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Die Urologie
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Publiziert am: 30.11.2021

Akute und chronische Zystitis bei Frauen

Verfasst von: Rainer Hofmann und Jeremias Hartinger
Die Zystitis stellt die häufigste bakterielle Infektion in der ambulanten Patientenversorgung dar. Frauen sind deutlich öfter betroffen als Männer. Das darmständige Bakterium Escherichia coli ist mit Abstand der häufigste Erreger dieser Infektion. Verschiedene Risikofaktoren, wie etwa kürzlich erfolgter Geschlechtsverkehr, sind bekannt. Kardinalssymptome der Zystitis sind Dysurie, Pollakisurie, Drangsymptomatik sowie abdominale Schmerzen. Es wird in unkomplizierte und komplizierte sowie in akute und chronische Zystitis unterschieden. Die Diagnostik sollte über Anamnese, körperliche Untersuchung, Urinstatus sowie Urinkultur erfolgen. Therapeutisch stellt das Antibiotikum das Mittel der Wahl dar. Komplizierte Verläufe werden länger und gegebenenfalls mit anderen Substanzen therapiert. Bei chronischen Verläufen gibt es die Möglichkeit einer antibiotischen Dauerprophylaxe, aber auch der dauerhaften Gabe von nicht antibiotischen Substanzen.

Epidemiologie und Ätiologie

Als akute Zystitis wird die symptomatische bakterielle Besiedlung des normalerweise sterilen Urins in der Harnblase bezeichnet. Erleidet eine Frau 2-mal in 6 Monaten oder 3-mal in 12 Monaten eine Infektion der Blase sind die Kriterien für die Diagnose einer chronischen Zystitis erfüllt.
Die unkomplizierte Zystitis ist die häufigste bakterielle Infektion in der ambulanten Patientenversorgung. Frauen erleiden etwa 80 % aller Harnwegsinfekte, Männer nur etwa 20 %. Die Hälfte aller Frauen erkrankt im Laufe ihres Lebens an mindestens einem Harnwegsinfekt, ein Drittel aller Frauen erkranken an einem antibiotisch behandlungsbedürftigen Harnwegsinfekt bis zum Alter von 24 Jahren.
Unkompliziert bedeutet die Erkrankung betrifft eine Frau. Sobald ein Kind oder ein Mann betroffen sind oder die Infektion mit funktionellen oder anatomischen Besonderheiten, Begleiterkrankungen mit Immunsuppression, Diabetes, Erkrankungen des urologischen Systems, Schwangerschaft, Konkrementen oder urinführenden Kathetern vergesellschaftet ist, wird die Infektion als komplizierter Harnwegsinfekt klassifiziert (Silverman et al. 2013; Schmiemann et al. 2010).
Der mit etwa 85 % am häufigsten vorkommende Erreger ist das darmständige Bakterium Escherichia coli. Andere seltener vorkommende Erreger sind Staphylococcus saprophyticus, Vertreter der Klebsiella-Spezies, Proteus mirabilis und Vertreter der Enterococcus-Spezies.
Harnwegsinfekte der Frau entstehen hauptsächlich aszendierend. Die Keimflora des Rektums besiedelt das Perineum sowie den Vaginalbereich und aszendiert anschließend über die kurze Harnröhre in die Blase (Yamamoto et al. 1997). Deutlich seltener sind hämatogene Infektionen, meist verursacht durch spezielle Erreger wie Staphylococcus aureus, Mycobacterium tuberculosis, Vertreter der Salmonella-Spezies oder Vertreter der Candida-Spezies. Weiterhin möglich sind lymphogene Infektionen oder Infektionen per continuitatem bei Entzündungen der benachbarten Organe oder Strukturen.
Risikofaktoren für einen Harnwegsinfekt (mod. nach Schmiemann et al. 2010; Barber et al. 2013)
  • Vorgeschichte mit Harnwegsinfekt(en)
  • Geschlechtsverkehr im Verlauf der letzten 14 Tage
  • Kontrazeption mit vaginalem Diaphragma, spermiziden Gelen oder Depot-Medroxyprogesteronacetat
  • Einnahme von Antibiotika in den letzten 2–4 Wochen
  • Niedrige vaginale Östrogenspiegel
  • Genetische Veranlagung
  • Diabetes mellitus
  • Obstruktionen des Harntraktes jedweder Genese
Patienten mit chronischer Zystitis haben, trotz nachgewiesener Eradikation der Keime mittels Urinkultur, eine Chance von etwa 45 % innerhalb von 12 Monaten erneut einen Harnwegsinfekt zu erleiden (Barber et al. 2013). Mögliche Erklärungen dieser hohen Reinfektionsrate sind zum einen ständige erneute extrinsische Infektionen, zum anderen die Möglichkeit, dass bestimmte Bakterien (z. B. uropathogene Escherichia coli, UPEC) in die Zellen der Blasenmukosa eindringen, sich intrazellulär vermehren und bei Abstoßung dieser Zellen erneut in den Urin gelangen. Durch diesen Mechanismus erklären sich auch Reinfektionen mit dem gleichen Keim nach längeren Zeiten, trotz nachgewiesener vorheriger Eradikation des Bakteriums.

Klinik

Typische Beschwerden eines Harnwegsinfektes sind
  • Schmerzen bei der Miktion ( Dysurie),
  • häufige Miktion mit kleinen Portionen ( Pollakisurie),
  • eine Drangsymptomatik bis hin zur Inkontinenz sowie
  • ein retropubischer Schmerz.
In schweren Fällen kann geröteter oder dunkler Urin im Sinne einer Makrohämaturie vorhanden sein ( hämorrhagische Zystitis). Sind sehr viele Leukozyten im Urin vorhanden, stellt sich dieser flockig bis hin zu eitrig dar ( Pyozystis).

Diagnostik

Eine Anamnese mit den zuvor genannten Symptomen und die körperliche Untersuchung mit eventuell druckschmerzhaftem Abdomen sollten durch eine Urindiagnostik komplettiert werden. Genutzt werden sollte Mittelstrahlurin, das Genitale zuvor desinfiziert werden.
Im Urinstatus finden sich zumeist Nitrit, Bakterien, Leukozyten und gegebenenfalls auch Erythrozyten. Bei unkomplizierten, nicht rezidivierenden Harnwegsinfekten ist diese Diagnostik mit einer Sensitivität von bis zu 80 % ausreichend. Bei allen anderen Patienten sollte eine, möglichst steril gewonnene, Urinkultur angelegt werden, welche den Goldstandard der Harnwegsinfektdiagnostik darstellt. Die Gewinnung von Urin erfolgt in diesem Falle mittels sterilem Einmalkatheterismus.
Als signifikante Keimzahl sind bisher 10 5 koloniebildende Einheiten pro Milliliter angesehen worden. Da zusehends Bakterien auftreten, die auch in geringerer Zahl Symptome verursachen, wird diskutiert ob die Grenze für eine Signifikanz in Gegenwart von klinischer Symptomatik auf bis zu 103 koloniebildende Einheiten pro Milliliter reduziert werden sollte.

Differenzialdiagnosen

Sowohl Entzündungen des gynäkologischen oder gastrointestinalen Formenkreises als auch Erkrankungen ohne organisch fassbare Ursache wie die überaktive Blase oder psychisch bedingte Störungen können zu Symptomen einer Zystitis führen. Bei einer Radiation oder Chemotherapie in der Anamnese muss an eine radiogene bzw. zytostatikainduzierte Entzündung der Blase gedacht werden. Eine interstitielle Zystitis wird, falls notwendig, mittels Biopsie der Blasenschleimhaut ausgeschlossen.

Therapie

Die antibiotische Therapie ist das Mittel der Wahl bei Harnwegsinfekt en. Die Auswahl des Antibiotikum s sollte sich nach folgenden Kriterien richten.
Kriterien zur Auswahl der antibiotischen Therapie
  • Keimspektrum
  • Verträglichkeit
  • Nebenwirkungen
  • Kosten
  • Verfügbarkeit
Zu Empfehlungen für junge gesunde erwachsene Frauen mit unkomplizierten Harnwegsinfekten im europäischen Raum nach EAU-Leitlinien (European Association of Urology), Tab. 1.
Tab. 1
Empfehlungen für eine antibiotische Therapie nach EAU-Leitlinien
Antibiotikum
Dosis
Applikationsform
Erstlinientherapie
Fosfomycin-Trometamol
3 g
Einmalgabe
Nitrofurantoin
100 mg
2-mal/Tag für 5–7 Tage
Pivmecillinam
400 mg
2-mal/Tag für 3 Tage
Zweitlinientherapie
Ciprofloxacin
250 mg
3-mal/Tag für 3 Tage
Levofloxacin
250 mg
4-mal/Tag für 3 Tage
Norfloxacin
400 mg
2-mal/Tag für 3 Tage
Ofloxacin
200 mg
2-mal/Tag für 3 Tage
Cefpodoxim Proxetil
100 mg
2-mal/Tag für 3 Tage
Bei bekannt niedrigerer Resistenzlage von Escherichia coli unter 20 %
Trimethoprim-Sulphamethoxazol
160/800 mg
2-mal/Tag für 3 Tage
Trimethoprim
200 mg
2-mal/Tag für 5 Tage
Komplizierte Harnwegsinfekte werden mit den gleichen Substanzen behandelt wie unkomplizierte Infekte, allerdings über einen längeren Zeitraum, empfohlen werden 7–10 Tage. Komplizierende organische Faktoren sollten mit entsprechender Diagnostik (z. B. Bildgebung oder invasive Diagnostik abgeklärt werden.
Bei Patientinnen mit chronischen Harnwegsinfekten ist je nach Leidensdruck der Patienten eine prophylaktische Therapie sinnvoll. Diese sollte jedoch erst nach Sicherstellung momentaner Keimfreiheit mittels negativer Urinkultur begonnen werden. Zu Möglichkeiten einer dauerhaften antibiotischen Prophylaxe, Tab. 2. Stellen sich die Infekte maßgeblich nach Geschlechtsverkehr ein, so kann eine postkoitale Einmalgabe sinnvoll sein (Tab. 3).
Tab. 2
Antibiotikaprophylaxe bei chronischer Zystitis
Antibiotikum
Dosis
Erwartete Harnwegsinfekte/Jahr
Nitrofurantoin
50 mg/Tag
0–0,6
Nitrofurantoin
100 mg/Tag
0–0,7
Trimetoprim-Sulfmethoxazol
40+200 mg/Tag
0–0,2
Trimetoprim-Sulfmethoxazol
40+200 mg 3-mal/Woche
0,1
Trimethoprima
100 mg/Tag
0–1,5
Cefaclor
250 mg/Tag
0
Cephalexin
125 mg/Tag
0,1
Cephalexin
250 mg/Tag
0,2
Norfloxacin
200 mg/Tag
0
Ciprofloxacin
125 mg/Tag
0
Fosfomycin
3 g/10 Tage
0,14
aJe nach Resistenzlage hohe Rezidivraten
Tab. 3
Möglichkeiten der postkoitalen Antibiotikaprophylaxe
Antibiotikum
Dosis
Erwartete Harnwegsinfekte/Jahr
Nitrofurantoin
50 mg oder 100 mg
0,1
Trimetoprim-Sulfmethoxazol
40+200 mg
0,3
Trimetoprim-Sulfmethoxazol
80+400 mg
0
Cephalexin
250 mg
0,03
Norfloxacin
200 mg
0
Ciprofloxacin
125 mg
0
Ofloxacin
100 mg
0,06
Zu Alternativen zur prophylaktischen Anwendung von Antibiotika, Tab. 4.
Tab. 4
Nichtantibiotische Substanzen zur Prophylaxe eines Harnwegsinfekts
Substanz
Wirkstoff
Erwartete Harnwegsinfekte/Jahr
Z. B. Urovaxom
OM-89
0,15–0,82
Orale/vaginale Anwendung von Lactobacillus-Stämmen
Lactobacillus rhamnosus GR-1 Lactobacillus reuteri RC-14
Keine Angaben
Preiselbeerextrakte
(Cranberry)
Proanthocyanidin A
0,45
Angocin
Senföle aus Kapuzinerkresse und Meerrettichwurzel
Keine Angaben
Mannose
 
Keine Angaben
Östrogencreme
Lokale Anwendung im Bereich der Vaginalmukosa
 
Bei Urovaxom handelt es sich um ein Extrakt aus 18 verschiedenen Serotypen durch Hitze abgetöteter uropathogener Escherichia-coli-Bakterien. Die orale Einnahme dieser Substanz stimuliert das Immunsystem durch Erhöhung der Neutrophilen- und Makrophagenzahl, vermittelt über dendritische Zellen. In Studien zeigt sich im Vergleich zu Placebo eine Reduktion der Harnwegsinfektfrequenz ohne relevant vermehrte Nebenwirkungen (Beerepoot et al. 2013; Grabe et al. 2013).
Die orale oder vaginale Anwendung von Lactobacillen (Probiotika) stellt die physiologische vaginale Bakterienflora wieder her und soll so die Kolonisierung der Vagina mit uropathogenen Keimen verhindern (Anukam et al. 2006). Ob dies eine Auswirkung auf die Rezidivrate bei chronischen Harnwegsinfekten hat, muss in weiteren Studien noch geklärt werden, da hier widersprüchliche Literatur existiert.
Preiselbeerextrakte (Cranberry) sind als Saft sowie in Tablettenform verfügbar. Die Wirkstoffe, die Proanthocyanidine, behindern die Ausbildung von P-Fimbrien bei Bakterien und damit die Adhäsion an die Zellwände der Blasenschleimhaut. Eine Studie zeigt eine Reduktion der Infektfrequenz von 20 % gegenüber einer Kontrollgruppe ohne relevantes Nebenwirkungsprofil (Kontiokari et al. 2001). Allerdings existieren auch für Preiselbeerextrakte mehrere Studien, welche keine Wirksamkeit nachweisen können. Es wird diskutiert, ob lediglich bestimmte Patientengruppen mit hohem Rezidivrisiko, die Reinfektionsrate durch eine solche Therapie senken können (Eells et al. 2011).
Bei postmenopausalen Frauen stellen ein atrophes Genitale, eine Zystozele, bestehender Restharn und eine Inkontinenz Risikofaktoren für rezidivierende Harnwegsinfekte dar. Die durch Östrogenmangel-vermittelten Probleme können durch lokale Anwendung von Hormonen vermindert werden. Die Vaginalmukosa wird durch lokale Östrogenapplikation aufgebaut und vermehrt durchblutet. Eine etwa erbsengroße Portion östrogenhaltiger Creme wird auf den Finger aufgebracht und von proximal nach distal im ventralen Scheidenanteil über der Harnröhre verstrichen. Eine orale Hormontherapie verbietet sich aufgrund von dadurch induzierten kardiovaskulären Ereignissen oder Mammakarzinomen.

Zusammenfassung

1.
Epidemiologie und Ätiologie:
  • Häufigste Infektion der ambulanten Patientenversorgung,
  • 80 % Frauen betroffen,
  • meist aszendierende Infektion, selten hämatogen/lymphogen oder per continuitatem,
  • chronisch: ≥2 Infekte/6 Monate oder ≥3 Infekte/12 Monate,
  • unkompliziert vs. kompliziert.
 
2.
Symptomatik:
  • Dysurie,
  • Pollakisurie,
  • imperativer Harndrang bis hin zur Inkontinenz,
  • Hämaturie.
 
3.
Diagnostik:
  • Anamnese und körperliche Untersuchung,
  • evtl. weiterführende Diagnostik in Abhängigkeit von komplizierenden Faktoren.
 
4.
Therapie:
  • unkompliziert: antibiotische Therapie,
  • kompliziert: längere Therapiedauer,
  • chronisch: antibiotische Prophylaxe, Urovaxom, orale/vaginale Anwendung von Lactobacillus-Stämmen, Preiselbeerextrakte.
 
Literatur
Anukam KC et al (2006) Clinical study comparing probiotic Lactobacillus GR-1 and RC-14 with metronidazole vaginal gel to treat symptomatic bacterial vaginosis. Microbes Infect 8(12–13):2772–2776. PubMed CrossRef
Barber AE et al (2013) Urinary tract infections: current and emerging management strategies. Clin Infect Dis 57(5):719–724. PubMedCentral PubMed CrossRef
Beerepoot MA et al (2013) Nonantibiotic prophylaxis for recurrent urinary tract infections: a systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. J Urol 190(6):1981–1989. PubMed CrossRef
Eells SJ et al (2011) Daily cranberry prophylaxis to prevent recurrent urinary tract infections may be beneficial in some populations of women. Clin Infect Dis 52(11):1393–1394. PubMedCentral PubMed CrossRef
Grabe M et al (2013) Guidelines on urological infections. Update March 2013. Unter „Guidelines“ „Urological Infections“ auf der Homepage http://​www.​uroweb.​org. Zugegriffen am 30.11.13 um 16:38 Uhr
Kontiokari T et al (2001) Randomised trial of cranberry-lingonberry juice and Lactobacillus GG drink for the prevention of urinary tract infections in woman. BMJ 322(7302):1571. PubMedCentral PubMed CrossRef
Schmiemann G et al (2010) The diagnosis of urinary tract infection: a systematic review. Dtsch Arztebl Int 107(21):361–367. PubMedCentral PubMed
Silverman JA et al (2013) From physiology to pharmacy: developments in the pathogenesis and treatment of recurrent urinary tract infections. Curr Urol Rep 14(5):448–456. PubMedCentral PubMed CrossRef
Yamamoto S et al (1997) Genetic evidence supporting the fecal-perineal-urethral hypothesis in cystitis caused by Escherichia coli. J Urol 157(3):1127–1129. PubMed CrossRef