Bei Kindern und Jugendlichen definiert die 10. Altersperzentile des
Body-Mass-Index (BMI) den Schwellenwert für die Diagnose (
https://www.pedz.de/de/bmi.html auf der Basis der KiGGS-Daten). Der Entwurf der ICD-11 sieht einen Schwellenwert unterhalb der 5. BMI-Perzentile für Kinder und Jugendliche vor, welcher möglicherweise zu einem verzögerten Behandlungsbeginn und damit schlechteren Prognose führen wird.
Man unterscheidet den restriktiven Typus der AN vom sog. Binge-/Purging-Typus. Während die Gewichtsabnahme beim restriktiven Typus durch Nahrungseinschränkung und vermehrte körperliche Aktivität erreicht wird, treten bei Letzterem Heißhungerattacken und/oder weitere Maßnahmen zur Gewichtsabnahme (z. B. Erbrechen oder Laxanzienmissbrauch) auf.
Die Patientin wird von dem Wunsch nach Gewichtsverlust und/oder der Angst vor einer Gewichtszunahme beherrscht. Der Gewichtsverlust ist das Ergebnis einer restriktiven und selektiven Nahrungsaufnahme. Viele Patientinnen zählen Kalorien, verzichten auf fett- und kohlenhydrathaltige Speisen und ernähren sich vorwiegend von sog. gesunder Kost, d. h. Obst, Gemüse und Vollkornbrot. Nicht selten beginnt die
Essstörung mit dem Übergang auf vegetarische oder vegane Nahrungsmittel. Oft zelebrieren Patientinnen mit AN die kleinen und wenigen Mahlzeiten, entwickeln Rituale und ein sehr auffälliges Essverhalten mit kleinen Bissen, Krümeln (damit möglichst viel der Mahlzeit verloren geht), bestimmten Regeln (z. B., dass der Käseaufschnitt getrennt von dem Brot gegessen wird) und sehr langsamer Nahrungsaufnahme mit langen Kauphasen und gegebenenfalls Ruminieren. Einige Patientinnen trinken besonders viel (meistens Leitungs- oder Mineralwasser), um das Hungergefühl zu unterdrücken, gegebenenfalls mit der Symptomatik eines
Diabetes insipidus. Andere, insbesondere kindliche Patientinnen trinken sehr wenig, weil sie befürchten, durch die Flüssigkeit zuzunehmen. Diese Angst kann dazu führen, dass die Patientinnen sogar ihren Speichel ausspucken.
Ein großer Teil der Patientinnen ist körperlich hyperaktiv, wobei die körperliche Bewegung mit der Gewichtsabnahme zunimmt und erst im Zustand der ausgeprägten Starvation wieder zurückgeht. Im Gegensatz zu früheren Annahmen, wo der Patientin absichtsvolles Verhalten unterstellt wurde, weiß man heute, dass dieser Mechanismus und andere (z. B. depressive Verstimmung, siehe unten) z. T. durch die Starvation selbst, d. h. infolge neurobiologischer Veränderungen (in diesem Fall durch Abfall des Hormons
Leptin), mitbedingt ist.
Ein Teil der Patientinnen betreibt neben dem restriktiven Essen Laxanzienabusus (gegebenenfalls auch mit Süßstoff) oder erbricht regelmäßig (Purging, siehe oben). Zusätzlich können im Verlauf der
Essstörung Heißhungerattacken auftreten, anfänglich häufig ausgelöst durch
Hypoglykämien.