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Die Anästhesiologie
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Publiziert am: 25.03.2017

Benzodiazepine in der Anästhesiologie

Verfasst von: Raimund Busley
Benzodiazepine werden ihrer anxiolytischen und sedierenden Wirkung wegen häufig zur Prämedikation vor einer Narkose eingesetzt, eignen sich aber auch als Hypnotika für diagnostische Eingriffe und als hypnotische Komponente im Rahmen einer balancierten Anästhesie. Antikonvulsive Wirkungen der Benzodiazepine werden für die Anfallprophylaxe, muskelrelaxierende Eigenschaften zur Therapie von muskulären Verspannungen genutzt.
Einleitung
Benzodiazepine werden ihrer anxiolytischen und sedierenden Wirkung wegen häufig zur Prämedikation vor einer Narkose eingesetzt, eignen sich aber auch als Hypnotika für diagnostische Eingriffe und als hypnotische Komponente im Rahmen einer balancierten Anästhesie. Antikonvulsive Wirkungen der Benzodiazepine werden für die Anfallprophylaxe, muskelrelaxierende Eigenschaften zur Therapie von muskulären Verspannungen genutzt.

Benzodiazepine

PharmakologischeGrundlagen

Chemische Struktur

Das Grundgerüst der Benzodiazepine besteht aus einem Benzol-Sechserring und einem angelagerten Diazepin-Siebenerring, an den über eine Brücke ein weiterer Benzol-Sechserring gekoppelt ist (Abb. 1).
Als erstes Benzodiazepin wurde Chlordiazepoxid 1955 von Sternbach entdeckt. Durch verschiedene Liganden an den 3 Ringstrukturen wurden etwa 20 weitere auf dem deutschen Markt zugelassene Benzodiazepine synthetisiert. Diese unterscheiden sich in ihren pharmakokinetischen Eigenschaften wie Potenz und Rezeptoraffinität, Löslichkeitsverhalten, Biotransformation und Wirkungsdauer (Abb. 2). Demgegenüber unterscheiden sich die Einzelsubstanzen nur wenig im Bezug auf das pharmakodynamische Wirkprofil von Sedierung, Hypnose, Anxiolyse, Antikonvulsion, Amnesie und zentral vermittelter Muskelrelaxierung.

Wirkmechanismus

Die Benzodiazepinwirkung beruht in erster Linie auf einer Beeinflussung des inhibitorischen, durch seine Transmittersubstanz γ-Aminobuttersäure (GABA) gekennzeichneten Systems im zentralen Nervensystem.
Ungefähr 30 % aller Synapsen im ZNS benutzen GABA als Transmittersubstanz. Nach ihrer Wirkungsweise werden 3 Rezeptortypen (GABAA-, GABAB- und GABAnonA-nonB-Rezeptoren) unterschieden. Durch Bindung an GABAA-Rezeptoren induziert GABA im ZNS einen vermehrten Cl -Einstrom in die Nervenzelle und damit eine Hyperpolarisation der Zellmembran. Durch die Verminderung der neuronalen Erregbarkeit werden v. a. dopaminerge und noradrenerge exzitatorische Erregungsabläufe im ZNS gedämpft.
Benzodiazepine binden an spezifische Bindungsstellen am GABAA-Rezeptor, die Benzodiazepinrezeptoren.
Die natürliche Bedeutung der Benzodiazepinrezeptoren ist bisher weitgehend unklar. Wahrscheinlich modulieren sie in vivo durch körpereigene Liganden die inhibitorische Wirkung der GABA-vermittelten Erregungsübertragung. Allerdings weisen nicht alle GABAA-Rezeptoren Benzodiazepinrezeptoren auf.
Vorkommen der Benzodiazepinrezeptoren (nach abnehmender Dichte geordnet)
  • Großhirn- und Kleinhirnrinde
  • Limbisches System, subkortikale Kerngebiete und Hypothalamus
  • Rückenmark
  • Periphere Gewebe
Der GABA-Benzodiazepinrezeptor-Komplex ist ein großer, transmembranöser Glykoproteinkomplex, der aus 5 Untereinheiten besteht und als Pentamer den ligandengesteuerten Chloridionenkanal umschließt (Abb. 3).
Molekularbiologisch konnten unterschiedliche Gruppen von GABA-Benzodiazepinrezeptor-Komplexen differenziert werden. Diese unterscheiden sich im Aufbau der α-Untereinheiten und der Affinität zu bestimmten Benzodiazepinen, ohne dass zum jetzigen Zeitpunkt schon auf eine unterschiedliche Funktion geschlossen werden kann.
Durch die Bindung von agonistischen Benzodiazepinen an den spezifischen Benzodiazepinrezeptor nimmt die Affinität von GABA zum GABAA-Rezeptor zu.
Der nachfolgende Chloridioneneinstrom in die Nervenzelle erhöht sich durch Zunahme der Frequenz des geöffneten Zustands der Ionenkanäle (im Gegensatz zur Verlängerung der Öffnungsdauer nach Barbituratgabe). Die Erregbarkeit der Nervenzelle wird durch Hyperpolarisation vermindert.
Antagonistisch wirksame Benzodiazepine wie Flumazenil besetzen den spezifischen Benzodiazepinrezeptor kompetitiv zu den Agonisten, beeinflussen jedoch selbst die Erregungsübertragung am GABAA-Rezeptor nicht.
In jüngster Zeit wird das spezifische Wirkprofil partiell agonistisch wirksamer Substanzen wie Clonazepam näher charakterisiert. Diese entfalten nur schwache intrinsische Aktivität. So vermindern sie z. B. die zerebrale Krampfbereitschaft bei gleichzeitig nur sehr schwach ausgeprägten sedierenden oder muskelrelaxierenden Effekten.
Die Bedeutung von invers-agonistischen, körpereigenen Substanzen, die die Erregungsübertragung am GABAA-Rezeptor hemmen und somit die exzitatorische Aktivität im zentralen Nervensystem erhöhen können, ist bis heute unklar. Möglicherweise ergeben sich aus dem invers-agonistischen Wirkprinzip auch neue therapeutische Einsatzmöglichkeiten für benzodiazepinähnliche Substanzen aus der Gruppe der β-Carboline.
Benzodiazepine können allerdings auch unabhängig von GABA die Erregbarkeit einzelner Nervenzellen hemmen.
In jüngster Zeit wird deshalb diskutiert, ob die pharmakodynamischen Eigenschaften der Benzodiazepine nicht auch über eine direkte Veränderung des spannungsabhängigen Kalziumeinstroms in die Nervenzelle vermittelt werden.

Pharmakokinetik

Aufnahme nach unterschiedlicher Applikation

Die systemische Aufnahme der Benzodiazepine hängt zum einen von den physikochemischen Eigenschaften der Einzelsubstanz ab, zum anderen aber auch von der pharmazeutischen Zubereitung. Eine Sonderstellung nimmt das Midazolam ein, das zwar wie viele andere Substanzen der Gruppe eine hohe Lipophilität besitzt, in saurem Milieu (i.v.-Zubereitung) allerdings durch reversible Spaltung des Imidazolrings wasserlöslich wird (Abb. 4).
Oral
Benzodiazepine mit hoher Lipophilie, z. B. Midazolam oder Diazepam, werden nach oraler Applikation sehr rasch und nahezu vollständig resorbiert. Sie erreichen die höchsten Plasmaspiegel innerhalb der ersten Stunde, bei Kindern sogar innerhalb der ersten 15–30 min.
Im Gegensatz hierzu werden Substanzen mit niedrigerer Lipophilie, wie Clonazepam und Oxazepam, nach oraler Gabe nur sehr langsam resorbiert, die höchste Konzentration im Plasma tritt erst nach einigen Stunden auf.
Clorazepat und Prazepam werden im Gastrointestinaltrakt zum aktiven Metaboliten N-Desmethyldiazepam dekarboxyliert, der seinerseits sehr rasch resorbiert wird.
Benzodiazepine unterliegen einem hohen First-pass-Effekt in der Leber, der z. B. bei Midazolam zu einer Bioverfügbarkeit von nur etwa 50 % der oral applizierten Dosis führt.
Intravenös
Nach i.v.-Injektion von Midazolam tritt die sedierende Wirkung innerhalb von 2 min ein. Das Wirkmaximum ist nach 5–8 min erreicht. Allerdings besteht sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen eine große Variabilität in der Dosis-Wirkungs-Beziehung.
Wegen seiner guten Wasserlöslichkeit im sauren Milieu wird die i.v.-Injektion von Midazolam im Allgemeinen gut toleriert, während die i.v.-Zufuhr der meisten anderen Benzodiazepine Schmerzen und Entzündungsreaktionen an der betroffenen Vene verursachen kann.
Intramuskulär
Nach i.m.-Injektion variiert die systemische Aufnahme stark und ist u. a. abhängig vom Injektionsort. Substanzen mit hoher Lipophilie wie Diazepam und Chlordiazepoxid werden im Vergleich zur oralen Gabe nur sehr verzögert resorbiert. Diazepam kann nach i.m.-Injektion auskristallisieren und am Injektionsort länger anhaltende Schmerzen verursachen. Im Gegensatz hierzu tritt die Wirkung von Midazolam nach i.m.-Injektion wegen seiner guten Wasserlöslichkeit rasch ein und beträgt nahezu 90 %.
Rektal
Als Alternative zu den bisher genannten Applikationsarten erhalten Kinder unter 10 Jahren zur Prämedikation in ca. 20 % der Anästhesieabteilungen in Deutschland Midazolaminjektionslösung rektal appliziert. Das sedativ-hypnotische Wirkmaximum kann 20–30 min nach der Gabe beobachtet werden. Obwohl bei rektaler Applikation im Gegensatz zur oralen Gabe kaum ein First-pass-Effekt durch die Leber zu erwarten ist, unterscheiden sich die jeweils zur ausreichenden Prämedikation erforderlichen Dosen nicht.
Nasal und sublingual
Über die Nasen- und Mundschleimhäute wird Midazolam in gleicher Weise rasch resorbiert. Die sublinguale Gabe oder die Applikation über einen nasalen Medikamentenzerstäuber wird von den meist kleinen Patienten sehr gut toleriert. Das Wirkmaximum tritt bereits nach 10 min ein. Für eine ausreichende Prämedikation bei jüngeren Kindern ist nur die Hälfte der oralen bzw. rektalen Dosis nötig.

Verteilung, Metabolismus, Elimination

Verteilung
Die Verteilung der Benzodiazepine ist der entscheidende Faktor für das An- und Abklingen der pharmakologischen Wirkung. In der ersten Distributionsphase gelangt die Substanz nach Resorption oder i.v.-Applikation sehr rasch in die gut perfundierten Gewebe einschließlich des Gehirns. Nachdem die Benzodiazepine zu 70–99 % an Plasmaproteine binden, steht nur der kleine Anteil der frei im Plasma gelösten Dosis für die Passage der Blut-Hirn-Schranke zur Verfügung. Die Konzentration im Liquor gleicht ungefähr der Konzentration der freien Substanz im Plasma. Über rasch einsetzende Umverteilungsvorgänge zu weniger gut durchbluteten Geweben nimmt die Benzodiazepinkonzentration an den Rezeptoren des ZNS in der zweiten Distributionsphase ab, sodass die konzentrationsabhängige Wirksamkeit nachlässt. In einer dritten Distributionsphase wird die Substanz in bradytrophen Geweben – wie dem Körperfett – gespeichert.
In nichtionisierter Form haben alle Benzodiazepine einen hohen Lipid-Wasser-Verteilungskoeffizienten. Trotzdem unterscheidet sich die Lipophilie der einzelnen Substanzen, abhängig von der Polarität und der Elektronegativität der jeweiligen Liganden, um das bis zu 50-fache. Das Verteilungsvolumen liegt zwischen 0,3 und 4 l/kgKG (Tab. 1).
Tab. 1
Pharmakokinetische Daten anästhesiologisch relevanter Benzodiazepine
Einteilung
Medikament
Verteilungsvolumen (Vd [l/kgKG])
Metabolismus [Clearance in l/min]
Elimination [Eliminations-HWZ in h]
Klinische Wirkung
Beginn
Dauer
Kurzwirksam
Midazolam (Dormicum)
0,7–1,2
Hepatisch: 0,4–0,8
Renal: 1,7–5
0,5–2 min (i.v.); 15 min (p.o)
5–8 min (i.v.); 30 min (p.o.)
15 min (i.v.)
60 min (p.o.)
Mittellang wirksam
Flunitrazepam (Rohypnol)
3,8
Hepatisch
9–25 (aktive Metabolite: 23–31)
3–5 min (i.v.)
 
6–8 h
Langwirksam
Diazepam (Valium)
0,7–1,7
Hepatisch: 0,01–0,04
Renal: 30–60a
3–8 min (i.v.)
 
6–10 h
Clorazepat (Tranxilium)
0,33
0,1
1,5–2,5a
30 min (p.o.)
45–60 min (p.o.)
8–10 h
Antagonistisch wirksam
Flumazenil (Anexate)
0,6–1,6
Hepatisch: 0,7–1,3
Extrarenal: 0,7–1,3
i.v.-Titration nach Wirkung: initial 0,2 mg, in Abständen von 1 min je 0,1 mg (Gesamtdosis max. 1–4 mg)
60 min
aEliminations-HWZ des biologisch aktiven Hauptmetaboliten Desmethyldiazepam 30–100 h
Tritt bei längerfristiger oder repetitiver Gabe ein Konzentrationsgleichgewicht zwischen den verschiedenen Kompartimenten („steady state“) ein, so sind die Umverteilungsvorgänge sehr stark verlangsamt. Metabolisierung und Elimination werden dann zu den entscheidenden Faktoren für das Abklingen der pharmakologischen Wirkung.
Metabolismus
Die Metabolisierung der Benzodiazepine findet in der Leber statt und erfolgt in 2 Stoffwechselschritten:
  • Phase-I-Reaktion: mikrosomale Oxidation durch Cytochrom-P450-abhängige Demethylierung und Dealkylierung sowie Hydroxylierung.
  • Phase-II-Reaktion: Konjugation an Glukuronsäure.
Im Rahmen der Phase-I-Reaktion bilden eine ganze Reihe von Benzodiazepinen pharmakodynamisch aktive Metabolite, v. a. N-Desmethyldiazepam und Oxazepam, die ihrerseits metabolisiert werden müssen. Einige Benzodiazepine unterliegen nicht der Phase-I-Reaktion, sondern werden direkt glukuronidiert und als inaktive Metabolite eliminiert (Abb. 5).
Einteilung nach Wirkdauer
Cave
Die pharmakokinetischen Parameter für die Halbwertszeiten der Einzelsubstanzen sind oft irreführend, wenn die Wirkdauer durch aktive Metabolite beeinflusst wird, die gegenüber der Ausgangssubstanz sehr viel langsamer eliminiert werden.
So hat der aus Diazepam, Clorazepat und vielen weiteren Substanzen durch Desalkylierung gebildete aktive Metabolit N-Desmethyldiazepam eine Halbwertszeit von bis zu 100 h, wird aber auch noch zu einem weiteren aktiven Metaboliten, dem Oxazepam, hydroxiliert. 5–8 h nach der Applikation kann bei diesen Substanzen ein – durch enterohepatische Rezirkulation verursachtes – zweites Wirkmaximum beobachtet werden.
Der aus Midazolam gebildete aktive Metabolit α-Hydroxymidazolam wird mit einer Halbwertszeit <1 h hingegen rasch selbst durch Glukuronidierung inaktiviert.
Bei Substanzen wie Oxazepam, Lorazepam oder Lormetazepam, die gleich im ersten Schritt durch Glukuronidierung zu inaktiven Metaboliten umgewandelt werden, korreliert die Wirkdauer im Wesentlichen mit der Halbwertszeit (Abb. 5).
Elimination
Die durch Glukuronidierung der Benzodiazepine bzw. ihrer aktiven Metaboliten gebildeten wasserlöslichen, inaktiven Komplexe können über die Niere rasch ausgeschieden werden.

Auswirkung veränderter Organfunktion

Eingeschränkte Organfunktion
Die Metabolisierung von Benzodiazepinen, die die Phase-I- und Phase-II-Reaktionen nacheinander durchlaufen, kann durch Veränderungen der Leberfunktion stark beeinträchtigt werden. So ist bei Patienten mit entzündlichen oder zirrhotischen Lebererkrankungen und durch Medikamente, die die Funktion des Enzyms Cytochrom-P450 hemmen, die Metabolisierung dieser Benzodiazepine verzögert. Demgegenüber ist die Metabolisierung von Benzodiazepinen, die nur den Stoffwechselschritt der Konjugation an Glukuronsäure durchlaufen, wenig störanfällig, da die Leber eine sehr hohe und nicht absättigbare Glukuronidierungskapazität besitzt.
Einschränkungen in der Nierenfunktion können zu einer Verlangsamung der Elimination der glukuronidierten Komplexe führen. Da diese pharmakologisch unwirksam sind, ist die Benzodiazepinwirkung nicht verlängert.
Altersabhängigkeit
Bei Neugeborenen und alten Menschen ist die Biosynthese der für die Metabolisierung notwendigen Leberenzyme verlangsamt. Dadurch kann die Wirkdauer von Benzodiazepinen, die über die Phase-I-Reaktion abgebaut werden, signifikant verlängert sein und unterliegt großen interindividuellen Schwankungen [14]. Kaum vermindert ist dagegen die Glukuronidierungskapazität der Leber bei alten Menschen, sodass die Phase-II-Reaktion vom höheren Lebensalter weitgehend unbeeinflusst bleibt. Demgegenüber ist bei alten Patienten das Verteilungsvolumen häufig erhöht. Das führt zur Verzögerung der Elimination von Benzodiazepinen. Unabhängig von pharmakokinetischen Veränderungen nimmt im höheren Lebensalter gleichzeitig auch die Empfindlichkeit für die hypnotischen Effekte der Benzodiazepine im Sinne einer veränderten Pharmakodynamik zu.
Schwangerschaft und Stillzeit
Benzodiazepine passieren die Plazentaschranke und können beim Neugeborenen Sedierung, nach chronischer Einnahme durch die Mutter auch Entzugserscheinungen induzieren. Tierexperimentelle Studien weisen zudem auf eine Behinderung der fetalen neuronalen Vernetzung des CNS durch GABAA-stimulierende Substanzen hin [6]. Benzodiazepine treten in die Muttermilch über.
Cave
Die durch maternale Benzodiazepineinnahme verursachte Dämpfung des kindlichen ZNS stellt in der Neonatologie ein ernstes Problem dar.

Neuentwicklung: Remimazolam (CNS-7056)

Zur besseren Steuerbarkeit der Benzodiazepinanwendung wurde Remimazolam synthetisiert, eine Substanz mit vorhersagbar schnellem Wirkungseintritt und kurzer Wirkdauer. In Anlehnung an den Metabolismus von Remifentanil wurde eine Carboxylestergruppe an das Benzodiazepingrundgerüst angelagert, die durch unspezifische Esterasen rasch zum pharmakologisch praktisch unwirksamen Metaboliten CNS-7054 gespalten wird [7]. Die neue Substanz befindet sich derzeit in der klinischen Prüfung [18] und könnte insbesondere für die zielgenaue Steuerung der Sedierung im Rahmen kurzer Eingriffe (z. B. gastroenterologische Endoskopie) Bedeutung erlangen [2, 20].

Pharmakodynamik

Wirkungen auf das zentrale Nervensystem

Das pharmakodynamische Wirkprofil der Benzodiazepine ist in Tab. 2 zusammengefasst. Die Ausprägung spezifischer Wirkungen ist wahrscheinlich sehr viel mehr von dem Anteil besetzter Rezeptoren abhängig, als von der jeweiligen Substanz.
Tab. 2
Pharmakodynamik der Benzodiazepine
Wirkungen
Nebenwirkungen
Pharmakologische Wechselwirkungen
Sedierung
Atemdepression
Verstärkung der sedierenden Wirkung von Hypnotika, Opioiden und Alkohol
Arterielle Hypotension (bei Kombination mit Opioiden)
Wirkverstärkung von Antihypertensiva
Anxiolyse
Thrombophlebitis
 
Anterograde Amnesie
 
Antikonvulsion
  
Muskelrelaxierung
  
Während für die Anxiolyse ein Anteil von unter 20 % besetzter Rezeptoren ausreicht, für eine Antikonvulsion ungefähr 25 %, tritt eine Sedierung erst bei 30–50 % ein, ein Bewusstseinsverlust erst bei über 60 %.
Die Beobachtung, dass sich nicht alle pharmakodynamischen Effekte der Benzodiazepine durch den spezifischen Antagonisten Flumazenil in gleicher Weise aufheben lassen, deutet darauf hin, dass die verschiedenen Benzodiazepinwirkungen möglicherweise auch durch eine Heterogenität der GABA-Benzodiazepinrezeptor-Komplexe bedingt sind. Die große Streubreite bei der sedierenden Wirkung von Benzodiazepinen könnte mit nicht-GABA-Rezeptor-vermittelten Benzodiazepineffekten zu tun haben, wie sie in Abschn. 1.2 angesprochen wurden. Benzodiazepine vermindern dosisabhängig den zerebralen Metabolismus und möglicherweise auch den zerebralen O2-Verbrauch, allerdings in sehr viel geringerem Ausmaß als die Barbiturate. In diesem Zusammenhang wird auch eine neuroprotektive Wirkung der Benzodiazepine bei der zerebralen Hypoxie postuliert [15].
Sedierung und Hypnose
Benzodiazepine eignen sich hervorragend als Tranquilanzien und haben die Barbiturate wegen eines wesentlich günstigeren Nebenwirkungsprofils bei vergleichbarer Wirksamkeit weitgehend verdrängt. Die Einschlafzeit wird durch Benzodiazepingabe verkürzt, die Schlafdauer insgesamt verlängert, die Anzahl der Aufwachphasen verringert. Die REM-Schlafphasen verkürzen sich zugunsten des Schlafstadiums 2 (Hauptanteil des Nicht-REM-Schlafs), treten allerdings, v. a. in späteren Schlafphasen, gehäuft auf. Tiefere Schlafphasen (Stadium 3 und 4) werden zunehmend unterdrückt.
Durch die Applikation von Benzodiazepinen in hypnotischer Dosierung verlagert sich die Aktivität im EEG: während die α-Wellen sistieren, kommt es zu ausgeprägter β-Aktivität bei 15 und 22 Hz. Midazolam erhöht die Latenz, beeinflusst jedoch nicht die Amplitude von somatosensorisch evozierten Potenzialen.
Die hypnotische Wirkung der Benzodiazepine wird v. a. durch Dämpfung der – für den Wachzustand wichtigen – Formatio reticularis im Mittelhirn vermittelt. Da Benzodiazepine keine analgetischen Eigenschaften besitzen, sind sie nicht als Monoanästhetikum bei operativen Eingriffen geeignet, werden allerdings als sedative Komponente im Rahmen einer balanzierten Anästhesie in Kombination mit Opioiden eingesetzt.
Cave
Benzodiazepine unterdrücken die kortikale Reizverarbeitung nicht zuverlässig. Deshalb kann eine intraoperative Wachheit durch die alleinige Anwendung von Benzodiazepinen als sedierende Komponente im Rahmen einer balancierten Anästhesie nicht sicher ausgeschlossen werden.
Anxiolyse
Bereits in sehr niedriger Dosierung wirken alle Benzodiazepine anxiolytisch für reaktive Ängste und ihre Konversion in den somatischen Bereich, wie sie häufig perioperativ auftreten. Phobien und Zwangssymptomatiken sind der Benzodiazepintherapie weniger zugänglich, sondern sprechen besser auf trizyklische Antidepressiva und Monoaminooxidasehemmer an.
Pro- und antikonvulsive Wirkungen
Benzodiazepine können durch Potenzierung inhibitorisch wirksamer Mechanismen im ZNS anhaltende Hochfrequenzentladungen von Neuronen, wie sie beim Status epilepticus auftreten, vermindern. Eine Unterbindung der pathologischen Abgabe von Stimulationen kann allerdings durch Benzodiazepine nicht erreicht werden, sodass sie sich zwar für die Prophylaxe von Petit-mal-Anfällen eignen, nicht jedoch zur Vorbeugung von generalisierten, tonisch-klonischen Krampfanfällen.
Das spezifische Wirkprofil partiell agonistisch wirksamer Substanzen wie Clonazepam scheint für die Epilepsieprophylaxe besonders günstig zu sein. Diese entfalten nur eine schwache intrinsische Aktivität. So vermindern sie die zerebrale Krampfbereitschaft, haben aber nur sehr schwache sedierende oder muskelrelaxierende Effekte (Abschn. 1.2).
Cave
Abruptes Absetzen einer langfristigen Benzodiazepinmedikation kann zu einem Reboundphänomen mit Verstärkung der Anfallhäufigkeit bis hin zur Entwicklung eines Status epilepticus führen.
Krampfanfälle, die durch toxische Lokalanästhetikakonzentrationen oder Alkoholentzug hervorgerufen werden, sprechen gut auf Benzodiazepine an.
Amnesie
Benzodiazepine induzieren zuverlässig eine anterograde Amnesie bereits in subhypnotischer Dosierung. Die Amnesie hält deutlich länger an als die Sedierung.
Muskelrelaxation
Die muskelrelaxierende Wirkung der Benzodiazepine beruht auf einer Potenzierung der präsynaptischen Hemmung primärer Afferenzen auf spinaler Ebene. Durch die Verstärkung der GABA-vermittelten, präsynaptischen Inhibition wird die Freisetzung von Glutamat aus den Nervenendigungen der primären Afferenzen reduziert. Die Rezeptoren weisen spinal eine viel geringere Dichte als zerebral auf. Die für eine effektive Senkung des Muskeltonus beim wachen, gesunden Menschen notwendige Benzodiazepinkonzentration liegt in einem Bereich, der gleichzeitig eine erhebliche Vigilanzminderung induziert. Bei pathologischer Tonuserhöhung, wie sie z. B. bei radikulären Syndromen auftritt, kann eine sehr viel geringere Konzentration zur Erniedrigung des Muskeltonus führen. Allerdings liegt auch hier die Dosierung weit über der anxiolytischen Schwelle.
Paradoxe Wirkungen
Paradoxe Wirkungen sind:
  • Angstzustände,
  • gesteigerte Unruhe,
  • Schlaflosigkeit,
  • Alpträume,
  • Euphorie,
  • Logorrhö,
  • zunehmende Aggressivität,
  • vegetative Symptome (z. B. Tachykardie, Schwitzen).
Die paradoxen und disinhibitorischen Wirkungen sind sehr selten und wahrscheinlich dosisabhängig. Der genaue Pathomechanismus ist ungeklärt, bei Kleinkindern wird dafür hypothetisch eine mögliche Unreife des Gehirns, bei alten Menschen die verminderte Clearance mit konsekutiv erhöhter Wirkstoffkonzentration verantwortlich gemacht.

Wirkungen auf das Herz-Kreislauf-System

Im niedrigen Dosisbereich beeinflussen Benzodiazepine die Herz-Kreislauf-Funktion nicht. In einer für die Narkoseeinleitung benötigten Dosierung sinkt der arterielle Blutdruck, die Herzfrequenz steigt an. Zugrunde liegt eine Abnahme von peripherem Widerstand und linksventrikulärem Auswurfvolumen. Als Mediator der negativ inotropen Effekte der Benzodiazepine wird das kardiodepressiv wirkende Adenosin diskutiert. Im hypnotischen Dosisbereich kann auch der zerebrale Blutfluss abnehmen.

Wirkungen auf das respiratorische System

Benzodiazepine beeinflussen trotz ihrer hypnotischen Wirkung bei Patienten ohne weitere Risikofaktoren die Spontanatmung kaum. In höherer Dosierung erhöhen sie die Hypoxietoleranz, während der CO2-abhängige Atemantrieb weitgehend unbeeinflusst bleibt.
Cave
Kommt allerdings eine Hyperkapnietoleranz wie bei Patienten mit chronisch obstruktiver Ventilationsstörung oder Schlafapnoesyndrom dazu, oder werden gleichzeitig weitere sedierende Substanzen verabreicht, so kann unter Benzodiazepineinnahme eine beatmungspflichtige Ventilationsstörung auftreten.
Zusätzlich führt die zentral vermittelte Erniedrigung des Muskeltonus durch Benzodiazepine bei Patienten, die schon unter physiologischen Bedingungen während des Schlafs zum Kollabieren der Rachen-Hals-Muskulatur und damit zu vernehmbarem Schnarchen neigen, zur Verstärkung der Symptomatik bis hin zu längeren Apnoephasen mit potenzieller Hypoxämie.

Wirkungen auf andere Organsysteme

Gastrointestinaltrakt
Diazepam reduziert beim Menschen die nächtliche gastrale Sekretion und weist im Tierexperiment auch eine protektive Wirkung gegenüber Stressulzera auf. Funktionelle gastrointestinale Beschwerden, durch psychische Erregungszustände hervorgerufen, lassen sich häufig durch den Einsatz von Benzodiazepinen bessern.
Immunsystem
In vivo moduliert Midazolam die humorale und zelluläre Immunantwort [11]. Die Bedeutung dieser Beobachtung bei der Anwendung am Menschen ist bislang allerdings nicht geklärt [19].

Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten

Anästhetika
Benzodiazepine weisen vielerlei Wechselwirkungen mit anderen, zentral wirksamen Substanzen auf, insbesondere mit Anästhetika.
Die minimale alveoläre Konzentration (MAC) volatiler Anästhetika nimmt durch die Zugabe von Benzodiazepinen um 30–50 % ab.
Synergistisch sind auch die hypnotischen Wirkungen von Benzodiazepinen und Barbituraten, beide vermittelt über die verstärkte Stimulation GABAerger Neurone. Interessanterweise lässt sich dieser Synergismus allerdings nicht für die „burst suppression“ im EEG nachweisen.
Komplexer sind die Wechselwirkungen mit Opioiden, bei denen es zu einer Wirkungsverstärkung der sedierenden nicht jedoch der analgetischen Effekte kommt.
Benzodiazepine können bereits in subhypnotischer Dosierung zuverlässig die bei der Ketaminanwendung gefürchteten Alptraumepisoden verhindern nicht jedoch die durch Ketamin hervorgerufene Hirndrucksteigerung.
Benzodiazepine werden häufig supportiv im Rahmen von Regionalanästhesieverfahren eingesetzt. Normalerweise sind Hämodynamik oder respiratorische Funktion nicht nennenswert beeinträchtigt.
Cave
Allerdings können sich, v. a. bei Patienten mit erschöpfter Koronarreserve, die kardiodepressiven Wirkungen von Regionalanästhesie und Benzodiazepinen addieren und zum plötzlichen Herz-Kreislauf-Stillstand führen. Benzodiazepine in hypnotischer Dosierung verhindern darüber hinaus, dass Warnsymptome einer Lokalanästhetikaintoxikation wie Schwindel, Übelkeit und Augenflimmern vom Patienten rechtzeitig wahrgenommen werden können.
Besonders gefährdet scheinen Patienten mit hoher Blockade des autonomen Nervensystems zu sein. Neben der Benzodiazepinwirkung sind allerdings auch andere Faktoren wie z. B. Hypovolämie, Blutdruckabfall durch Sympathikolyse oder anaphylaktische Reaktionen für die Entwicklung lebensbedrohlicher Komplikationen in der Folge einer Regionalanästhesie verantwortlich.
Sonstige Medikamente und Alkohol
Der oxidative Abbau vieler Benzodiazepine in der Leber hängt von der Cytochromperoxidase-P450 ab und wird durch Medikamente, die die Funktion dieses Enzyms hemmen, verzögert. Hierzu zählen Cimetidin, Disulfiram, Isoniazid, orale Kontrazeptiva, aber auch Grapefruitsaft.
Die Einnahme von Alkohol potenziert die Benzodiazepineffekte und reduziert die psychomotorische Leistungsfähigkeit bereits in subhypnotischer Dosis erheblich. Umgekehrt kann chronischer Alkoholabusus durch Enzyminduktion eine Kreuztoleranz auch gegenüber Benzodiazepinen induzieren, sodass diese zur Erzielung der klinischen Wirksamkeit höher dosiert werden müssen.

Klinische Anwendung

Prämedikation

Benzodiazepine sind die in Deutschland am häufigsten zur Prämedikation eingesetzten Substanzen. Die meisten Erwachsenen und Kinder erhalten vor elektiven Eingriffen Benzodiazepine, Erwachsene meist Midazolam oder Dikaliumclorazepat per os, Kinder fast ausschließlich Midazolam per os, nasal, buccal oder rektal. Bei Kindern scheint die Prämedikation mit Clonidin im Vergleich zu Midazolam ein ruhigeres Aufwachverhalten zu ermöglichen [3].
Dikaliumclorazepat, ein langwirksames Benzodiazepin, wird häufig als Prämedikation für den Vorabend vor operativen Eingriffen verabreicht, da es bei maximal sedierender Wirkung 45–60 min nach Einnahme das Einschlafen und Durchschlafen erleichtert und wegen seiner langen Halbwertszeit am nächsten Morgen meist noch ausreichend anxiolytisch wirkt. Das häufig – auch im Rahmen der ambulanten Anästhesie – eingesetzte Midazolam p.o. 30 min vor Narkosebeginn gewährleistet zum Einleitungszeitpunkt gute Anxiolyse, anterograde Amnesie und ausreichende Sedierung. Viele Abteilungen verzichten inzwischen gänzliche auf Sedativa zur Prämedikation, da die Patientenüberwachung auf dem Weg zum OP entfällt und postoperativ im Aufwachraum verkürzt wird. Auch eine mögliche paradoxe Reaktion auf Benzodiazepine und einer benzodiazepinassoziierten Delirentwicklung können so vermieden werden.

Narkoseeinleitung

Der schnelle Wirkungseintritt und das Fehlen von Venenreizungen durch Midazolam machen diese Substanz zum Mittel der ersten Wahl bei der Narkoseeinleitung mit Benzodiazepinen. Im Vergleich zu Thiopental tritt der Bewusstseinsverlust zwar langsamer ein, allerdings ist die Amnesie zuverlässiger und die Hämodynamik stabiler. Der Wirkungseintritt wird von Kofaktoren wie Dosis, Injektionsgeschwindigkeit, Prämedikation, ASA-Klassifikation und weiteren, zur Narkoseeinleitung applizierten Anästhetika beeinflusst. Ein gut prämedizierter Erwachsener schläft mit einer i.v.-Induktionsdosis von 0,2 mg/kgKG Midazolam nach 28 s ein, mit 0,5 mg/kgKG Diazepam dagegen erst nach 39 s.
Werden Benzodiazepine in hypnotischer Dosierung verabreicht, müssen O2-Sättigung, Puls und Blutdruck überwacht werden. Die Möglichkeit zur O2-Zufuhr, Beatmung und Kreislaufstabilisierung muss gegeben sein.
Eine besondere Gefährdung durch respiratorisch oder kardiozirkulatorisch depressive Nebenwirkungen der Benzodiazepine besteht bei:
  • älteren Menschen,
  • kardialen Vorerkrankungen, insbesondere bei koronarer oder myokardialer Insuffizienz,
  • vorbestehender Hyperkapnietoleranz,
  • neuromuskulären Erkrankungen mit vermindertem Muskeltonus,
  • Komedikation mit anderen zentral wirksamen Substanzen,
  • Supplementierung einer Regionalanästhesie, insbesondere bei thorakaler Ausbreitung,
  • diagnostischen Eingriffen mit partieller Verlegung der Atemwege (z. B. Gastroskopie).

Aufrechterhaltung der Narkose

Benzodiazepine verfügen über keine analgetische Potenz und werden deshalb im Rahmen einer balancierten Anästhesie meist mit einem Opioid kombiniert. Beim Einsatz von Benzodiazepinen im Rahmen einer totalen intravenösen Anästhesie (TIVA) ist kurzwirksamen Substanzen – wie dem Midazolam – wegen deren besserer Steuerbarkeit der Vorzug zu geben. Die Sedierungstiefe von Midazolam korreliert eng mit den Plasmaspiegeln der Substanz. Allerdings unterdrücken Benzodiazepine nicht sicher die kortikale Reizverarbeitung (s. oben; Abb. 6).

Aufwachverhalten

Das Nachlassen der sedierenden Wirkung von Benzodiazepinen nach einmaliger i.v.-Gabe ist primär Folge der Umverteilung aus dem Gehirn in weniger gut durchblutete Gewebe. Ungefähr 8–10 min nach einer Einmaldosis von 0,15 mg/kgKG Midazolam wachen junge, gesunde Probanden wieder auf und sind nach weiteren 5–10 min zeitlich und örtlich voll orientiert. Dagegen hält die anterograde Amnesie bis zu 2 h an. Einschränkungen der Feinmotorik und der Reaktionszeit können noch 5 h nach Applikation nachgewiesen werden. Nach repetitiver oder kontinuierlicher Gabe können wegen zunehmender Akkumulation von Wirksubstanz und aktiven Metaboliten die Aufwachzeiten erheblich verlängert sein.
5–8 h nach oraler oder i.v.-Gabe von Diazepam und anderen mittellang und langwirksamen Benzodiazepinen kann es wegen der ausgeprägten enterohepatischen Rezirkulation der Substanzen und ihrer aktiven Metabolite zur erneuten Zunahme der Sedierung kommen (Abschn. 2.3).

Sedierung für kurze Eingriffe

Im Rahmen kurzer, diagnostischer und therapeutische Eingriffe (z. B. in der gastroenterologischen Endoskopie) trägt die Anwendung von Sedativa erheblich zum Untersuchungskomfort für Patient und Untersucher bei. Für die sichere Anwendung ist allerdings eine adäquate apparative (Pulsoxymeter, Blutdruckmessung) und personelle Ausstattung erforderlich [17]. Midazolam wird der besseren Steuerbarkeit wegen bevorzugt durch Propofol [17] – zukünftig vielleicht auch durch Remimazolam [2, 20] – ersetzt.

Langzeitsedierung

Bei längerfristiger Gabe eines Benzodiazepins kommt es zur Akkumulation der Substanz und seiner Metabolite, die Wirkdauer korreliert dann nicht mehr mit der Umverteilung, sondern hängt von der Metabolisierung zu unwirksamen Metaboliten und deren Elimination ab. Da Leber- und Nierenfunktion bei Intensivpatienten häufig eingeschränkt sind, können diese Metabolisierungs- und Eliminationsvorgänge ihrerseits häufig stark verlangsamt ablaufen, sodass insgesamt eine hohe interindividuelle Variabilität bezüglich der Steuerbarkeit der Langzeitsedierung mit Benzodiazepinen besteht [21]. Darüber hinaus kommt es bei Midazolam in der Langzeitanwendung zu einem ausgeprägten „Ceiling Effekt“: durch Gewöhnung kann im Verlauf der Behandlung eine Dosiserhöhung keine Vertiefung der Sedierung mehr bewirken, allerdings kumulieren die aktiven Metabolite und führen zu einem verzögerten Aufwachen. Die Anwendung von Benzodiazepinen wird auch mit vermehrter Entwicklung von Delir während und posttraumatischen Belastungsstörungen nach der Intensivbehandlung assoziiert [3].
Die alternative Anwendung kurzwirksamer und gut steuerbarer Substanzen zur Langzeitsedierung (z. B. Propofol [bis zu 7 Tage zugelassen], Remifentanil, Dexmedetomidin [in D seit 2011 zugelassen]; Kap. Hypnotika in der Anästhesiologie: Barbiturate, Propofol, Etomidat, α2-Agonisten in der Anästhesiologie und Opioide in der Anästhesiologie; [1, 4, 10, 16]) und die Kombination mit hochpotenten Analgetika zur besseren Befindlichkeit des Patienten [1, 4, 10, 13] werden deshalb favorisiert. Die aktuellen Leitlinien zur Sedierung in der Intensivmedizin empfehlen eine repetitive kurzfristige Überprüfung der Sedierungstiefe (z. B. Ramsey-Score, Richmond Agitation- and Sedation Scale RASS [5]) und eine Anpassung an das jeweilige Therapieziel [4]. In den amerikanischen Leitlinien zur Sedierung auf Intensivstation wird Dexmedetomidin wegen Überlegenheit bei den Parametern Gasaustausch, Beatmungszeit, Schmerzmittelbedarf und Delirinzidenz gegenüber Benzodiazepinen der Vorzug gegeben [1; Kap. α2-Agonisten in der Anästhesiologie].
Midazolam wird zur Langzeitsedierung (>7 Tage) auf deutschen Intensivstationen nach wie vor bevorzugt eingesetzt, während für die nur kurzfristige Sedierung und die Weaninphase von der Beatmung der besseren Steuerbarkeit wegen die Anwendung von Propofol überwiegt [9]. Lorazepam weist eine im Vergleich zu Midazolam verlängerte kontextsensitive Halbwertszeit auf [22], bietet aber möglicherweise spezifische Vorteile beim Delirmanagement chronisch (z. B. durch Alkohol) vorgeschädigter Patienten [8], während es beim akuten Delir selbst delirogen wirken kann [12]. Genauso wie das seit kurzem zur intravenösen Anwendung erhältliche Lormetazepam hat es den Vorteil des „kurzen Abbauwegs“ (Abb. 5).

Toleranzentwicklung und Abhängigkeit

Nach längerfristiger Applikation von Benzodiazepinen kumulieren die Substanz und ihre aktiven Metabolite mit entsprechender Aufsättigung in den verschiedenen Kompartimenten. Als Adaptationsvorgang sinkt auf Rezeptorebene die Benzodiazepinempfindlichkeit. Nach Absetzen der Substanz können Entzugserscheinungen bis hin zum Entzugsdelir und Rebound-Phänomene auftreten.
Symptome des Benzodiazepinentzugssyndroms
  • Schlafstörung
  • Unruhe
  • Ängstlichkeit
  • Dysphorisch-depressive Verstimmung
  • Psychotische Symptome bis hin zu Halluzinationen
  • Wahrnehmungsstörungen
  • Fibrilläre Muskelzuckungen
  • Erhöhte Krampfneigung
  • Vegetative Symptome wie Appetit- und Gewichtsverlust, Übelkeit und Schwitzen
Das Entzugssyndrom tritt nach mindestens 6-wöchiger Einnahme von oralen Benzodiazepinen mit einer Latenz von 2–3 Tagen auf und erreicht sein Maximum am 7.–8. Tag. Wegen der geringen psychotropen Potenz der Benzodiazepine ist ein Suchtverhalten im Bezug auf die Einzelsubstanz eher selten, nur in ca. 25 % der Fälle tritt die Benzodiazepinabhängigkeit isoliert auf. Der Benzodiazepinabusus wird viel häufiger kombiniert mit dem Missbrauch von Alkohol, Drogen oder weiteren psychotropen Medikamenten. Nicht zuletzt deshalb wurde die Substanz Flunitrazepam – bisher als einziges Benzodiazepin – der Rezeptierungspflicht nach dem deutschen Betäubungsmittelrecht unterworfen.

Unerwünschte Wirkungen und Kontraindikationen

Bei bekannter Überempfindlichkeit ist die Gabe von Benzodiazepinen kontraindiziert.
Die gleichzeitige Einnahme von Alkohol oder psychotropen Drogen bzw. Medikamenten kann eine Atemdepression bis hin zum Atemstillstand auslösen.
Bei Patienten mit Myasthenia gravis, spinaler oder zerebraler Ataxie sowie anderen neuromuskulären Hypotonien ist durch zentral relaxierende Effekte mit einer Muskeltonusabnahme zu rechnen, die zu einer Verlegung der Atemwege führen kann.
Cave
Bei schwerer respiratorischer Insuffizienz, insbesondere im Stadium der persistierenden Hyperkapnie sowie beim Schlafapnoesyndrom, können Benzodiazepine durch zentral dämpfende Effekte – und im Falle der Schlafapnoe auch durch die zentral vermittelte Muskelrelaxierung mit konsekutiver Verlegung der Atemwege – zum Atemstillstand führen.
Eine schwere Leberinsuffizienz und verschiedene leberenzymhemmende Medikamente verzögern die Metabolisierung vieler Benzodiazepine, sodass – insbesondere bei repetitiver Applikation – durch Akkumulation der Substanzen und ihrer aktiven Metabolite Überdosierungen auftreten.
Wasserunlösliche Benzodiazepine wie Diazepam verursachen bei i.v.-Injektion häufig eine Thrombophlebitis. Das Risiko ist bei geringem Gefäßquerschnitt und bei älteren Patienten mit vorgeschädigter Gefäßwand erhöht. Inzwischen wird Diazepam allerdings auch in gefäßverträglicher Fettemulsion (Diazemuls) angeboten.
Cave
Benzodiazepine verstärken die Symptome eines Engwinkelglaukoms.
Paradoxe Benzodiazepinwirkung in der Anamnese sollten an eine vorangegangene relative Überdosierung durch verminderte Clearance oder Komedikation denken lassen.
Cave
Benzodiazepine können einen akuten Schub einer hepatischen Porphyrie auslösen.
Eine Dauerbehandlung mit Benzodiazepinen in der Schwangerschaft induziert eine Entzugssymptomatik beim Neugeborenen – bei unmittelbar präpartaler Einnahme auch einen Benzodiazepinüberhang. In beiden Fällen kann es beim Neugeborenen zum sog. „floppy infant syndrome“ kommen. In der Stillzeit sind Benzodiazepine kontraindiziert, da sie als lipophile Substanzen in die Muttermilch übertreten. Beim Säugling ist die Wirkung durch verzögerte Clearance und konsekutive Akkumulation bei unreifer Leberfunktion verstärkt. Teratogene Effekte der Benzodiazepine sind nicht gesichert, einige epidemiologische Studien sehen allerdings Anhaltspunkte für das vermehrte Auftreten von Gaumenspalten.

Benzodiazepinantagonisten

Auf der Suche nach neuen Benzodiazepinen mit hoher Rezeptoraffinität wurde 1979 das Imidazobenzodiazepin Flumazenil (Anexate) synthetisiert. Es bindet zwar spezifisch und mit hoher Affinität an Benzodiazepinrezeptoren, entwickelt selbst aber nur eine sehr geringe intrinsische Aktivität. Da die Rezeptoraffinität von Flumazenil die der Benzodiazepinagonisten übertrifft, antagonisiert Flumazenil pharmakologische Wirkungen von Benzodiazepinen durch kompetitive Verdrängung.
Unspezifisch antagonisiert auch der zentral wirksame Cholinesterasehemmer Physostigmin eine Benzodiazepinsedierung: die Verstärkung der cholinergen Übertragung überwindet die durch Benzodiazepine stimulierte GABAerge Hemmung exzitatorischer Neuronenverbände.

Pharmakokinetik

Nach i.v.-Gabe von Flumazenil werden die Rezeptoren innerhalb von 30–60 s besetzt. Seine geringe Plasmaeiweißbindung von nur ungefähr 40 % begünstigt das rasche Anfluten des Medikaments. Die Bioverfügbarkeit nach oraler Gabe beträgt wegen eines hohen First-pass-Effekts der Leber nur etwa 15–25 %. Flumazenil wird durch den Lebermetabolismus oxidativ metabolisiert und mit einer Halbwertszeit von etwa 1 h inaktiviert. Die Elimination erfolgt nach Glukuronidierung über die Niere.
Die Dauer der klinischen Wirkung beträgt nur 60 min und ist damit wesentlich kürzer als die der meisten agonistisch wirksamen Benzodiazepine.

Pharmakodynamik

Flumazenil hebt zuverlässig die sedierenden Effekte der Benzodiazepine auf und ermöglicht die rasche Wiederherstellung der psychomotorischen Leistungsfähigkeit: Orientierung zu Zeit und Ort, Sprachverständnis und die Fähigkeit, einfache Aufforderungen zu befolgen. Weniger rasch nimmt die anterograde Amnesie ab. Kaum beeinflusst wird hingegen die Anxiolyse. Diese Beobachtung könnte darauf hindeuten, dass die verschiedenen pharmakodynamischen Effekte der Benzodiazepine möglicherweise durch die Heterogenität der GABA-Benzodiazepinrezeptor-Komplexe bedingt sind und nicht alle Rezeptorkomplexe in gleicher Weise von Flumazenil besetzt werden können.

Klinische Anwendung

Indiziert ist der Einsatz von Flumazenil zur Antagonisierung einer durch Benzodiazepine verursachten Sedierung. Auch bei unklarer Bewusstlosigkeit und gleichzeitigem Hinweis auf Tranquilizerabusus kann differenzialdiagnostisch Flumazenil eingesetzt werden. Bewährt hat sich die am klinischen Erfolg orientierte i.v.-Titrierung von Flumazenil über mehrere Minuten bis zum Erwachen des Patienten. Nach einer Initialdosis von 0,2 mg kann in minütlichen Abständen jeweils 0,1 mg nachinjeziert werden. Meist reicht eine Gesamtdosis von 1 mg Flumazenil, in Einzelfällen muss allerdings auch höher dosiert werden.
Wird die Benzodiazepinwirkung mit Flumazenil antagonisiert, so ist durch sorgfältige, lückenlose klinische Beobachtung sicherzustellen, dass der Patient nicht bei Nachlassen der antagonistischen Wirkung erneut tief sediert wird und – insbesondere bei langwirksamen Benzodiazepinen und einer Komedikation mit anderen ZNS-wirksamen Medikamenten wie Alkohol oder Drogen – schwerwiegende respiratorische Komplikationen erleidet. Gegebenenfalls ist nach 30–60 min eine weitere Flumazeniltitration erforderlich.
Unsicher oder verzögert wirkt Flumazenil bei gleichzeitiger Alkoholintoxikation. Sowohl bei der Alkoholintoxikation als insbesondere auch bei der Intoxikation mit trizyklischen Antidepressiva kann die Flumazenilgabe zu zerebralen Krampfanfällen führen. Auch die Antagonisierung einer längerfristigen Benzodiazepingabe kann im Rahmen eines Rebound-Phänomens krampfauslösend wirken.
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