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Pädiatrie
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Publiziert am: 15.03.2019

Sporttauglichkeit und Leistungsphysiologie

Verfasst von: Karl-Otto Dubowy
Die körperliche Leistungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen ist alters- und geschlechtsabhängig. Bis zur Pubertät sind Jungen und Mädchen vergleichbar leistungsfähig. Jenseits der Pubertät nimmt die Ausdauer der Jungen im Verhältnis zu den Mädchen deutlich zu und beträgt im Allgemeinen etwa 30 % mehr im Vergleich zum weiblichen Geschlecht. Dabei spielen neben der Muskulatur auch das Herzkreislaufsystem und die Lunge eine entscheidende Rolle.
Die körperliche Leistungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen ist alters- und geschlechtsabhängig. Bis zur Pubertät sind Jungen und Mädchen vergleichbar leistungsfähig. Jenseits der Pubertät nimmt die Ausdauer der Jungen im Verhältnis zu den Mädchen deutlich zu und beträgt im Allgemeinen etwa 30 % mehr im Vergleich zum weiblichen Geschlecht. Dabei spielen neben der Muskulatur auch das Herzkreislaufsystem und die Lunge eine entscheidende Rolle.
Wir sprechen von der Leistungsfähigkeit des Gesunden und der Belastbarkeit des Kranken. Für die Teilnahme am (Schul-)Sport und die Berufsausbildung ist nicht die zugrunde liegende Erkrankung, sondern die aus der Erkrankung resultierende funktionelle Einschränkung im Alltag maßgebend.

Definition der körperlichen Leistungsfähigkeit

Körperliche Leistung ist die Einheit von Vollzug und Ergebnis einer (sportlichen) Handlung bzw. komplexen Handlungsfolge, die an Hand bestimmter, sozial determinierter Normen ermittelt und beurteilt wird. Die körperliche Leistung besteht aus verschiedenen Komponenten. Die physische Leistung wird durch konditionelle und koordinative Faktoren bestimmt, zu denen Ausdauer, Schnelligkeit, Kraft, Beweglichkeit, Reaktionsvermögen/Bewegungskopplung zählen. Diese stellen die 5 motorischen Grundeigenschaften dar und sind durch körperliches Training in einem gewissen Masse trainierbar. Neben den Grundeigenschaften spielen weitere Faktoren eine Rolle: Persönlichkeitsmerkmale wie Intelligenz und Motivation, die körperliche Konstitution, sowie technische Fähigkeiten und Fertigkeiten und die Gesundheit. Eine Erkrankung kann erheblichen negativen Einfluss auf all diese Faktoren haben.
Die maximale Leistungsfähigkeit ist die maximal mögliche körperliche Leistung unabhängig vom Auftreten pathologischer Symptome und/oder Befunde. Belastbarkeit beschreibt die Leistung eines Kranken bis zum Auftreten pathologischer Symptome oder Befunde. Daher sprechen wir von der Leistungsfähigkeit des Gesunden und der Belastbarkeit des Kranken.

Belastungsuntersuchungen

Belastungsuntersuchungen provozieren leistungsbegrenzende physiologische Prozesse und triggern Symptome, die die individuelle körperliche Leistungsfähigkeit einschränken. Eine Belastungsuntersuchung trifft Aussagen zur Leistungsfähigkeit bei Gesunden und zur Belastbarkeit bei Kranken. Dabei ist Belastbarkeit die symptomlimitierte Leistungsfähigkeit.
Ab dem Grundschulalter sind Belastungsuntersuchungen zuverlässig durchführbar. Die Ergometrie erfasst das EKG und die Blutdrucksteigerung. ST-Streckensenkungen um mehr als 0,2 mV und/oder ein fehlender Blutdruckanstieg sind Hinweise auf eine zugrunde liegende Herzerkrankung.
Die Spiroergometrie ist der reinen Ergometrie vorzuziehen, da zusätzlich die Ventilation und der Gasaustausch mit beurteilt werden. Ergänzend ist zur Trainingsteuerung oder bei Verdacht auf muskuläre Erkrankung eine Laktatbestimmung sinnvoll. Ventilationsdefizite oder Diffusionsstörungen lassen sich in der begleitend durchgeführten Blutgasanalyse erhärten.
Die Sauerstoffaufnahme an der ventilatorischen Schwelle – Sauerstoffverbrauch gleich Kohlendioxidproduktion – ist geeignet, den Trainingszustand zu beurteilen. Die maximale Sauerstoffaufnahme spiegelt das Herzminutenvolumen und die maximale aerobe Leistungsfähigkeit wider.

Fahrradergometrie

Die Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie (DGPK) und die Gesellschaft für Pädiatrische Sportmedizin empfehlen ein gewichtsbezogenes Protokoll mit Belastungsstufen von 0,5 W/kg KG und Steigerung der Belastung alle 2 Minuten.

Laufbandergometrie

Für die Laufbandergometrie wird von der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie (DGPK) ein Protokoll mit simultaner Steigerung von Geschwindigkeit und Steigung empfohlen. Bei chronisch kranken Kindern und Jugendlichen ist eine Ausbelastung nicht immer möglich. Die Beurteilung der submaximalen Leistungsfähigkeit an der anaeroben Schwelle mittels Laktatmessung oder Spiroergometrie kann weiterhelfen. Wird eine organbezogene Limitierung der körperlichen Belastbarkeit objektiv nachgewiesen, so sollte eine Teilsportbefreiung mit „Setzen eigener Grenzen“ erwogen werden.

Energetische Aspekte

Für Muskelbewegungen ist die Bereitstellung von Energie notwendig. Dies geschieht durch chemische Reaktionen. Die Energiegewinnung findet in der Muskulatur unter aeroben Stoffwechselprozessen statt. Diese Prozesse laufen in den Mitochondrien ab. Unter anaeroben Bedingungen findet die weniger ertragreiche Energiegewinnung durch Glykolyse und Bildung von Laktat außerhalb der Mitochondrien statt. Zusätzlich zu diesen beiden Formen der Energiegewinnung stehen Energiereserven für kurze Zeit (Sekunden) aus den Energiespeichern der Zellen in Form von ATP und Kreatinphosphat zur Verfügung. Bei anhaltender muskulärer Leistung wird Glukose anaerob verstoffwechselt, die aus dem im Muskel gespeicherten Glykogen stammt. Im Zytoplasma der Muskelzelle entsteht schließlich Laktat, das nur mit Mühe und sehr langsam aus der Zelle ins Blut austreten kann, sodass eine intrazelluläre Anhäufung resultiert. Es ist unklar, warum im Kindesalter (Abb. 1 und 2) nur sehr niedrige Laktatkonzentration gemessen werden – erhöhte Laktatutilisation in der Leber oder aber geringere Laktatproduktion werden diskutiert. Laktatschwellentests zur Beurteilung der Fitness sind präpubertär ungeeignet. Umgekehrt können im Grundschulalter überhöhte Laktatwerte unter Belastung ein Hinweis auf eine Störung der Atmungskette im Sinne einer Mitochondriopathie sein. Die mittels Analyse der Ausatemluft durchgeführte Spiroergometrie ist hilfreich, auch jüngere Kinder in ihrer Leistungsfähigkeit zu beurteilen.

Kardiale Leistungsfähigkeit

Das Herzminutenvolumen lässt sich nichtinvasiv mittels Spiroergometrie über den verbrauchten Sauerstoff ermitteln. Das Produkt aus der Herzfrequenz und dem pro Herzschlag gelösten Sauerstoff (Sauerstoffpuls) repräsentiert die kardiale Leistungsfähigkeit. Die maximale Herzfrequenz unter Belastung nimmt mit dem Alter ab, während der Sauerstoffpuls als Ausdruck des Schlagvolumens zunimmt. Die erreichte Sauerstoffaufnahme der Jungen ist jenseits der Pubertät etwa 1/3 höher als die der Mädchen (Abb. 3 und 4). Die maximalen Blutdruckwerte unter Belastung steigen altersabhängig an (Abb. 5). Ein geschlechtsspezifischer signifikanter Unterschied besteht nicht. Ein unter Belastung fehlender Blutdruckanstieg kann auf hypertrophe obstruktive Kardiomyopathie oder Aortenstenose hinweisen.

Pulmonale Leistungsfähigkeit

Die pulmonale Leistung wird durch das Produkt aus Atemfrequenz und Atemzugvolumen charakterisiert. Das Atemzugvolumen als Ausdruck des steigenden Lungenvolumens steigt ab dem Säuglingsalter an, während die Atemfrequenz auch unter Belastung abnimmt. Geschlechtsspezifische Unterschiede zu Gunsten der Jungen spielen ab dem 12. Lebensjahr eine Rolle. Restriktive Ventilationsstörungen sind durch eine unzureichende Zunahme des Atemzugvolumens, obstruktive Ventilationsstörungen durch ein verringertes Atemminutenvolumen unter Belastung gekennzeichnet. Ausgeprägte Herzinsuffizienz erhöht die maximale willkürliche Ventilation und braucht die Atemreserve auf. Während einer Spiroergometrie lässt sich auch die Totraumventilation bestimmen.
Bei Vergleich mit kapillären Blutgasen können sich Hinweise für eine Diffusionsstörung oder Ventilations-Perfusionsdefizit ergeben. Beim Gesunden kommt es unter Belastung zur Ökonomisierung der kardiopulmonalen Atmungskette. Insbesondere bei Vorliegen einer Trichterbrust können Jugendliche dann zum Sport ermuntert werden. Bei Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz ermöglicht ein vergleichbarer Befund gleichfalls – bei unauffälligem Belastungs-EKG – die Teilnahme am Sport. Ebenso können Patienten mit einer pulmonal verringerten Diffusionskapazität wie Mukoviszidose, Lungenfibrose, Ziliendyskinesie, Lungenhochdruck bei dokumentierter Ökonomisierung der kardiopulmonalen Atmungskette am Sport teilnehmen. Während die mitarbeitsabhängige Bestimmung der Diffusionskapazität oft erst ab dem 12. Lebensjahr gelingt, führt die standardisiert durchgeführte Spiroergometrie bereits ab dem Grundschulalter zu verwertbaren Ergebnissen, die das Risiko einer sportlichen Aktivität vom Schulsport bis zum Vereinssport einschätzen lässt und überwiegend auch eine Mitgliedschaft im Sportverein ermöglicht.

Muskuläre Leistungsfähigkeit

Muskelarbeit hängt von verschiedenen Faktoren ab, zu denen unter anderem Durchblutung, Sauerstoff- und Nahrungszufuhr zählen. Dabei wird die Art des Stoffwechsels von der Form, der Belastungsintensität und der Belastungsdauer wesentlich beeinflusst. Während bei dynamischer (isotonischer) Arbeit auch bei längerer Dauer aerobe Stoffwechselprozesse dominieren, ist statische (isometrische) Arbeit schon bei einer mittleren Intensität durch anaeroben Metabolismus gekennzeichnet. Ein intaktes kardiopulmonales System ist Voraussetzung für muskuläre Leistung. Erkrankungen führen über Organlimitation zur Einschränkung der muskulären Belastbarkeit.

Sporttauglichkeit

Gesunde Kinder sind uneingeschränkt sporttauglich. Bei chronischen Erkrankungen sollte eine standardisierte spiroergometrische Untersuchung durchgeführt werden. So kann eine denkbare vitale Gefährdung durch Sport vermieden oder eine Organlimitierung nachgewiesen werden. In der Mehrzahl der chronisch Kranken ist eine Sporttauglichkeit gegeben, in begründeten Fällen wird orientierend am Krankheitsbild und dem Ergebnis der Spiroergometrie eine Teilsportbefreiung ausgesprochen.
Eine langfristige komplette Befreiung vom Schulsport setzt in der Regel die Kooperation mit dem Schularzt voraus.

Sonderfall Adipositas

Die Frage, ob übergewichtige Kinder und Jugendliche zum Sport angehalten werden sollen, ist eindeutig zu bejahen. Da die Sauerstoffaufnahme als Ausdruck der körperlichen Leistungsfähigkeit bis zum Abschluss des Wachstums eine Funktion des Geschlechts, des Pubertätsstaus und vor allem der Körpergröße ist, stellt die Spiroergometrie die ideale Methode dar, um an Hand der ventilatorischen Schwelle, den Trainingspuls zu bestimmen und ein körperliches Trainingsprogramm zu initiieren, das auch die Teilnahme am Schulsport beinhaltet.

Berufswahl

Erkrankungen können die Berufswahl beeinflussen oder sogar einschränken. Die spiroergometrische Bestimmung der submaximalen Belastbarkeit an Hand der Sauerstoffaufnahme an der ventilatorischen Schwelle ist der reinen Definition der individuellen physikalischen Workload vorzuziehen. So kann die Organlimitierung mit berücksichtigt werden und auf die Working List der arbeitsplatzbezogenen Sauerstoffaufnahme zurückgegriffen werden.

Funktionalität im Alltag

Akute, aber im Langzeitverlauf insbesondere chronische Erkrankungen können die körperliche Belastbarkeit des Gesamtorganismus oder von Teilfunktion beeinflussen. Um die Auswirkung einer oder mehrerer Erkrankungen auf den Lebensalltag zu erfassen wurde der Begriff der Funktionalität (des Betroffenen) im Alltag geprägt. Somit wird das betroffene Kind oder der Jugendliche nicht mehr aus der Perspektive der Erkrankung betrachtet, sondern motorische, geistige, psychosoziale Einschränkungen in den gesellschaftlichen, schulischen, sportlichen, beruflichen Kontext gestellt.

Fazit für die Praxis

Bei Gesunden und Kranken sollten Belastungsuntersuchungen standardisiert erfolgen. Aufgrund der Fülle von Untersuchungsmethoden und Protokollen erscheint es häufig schwierig, die gewonnenen Leistungsparameter insbesondere im Langzeitverlauf unter Berücksichtigung der altersentsprechenden Referenzwerte zu vergleichen. Insbesondere bei Patienten mit chronischen Erkrankungen ist bereits im Kindesalter auf die Auswahl eines Belastungsprotokolls zu achten, das eine Langzeitbeobachtung des Patienten auch in der Adoleszenz und im Übergang zum Erwachsenenalter ermöglicht.
Mit wenigen Ausnahmen, wie z. B. Long-QT-Syndrom, ausgeprägter Immunsuppression oder Infektionsgefährdung, ist eine Teilnahme am Sport auch für chronisch kranke Kinder möglich und zu unterstützen. Das Ausmaß der körperlichen Aktivität orientiert sich an der dokumentierten funktionellen Einschränkung bei Bewegung oder im Alltag und nicht an der zugrunde liegenden Diagnose. Ausnahmen können vitalgefährdende Herzrhythmusstörungen, eine Erhöhung des rechtsventrikulären Drucks bei kardialer oder pulmonaler Erkrankung und insbesondere auch die pulmonale Hypertonie sein. Auch bei gefährdeten Patienten ist im Einzelfall die Begleitung beim Schulsport durch eine Inklusionskraft einer kompletten Befreiung vom Schulsport vorzuziehen.
Spätestens 6 Monate vor Ende der Schulzeit sollten Belastungsuntersuchungen zur Beurteilung der Funktionalität im Alltag durchgeführt werden, um auch dem chronisch kranken Jugendlichen/jungen Erwachsenen eine der zugrunde liegenden Erkrankung angemessene Berufswahl – möglicherweise unterstützt durch die Agentur für Arbeit oder das Integrationsamt – zu ermöglichen.
Weiterführende Literatur
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