Am 7. Januar 2022 wurde David Bennett zum ersten Menschen in der Geschichte, dem ein Herz eines genetisch modifizierten Schweins transplantiert wurde. Die Nachricht über die erfolgreiche Xenotransplantation, welche die School of Medicine der University of Maryland am 10. Januar der Welt kundtat (Kotz
2022a; Rabin
2022), kam überraschend. Schließlich war die Xenotransplantation nicht Teil einer geplanten klinischen Studie, sondern ein einzelner Heilversuch, für den die US-amerikanische Food and Drug Administration (FDA) erstmalig eine Notfallgenehmigung erteilt hatte. Der Patient und Transplantatempfänger, der 57-jährige David Bennett, litt unter einer lebensbedrohlichen Arrhythmie, war zu dem Zeitpunkt bettlägerig und wurde mit einem Lungenersatzverfahren, einer extrakorporalen Membranoxygenierung (ECMO), am Leben gehalten. Bennett hatte nicht die Voraussetzungen erfüllt, um einen Warteplatz auf der Transplantationsliste zu erhalten. Aufgrund der Arrhythmie konnte er nicht mit einem mechanischen Herzunterstützungssystem behandelt werden. Das transplantierte Herz stammte von einem Schwein, das von dem Biotechnologie-Unternehmen Revivicor produziert wurde. Das Schwein war zehnfach mit der Technologie CRISPR-Cas9 genetisch modifiziert. Vier Gene des Schweins wurden ausgeschaltet („Knock-Outs“), die die antikörpergesteuerte Abstoßung fremder Zellen und das Gewebewachstum regulieren. Sechs menschliche Gene wurden dem Schwein eingesetzt, um die immunologische Akzeptanz des Schweineorgans durch den menschlichen Organismus zu verbessern. Nach der Transplantation nahm das Schweineherz umgehend seine Pumpfunktion auf, ohne dabei Abstoßungsreaktionen zu zeigen. Nach wenigen Tagen konnte der Patient von der ECMO getrennt werden. Trotz zwischenzeitlicher infektiöser Episoden ging es Bennett bis zur achten Woche den Umständen entsprechend gut (Carrier et al.
2022). Zwei Monate nach der Transplantation starb David Bennett, nachdem sich sein Zustand innerhalb weniger Tage rapide verschlechtert hatte, an einem Multiorganversagen.
Der Fall wirft einige ethische Fragen auf, die mit Blick auf die anstehenden weiteren Xenotransplantationen in Wissenschaft und Gesellschaft diskutiert werden sollten: (1) Konnte von einer ausreichenden Erfolgsaussicht ausgegangen werden, um die erstmalige Anwendung dieses neuartigen Therapieansatzes am Menschen zu rechtfertigen? (2) Wurde der Patient nach den richtigen Kriterien ausgewählt? (3) Waren die ethischen Anforderungen an den Informed Consent erfüllt? (4) Wurden die Risiken für Dritte angemessen berücksichtigt? (5) Sind die Erfolgskriterien des Heilungsversuchs nachvollziehbar?
Sehr grundsätzlich wirft der Fall Bennett die Frage auf, ob die ersten Anwendungen der Xenotransplantation nicht eher im Rahmen einer klinischen Studie als im Rahmen eines individuellen Heilversuchs durchgeführt werden sollten. Der wesentliche Vorteil klinischer Studien liegt in der systematischen Planung der Versuche unter kontrollierten Bedingungen auf Grundlage des aktuellen Wissenstands. Es stellt sich beispielweise die Frage, ob im Fall Bennett die Kontrolle einer xenogenen Infektion auf dem aktuellen Stand der medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse erfolgte. Zudem könnte im Protokoll vorab abgewogen und festgelegt werden, nach welchen Kriterien die Studien-Teilnehmenden ausgesucht werden sollen (e.g. Carrier et al.
2022; Pierson III et al.
2020; Silverman und Odonkor
2022). Insbesondere stellt sich auch vor dem Hintergrund des vorliegenden Falls die Frage, ob es richtig ist, diejenigen Patient*innen für die ersten Xenotransplantationen auszuwählen, die sich in einem sehr schlechten Gesundheitszustand befinden und für die eine Allotransplantation als therapeutische Alternative nicht (mehr) zur Verfügung steht. Insbesondere bei der Herz-Xenotransplantation könnte den betroffenen Patient*innen eine Wahlmöglichkeit gegeben werden, ob sie mit einer stark eingeschränkten Lebensqualität auf der Warteliste verbleiben oder an einer Xenotransplantationsstudie teilnehmen möchten. Möglicherweise wäre der Nutzen für die weniger schwer erkrankten Patient*innen durch die längere Funktionszeit des transplantierten Organs größer, zum anderen könnten mehr und bessere Erkenntnisse zu Nutzen und Risiken der Transplantation gewonnen werden. Angesichts des nicht vollständig ausschließbaren Risikos der Übertragung xenogener Infektionen auf Dritte erscheint eine gesellschaftlich partizipatorische Einbettung geboten. Im Zuge einer Bürger*innenbeteiligung könnte beispielsweise die Akzeptanz von Restunsicherheiten angesichts der erhofften Nutzenpotenziale ermittelt werden. Zudem bietet sich eine Durchführung der Studien im Rahmen von partizipativen Formaten zur Stärkung der Patient*innenperspektive an (Sacristán et al.
2016). Mit dem getätigten Heilversuch und den sich in naher Zukunft abzeichnenden ersten klinischen Studien ist die Xenotransplantation in eine kritische Phase eingetreten, deren Gelingen sich nicht nur am Erfolg der medizinischen Errungenschaften, sondern auch an der Einschätzung und Bewertung durch die Gesellschaft entscheiden wird.
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