Dauerhafte kognitive Defekte nach hepatischer Enzephalopathie

Bereits eine Episode einer manifesten hepatischen Enzephalopathie führt zu bleibenden kognitiven Defekten, selbst nach vollständiger Remission. Hintergrund Das Spektrum der neurokognitiven Beeinträchtigungen bei Zirrhose-Patienten reicht von der normalen kognitiven Funktion über die minimale hepatische Enzephalopathie (MHE) bis zur manifesten (overten) hepatischen Enzephalopathie (OHE) verschiedener Schweregrade. Eine MHE findet sich bei zwischen 30% und 80% aller Zirrhose-Patienten. Die manifeste hepatische Enzephalopathie tritt bei etwa 30-45% dieser Patienten auf. Beide Zustände wurden bislang als voll reversibel angesehen. Allerdings gibt es auch Hinweise, wonach die neurologischen Schäden durch die Hyperammoniämie und andere Neurotoxine zu irreversiblen chronischen neurologischen Ausfällen führen könnten. Möglicherweise kommt es nach einer einzigen Episode einer HE schon zu bleibenden Lernschwierigkeiten. Patienten und Methoden Von 213 gescreenten Patienten mit gesicherter Leberzirrhose einer Universitätsklinik in Indien erfüllten 107 die Auswahlkriterien (kein Alkohol und keine GI-Blutung in den letzten sechs Wochen, keine Psychopharmaka, normale Elektrolyte, keine höhergradige Niereninsuffizienz), von denen 102 die Studie abschlossen. Alle Patienten waren bewusstseinsklar und hatten einen MMSE-Wert von ≥ 25. Man unterteilte die Patienten in zwei Gruppen: Patienten der Gruppe 1 wiesen anamnestisch keine HE auf, Patienten der Gruppe 2 hatten eine vorangegangene OHE. Patienten der Gruppe 2 erhielten standardisiert eine Dauertherapie mit Lactulose und/oder Rifaximin. Alle Patienten unterzogen sich am Tag 1, Tag 3 und an einem dritten Termin zwischen 30 und 60 Tagen einer Untersuchung zur Festlegung des psychometrischen hepatischen Enzephalopathie-Scores (PHES). Diese Testung dauert 15-20 Minuten und besteht aus sechs verschiedenen graphischen Papier-Tests, die auf die indischen Verhältnisse adaptiert waren. Die Verbesserung um mindestens einen Punkt im PHES zwischen dem ersten und dem zweiten Untersuchungstermin wurde als Maß für die Lernfähigkeit herangezogen. Ergebnisse In beiden Gruppen fanden sich überwiegend Männer im Durchschnittsalter von 43-44 Jahren mit vergleichbarem schulischen Bildungshintergrund. Patienten mit früherer OHE zeigten zwischen Termin 1 und 2 des Tests keinen signifikanten Lernfortschritt, während Patienten ohne vorangegangene Episode einer OHE im Test 2 signifikant besser abschnitten als im Test 1, und zwar unabhängig davon, ob sie eine MHE hatten oder nicht. In einer univariaten Analyse erwiesen sich der Child-Pugh-Score, die Lactulose- und /oder Rifaximin-Therapie, das Vorhandensein einer MHE und eine frühere Episode einer OHE als assoziiert mit einer Lernbehinderung. Die multivariate Analyse zeigte jedoch, dass unabhängig vom Ausgangswert des PHES nur das Vorhandensein einer vorangegangenen Episode einer OHE einen hoch signifikanten Risikofaktor für eine Beeinträchtigung des Lernvermögens darstellt (odds ratio 38,3; CI 9,1 – 160,4). Kommentar von Prof. Füeßl "Nach OHE keine Rückkehr zur Normalität" Prof. Dr. med. H. S. Füeßl München × Wodurch die Hirnfunktionsstörung bei der hepatischen Enzephalopathie genau ausgelöst wird, ist nach wie vor unklar. Die Ammoniakhypothese greift sicher zu kurz, da zwar 90% der Patienten mit einer OHE eine Hyperammoniämie aufweisen, 10% aber normale Ammoniakspiegel haben und keine Korrelation zwischen der Ammoniakkonzentration und dem Schweregrad der HE besteht. Nach neueren Untersuchungen neigt man eher der sog. Gliahypothese zu, wonach die zerebrale Ammoniakentgiftung durch die Bildung von Glutamin in den Astrozyten erfolgt und die Glutaminvermehrung in diesen Zellen eine Zellschwellung mit funktioneller Beeinträchtigung hervorruft. Funktionelle MRT-Untersuchungen haben eine Verringerung der funktionellen Konnektivität des posterioren cingulären Cortex zeigen können, die mit einer dauerhaften kognitiven Beeinträchtigung einhergeht. Die Befunde der vorliegenden Untersuchung sprechen dafür, dass eine Rückkehr zur normalen Funktion nach einer Episode von HE nicht mehr möglich ist. Kritisch wäre anzumerken, dass für ein derart komplexes Krankheitsbild die Patientenzahl sehr klein ist und die Validität von Papiertests zur Feststellung der HE umstritten ist. Die kognitive Beeinträchtigung ist subtil und nur mit aufwändigen Testbatterien feststellbar. Sie könnte sich allerdings bei komplexeren Aufgaben wie zum Beispiel im Straßenverkehr oder am Arbeitsplatz durchaus bemerkbar machen. Take-home-message Bei Patienten mit Leberzirrhose müssen alle Anstrengungen unternommen werden, um eine offene hepatische Enzephalopathie zu vermeiden, da jede Episode mit einer dauerhaften kognitiven Beeinträchtigung einhergehen kann. Diese Befunde sollten auch bei der Indikationsstellung zur Lebertransplantation berücksichtigt werden. Weitere Beiträge zum Thema lesen Sie in unseren Themenschwerpunkten Diagnostik & "Gastroenterologie".

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