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Notfälle in der Kinder- und Jugendpsychiatrie

Verfasst von: Paul L. Plener und Jörg M. Fegert
Psychiatrische Notfälle stellen eine heterogene Gruppe an Symptomen und Störungsbildern dar, denen gemein ist, dass sie ein rasches Handeln erfordern, um eine Gefahr für Patientinnen bzw. Patienten oder deren unmittelbare Umgebung abzuwenden. Dabei handelt es sich in aller Regel um Symptombilder, die zu einer Eigen- oder Fremdgefährdung führen können, oder die im Rahmen von schwer belastenden akuten Ereignissen im Sinne einer Krisenreaktion auftreten. In Bezug auf die Behandlung vieler notfallpsychiatrischer Zustandsbilder ist eine differenzialdiagnostische Abklärung etwaiger körperlicher Ursachen häufig notwendig, sodass hier neben Fertigkeiten in der Gesprächsführung auch eine Kompetenz in der somatischen (Differenzial-)Diagnostik verlangt wird. Im Rahmen von notfallpsychiatrischen Fragestellungen ist zudem eine gute Kenntnis der Rechtslage bezüglich einer Behandlung gegen den Willen von Bedeutung. Die medikamentösen Behandlungsoptionen beschränken sich zumeist auf sedierende Psychopharmaka, wobei gerade auch in diesem Bereich der Off-Label Einsatz von Medikamenten eine ethisch wie auch juristisch komplexe Situation darstellt.

Einleitung

Der Umgang mit psychiatrischen Notfällen gehört zum klinischen Alltag in der Kinder- und Jugendpsychiatrie. Dabei stellen Notfälle eine überaus heterogene Gruppe von Zustandsbildern dar, denen gemeinsam ist, dass sie akut auftreten und als Erstmanifestation oder Exazerbation einer psychiatrischen Störung gesehen werden können.
Notfallpsychiatrisch relevante Syndrome und Störungen im Kindes- und Jugendalter (modifiziert nach DGPPN 2019)
  • Bewusstseinsstörungen, Verwirrtheitszustände
  • Substanzbedingte Störungen
  • Angstsyndrome
  • Erregungszustände, eskalierte Konflikte mit Bezugspersonen
  • Paranoid-halluzinatorische Syndrome
  • Maniforme Syndrome
  • Anorexie nervosa mit vital gefährlichem BMI
  • Bulimia nervosa mit Elektrolytentgleisung
  • Psychosoziale Krisen und Traumatisierungen; Kinderschutzfälle/Inobhutnahmen
  • Psychische Belastungen als Folge von Katastrophen und Großschadensereignissen/Amok
Bei psychiatrischen Notfällen sind das Leben und die Gesundheit der Betroffenen bzw. der Umgebung unmittelbar gefährdet. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass sie einer sofortigen Diagnostik und Therapie bedürfen, da es ansonsten zu einer Schädigung der Patientin, des Patienten oder seiner Umwelt kommen kann (DGPPN 2019).
Dabei kann es sein, dass Patientinnen und Patienten sich bewusst in Gefahr begeben (z. B. bei Überdosierungen oder anderer suizidalen Handlungen) oder sich auch einer immanenten Gefahr nicht bewusst sind (z. B. im Rahmen psychotischer Zustandsbilder).
Bedauerlicherweise gibt es für diesen hochrelevanten Anteil klinischen Handelns wenig Studienergebnisse, was auch damit zu tun hat, dass die Forschung gerade in diesem Bereich, in dem das Einholen eines informierten Einverständnisses besonders schwierig ist, kaum mittels experimenteller Studien stattfinden kann. Zur Versorgungsrealität in Notfallsituationen existieren aus der Kinder- und Jugendpsychiatrie nur einige wenige Daten. In einer Aktenanalyse von 1093 Patientinnen und Patienten, die sich in einer österreichischen kinder- und jugendpsychiatrischen Ambulanz vorstellten, zeigte sich, dass vor allem Suizidgedanken und Verhaltensprobleme die häufigsten Vorstellungsgründe waren (Akkaya-Kalayci et al. 2017). In der Analyse von psychiatrischen Notvorstellungen in einem pädiatrischen Zentrum in Spanien zeigte sich ein ähnliches Bild dergestalt, dass vor allem Verhaltensstörungen ebenso wie selbstschädigende Verhaltensweisen die häufigsten Vorstellungsgründe waren (Porter et al. 2016). In einer aktuellen Analyse von Notfallvorstellungen in einer kinder- und jugendpsychiatrischen Klinik in Deutschland fanden die Autoren vor allem selbstverletzendes Verhalten und Suizidalität als die häufigsten Akut-Vorstellungsgründe in der Kinder- und Jugendpsychiatrie (Franzen et al. 2020).
Nimmt man diese Studien als Ausgangspunkt, so scheint im Bereich der Selbstgefährdung vor allem die Thematik von Suizidalität und nichtsuizidalem selbstverletzenden Verhalten häufig zu Notfallvorstellungen zu führen, im Bereich der Fremdgefährdung sind es vor allem eskalierende Verhaltensprobleme im Sinne aggressiver Handlungen, die zu (potenziellen) Fremdgefährdungen führen.
Im Folgenden soll auf verschiedene Grundzüge in der Behandlung von Notfällen der Kinder- und Jugendpsychiatrie eingegangen werden. Es sei jedoch darauf verwiesen, dass sich innerhalb dieses Lehrbuches ausführlichere Texte mit einzelnen Krankheitsentitäten beschäftigen. Auch auf die einschlägige Thematik der Anwendung einer Behandlung gegen den Willen des Patienten, Anwendung von Zwangsmaßnahmen oder Zwangsmedikation wird in dem Rahmen dieses Kapitels nur kursorisch eingegangen und auf das Kapitel Zwangsmaßnahmen in diesem Lehrbuch verwiesen.

Diagnostik

Die Diagnostik in der Notfallsituation schließt eine Anamnese (nach Möglichkeit ergänzt um eine Fremdanamnese), einen psychopathologischen Befund sowie eine körperlich-neurologische Untersuchung unter Bestimmungen der Vitalparameter (Medical Clearance) ein, die gegebenenfalls durch eine apparative Diagnsotik oder Labordiagnostik ergänzt werden kann (DGPPN 2019).
Es ist der Notfallsituation immanent, dass nicht alle Befunde sofort in der Situation eingeholt werden können, dennoch sollte dies zum frühesten möglichen Zeitpunkt nachgeholt werden.
In der Anamnese sollte das Alter und das Geschlecht, ebenso wie die akute Problematik, die die Notfallsituation auslöste, erhoben werden. Es sollte darauf eingegangen werden, ob bereits psychiatrische Behandlungen im Vorfeld stattgefunden haben, daneben sollte die psychiatrische Anamnese sowie eine allgemeine Anamnese und vor allem auch eine Medikamentenanamnese durchgeführt werden. Ebenso sollte auf die konkrete Lebenssituation der Patientin bzw. des Patienten eingegangen werden. Wenn Patienten stark erregt oder krankheitsbedingt desorientiert sind, kommt der Fremdanamnese eine besondere Bedeutung zu. Wichtig ist es dann eventuelle Begleitpersonen oder auch eine den Patienten/die Patientin einliefernde Polizeistreife erst gehen zu lassen, wenn fremdanamnestische Angaben erhoben wurden und insbesondere der Anlass für das Eingreifen der Polizei oder der Anlass für die stationäre Vorstellung und bisherige Lösungsversuche und beobachtetes Verhalten beschrieben wurden.
Im Rahmen der Erhebung eines psychopathologischen Befundes in der Notfallsituation sollte eine Beurteilung vom Bewusstsein und Orientierung, Affekt und Antrieb, Denk- und Wahrnehmungsleistung sowie der kognitiven Leistung ebenso durchgeführt werden wie eine Erhebung von Suizidalität und etwaiger Fremdgefährdung.
Im Rahmen der somatischen Diagnostik sollte eine körperliche Untersuchung sowie die Bestimmung der Vitalparameter erfolgen. Bei entsprechender Indikation ist ein EKG durchzuführen, ebenso die Bestimmung von Blutzucker, Blutbild, Elektrolyten sowie der Transaminasen und Retentionswerte. Sobald nicht klinisch ein relevanter Substanzkonsum ausgeschlossen werden kann, ist ein entsprechendes Screening durchzuführen (DGPPN 2019).
Zur Durchführung der notwendigen Erhebungsschritte ist vor allem auch eine möglichst ruhige Gesprächssituation notwendig. Insbesondere in Situationen mit agitierten und aggressiven Patientinnen und Patienten müssen Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden, da nur ärztliches Personal, das selbst unverletzt bleibt handlungsfähig ist (Abschn. 3). Wichtig ist es z. B. sich so zu setzen, dass die Untersucherin bzw. der Untersucher stets Zugang zur Tür hat und bei einer Eskalation möglichst ungehindert den Raum verlassen kann.

Fremdgefährdung

Patienten, die sich mit fremdgefährdendem Verhalten vorstellen, können sich hinsichtlich der Ursache ihrer Fremdgefährdung deutlich unterscheiden. Hier gibt es eine Bandbreite von Patientinnen und Patienten mit einer akuten Psychose, z. B. mit Wahnwahrnehmungen und Halluzinationen, bis hin zu Patientinnen und Patienten in psychosozialen Belastungssituationen und krisenhaften Zuspitzungen, z. B. von Beziehungskonflikten, oder Patientinnen und Patienten, die unter Substanzeinfluss stark agitiert auftreten.
Ursachen von Erregungszuständen (modifiziert nach DGPPN 2019)
Grundsätzlich ist beim Gespräch mit aggressiven Patienten darauf zu achten, dass ein ruhiger Gesprächsort aufgesucht wird, der von Reizen abgeschirmt ist. Dabei muss der Selbstschutz immer beachtet werden, d. h. dass gegebenenfalls eine Fluchtmöglichkeit für die Untersucherin bzw. den Untersucher aus der Untersuchungssituation geben sein muss. Daher sollte sich die Untersucherin bzw. der Untersucher mit dem Rücken zur Tür im Raum platzieren, falls möglich sollten immer auch zusätzliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in die Situation hinzugezogen werden (Kölch und Plener 2020). Es sollte möglich viel Autonomie angeboten werden, was den Ablauf der Untersuchung angeht. In dieser Situation sollte es auch darum gehen nicht auf vollständige Klärung von Sachverhalten zu bestehen, sondern ein „talking down“ in ruhigen, kurzen Sätzen vorzunehmen. Belehrungen oder das Anzweifeln von Wahngedanken sollte dabei unbedingt vermieden werden, ebenso ist ein solches erstes Gespräch nicht dazu geeignet Schuldfragen oder etwaige Unfallhergänge zu erörtern. Die Äußerungen erregter Patientinnen und Patienten sollten nicht in Frage gestellt werden (Berzewski 2009).
Prinzipiell ist zu fordern, dass alle kinder- und jugendpsychiatrischen Einrichtungen ein Deeskalationsmanagement aufweisen, d. h. es sollte sichergestellt werden, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter durch fortlaufende Trainingsprogramme im Umgang mit akut aggressiven und gewalttätigen Verhaltensweisen bei Kindern und Jugendlichen ausreichend geschult werden (Deutscher Ethikrat 2018). Diese Maßnahmen sollten psychosoziale Interventionen vermitteln, die zunächst versuchen eine Situation verbal und nonverbal zu deeskalieren, sodass Zwangsmaßnahmen verhindert werden können. Seit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (VN-BRK) sollen für Menschen mit seelischer Behinderung keine anderen Maßstäbe gelten als für nicht behinderte Menschen. Insofern geht es darum als Kriterien für Maßnahmen Einschränkungen lebenswichtiger Funktionen oder allgemein lebensbedrohliche Situationen, die vom Verhalten des Patienten ausgehen, zu beschreiben. Akut-Kinder- und Jugendpsychiatrie ganz ohne Zwang ist nicht vorstellbar, allerdings müssen stets die vorhanden, klaren menschenrechtlichen Kriterien zum Einsatz von Zwang berücksichtigt werden (Fegert 2020). Der alleinige Wunsch sorgeberechtigter Eltern das Kind notfalls auch gegen seinen Willen „zu zähmen“ oder zu behandeln ist hier nicht maßgeblich. Zwar hatte der Bundesgerichtshof in Zivilsachen hier die Naturrechte der Eltern sehr hoch gewichtet, doch hat der Gesetzgeber in der Reform des § 1631b BGB auch allgemein für Zwangsmaßnahmen in der Krankenbehandlung von Kindern und Jugendlichen eine gerichtliche Überprüfung gefordert. Falls im Einzelfall doch Zwangsmaßnahmen erforderlich sind, muss gelten, dass die am meisten in ihren Freiheitsrechten eingeschränkten Patientinnen und Patienten unbedingt Anspruch auf eine fachliche Behandlung und Betreuung haben (z. B. Eins-zu-Eins-Betreuung, hoher Personalstandard). Nach einer Untersuchung von Kölch und Vogel (2016) sind die häufigsten Unterbringungsgründe bei Kindern und Jugendlichen Substanzabusus, Suizidalität und sog. „Trebegängertum“. Zwangsmaßnahmen sind nur legitimiert, wenn sie primär dem Kindeswohl dienen. Sämtliche Zwangsmaßnahmen müssen transparent dokumentiert werden. Sie können im Notfall selbstverständlich zum Schutz ohne richterliche Genehmigung vorgenommen werden, eine solche Genehmigung muss aber nachgeholt werden. Die Personensorgeberechtigten müssen informiert werden.
Gerade weil bei einer Notfallbehandlung eine vitale Indikation vorliegt, muss häufig zunächst medizinisch gehandelt werden und kann erst dann der rechtliche Status der Patientin, des Patienten geklärt werden. In Deutschland regeln die Länder Psychisch-Kranken-Gesetze die Rahmenbedingungen für psychiatrische Unterbringungen von Erwachsenen und Kindern und Jugendlichen. Für viele Problemlagen im Kindes- und Jugendalter sind familiengerichtliche Entscheidungen, welche den Sorgeberechtigten eine Behandlung ihrer Kinder, notfalls auch mit Zwang genehmigen nach § 1631b BGB, vorzuziehen. In akuten Krisensituationen, in denen Jugendliche Behandlung suchen, die Eltern der Behandlung aber zunächst nicht zustimmen, kann die Jugendhilfe den hoheitlichen Akt einer Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII in einer dafür geeigneten Einrichtung, also der Klinik, veranlassen. Bei Selbst- und Fremdgefährdung sind auch Inobhutnahmen gegen den Willen der Betroffenen und der Sorgeberechtigten möglich. Wird eine Einwilligung in die Behandlung zeitnah erzielt, ist eine familiengerichtliche Entscheidung erforderlich. Bei einer Inobhutnahme obliegt es der Jugendhilfe das Familiengericht zu informieren.
Um die Anwendung von Zwangsmaßnahmen nach Möglichkeit zu minimieren und das Gefährdungspotenzial für Patientinnen und Patienten sowie Mitarbeitende zu reduzieren, ist es auch sinnvoll sich mit Präventionsmöglichkeiten bei agitiertem Verhalten zu beschäftigen.
Verhaltensweisen zur Prävention aggressiven Verhaltens (nach DGPPN 2019)
  • Freundliche und emphatische Haltung
  • Potenziell gefährliche Gegenstände sichern
  • Grenzen setzen
  • Rückzug und Ausgang ermöglichen
  • Körperliche Bewegung ermöglichen
  • Psychopathologie behandeln
  • Maßnahmen zum Personalschutz
Das Ziel sollte es sein eine Behandlung unter freiwilliger Einwilligung der Patientin bzw. des Patienten durchzuführen, sodass die Autonomie der zu behandelnden Personen größtmöglich erhalten bleibt und psychopharmakologische Intervention letztendlich als Hilfestellung zum Wiedererlangen von Kontrolle verstanden werden kann. Es kann jedoch auch gegebenenfalls notwendig sein, eine Behandlung gegen den Willen der Patientin bzw. des Patienten durchzuführen, im Sinne einer psychopharmakologischen Zwangsbehandlung.
Hier stehen vor allem sedierende Präparate aus der Substanzklasse der Benzodiazepine wie auch der Antipsychotika (vor allem auch die niederpotenten konventionellen Antipsychotika mit ihren sedierenden Eigenschaften) zur Verfügung, wobei vor allem im Bereich der Kinder- und Jugendpsychiatrie auf die häufig fehlenden Zulassungen und den daraus resultierenden Off-Label-Gebrauch hingewiesen werden muss (Kap. „Psychopharmakologie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie“). Dies stellt vor allem im Rahmen der Notfallsituation, in der eine entsprechende dezidierte Aufklärung sowie auch häufig eine Zustimmung der Patientin bzw. des Patienten und der Sorgeberechtigten nicht erfolgen kann, eine besondere rechtliche Herausforderung dar und bedarf einer besonderen Dokumentation und gegebenenfalls auch eine Entscheidung des Familiengerichts nach der akuten Krisensituation.
Auch in der S2k-Leitlinie zur Notfallpsychiatrie wird auf die geringe verfügbare Evidenz zum Einsatz von Psychopharmaka in Notfallsituationen hingewiesen, da wie bereits zuvor erwähnt Studien in notfallpsychiatrischen Settings selten durchgeführt werden (DGPPN 2019). Eine Feststellung, die umso mehr auf die Situation bei Minderjährigen zutrifft.
Die Auswahl des Präparats orientiert sich dabei an der erwünschten Wirkung, der Wirklatenz (meistens ist ein möglichst rasches Einsetzen der Wirkung gefordert), der Sicherheit und Verträglichkeit sowie der Applikationsform, die zur Verfügung steht (DGPPN 2019).
Einen Überblick über mögliche Präparate, die in einer Notfallsituation zur Anwendung kommen können, bietet Tab. 1. Hier sei darauf verwiesen, dass die Mehrzahl der hier dargelegten Präparate keine Zulassung für die Behandlung von agitierten psychiatrischen Patientinnen und Patienten besitzen bzw. insbesondere keine Zulassung im Kindes- und Jugendalter.
Tab. 1
Häufig verwendete Substanzen zur sedierenden Akutbehandlung aggressiv-agitierter Patientinnen und Patienten (Angaben sind Änderungen unterworfen und müssen im Bedarfsfall auf ihrer Aktualität und Richtigkeit überprüft werden)
Substanzklasse
Wirkstoff
Injektion verfügbar
Anmerkung
Antipsychotika
   
Konventionell
Chlorprothixen
 
Zur Dämpfung psychomotorischer Erregungszustände ab 3 Jahren
 
Pipamperon
 
Zulassung für Kinder und Jugendliche: besondere Berücksichtigung des Nutzen-Risiko-Verhältnis
 
Melperon
 
Dämpfung psychomotorischer Erregungszustände ab 12 Jahren
 
Levomepromazin
Unter 16 Jahren kontraindiziert
 
Promethazin
Unruhe und Erregungszustände ab 2 Jahren (zwingende Indikation bei Injektionslösung)
 
Haloperidol
Zulassung bei schwerer persistierender Aggression bei Autismus und tief greifenden Entwicklungsstörungen ab 6 Jahren, Injektionslösung hat in manchen Ländern nur Zulassung im Erwachsenenbereich
Atypisch
Risperidon
 
Zulassung zur 6-wöchigen Behandlung von Impulskontrollstörungen bei unterdurchschnittlicher Intelligenz ab 5 Jahren
 
Ziprasidon
Keine Zulassung für psychomotorische Erregungszustände <18 Jahre
 
Olanzapin
Keine Zulassung für psychomotorische Erregungszustände <18 Jahre
  
Keine Zulassung für psychomotorische Erregungszustände <18 Jahre
 
Aripiprazol
Keine Zulassung für psychomotorische Erregungszustände <18 Jahre
Benzodiazepine
Diazepam
Akute Spannungs-, Angst-, Erregungs- und Unruhezustände ab 1 Monat
 
Lorazepam
Bei Patienten <18 Jahre nur zur Behandlung des Status epilepticus zugelassen
Ausnahmen bildet hier der Wirkstoff Haloperidol, für den eine Zulassung in der Behandlung von persistierender Aggression bei tief greifenden Entwicklungsstörungen ab dem 6. Lebensjahr besteht, ebenso findet sich für das Präparat Diazepam eine Zulassung zur symptomatischen Behandlung von Angstzuständen ab dem Kindesalter (Huscsava et al. 2020; Grau et al. 2015).
Insbesondere die Applikationsform ist im Rahmen von agitierten Zuständen von hoher Relevanz. So finden sich auch in Tab. 1 Hinweise auf die Möglichkeit Substanzen per Injektion zu applizieren. Es ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass von einer i.v.-Gabe von Haloperidol aufgrund möglicherweise auftretender Herzrhythmusstörungen dringend abgeraten werden muss, gegebenenfalls ist die Indikation extrem streng zu stellen und nur unter EKG-Monitoring durchzuführen, dabei muss eine intensivmedizinische Behandlungsbereitschaft gegeben sein. Zunehmend wird im präklinischen Bereich auch mit nasalen Applikationsformen über sog. MADs („mucosal atomization devices“) gearbeitet, wobei die Substanz in einer Spritze aufgezogen wird und dann nach Einbringung in ein Nasenloch in der Nase zerstäubt wird, was zu einer Aufnahme über die nasalen Schleimhäute führt. So können etwa Benzodiazepine, die als Lösung vorliegen, schnell auch bei fehlendem Zugang appliziert werden. Eine Zulassung für diese Applikationsform liegt in aller Regel jedoch nicht vor.
Die Stoffklasse der Benzodiazepine hat, im Vergleich zu anderen Substanzklassen, den Vorteil, dass mit Flumazenil ein Antidot zur Verfügung steht. Dennoch muss auf die Gefahr einer Atemdepression vor allem in Zusammenspiel mit anderen Substanzen hingewiesen werden. Daher ist im Falle von unklaren Erregungszustände, vor allem dann wenn der Verdacht auf eine Intoxikation mit ungeklärten Substanzen besteht, eine Medikation mit einem konventionellen Antipsychotikum (wie etwa Haloperidol) vorzuziehen (Berzewski 2009).
Es muss darauf hingewiesen werden, dass häufig nicht die erste Gabe einer sedierenden Substanz zu einem augenblicklichen Effekt führt, sodass es günstig ist vor allem bei unklaren Auslösern und unbekannten Patientinnen und Patienten zurückhaltend zu dosieren. So sollte nach der Gabe eines Benzodiazepins 30 Minuten abgewartet werden, um eine Wirkung zu beurteilen und gegebenenfalls eine neuerliche Dosis bei fehlender Sedierung zu verabreichen.

Eigengefährdung

Die häufigsten Vorstellungsgründe hinsichtlich selbstgefährdenden Verhaltens betreffen im kinder- und jugendpsychiatrischen Alltag die Themenbereiche Suizidalität, nichtsuizidales selbstverletzendes Verhalten sowie Anorexia nervosa. Auch im Rahmen maniformer Zustandsbilder kann sich eine potenziell eigengefährdende Situation ergeben. Zu jedem dieser Themengebiete finden sich separate Kapitel im Rahmen dieses Lehrbuches auf die hier verwiesen wird, sodass im Rahmen des vorliegenden Kapitels der Fokus auf andere Bereiche gelenkt wird.

Bewusstseinsstörungen

Bei Bewusstseinsstörungen handelt es sich um einen Sammelbegriff von Funktionsstörungen, die die Wachheit, die Aktivität, die Klarheit, Zielgerichtetheit, Ansprechbarkeit, Reagibilität auf Umweltreize, Orientierung, Aufmerksamkeit, Merkfähigkeit, Wahrnehmung und das Denken, Wollen und Handeln betreffen können. Dabei können quantitative Bewusstseinsstörungen (etwa Störungen der Vigilanz) von qualitativen Bewusstseinsstörungen unterschieden werden, bei denen ein veränderter Bewusstseinszustand auftritt (etwa bei Delir oder Verwirrtheit; DGPPN 2019).
Einteilung von Bewusstseinszuständen (nach Berzewski 2009)
1.
Zustände verminderten Bewusstseins
  • Benommenheit
  • Somnolenz
  • Sopor
 
2.
Zustände veränderten Bewusstseins
  • Dämmerzustand
  • Verwirrtheitszustand
 
Die Ursachen für Bewusstseinsstörungen können vielfältig sein. Als mögliche Ursachen kommen unter anderem zerebrale Gefäßveränderungen, Herz- Kreislauf-Störungen, Störungen des Elektrolythaushalts, zerebrale organische Prozesse, der Konsum von Alkohol oder anderen Rauschmitteln, die Einnahme von Medikamenten, internistische Stoffwechselerkrankungen und eine psychogene Entstehung in Frage.
Im Delir finden sich häufig Wahrnehmungsstörungen, ebenso wie Aufmerksamkeitsstörungen, kognitive Defizite sowie Orientierungsstörungen. Zumeist finden sich eine erhöhte Suggestibilität und optische Halluzinationen (DGPPN 2019). Die Ursachen für ein Delir können dabei vielfältig sein, neben körperlichen Erkrankungen können auch Intoxikationen eine mögliche Ursache sein.

Stupor und Katatonie

Bei stuporösen Patienten findet sich keine Reaktion auf die Außenwelt, wiewohl die Wahrnehmung der Umgebung intakt sein dürfte. Es findet sich eine fehlende Reaktion auf Außenreize und eine fehlende Aktivität, auch der sprachliche Ausdruck kann bis zum Mutismus hin eingeschränkt sein. Mögliche Ursachen können eine akutpsychiatrische Erkrankung, sowie internistische Erkrankungen (metabolische oder endokrine Entgleisungen), hirnorganische Erkrankungen wie Meningitis oder Enzephalitis, sowie Schlaganfälle, und pharmakogene Ursachen (etwa im Sinne eines maligen neuroleptischen Syndroms) oder Intoxikationen sein (DGPPN 2019).
Bei der Katatonie findet sich ein Verharren in einer Haltung, wobei die Extremitäten in teilweise bizarren Positionen verbleiben können. Die Fähigkeit bestimmte Handlungen zu vollziehen kann erhalten bleiben. Hingegen kann sich auch ein rascher Wechsel hin zu einem Raptus mit psychomotorischer Erregung zeigen. Eine Katatonie kann infolge von psychiatrischen Erkrankungen wie z. B. Manien oder Schizophrenien auftreten, aber auch bei hirnorganischen Erkrankungen wie Enzephalopathien, Tumoren, Epilepsien oder Autoimmunenzephalitiden. Ebenso können Katatonien bei internistischen Erkrankungen wie z. B. Neoplasien, Intoxikationen, Ketoazidosen, Infektionen und Autoimmunerkrankungen, ebenso wie bei Elektrolytstörungen auftreten. Daneben gibt es auch pharmakogene Ursachen (Glukokortikoide, Antibiotika, Lithiumintoxikation u. a.; DGPPN 2019).

Intoxikationen

Gerade Intoxikationen können abhängig von den eingenommenen Substanzen durchaus unterschiedliche Zustandsbilder aufweisen. Zudem ist gerade vor dem Hintergrund der Verwendung immer neuer synthetischer Substanzen davon auszugehen, dass im Rahmen von psychiatrischen Akutvorstellungen bislang unbekannte Intoxikationssyndrome auftreten können. Auf körperliche Komplikationen wie Aspirationen, Delir, Komata, Enzephalopathien oder Krampfanfälle ist besonderes Augenmerk zu legen. Ebenso können auch Entzüge von Substanzen als psychiatrisches Notfallbild imponieren. In aller Regel sind Entzugssymptome deutlich unangenehm, jedoch nicht als körperlich bedrohlich zu werten. Eine Ausnahme muss hier für den Alkoholentzug gemacht werden, da die Patientinnen und Patienten einer klinischen Überwachung bedürfen. In diesem Zusammenhang ist vor allem das Risiko eines Krampfanfalls zu beachten, dem durch eine entsprechende medikamentöse Behandlung (häufig mit Benzodiazepinen) begegnet werden muss.
Aufgrund der klinischen Häufigkeit muss vor allem der Umgang mit Alkoholintoxikationen in der Routine beherrscht werden. Während bei anderen Intoxikationsformen zur Behandlung von Erregung und Angst immer Benzodiazepine zum Einsatz kommen können, muss vor dem Hintergrund einer drohenden Atemdepression bei Alkoholintoxikationen auf Antipsychotika zur Sedierung zurückgegriffen werden. Prinzipiell ist auch zu prüfen, ob aufgrund des Grades der Alkoholisierung eine Aufnahme in eine kinder- und jugendpsychiatrische Klinik sinnvoll erscheint, oder ob hier zunächst eine Behandlung des somatischen Zustandsbildes im Vordergrund steht und dementsprechend eine Intensivstation oder eine entsprechende Station einer Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde die primäre somatische Behandlung, mit kinder- und jugendpsychiatrisch konsiliarischer Begleitung, übernehmen sollte. Dies hängt auch von den regionalen Gegebenheiten und Überwachungsoptionen ab. In jedem Fall sollte eine wiederholte Kontrolle der Alkoholkonzentration im Atem oder im Blut erfolgen, die Vitalparameter sollten (vor allem auch in Bezug auf die Sauerstoffsättigung) zumindest alle 30 Minuten kontrolliert werden (DGPPN 2019).

Angstzustände

Auch wenn Panikattacken und andere starke Angstzustände durchaus häufig zu Vorstellungen in psychiatrischen Notdiensten führen, so ist doch deren potenzielle Gefährlichkeit in Vergleich zu anderen psychiatrischen Notfallsymptomen deutlich eingeschränkt. Zu beachten ist, dass viele Angstsyndrome auch in Begleitung von Intoxikationen, Entzugssymptomen oder psychotischen Zustandsbildern auftreten können. Ebenso können Angstsymptome auch Ausdruck einer körperlichen Erkrankung sein. Mögliche Ursachen können hier (u. a.) etwa Asthma bronchiale, Hypertension, Hypoglykämie, Fieber, Autoimmunerkrankungen oder Epilepsien sein.
Es muss auch Beachtung finden, dass verschiedene Substanzen, ebenso wie Intoxikationen und Entzüge von Substanzen Angstzustände induzieren können (Tab. 2).
Tab. 2
Potenziell angstinduzierende Substanzen (nach Berzewski 2009)
Intoxikation
Cannabis
Halluzinogene
Entzug
Alkohol
Benzodiazepin
Substanzen
Sedativa
Levodopa
Anästhetika
Steroide
Schilddrüsenhormone
Sympathikomimetika
Die Therapie einer akuten Angstsymptomatik sollte zunächst primär durch verbale Krisenintervention erfolgen. Erst wenn diese (oder auch die Beseitigung etwaiger körperlicher Zustandsbilder, die das Angstsyndrom verursachen) nicht zum Erfolg führen, kann in der Akutsituation auf Benzodiazepine zurückgegriffen werden.

Medikamentenassoziierte psychiatrische Symptome

Auch (psycho-)pharmakologisch induziert können Notfallsituationen eintreten, Da alle wirksamen Medikamente auch unerwünschte Wirkungen haben können, kann es auch als Folge einer Behandlung mit Psychopharmaka zu verschiedenen notfallpsychiatrischen Zustandsbildern kommen.
Psychiatrische Notfälle basierend auf einer psychopharmakologischen Medikation (nach DGPPN 2019)
Als weiteres Beispiel für eine psychopharmakologisch induzierte Notfallsituation ist speziell auf das serotonerge Syndrom hinzuweisen, das im Rahmen einer Gabe von serotonerg-agonistisch wirksamen Substanzen auftreten kann. Es finden sich dabei verschiedene Symptome.
Symptomatik eines serotonergen Syndroms
  • Autonomvegetative Symptome: Schwitzen, Durchfall, Übelkeit, Tachypnoe, RR-Erhöhung, Pupillenerweiterung
  • Zentralnervöse Symptome: Koordinationsstörung, Unruhe, Halluzinationen, Akathisie, Hypomanie
  • Neuromuskuläre Symptome: Tremor, Myoklonien, gesteigerte Reflexe, Krampfanfälle
Als Konsequenz einer antipsychotischen Behandlung kann es zum Auftreten eines malignen neuroleptischen Syndroms nach Antipsychotikagabe kommen. Dieses tritt meist wenige Tage nach der Ersteinnahme von Antipsychotika auf. Es findet sich ein Anstieg der extrapyramidal-motorischen Symptomatik, Fieber, Tachykardie, Herzrhythmusstörungen, eine Hyperhydrosies sowie eine Bewusstseinstrübung. Die Therapie dieses Syndroms ist neben dem Absetzen der Antipsychotikagabe rein symptomatisch orientiert, wobei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden muss, dass auch letale Ausgänge berichtet wurden.

Umgang mit akuten psychischen Belastungen

Häufig werden auch Patientinnen und Patienten im Rahmen notfallpsychiatrischer Kontakte vorgestellt, die gerade eine potenziell traumatische Situation erlebt haben. Das können z. B. Überlebende von Großschadensereignissen sein, Opfer von Vergewaltigungen oder Überlebende von Misshandlung oder Missbrauch, sowie Beteiligte von schweren Unfällen. Im kinder- und jugendpsychiatrischen Bereich wird man mitunter auch mit einem potenziell traumatisierenden Ereignis im schulischen Kontext konfrontiert, bei dem es eine Vielzahl von (potenziell) Betroffenen gibt, etwa bei sog. School-Shootings oder einem Suizid einer Schülerin/eines Schülers in der Schule.
Ohne hier auf die Besonderheit der Behandlung von Traumafolgestörungen einzugehen (Kap. „Posttraumatische Belastungsstörung in Kindheit und Jugend“) so können doch Grundzüge für die akute Krisenintervention festgehalten werden. Zunächst ist festzuhalten, dass es sich bei einer Stressreaktion um ein physiologisch erwünschtes Ereignis handelt, das uns dabei helfen soll herausfordernde Situationen durch eine veränderte körperliche Aktivierung zu meistern. Von Shonkoff et al. (2012) wurde auch darauf hingewiesen, dass bei Vorhandensein einer stabilen erwachsenen Bezugsperson Stressoren im Kindes- und Jugendalter auch bewältigt werden können, sofern es nicht zu einer starken und dauernden Aktivierung des Stresssystems durch toxische Umweltfaktoren kommt. Zunächst muss daher eine Entstigmatisierung von normalen, physiologischen Anpassungsleistungen stattfinden. So kann eine psychoedukativ orientierte Intervention auch dazu beitragen, dass kurzfristig auftretende Symptome wie Schlafstörungen und Hyperarousal, auch im Sinne einer erhöhten Schreckhaftigkeit, sowie sich aufdrängende Bilder als Stressreaktion gedeutet werden und noch nicht als Pathologie. Gerade im Hinblick auf Großschadensereignisse kann festgehalten werden, dass sich auch im Spontanverlauf häufig eine Remission der Symptomatik zeigt. Diese Beobachtung weist auch auf die Bedeutung eines schützenden Umfelds als Resilienzfaktor hin. Gerade im Bereich von akuten Traumatisierungen ist ein vorhandenes soziales Netzwerk zum Austausch über das Erlebte von besonderer Bedeutung, das Sprechen-können über das Erlebte mit Angehörigen und Freunden stellt zudem auch eine natürliche und zutiefst menschliche Reaktion dar, zu der ermutigt werden kann.
In diesem Zusammenhang muss darauf hingewiesen werden, dass die früher verbreitete Technik des sog. Debriefing von Einsatzkräften nicht zu einer besseren Prognose hinsichtlich der Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung geführt hat (van Emmerik et al. 2002). Eine regelrechte Behandlung von akutem traumaassoziierten Stress kann bei Wunsch des Patienten durchgeführt werden. Hierbei sind Trauma-fokussierte Verfahren zu wählen, deren Wirksamkeit durch die vorhandene Evidenz gestützt wird (Roberts et al. 2019). In der Analyse von akuten Großschadensereignissen zeigt sich, dass Evidenz dafür besteht, dass expositionsbasierte Traumatherapieverfahren (narrative Expositionstherapie für Kinder: KIDNET; Eye Movement Desenitization and Reprocessing: EMDR; Trauma-fokussierte kognitive Verhaltenstherapie: TF-CBT) zu einer Reduktion der PTBS-Symptomatik mit durchweg großen Effekten führen (Brown et al. 2017). In der akuten Belastungsreaktion ist eine Unverzüglichkeit und ein Eingehen auf die Gefühle der Betroffenen unverzichtbar. Hierbei müssen auch die Bedürfnisse der Betroffenen im Mittelpunkt stehen. Sollte kein Gesprächswunsch bestehen, so ist dies zu respektieren. Als Frühintervention können die Ereignisse rekonstruiert werden, es sollte zur bereits erwähnten Entpathologisierung von normalen Stressreaktionen kommen und zum Vermitteln hilfreicher Bewältigungsstrategien.

Fazit

Unbedingt sollten alle Notfallsituationen und insbesondere Zwangsmaßnahmen nachbesprochen werden. Alle Personen, die sich um die Patientin, den Patienten kümmern, sollten versuchen Ruhe auszustrahlen, auch bei scheinbar nichtansprechbaren Patientinnen und Patienten, z. B. in einer Katatonie, werden unvorsichtige Äußerungen des behandelnden Personals nicht selten von den Patientinnen und Patienten wahrgenommen und später berichtet. Alle Handlungen sollten stets ruhig erklärt und eingeführt werden, egal ob nun die Patientinnen und Patienten primär in der Lage erscheinen diese Erklärungen zu verstehen oder nicht.
Notfälle in der Psychiatrie stellen Kliniker:innen vor die Herausforderung schnell Handeln zu müssen um eine potentiellen Schaden von Patient:inne und/oder ihrer Umgebung abwenden zu können. Hier ergeben sich häufig Schnittstellen zu anderen Disziplinen (etwa im Bereich der Intoxikationen) und es empfiehlt sich für den reibungslosen Ablauf im Notfall bereits im Vorfeld eine Klärung von Zuständigkeiten in der Versorgung festzulegen. Um mit Situationen, in denen Patient:innen agitiertes oder aggressives Verhalten zeigen gut umgehen zu könne, bedarf es neben Deeskalationstrainings auch fortlaufender Schulungen um im Bedarfsfall schnell und abgestimmt handeln zu können.
Literatur
Akkaya-Kalayci T, Popow C, Waldhör T, Winkler D, Özlü-Erkilic Z (2017) Psychiatric emergencies of minors with and without migration background. Neuropsychiatr 31:1–7. https://​doi.​org/​10.​1007/​s40211-016-0213-yCrossRefPubMed
Berzewski H (2009) Der psychiatrische Notfall, 3. Aufl. Springer, HeidelbergCrossRef
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Emmerik AA van, Kamphuis JH, Hulsbosch AM, Emmelkamp PM (2002) Single session debriefing after psychological trauma: a meta-analysis. Lancet 360(9335):766–771. https://​doi.​org/​10.​1016/​S0140-6736(02)09897-5. PMID: 12241834
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Weiterführende Literatur
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