskel hat, in welchem Maß die Herzleistung eingeschränkt ist und welche Folgen das für die Aktivitäten und Teilhabe hat. Die Einbeziehung der Kontextfaktoren schafft ergänzend ein individuelles Bild des Erkrankten und seines Umfeldes.
Zugegriffen: 14.01.2023

Folgen einer Krebserkrankung und ihrer Behandlung

Aus der Krebserkrankung können unterschiedliche physische, psychische und kognitive Folgen resultieren. Im Unterschied zu orthopädischen oder kardialen Leiden werden Krebserkrankungen von den Betroffenen und ihrem Umfeld in der Regel als mehrdimensional wahrgenommen. Insofern ist auch bei der Begutachtung die Bewertung mehrerer möglicherweise unterschiedlich stark ausgeprägter Funktionsstörungen zu beachten. Weiterhin sind Krebserkrankungen häufig mit Konnotationen wie Leid und Sterben verbunden, die die Krankheitsbewältigung und die hieraus resultierende Perspektive, die der Erkrankte für sich selbst sieht, beeinflussen können. Dieser Einfluss kann Konsequenzen für die Selbstwahrnehmung und das Störungsempfinden (z. B. bei Schmerz, Polyneuropathie oder kognitiven Defiziten) haben und dadurch die Fähigkeit zu Kompensation und Adaption verändern.
Das Ausmaß von körperlichen Funktionsstörungen ist u. a. abhängig von der Lokalisation, der Ausdehnung und möglicher Metastasierung der Tumorerkrankung sowie von möglichen Therapiefolgestörungen.
Seelische Beeinträchtigungen können aus der Konfrontation mit einer potenziell lebensbedrohlichen Erkrankung und den Möglichkeiten zur Krankheitsverarbeitung resultieren.
Eine Veränderung der geistigen Fähigkeiten wie Konzentration, Gedächtnis und Aufmerksamkeit können Betroffene als Beeinträchtigung erleben.
Tipp
Grundsätzlich sollte die sozialmed. Begutachtung mit einer ausführlichen Anamnese beginnen, gefolgt von einer körperlichen Untersuchung, im Besonderen zu den genannten, oder anhand der onkologischen Anamnese zu vermutenden Funktionsstörungen.
Hierbei werden der bisherige Krankheitsverlauf, die durchgeführten Therapien und der erreichte Remissionsstatus erfasst. Angaben des Probanden müssen anhand von ärztlichen Dokumentationen gestützt werden. Nach einem ersten Teil der Begutachtung zur Erfassung dieser medizinischen Daten kann als nächster Teil die Befragung zu den Folgestörungen nach Krankheit und Behandlung folgen. Dazu zählen auch subjektiv empfundenen Einschränkungen. Medizinische Berichte, Labor- und Röntgenbefunde (z. B. aus Krankenhausaufenthalten oder von niedergelassenen Ärzten) sind hinzuzuziehen. Nicht selten sind in dem Part zu den empfundenen Beeinträchtigungen auch Aspekte der Probanden-eigenen Krankheitstheorien, der Krankheitsverarbeitung und der Kontextfaktoren enthalten. Sie können von großer Bedeutung für das Beanspruchungsempfinden und für die Chancen der beruflichen Reintegration sein.
Gerade weil die Entstehung von Krebserkrankungen als multifaktorielles Geschehen zu sehen ist – vermutlich oft auch mit längeren Entwicklungen über Zellmutationen, unzureichender körper-eigener Kontrollmechanismen und verändertem Gewebewachstum – ist es für Betroffene schwer zu verstehen, warum ausgerechnet bei ihnen die Krebserkrankung aufgetreten ist. Noch dazu kommt die Suche nach Erklärungen oder „Schuld“ an der Krebsentstehung. Diese rational geprägte Herangehensweise zielt auf das Verstehen von Zusammenhängen, der Suche nach Erklärungen, Entwicklung von Strategien um ein Wiederauftreten der Krebserkrankung zu verhindern. Da aber gerade bei der Krebsentstehung eine direkte Kausalität in der Regel nicht herstellbar ist, wird die scheinbare Lücke durch subjektive Erklärungsmuster gefüllt. Selbstverständlich gibt es eindeutige Risikofaktoren der individuellen Lebensweise, wie die Inhalation von Schadstoffen beim Rauchen, der Alkoholkonsum oberhalb tolerabler Grenzen, der Bewegungsmangel, die Fettleibigkeit und einiges mehr, s. hierzu auch Abschn. 1.1.
Dennoch bleibt für den Einzelnen oft die Frage, warum er selbst betroffen ist. Dieser Exkurs in subjektive Krankheitstheorien ist von großer Bedeutung, da z. B. ein Probanden-eigenes Erklärungsmuster, das Konflikte am Arbeitsplatz als Teil der Krankheitsentstehung sieht, ein Hindernis für eine gelungene berufliche Reintegration darstellt. Die Probanden-eigene Bewertung von subjektiv empfundenen Einschränkungen kann durch stattgehabte psychische Belastungserfahrungen beeinflusst sein. Auch wenn es bei der Begutachtung gilt, objektive Kriterien zur Bewertung anzulegen, stammen viele Informationen aus der subjektiven Einschätzung des Probanden. In diesem Sinne können Probanden-eigene Deutungen auf das Ausmaß der empfundenen Einschränkungen einwirken. So ist zum Beispiel bei der Schmerzwahrnehmung die eigene psychische Befindlichkeit oft maßgeblich am Ausmaß der empfundenen Störung beteiligt. Auch wenn die Krankheitsverarbeitung in der Regel nicht Gegenstand der sozialmedizinischen Begutachtung ist, kann es bei auffälligen psychischen Belastungen sinnvoll sein, diese Aspekte zu beachten, da einerseits eine gegenseitige Beeinflussung zwischen psychischen Belastungen und körperlicher Leistungsfähigkeit besteht und zusätzlich ggf. eine Wiederholungsbegutachtung nach Durchführung einer geeigneten unterstützenden Maßnahme empfohlen werden könnte.
Hierzu passend ist auch das Belastungs-Beanspruchungs-Modell, in dem gleiche Belastungen durch die individuelle Konstitution, die Ressourcen und die Möglichkeit zum Umgang mit Belastungen zu verschiedenen Beanspruchungen führen können. Dieses Modell findet üblicherweise seine Verwendung in der Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen. Da es gut erklärt, welche Bedeutung die Kontextfaktoren in Belastungssituationen haben, kann es auch zum Verständnis der individuellen Beanspruchung durch eine Krebserkrankung hilfreich sein.
Zugegriffen: 29.01.2023.

Die körperlichen Einschränkungen und ihre sozialmedizinische Bewertung

Die körperliche Leistungsminderung, Schwäche und Erschöpfung zählen zu den häufig auftretenden körperlichen Funktionsstörungen. Als eine von mehreren Dimensionen zählt die körperliche Leistungsminderung auch zur Fatigue. Da die Fatigue aber auch psychische und kognitive Dysfunktionen beinhalten kann, werden die Funktionsbeeinträchtigungen der Fatigue in den jeweils beeinträchtigten Dimensionen erläutert.
In der sozialmedizinischen Bewertung körperlicher Beeinträchtigungen gilt es u. a. folgende Bereiche zu erfassen und zu bewerten:
  • Gehfähigkeit, Begleitungsbedarf, Sturzgefahr, Mobilität, Hilfsmittelbedarf
  • Beweglichkeit, Motorik
  • Kraftgrad der Muskulatur
  • Sensible Ausfälle, Beeinträchtigungen der sensomotorischen Balance, Koordination
  • Schnelligkeit, Geschicklichkeit
  • Durchhaltevermögen, körperliche Belastbarkeit.
Zur gutachterlichen Bewertung von körperlicher Schwäche und Erschöpfung können verschiedene Instrumente hilfreich sind. So sind zum Beispiel die Fragen nach Nutzung von Hilfsmitteln zur Fortbewegung (z. B. Rollator oder Rollstuhl) sowie zum Begleitungsbedarf (z. B. bei Sturzgefahr) relevante Kriterien. Es ist daher sinnvoll auch das Aufsuchen des Untersuchungsortes (z. B. ärztliche Praxis oder Gutachtensprechstunde) zu dokumentieren. Weiterhin ist das Hinzuziehen von Befundberichten aus der onkologischen Rehabilitation sinnvoll, da im Reha-Setting üblicherweise die Funktionsstörungen evaluiert werden, z. B. mittels 6-Minuten-Gehtest. Soweit möglich, könnte dieser einfache, Praxis-orientierte Test auch während der Begutachtung durchgeführt werden.
Zugegriffen: 29.01.2023
Ein etabliertes Klassifikationssystem in der Onkologie ist die ECOG-Skala von 0–4 oder der Karnofsky-Index von 0–100 %.
Zugegriffen: 02.02.2023
Auch diagnostische Verfahren wie eine Ergometrie/ein Belastungs-EKG/Spiroergometrie könnten als Grundlage zur Erfassung körperlicher Leistungsminderung hinzugezogen werden. Zu beachten ist dabei in der Onkologie, dass die körperliche Leistungsminderung in der Regel aus verschiedenen Gründen besteht. So können während der Krankheit und Therapie Phasen von Immobilität oder Mobilitätsminderung, eine Verminderung der Skelettmuskulatur (muscle-wasting), Anämie, Veränderungen im Herz-Kreislaufsystem oder der respiratorischen Funktionen, einschl. des Gasaustausches auftreten. Insofern ist eine Befunderfassung als Darstellung des Ist-Zustandes zu sehen.
Weitere Parameter zur Erfassung körperlicher Funktionsstörungen beziehen sich auf mögliche Einschränkungen der Motorik. So sollte der Bewegungsapparat mittels Neutral-Null-Methode untersucht und dokumentiert werden.
Neben Einschränkungen der Beweglichkeit ist auch das Erfassen von Schwellungen/Lymphödemen erforderlich. Dazu sind unterschiedliche Messmethoden und Skalierungen nutzbar. So kann die Extremität an definierten Messpunkten erfasst werden (z. B. beim Arm-Lymphödem 15 cm oberhalb und 10 cm unterhalb des Epicondylus). Eine weitere Möglichkeit stellt die Skalierung des Lympödems in der AWMF-Leitlinie dar.
Zugegriffen 29.01.2023
Auch die eingeschränkte sportliche Betätigung während der Krankheits- und Therapiephase kann eine Bedeutung für die körperliche Leistungsminderung im Sinne eines Trainingsmangels haben, daher beinhalten viele supportive Konzepte mittlerweile die Integration von Bewegungstherapie.
Eine weitere häufiger beschriebene Funktionsstörung betrifft die Polyneuropathie, häufig auch als Chemotherapie-induzierte Polyneuropathie (CIPN) beschrieben. Eine Vielzahl von Zytostatika, darunter platin-haltige Substanzen oder Vinca-Alkaloide können Polyneuropathien verursachen, die von unterschiedlicher Dauer sein können.
Auch durch die maligne Erkrankung selbst können polyneuropathische Beschwerden auftreten, z. B. als paraneoplastisches Syndrom. Mitunter besteht bereits eine Polyneuropathie durch eine Vorerkrankung wie Diabetes mellitus. Bei der Polyneuropathie liegt eine Schädigung des peripheren Nervensystems vor. Die Folgen können Veränderungen der Sensibilität wie Mißempfindungen („Kribbeln“, „Ameisenlaufen“), der Motorik (wie Bewegungsstörungen) oder die polyneuropathischen. Schmerzen sein. Diese drei Qualitäten können in unterschiedlichem Ausmaß einzeln oder kombiniert vorliegen. Die Bewertung der einzelnen Qualitäten sollte sich an den für die Dimension gängigen Verfahren orientieren, z. B. die motorisch betonte Polyneuropathie an den Grundlagen zur Bewertung der Motorik und ebenso die Begutachtung zur Schmerz-betonten Polyneuropathie. Die sensible Polyneuropathie kann eine Bedeutung beim Steuern von Maschinen und Fahrzeugen haben, da eine ausreichende sensible Wahrnehmung z. B. zur sicheren Betätigung von Pedalen, Hebeln und Schaltern erforderlich ist. Hierzu können wiederum ggf. vorliegende Rehaberichte oder neurologische Befundberichte nützlich sein.
Zum Untersuchungsgang und weiteren Informationen zur CIPN wird auf die Leitlinie zur Supportivtherapie verwiesen.
Zugegriffen 29.01.2023
Eine sinnvolle Skalierung zur Begutachtung sollte genutzt werden, z. B. die CTC.
Zugegriffen 29.01.2023
Weiterhin können toxische Schädigungen des Herzmuskels z. B. eine Anthrazyklin-bedingte Kardiomyopathie auftreten, die wiederum zur Leistungsminderung führen können.
Das Risiko hierfür steigt mit der verabreichten Anthrazyklindosis an. Vorbestehende kardiale Erkrankungen können das Risiko erhöhen, ebenso wie weitere schädigende Einwirkungen, z. B. links-thorakale Radiatio bei der Behandlung einer Krebserkrankung der linken Mamma.
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen können an Haut und Schleimhäuten aller Organsysteme auftreten, besondere Bedeutung hat hierbei der Verdauungstrakt, da Malabsorption und -digestion sowie die subjektiv empfunden Schmerzen bei Nahrungsaufnahme zu einer weiteren Leistungsminderung führen können.
Die Wirkungen auf Hormon-produzierendes Gewebe können zu endokrinen Veränderungen führen, die ggf. mit entsprechenden Maßnahmen (z. B. medikamentöser Substitution) korrigiert werden müssten.
Zur Reduktion toxischer Effekte und damit der Verbesserung der Therapieadhärenz und des Behandlungserfolges wurde begleitend die supportive Therapie entwickelt. Diese soll dazu dienen toxische Effekte der onkologischen Therapie präventiv zu beeinflussen, interventionell abzumildern und/oder Langzeiteffekte günstig zu beeinflussen, s. Abschn. 2.4.
In jedem Fall müssen der Kontext und die Fragestellung für eine Begutachtung geklärt sein. So kann z. B. für die Erstellung eines tätigkeitsbezogenen Leistungsbildes von erheblicher Bedeutung sein, welche Anforderungen erfüllt werden müssen. Eine Einschränkung in der Abduktion eines Armes für eine Tätigkeit im Warenlager mit Überkopfarbeiten und Armvorhalten kann von anderer Relevanz sein als für eine Tätigkeit am Büroarbeitsplatz.
Daher ist die Beachtung des Kontextes und der Fragestellung, innerhalb derer die Begutachtung des positiven und negativen Leistungsvermögens erfolgt, von elementarer Bedeutung. So könnte es in einem Verfahren zum betrieblichen Eingliederungsmanagement um die Fragestellung gehen, ob die bisher ausgeübte Tätigkeit unter Berücksichtigung der aufgetretenen Funktionsstörungen weiter leistbar ist, oder falls das nicht möglich sein sollte, ob das Rest-Leistungsvermögen für eine andere Tätigkeit geeignet ist.

Die psychischen Beeinträchtigungen und ihre sozialmedizinische Bedeutung

Eine als lebensbedrohlich wahrgenommene Erkrankung, die unvermittelt und ggf. ohne hinreichende kausale Erklärung diagnostiziert wird, führt zu einer tiefgreifenden Erschütterung des Betroffenen und zu einer existenziellen Bedrohung. Fragen nach weiteren Lebenszielen und bislang gesetzten Wertigkeiten sind oft eine Folge. Hieraus können depressiv getönte Phasen der Krankheitsverarbeitung folgen, auch Phasen der Ablehnung oder des Ignorierens. Beschrieben wurden die Phasen der Krankheitsverarbeitung und -akzeptanz u. a. vor vielen Jahren von Elisabeth Kübler-Ross. In diesem Modell sind die Phasen des Nicht-Wahr-Haben-Wollens, des Zornes, des Verhandelns, der Depression und der Zustimmung beschrieben. Dieses Phasen-Modell ist mittlerweile in der psychoonkologischen Arbeit fest verankert, wird aber auch gerne in anderen Veränderungsprozessen verwendet.
Kübler-Ross: Interviews mit Sterbenden. Deutsche Übersetzung: © 1971 Kreuz Verlag
Wie bereits ausgeführt kann in Abhängigkeit von der Krankheitsbewältigung der Umgang mit psychischen Belastungen zu einer unterschiedlichen individuellen Beanspruchung führen, s. Abschn. 3.1.1.
Für die sozialmed. Leistungsbeurteilung sind für die Begutachtung der psychischen Beeinträchtigung verschiedene Instrumente geeignet. So ist auch hier zunächst die Anamnese eine wichtige Information.
Tipp
So können folgende Überlegungen hilfreich sein:
  • Ist die aktuelle psychische Verfassung als reaktiv auf die Erkrankung und Therapie zu werten?
  • Bestand bereits zuvor eine psychische Erkrankung und wie hat sich diese im Verlauf entwickelt?
  • Welche therapeutischen Maßnahmen werden aktuell durchgeführt und welche Probanden-eigene Strategien zum Umgang mit den Einschränkungen bestehen?
  • Wie sind Probanden-eigen und Umfeld-bezogene Kontextfaktoren zu werten, als hinderlich oder förderlich?
  • Wie wäre beispielsweise eine Rückkehr ins Berufsleben zu sehen?
Dieser Schritt wird von vielen onkologischen Patienten als „Rückkehr in die Normalität“ und damit einem Rückgewinn an Routine und Sicherheit gewünscht.
In der Begutachtung ist im Rahmen der Anamnese daher die Erfassung der psychischen Verfassung von erheblicher Bedeutung. Hierzu können standardisierte Instrumente, z. B. zur Erfassung von Depressivität und Angstsymptomatik, oder Fragebögen zur psychischen Dimension der Fatigue genutzt werden.
Auch die Frage nach der aktuell durchgeführten Therapie (medikamentös, psychotherapeutisch o. a.) ist von Bedeutung, da sie ggf. Auswirkungen auf die Funktionsfähigkeit (z. B. Vigilanz bei bestimmten UAW durch Arzneimittel) und eine Bedeutung für die Prognose vorhandener psychischer Störungen haben kann.

Die mentalen/kognitiven Beeinträchtigungen und ihre sozialmedizinische Bedeutung

Nach Diagnose einer Tumorerkrankung oder unter onkologischer Therapie berichten Patienten häufiger über Defizite in den Funktionen von Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Konzentration.
Ursächlich können hierbei hirnorganische Veränderungen, z. B. bei Hirntumoren oder nach operativen Eingriffen im ZNS oder Radiatio sein. Auch eine stressinduzierte Leistungsminderung der geistigen Fähigkeiten kann auftreten. Neuropsychologische Testverfahren können eingesetzt werden um eine weitere Klärung zu erbringen. Allerdings muss kritisch angemerkt werden, dass neuropsychologische Testverfahren in Phasen seelischer Belastungen, wie sie nach Diagnose und unter Therapie einer onkologischen Erkrankung bestehen, ggf. nur eingeschränkt beurteilbar sind und daher mitunter nicht ausreichend zur Begutachtung genutzt werden könnten. Insofern könnte bei der sozialmedizinischen Begutachtung das subjektiv vom Probanden wahrgenommene Problem beschrieben und das Verhalten während der Begutachtung (z. B. die Beantwortung von Fragen zur Anamnese und dem beruflichen Werdegang o. ä.) bewertet werden.

Beurteilung im Kontext der Sozialgesetzgebung

Die sozialmed. Begutachtung erfolgt aus unterschiedlichen Anlässen, bzw. in unterschiedlichen Rechtsgebieten und ist daher mit bestimmten Fragestellungen verbunden. In der Regel sollen Funktionsstörungen bewertet werden als Basis für die Gewährung von entsprechenden Kompensationen. Die sozialmedizinische Begutachtung steht daher immer in einem Kontext, der ein Bewertungssystem darstellt, z. B. im Kontext der Versorgungsmedizin (Sozialgesetzbuch IX) bei der Zumessung eines Grades der Behinderung (GdB), oder des Sozialgesetzbuches (SGB) VII in der Frage der Anerkennung einer Berufskrankheit und hieraus folgenden Versorgungleistungen, oder des SGB XI zur Beurteilung des Pflegebedarfes usw.
Eine häufig auftretende Schwierigkeit im gegenseitigen Verständnis zwischen den akutmedizinisch ausgerichteten Arbeitsweisen in Krankenhaus und ärztlicher Praxis auf der einen Seite und der Begutachtung in der Sozialmedizin auf der anderen Seite ist die unterschiedliche Klassifikation, die zugrunde gelegt wird. So wird im Akutbereich in der Regel die ICD-Kodierung genutzt. Diese klassifiziert Diagnosen und ggf. im DRG-System auch durchgeführte Prozeduren und dient bislang u. a. als Basis der Vergütung von erbrachten medizinischen Leistungen.
In der sozialmedizinischen Begutachtung ist allerdings eine andere Perspektive vorrangig. Hier geht es um die Beantwortung der Frage, ob der Versicherte (z. B. im Bezugssystem gesetzl. Krankenversicherung GKV/Rentenversicherung RV) oder der Antragsteller (z. B. im Bezugssystem der Versorgungsmedizin) Funktionsstörungen hat, die einer Kompensation bedürfen (s. Abschn. 3.1).
Ausgewählte Beispiele der sozialmed. Bewertung
Der Anlass der Begutachtung muss für den Gutachter und den zu Begutachtenden bekannt sein. Eine schriftliche Beauftragung mit Fragestellung sollte vorliegen.
Im Folgenden werden mögliche Anlässe und ihre Bedeutung erläutert:

Beurteilung des Leistungsvermögens (positives und negatives Leistungsvermögen) im SGB VI (Gesetzliche Rentenversicherung)

Eine Begutachtung des positiven und negativen Leistungsvermögens erfolgt z. B. für Versicherte der gesetzlichen Rentenversicherung bei Beantragung einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben oder bei Beantragung einer Erwerbsminderungsrente.
Bei der sozialmed. Begutachtung werden das quantitative und qualitative Leistungsvermögen bewertet.
Das quantitative Leistungsvermögen wird dabei in drei Gruppen eingeteilt:
  • 0 bis < 3 h (entspricht einer vollen Erwerbsminderung);
  • 3 bis < 6 h (entspricht einer teilweisen Erwerbsminderung)
  • 6 bis 8 h (entspricht keiner Erwerbsminderung).
Bei dem qualitativen Leistungsvermögen werden u. a. die Fragen der Arbeitsschwere, der Körperhaltung, möglicher Belastungsfaktoren betrachtet und diese auch unter dem Aspekt der zeitlichen Beanspruchung bewertet. Am Beispiel der Begutachtung für die gesetzliche Rentenversicherung, in diesem Fall für die DRV ist gut zu erkennen, dass Bezeichnungen, die ggf. auch umgangssprachlich verwendet werden, wie z. B. „häufig“, „gelegentlich“, „selten“ eine genaue Definition der zeitlichen Anteile haben, s. hierzu auch das sozialmedizinische Glossar, z. B. ständig = mehr als 90 % der täglichen Arbeitszeit, überwiegend = 50–91 % der täglichen Arbeitszeit, zeitweise = bis zu 10 % der täglichen Arbeitszeit, gelegentlich = bis zu 5 % der täglichen Arbeitszeit. Gleichermaßen verhält es sich mit der Arbeitsschwere, z. B. der Definition von schwerer, mittelschwerer, leichter bis mittelschwerer und leichter körperlicher Arbeit.
Für die Leistungsbeurteilung in der gesetzlichen Rentenversicherung ist es daher unerlässlich sich mit den Definitionen und Begrifflichkeiten vertraut zu machen, diese korrekt einzusetzen bzw. im Text zu erläutern, welche Belastungen im vorliegenden Fall möglich sind und welche nicht.
Zugegriffen 15.01.2023
Für die Beurteilung des positiven und negativen Leistungsvermögens stehen als Grundlage eine Reihe von Publikationen der Deutschen Rentenversicherung zur Verfügung, z. B. das Werk „Sozialmedizinische Begutachtung für die gesetzliche Rentenversicherung“ (Deutsche Rentenversicherung Bund, Berlin (Hrsg.), ISBN-13 978-3-642-10249-3, 7. Auflage, Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York).
Weitere Krankheitsspezifische Leitlinien wurden durch die DRV erstellt.
Zugegriffen: 02.02.2023
Für onkologische Erkrankungen steht die Leitlinie zur Rehabilitationsbedürftigkeit bei onkologischen Krankheiten und die Leitlinie zur Leistungsfähigkeit bei Mammakarzinom zur Verfügung. Auch wenn damit für sehr viele onkologische Erkrankung keine Leitlinie zur Beurteilung des Leistungsvermögens durch die Deutsche Rentenversicherung bereitgestellt ist, lässt sich die Systematik der Beurteilung und die dahinter liegende – ICF basierte Bewertung – auf andere Begutachtungssituationen übertragen.

Begutachtung in der Versorgungsmedizin im SGB IX (Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderung)

Zur Begutachtung in der Versorgungsmedizin liegt als Anlass ein Antrag eines Antragstellenden auf Erreichen eines Grades der Behinderung (GdB) ggf. mit der Zuerkennung von Merkzeichen (MZ) vor.
Das zu Grunde liegende Sozialgesetzbuch ist das SGB IX. Die Grundidee ist die Anerkennung eines Leidens, bzw. der daraus resultierenden Funktionsstörungen, um in einem gewissen Sinne eine Kompensation von krankheitsbedingten Nachteilen zu erreichen, z. B. durch einen Steuerfreibetrag, Erleichterungen in der KfZ Steuer, unentgeltliche Mitnahme von Begleitpersonen, besonderer Kündigungsschutz, zusätzliche Urlaubstag etc.
Bei der Bewertung des GdB handelt es sich um eine finale Betrachtung, dieses ist zu unterscheiden von der Bewertung des GdS (Grades der Schädigungsfolge), die eine kausale Betrachtung beinhaltet.
Die möglichen Kompensationen sind an die Höhe des GdB und/oder das Vorliegen von MZ geknüpft.
So werden erst ab einem GdB von 50, dem Schwerbehindertenstatus zusätzliche Urlaubstage gewährt. Für den Schwerbehindertenstatus gilt der besondere Kündigungsschutz, der die Kündigung allein aufgrund von Behinderung verhindern soll. Aber auch bei einem GdB von 30 oder 40 unterhalb des Schwerbehindertenstatus kann nach Antrag bei der Agentur für Arbeit eine Gleichstellung mit o. g. Kündigungsschutz erreicht werden.
Die Bewertung des GdB erfolgt anhand der VersMedV (Versorgungsmedizin-Verordnung) mit den versorgungsmedizinischen Grundsätzen – dabei handelt es sich um eine rechtsverbindliche Norm. Die Grundlagen zur Begutachtung in der Versorgungsmedizin sind in der VersMedV verbindlich mit Rechtscharakter geregelt, diese können nur durch Gesetzesänderungen (Änderungsverordnungen) verändert werden. Zur Vereinheitlichung der in den Ländern gültigen Ausführungen wurde im März 2009 die „Arbeitsgemeinschaft der versorgungsmedizinisch tätigen Leitenden Ärztinnen und Ärzte der Länder und der Bundeswehr“ gegründet, die vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) unterstützt wird. Durch diese Arbeitsgemeinschaft wird das „Arbeitskompendium der versorgungsmedizinisch tätigen Leitenden Ärztinnen und Ärzte der Länder und der Bundeswehr“ herausgegeben, in dem die Bewertungsmaßstäbe zu den Leiden der menschlichen Organsysteme aufgelistet sind.
Zugegriffen: 02.02.2023
Über 6 Monate anhaltende Funktionseinschränkungen werden nach Organsystemen getrennt bewertet. Da Erkrankungen sich auch bessern können, sind evtl. Nachuntersuchungen zu empfehlen. Bzgl. onkologischer Erkrankungen gibt es die Sonderregelung der sogenannten Heilungsbewährung. Als Besonderheit bei der Bewertung von Krebskrankheiten ist die Zumessung eines GdB für die Phase der Heilungsbewährung zu sehen. Hierbei wird, in der Annahme, dass die Funktionsstörungen vielfältig und zum Zeitpunkt der Bewertung noch nicht in Gänze abschätzbar sind, ein GdB gewählt, der möglicherweise höher als die aktuell vorliegenden Einschränkungen ist. Zu diesem GdB erfolgt nach einem festgelegten Zeitpunkt, z. B. von zwei, drei oder fünf Jahren eine Nachuntersuchung.
Nicht jede maligne Erkrankung bedeutet, dass ein Grad der Behinderung von 50 oder mehr (und somit der Status der Schwerbehinderung) anerkannt wird. So würde z. B. aktuell das Vorliegen einer nicht behandlungsbedürftigen hämatologischen Erkrankung ohne Funktionsstörungen, die eine Höherbewertung begründen, mit einem GdB von 30 oder 40 bewertet.
Da Tumorerkrankungen in allen Organsystemen entstehen können, sind sie in der VersMedV unter dem betroffenen Organsystem zugeordnet, z. B. Mammakarzinom unter „Weibliche Geschlechtsorgane“. Im Unterschied zur Systematik der Bewertung anhand von bestehenden Funktionsstörungen erfolgt in der Bewertung von Tumorerkrankung auch die Berücksichtigung des Tumorstadiums. So wird aktuell bei einem invasiven Mammakarzinom im Stadium pT1-pT2 pN0 ohne weitere Manifestation ein GdB von 50 zugeordnet, während bei gleichem T-Stadium, aber mit pN1-Nodalstatus ein GdB von 60 bewertet wird. Diese Bewertung wird im Rahmen einer Heilungsbewährung angesetzt und beinhaltet die regelhaft zu erwartenden physischen, psychischen und mentalen Folgestörungen. Der Zeitraum der Heilungsbewährung wird in Abhängigkeit von der zugrunde liegenden Erkrankung festgesetzt, z. B. bei einem DCIS der Mamma für den Zeitraum von 2 Jahren, während für ein invasives Mammakarzinom zurzeit eine Heilungsbewährung von 5 Jahren angesetzt würde. Ein wichtiger Zeitpunkt der erneuten Bewertung ist der Ablauf der Heilungsbewährung. Bewertet werden bei dieser Nachuntersuchung der erreichte Remissionsstatus und ggf. fortbestehende Funktionsstörungen. Diese müssen ärztlich dokumentiert sein um in die Bewertung einbezogen zu werden. Mitunter werden Folgestörungen hierbei nicht versorgungsmedizinisch anerkannt, wenn eine ausreichend ärztliche Dokumentation nicht vorliegt.
Zur Bewertung bezüglich des Grades der Behinderung ist eine Feststellung der dauerhaften (über 6 Monate andauernden) Funktionsstörungen erforderlich. Diese sind anhand vorliegender Berichte zu erschließen bzw. anhand der Anamnese und körperlichen Untersuchung, ggf. unter Einbeziehung von Funktionsprüfungen zu bewerten.
Zur Erläuterung bezüglich der GdB-Zumessung hier die Angaben zum Mammakarzinom: wie bereits als Beispiel in 1.2. genannt, stellt das UICC Stadium 0 das niedrigste Tumorstadium dar, es ist definiert als Tis N0 M0; ausgehend von der pathohistologischen Diagnose pTis wird diesem Leiden ein Grad der Behinderung von 50 mit einem Zeitraum der Heilungsbewährung von 2 Jahren zugemessen, d. h. nach 2 Jahren erfolgt die Nachuntersuchung, bei der in Abhängigkeit vom Remissionsstatus und dann ggf. vorhanden Krankheits- und/oder Therapiefolgestörungen der GdB neu festgelegt wird. Besteht hingegen ein UICC Stadium IA als T1 N0 M0 wird ebenso ein GdB von 50 angesetzt, allerdings mit einer Phase der Heilungsbewährung von 5 Jahren und beim UICC Stadium IIA/B (T1 bis T2) pN1 M0 als ein GdB von 60 mit einer Phase der Heilungsbewährung von 5 Jahren.
Am Beispiel eines an einer akuten myeloischen Leukämie Erkrankten wird schnell deutlich, dass es neben einem komplikationsträchtigen Verlauf, möglicherweise mit Aufenthalt auf einer Intensivstation und hiernach lang anhaltenden Folgestörungen auch Patienten gibt, die relativ komplikationsarm durch die Therapie gehen und keine schwerwiegenden Folgestörungen haben.
Dennoch würden beide Patienten zunächst einen GdB von 100 für das erste Jahr der Intensivtherapie erhalten. Nach einem Jahr würde bei kompletter klinischer Remission der GdB zur Heilungsbewährung angesetzt, üblicherweise mit einem GdB von 80 für 3 Jahre und hiernach bei Ablauf der Heilungsbewährung entschieden, welche Folgestörungen vorliegen und wie diese zu bewerten sind. Das Problem der unterschiedlichen Betrachtungsweise von Akutmedizin und Begutachtung wird oft an dieser Stelle relevant, da in der Akutmedizin die Angaben zu möglicherweise vorliegendem Rezidiv, bzw. das Erreichen einer Remission angeben werden, die ohne Zweifel in der Versorgungsmedizin wichtige Angaben sind, aber in den Berichten fehlende oder unzureichende Angaben zu fortbestehenden Funktionsstörungen vorliegen.
Folgestörungen einer Tumorerkrankung, die über das zu erwartende Ausmaß hinausgehen, werden gesondert bewertet. Als Beispiel kann eine psychische Begleiterkrankung zur Anerkennung im Schwerbehindertenrecht gesehen werden. Die üblichen seelischen Begleiterscheinungen im Rahmen der Tumorerkrankung sind im GdB berücksichtigt. Sollte es sich aber um eine – möglicherweise bereits zuvor bestehende Erkrankung handeln- so ist diese auch entsprechend gesondert zu bewerten.
Die Ermittlung des Gesamt-GdB erfolgt in der Zusammenschau aller Leiden und der Auswirkung auf den Antragsteller. So könnte eine bereits zuvor bestehende Funktionsstörung am Sprunggelenk eines Beines mit einem gewissen Einzel-GdB bewertet werden; eine neu hinzukommende Bewertung eines Leidens am Knie desselben Beines würde in der Gesamtschau evtl. keine wesentliche zusätzliche Beeinträchtigung dieser Extremität bedeuten und somit auch den Gesamt-GdB nicht, oder nur in dem Maße erhöhen, in dem tatsächlich für das betroffene Bein ein zusätzliches Defizit festzustellen ist. Eine zusätzlich aufgetretene Funktionsstörung am Knie des anderen Beines würde hingegen zu einer Beeinträchtigung beider Beine führen und daher den Gesamt-GdB ggf. mehr erhöhen.
Die Zumessung eines bestimmten Grades der Behinderung ist keine Aussage zum Leistungsvermögen im Erwerbsleben. Zu beachten ist, dass sozialmedizinische Begutachtungen, die in einem definierten Kontext, z. B. im SGB VII erstellt sind, zwar einen Hinweis in andere Rechtsbereiche, z. B. in die Begutachtung im SGB IX geben können, aber keine Vorgabe bezüglich der Bewertung darstellen. So darf eine anerkannte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 % aufgrund einer Berufskrankheit oder eines Arbeitsunfalles nicht in einen GdB von 30 „übersetzt“ werden. In der Zumessung der MdE wird bewertet, wie hoch der Anteil des verschlossenen Arbeitsmarktes aufgrund der Schädigung ist, es handelt sich inhaltlich um eine kausale Betrachtung, während in der finalen Betrachtung des GdB im Schwerbehindertenrecht die Funktionsstörung und ihre Bedeutung auf die Teilhabe am sozialen Leben betrachtet wird.
Bei den Merkzeichen wird u. a. das Vorliegen einer erheblichen („G“) oder außergewöhnlichen („aG“) Gehbehinderung geprüft. Weitere Merkzeichen, durch die Nachteilsausgleiche erreicht werden können, sind die medizinische Notwendigkeit einer Begleitperson bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln („B“), die Befreiung/Reduktion von der Rundfunkgebührenpflicht („RF“) oder das Vorliegen einer Hilflosigkeit im Sinne des Gesetzes („H“). Die hierzu notwendigen Voraussetzungen können auf Dauer oder ggf. zeitlich befristet als erfüllt gewertet werden. In letzterem Fall würde eine Nachuntersuchung festgesetzt, die auch für das Leiden bestünde aufgrund dessen das Merkzeichen vergeben wird.
In der Begutachtung im SGB IX wird die Funktionsstörung als Abweichung vom altersgemäßen Zustand bewertet. Dieser Aspekt ist besonders in der Begutachtung bei Kindern und älteren Menschen zu berücksichtigen, da bestimmte Fähigkeiten und Funktionen im Laufe des Lebens Veränderungen unterliegen.
Zugegriffen 29.01.2023 14 Uhr

Begutachtung bei Beantragung eines Pflegegrades im SGB XI (Soziale Pflegeversicherung)

In der Begutachtung des SGB XI, die bei Beantragung von Leistungen der Pflegeversicherung erforderlich wird, werden folgende Module bewertet
  • Mobilität
  • kognitive und kommunikative Fähigkeiten
  • Verhaltensweisen und psychische Problemlagen
  • Selbstversorgung
  • Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- und therapiebedingten Anforderungen und Belastungen
  • Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte.
Für die einzelnen Module werden Prüffragen in der Begutachtung bearbeitet und in Abhängigkeit vom Ausmaß des Unterstützungsbedarfes (selbstständig/überwiegend selbstständig/überwiegend unselbstständig/unselbstständig) ein Punktwert vergeben.
Aus der Summe der gewichteten Punkte wird der Pflegegrad (0 = kein Pflegegrad bis zu Pflegegrad 5, entsprechend einer Summe gewichteter Punkte von 90–100) ermittelt.
Auch das Vorliegen eines Pflegegrades läßt keine Aussage auf das Ausmaß einer Schwerbehinderung zu, kann jedoch Hinweise geben und als Dokumentation für die Zuerkennung von Merkzeichen im SGB IX hilfreich sein.
Für onkologische Patienten sind in der Bewertung besonders folgende Parameter relevant: z. B. die Mobilität, die Nutzung von Hilfsmitteln, Beurteilung der Sturzgefahr, die Selbstversorgung bei Harn- und/oder Stuhlinkontinenz, der Vorlagenverbrauch, die Versorgung von Stomata.
Zugegriffen: 15.01.2023

Zusammenfassung

Die sozialmedizinische Begutachtung in der Onkologie stellt eine wichtige und anspruchsvolle Aufgabe dar.
Für Betroffene sind die Fragen der Teilhabe am beruflichen und sozialen Leben nach oder mit einer Tumorerkrankung und die hierzu ggf. benötigten Unterstützungen und Hilfen ein elementarer Baustein eines „Cancer survivorship“.
Für Sozialleistungsträger klärt die Begutachtung, ob die erforderlichen Voraussetzungen für den Bezug von Leistungen in einem Solidarsystem erfüllt sind.
Bei der Begutachtung im Rahmen der beruflichen Wiedereingliederung gibt sie allen Beteiligten die Chance einen leidensgerechten Arbeitsplatz für einen leistungsgewandelten Beschäftigten zu finden.
Zur Erfüllung dieser Aufgabe sind für den Gutachter die Kenntnisse zur onkologischen Erkrankung, zu den durchgeführten Therapien und ihren potenziellen günstigen/ungünstigen Wirkungen und der Wechselwirkungen mit ggf. vorbestehenden Leiden erforderlich.
In der Erstellung eines Gutachtens sind die aufmerksame Wahrnehmung der Eigenanamnese, die gründliche körperliche Untersuchung und die kritische Würdigung aller vorliegenden Befunde erforderlich sowie die Bezugnahme auf den Kontext und die Fragestellung, zu der die Begutachtung erfolgt.