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Enzyklopädie der Schlafmedizin
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Publiziert am: 19.05.2020

Schlafstörende Nebenwirkungen von gebräuchlichen Medikamenten zur Therapie neurologischer Krankheiten

Verfasst von: Dietmar Schäfer
Medikamente können den Schlaf auf unterschiedliche Art stören. Zum einen sind Ein- und Durchschlafstörungen mit längeren Zeiten des Wachliegens möglich, zum anderen kann eine Veränderung der Schlafarchitektur zumeist mit Verlust von Tiefschlaf oder REM-Schlaf auftreten.

Englischer Begriff

sleep-disturbing side effects of drugs commonly used in the therapy of neurologic diseases

Definition

Medikamente können den Schlaf auf unterschiedliche Art stören. Zum einen sind Ein- und Durchschlafstörungen mit längeren Zeiten des Wachliegens möglich, zum anderen kann eine Veränderung der Schlafarchitektur zumeist mit Verlust von Tiefschlaf oder REM-Schlaf auftreten. Während die erstgenannte unerwünschte Wirkung von Patienten gut wiedergegeben werden kann, entzieht sich der zweite Effekt in der Regel der direkten subjektiven Wahrnehmung. Systematische polysomnographische Beobachtungen fehlen bei den meisten nicht primär zur Behandlung von Schlafstörungen eingesetzten Substanzen. Über die Induktion von Schmerzen oder die Verstärkung Schlafbezogener Atmungsstörungen (SBAS; siehe „Schlafbezogene Atmungsstörungen“) ist eine sekundäre Auswirkung auf den Schlaf denkbar.

Grundlagen

Antiepileptika

Zentralnervöse Aktivierung und damit verbundene Schlafstörungen werden vorwiegend bei Monotherapien mit den „neueren“ antiepileptischen Substanzen mit antiglutamaterger Wirkung beobachtet. In Kombinationstherapien beobachtet man zumeist eine Erhöhung der Wirkspiegel, beispielsweise von Carbamazepin oder Valproat, und damit eher sedierende Effekte („Schläfrigmachende Nebenwirkungen von gebräuchlichen Medikamenten zur Therapie neurologischer Krankheiten“). Lamotrigen ist eine antiglutamaterg wirkende Substanz, die neben der Zulassung zur Mono- und Kombinationstherapie der Epilepsien (siehe „Epilepsie“) auch zur Therapie bipolarer psychischer Erkrankungen eingesetzt wird („Affektive Störungen“). Aufgrund seiner aktivierenden Wirkungen beeinflusst es depressive Episoden günstiger als manische Phasen. Schlaflosigkeit ist eine wesentliche Nebenwirkung. Levetiracetam, ein inzwischen wegen seines günstigen Nebenwirkungs- und Wechselwirkungsprofils sehr häufig eingesetztes Antikonvulsivum, kann in höherem Dosisbereich zu klinisch relevanter innerer Unruhe, gegebenenfalls Halluzinationen und Schlafstörungen mit Zunahme der Wachzeiten im Schlaf führen. Die polysomnographischen Befunde sind gegenwärtig recht uneinheitlich (Jain und Glauser 2014).
Felbamat, das in Monotherapie vorwiegend zur Behandlung kindlicher Epilepsien wie dem Lennox-Gastaut-Syndrom genutzt wird, kann in bis zu 10 % der Fälle zur Schlaflosigkeit führen. Hier ist eine Reduktion der Dosis oder das Vorziehen der Abendmedikation auf den Mittag angezeigt. Bei Patienten mit vorbestehenden „Insomnien“ sollte möglichst auf andere Substanzen zurückgegriffen werden.
Sultiam ist eine ebenfalls vorwiegend im Kindesalter bei partiellen Anfallssyndromen indizierte Substanz. Sie bewirkt über die Hemmung der Karboanhydratase eine azidotische Stoffwechsellage, die neben der kompensativen Tachypnoe auch eine Ein- und Durchschlafstörung zur Folge haben kann.

Medikamentöse Parkinsontherapie

Schlafstörungen bei Parkinson-Patienten sind häufig und multifaktoriell („Parkinson-Syndrome“). Sowohl Dopaminergika als auch Anticholinergika führen zu einer REM-Schlafsuppression zumeist in der ersten Schlafhälfte. Medikamentenbedingte Durchschlafstörungen finden sich vorwiegend im hohen Dosisbereich dopaminerger und anticholinerger Substanzen. Häufig kündigen diese Durchschlafstörungen die Entwicklung nächtlicher Halluzinationen und medikamenteninduzierter Psychosen an und sollten in diesem Falle zu rascher Dosisreduktion führen. Polysomnographische Daten lassen annehmen, dass die nächtlichen Halluzinationen durch eine erhebliche Fragmentierung des REM-Schlafs mit häufigem kurzen Erwachen hervorgerufen werden. Tab. 1 gibt einen Überblick über die Studienlage zu unterschiedlichen schlafstörenden Effekten der entsprechenden Substanzen.
Tab. 1
Häufigkeit schlafstörender Nebenwirkungen von Parkinsonmedikamenten. Die Daten sind der Metaanalyse von Reichmann et al. mit Abrufdatum 19.06.2005 entnommen (alle Angaben in % der Anwender)
Wirkstoff
Präparat
Substanzklasse
Agitiertheit
Alpträume
Bettflucht
Durchschlafstörungen
Einschlafstörungen
Reden im Schlaf
Benzatropin
Ach
1,0
Biperiden
Akineton, Generika
Ach
0,1
Bornaprin
Sormodren
Ach
1,5
Metixen
Tremarit, Tremaril
Ach
Pridinol
Myoson, Parks12
Ach
Procyclidin
Osnervan
Ach
Trihexyphenidyl
Artane, Parkopan
Ach
0,6
0,1
a-Dihydroergocryptin
Almirid, Cripar
DA
APO Go, Apomorphin, Uprima
DA
1,1
0,1
0,3
Bromocriptin
Kirim, Parlodel, Pravidel, Generika
DA
0,1
0,1
0,7
4,0
6,4
0,2
Cabergolin
Dostinex, Cabaser, Cabaseril
DA
3,2
1,4
1,1
9,4
Lisurid
Dopergin
DA
1,2
0,1
1,4
0,2
Pergolid
Parkotil, Celance, Generika
DA
0,3
1,5
0,4
Pramipexol
Sifrol, Mirapexin
DA
0,2
12,0
0,0
Ropinirol
ReQuip
DA
11,4
Levodopa
Dopaflex
Dop
15,2
Levodopa + Benserazid
Madopar, PKLevo, Prolopa, Restex, Generika
Dop
0,8
1,9
Levodopa + Carbidopa
Nacom, Isicom, Dopadura, Sinemet, Stalevo, Generika
Dop
0,0
2,0
10,2
1,9
Selegilin
Antiparkin, Movergan, Xilopar, Generika
MAO
0,1
0,5
5,5
0,2
Entacapon
Comtess, Stalevo
COMT
0,2
1,2
Tolcapon
Tasmar
COMT
0,4
4,4
10,0
0,1
8,0
Amantadin
PK-Merz, Generika
NMDA
0,4
1,7
0,9
0,9
3,4
0,1
Parkinsan
NMDA
3
Ach, Acetylcholinrezeptoragonist; COMT, COMT-Hemmer; DA, Dopaminrezeptoragonist; Dop, Levo-Dopa; MAO, MAO-Hemmer; NMDA, NMDA-Rezeptor-Agonist
Selegilin – ein MAO-B-Hemmer – wirkt über seine Metaboliten Amphetamin und Metamphetamin antriebssteigernd und schlafhemmend. Diese Wirkung wird als häufigster Nebeneffekt angegeben. Eine veränderte Galenik als Schmelztablette soll diesen Effekt reduzieren. Rasagilin, ein MAO-B-Hemmer der zweiten Generation, soll ebenfalls keine derartigen Schlafstörungen bewirken. Bei Einsatz von Safinamid, einem MAO-B-Hemmer mit zusätzlich antiglutamatergem Effekt, werden wiederum schlafstörende Effekte häufig berichtet.
Amantadin wird in der Parkinson-Therapie, aber auch bei viralen Enzephalitiden, demenziellen Symptomatiken oder Bewusstseinsstörungen unter anderem wegen seiner aktivierenden und aufhellenden Effekte eingesetzt. Die Applikation sollte intravenös in den frühen Morgenstunden, oral morgens und mittags erfolgen, da ansonsten mit Ein- und Durchschlafstörungen zu rechnen ist.

Antidementiva

Die Behandlung mit Cholinesterasehemmern kann bei der Alzheimertherapie auch zu Vigilanzveränderungen führen. Etwa 9 % der Patienten berichten nach Donezepil-Einnahme über Schlafstörungen. Auch bei Galantamin wird in 8–10 % der Patienten eine Agitiertheit mit Schlafproblemen beobachtet. Unter Tacrin oder Rivastigmin werden geringere Frequenzen von Schlafstörungen berichtet. Memantine besitzt als NMDA-Rezeptorantagonist antriebssteigernde Effekte und kann ebenso für Schlafstörungen verantwortlich sein.

Immunmodulatoren

In der Behandlung der Encephalomyelitis disseminata werden Interferon β-1a, Interferon β-1b und Glatiramerazetat zur Immunmodulation eingesetzt. In der Nacht nach Injektion kommt es insbesondere bei der Interferontherapie häufig zu Schlafstörungen, die teils durch die grippeähnlichen Nebenwirkungen einschließlich Gelenkschmerzen bedingt sind. Gleichzeitige Gabe eines nichtsteroidalen Antiphlogistikums reduziert diesen Effekt. Insbesondere längerfristige und höher dosierte Gaben von Steroiden können zu Euphorisierung, innerer Unruhe und Schlafstörungen führen.

Rheologika

Piracetam ist zentralnervös aktivierend. Es kann Angst und Tremor auslösen und zu erheblichen Schlafstörungen führen. Die Gabe von Naftidrofuryl hat gelegentlich, die von Pentoxifyllin in seltenen Fällen Schlaflosigkeit zur Folge.

Muskelrelaxantien

Sirdalud und Baclofen haben in erster Linie sedierende Nebenwirkungen. Gelegentlich werden jedoch auch Schlafstörungen beobachtet. Möglicherweise werden sie über eine Verstärkung Schlafbezogener Atmungsstörungen mit vermehrten Arousals hervorgerufen.
Literatur
Jain SV, Glauser TA (2014) Effects of epilepsy treatments on sleep architecture and daytime sleepiness: an evidence-based review of objective sleep metrics. Epilepsia 55:26–37CrossRef
Reichmann H, Engfer A, Jost W et al (2000) Morbus Parkinson Nebenwirkungs- und Interaktionsdatenbank, URN: urn:nbn:de:0007-21663019. Abruf am 19.06.2005
Riederer P, Laux G, Pöldinger W (Hrsg) (1999) Parkinsonmittel und Antidementiva. In: Neuropsychopharmaka. Ein Therapie-Handbuch, Bd. 5, 2. Aufl. Springer, Wien/New York
Rote Liste Service GmbH (Hrsg) (2015) Rote Liste: Arzneimittelverzeichnis für Deutschland (einschließlich EU-Zulassungen und bestimmter Medizinprodukte). Rote Liste Service GmbH, Frankfurt