Familiärer Brust- und Eierstockkrebs
Aufgrund der hohen Inzidenz des
Mammakarzinoms mit gegenwärtig etwa 67.000 Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland kann durchaus eine Häufung von familiären Fällen dieser Tumorart auftreten. Tritt der Brustkrebs
in diesen Familien jedoch eher prämenopausal auf und werden zusätzlich kontralaterale Mammakarzinome, Eierstockkrebs oder Brustkrebs bei männlichen Verwandten beobachtet, muss eine
genetische Prädisposition in Betracht gezogen werden. Etwa 7 % aller Mammakarzinome und rund 14 % aller
Ovarialkarzinome werden auf Mutationen in prädisponierenden
Tumorsuppressorgenen zurückgeführt (Zhang et al.
2011). Etwa 25 % aller
erblichen Brust- und Eierstockkrebstumoren lassen sich ursächlich mit Mutationen in den beiden Hochrisikogenen
BRCA1 (breast cancer 1) und
BRCA2 (breast cancer 2) assoziiert, etwa 5 % mit Mutationen in moderat-penetranten Genen (>15 Gene), etwa 14 % mit Mutationen in sogenannten Niedrigrisikogenen (>70 Gene), während über 50 % der genetischen Ursachen noch unbekannt sind (Melchor und Benítez
2013).
Die beiden
Tumorsuppressorgene BRCA1 und
BRCA2 spielen eine wichtige Rolle in der DNA-Doppelstrangreparatur und führen jeweils bei komplettem Funktionsausfall in der Zelle zur Akkumulation von DNA-Doppelstrangbrüchen und Verlust der genomischen Integrität (Roy et al.
2011). Beide Gene werden vor allem in der Brustdrüse und den Ovarien, aber auch in anderen Organsystemen exprimiert, wodurch eine Risikoerhöhung für die Entstehung anderer Tumorarten bedingt ist. Eine prospektive Studie ergab für Mutationsträgerinnen ein mittleres kumulatives Lebenszeitrisiko (kLR) bis zum 70. Lebensjahr von 60 % für
BRCA1 und 55 % für
BRCA2, das entsprechende kLR für das
Ovarialkarzinom liegt bei 59 % bzw. 17 % (Mavaddat et al.
2013). Das kLR für ein kontralaterales
Mammakarzinom 25 Jahre nach der Ersterkrankung liegt bei etwa 44 % für Mutationen in
BRCA1 und 34 % in
BRCA2 und ist abhängig vom Alter der Ersterkrankung. So liegt das kLR bei den erstmalig unter 40 Jahren erkrankten Mutationsträgerinnen bei 55 % für
BRCA1 und 38 % für
BRCA2 (Rhiem et al.
2012). Das Risiko für
Prostatakarzinome, kolorektale Karzinome,
Pankreaskarzinome und Mammakarzinome beim Mann ist ebenfalls erhöht (Kirchhoff et al.
2004; Liede et al.
2004; Kadouri et al.
2007).
Durch neuere Daten wird auch das
PALB2-Gen als hoch penetrantes Risikogen eingestuft. Die Mutationsprävalenz liegt in der Kohorte des Deutschen Konsortiums bei 1,2 % (Hauke et al.
2018). Eine Studie ergab für Mutationsträgerinnen ein absolutes Risiko bis zum 80. Lebensjahr von 52,8 % für Brustkrebs, das entsprechende Risiko für das
Ovarialkarzinom liegt bei 4,8 %. Das Risiko für
Pankreaskarzinome und männliche
Mammakarzinome scheint ebenfalls leicht erhöht zu sein (Yang et al.
2020).
Zu den moderat penetranten Risikogenen für das familiäre Mamma
- und
Ovarialkarzinom werden unter anderen die Gene
CHEK2, ATM, RAD51C, RAD51D, BARD1 und
BRIP1 gezählt (Tab.
1). Der klinische Stellenwert von Mutationen in diesen Genen ist derzeit jedoch oft unklar und Gegenstand weiterer wissenschaftlich-klinischer Untersuchungen.
Funktionell ist das
CHEK2-Gen („
checkpoint kinase 2“) ebenfalls in die Kontrolle des Zellzyklus und die DNA-Reparatur involviert (Meijers-Heijboer et al.
2002). Mutationen in diesem Gen sind mit einem 2-fachen kLR für das weibliche und einem 10-fachen kLR für das männliche
Mammakarzinom korreliert. Neue Daten zeigen, dass die Mutationspenetranz wesentlich von der Familienkonstellation abhängt. Bei Frauen steigt das Brustkrebsrisiko bis auf das 5-fache und das kLR bis zum 70. Lebensjahr bei einer familiären Belastung auf bis zu 37 % an (Weischer et al.
2008). Die Mutationsfrequenz innerhalb des Deutschen Konsortiums Familiärer Brust- und Eierstockkrebs (GC-HBOC) wird mit bis zu 4 % beziffert (Meindl et al.
2015).
CHEK2 wird durch ATM (ATM-Serin/Threonin-Kinase) phosphoryliert und damit aktiviert. Somit ist das
Tumorsuppressorgen ATM, das im autosomal-rezessiven Erbgang ursächlich für die
Ataxia teleangiectasia (AT) verantwortlich ist, ebenfalls an der Erhaltung der genomischen Integrität beteiligt. Die sich im Kindesalter manifestierende AT ist gekennzeichnet durch neurologische Symptome, Teleangiektasien, erhöhte Anfälligkeit für Infektionen durch eine humorale Immunschwäche und ein erhöhtes Krebsrisiko, insbesondere für
Lymphome (Morrell et al.
1986). Heterozygote Anlageträgerinnen zeigen ein 2,4-fach erhöhtes Mammakarzinomrisiko, der Anteil an ursächlichen
ATM-Mutationen bei familiärem Brustkrebs könnte bei bis zu 2,7 % aller familiären Fälle liegen (Renwick et al.
2006).
Weitere moderat-penetrante Risikogene
für das Mamma- und
Ovarialkarzinom sind
RAD51C und RAD51D, welche wie
BRCA2 und
PALB2 im autosomal-rezessiven Erbgang (d. h. bei Vorliegen einer väterlichen und mütterlichen Mutation bei den Nachkommen) zur Fanconi-Anämie
führen, einer progressiven Panzytopenie mit angeborenen Fehlbildungen und einer Prädisposition für das Auftreten hämatologischer oder solider Tumoren. Bei heterozygoten Anlageträgerinnen in den Genen
RAD51C und
RAD51D ist insbesondere das Risiko für das Ovarialkarzinom bis zu 6-fach erhöht, das Mammakarzinomrisiko scheint dagegen nur leicht erhöht zu sein (Meindl et al.
2010; Loveday et al.
2011). Zusammengenommen finden sich in den Genen für
RAD51C und
RAD51D ursächliche Mutationen in etwa 0,3 % der familiären Fälle.
Cowden-Syndrom (CS)
Das CS gehört zum Formenkreis der
PTEN-Hamartom-Tumor-Syndrome
, gemeinsam mit dem Bannayan-Riley-Ruvalcaba-Syndrom, dem adulten Lhermitte-Duclos-Syndrom (auch bekannt unter dysplastisches Gangliozytom) und dem Makrozephalie/Autismus-Syndrom. Beim CS handelt es um eine seltene Multisystemerkrankung, die durch das Auftreten multipler Hamartome der Haut und innerer Organe sowie einer Prädisposition für maligne Tumoren der Brust, der Schilddrüse sowie der Gebärmutter gekennzeichnet ist (Tab.
1). Das Lebenszeitrisiko für das
Mammakarzinom wird auf etwa 85 %, das für das
Schilddrüsenkarzinom auf etwa 35 % und das für das
Endometriumkarzinom auf 28 % geschätzt (Tan et al.
2012). Pathognomonisch ist die Kombination aus fazialen Trichilemmomen (benigner Tumor der äußeren Haarwurzelscheide), akralen Keratosen und einer Papillomatose der Haut und Schleimhaut. Hervorgerufen wird das CS in 80 % der Fälle durch
Keimbahnmutationen im
PTEN-Gen, das für eine Protein- und Lipidphosphatase kodiert, welche bei der Regulation des Glukosestoffwechsels, des Zellzyklus und der
Apoptose eine Rolle spielt.
Hereditäres nichtpolypöses Kolonkarzinom (HNPCC)
Das HNPCC oder
Lynch-Syndrom ist eine autosomal-dominant vererbte Prädisposition für kolorektale Karzinome sowie extrakolonische Tumoren (Tab.
1). Ursächlich sind Mutationen in den Mismatch-Reparaturgenen
MLH1,
MSH2,
MSH6 und
PMS2. In seltenen Fällen liegen pathogene
Deletionen des
EPCAM-Gens vor, welches in enger genomischer Nachbarschaft zu
MSH2 liegt (Kuiper et al.
2011). Mismatch-Reparaturgene erkennen eine Fehlpaarung einzelner Basen in DNA-Doppelsträngen und schneiden diese heraus. Ein Defekt in einem dieser DNA-Reparaturgene führt häufig zu Mikrosatelliteninstabilität (MSI), deren Testung zusammen mit der immunhistochemischen Darstellung der Proteinexpression am Tumorgewebe als erste Stufe im Zuge der molekulargenetischen Diagnostik eingesetzt wird. Heterozygote Anlageträgerinnen besitzen je nach betroffenem Gen ein kLR bis zum 70. Lebensjahr von bis zu 50 % für das
Kolonkarzinom (
MLH1) bzw. 49 % für das
Endometriumkarzinom (
MSH6) sowie 8 % für das
Ovarialkarzinom (Barrow et al.
2009). Weitere assoziierte Tumoren sind Magen-, Pankreas-, Dünndarm-, hepatobiliäre, urogenitale Karzinome und
Gehirntumoren.