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Erschienen in: Rechtsmedizin 6/2014

01.12.2014 | Originalien

Intimizid in Bayern in den Jahren 2004–2007

verfasst von: PD Dr. E. Mützel, A. Auberlen-Pacholke, G. Lindemaier, J. Schöpfer

Erschienen in: Rechtsmedizin | Ausgabe 6/2014

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Zusammenfassung

Hintergrund

Intimpartnertötungen („intimate partner homicide“, IPH, ehemals „Gattenmord“) gelten als Prototyp der sog. Beziehungstat und sind meist in einem Trennungskonflikt begründet. Ihre Prävalenz bleibt epochal unabhängig bzw. ungeachtet äußerer Faktoren wie Volkswirtschaft oder Bildungsstand weltweit konstant bei 20 % aller Tötungsdelikte.

Ziel der Arbeit

Charakteristika und Besonderheiten eines ausreichenden aktuellen Fallkollektivs von IPH im aktuellen gesellschaftlichen Kontext sollten herausgearbeitet und beurteilt werden.

Material und Methoden

Es wurde eine retrospektive statistische Auswertung der im Sektionsgut der Jahre 2004–2007 des Instituts für Rechtsmedizin München enthaltenen IPH samt der zugehörigen Ermittlungsakten und der gerichtlichen Verfahrensdokumentation vorgenommen.

Ergebnisse

Zwischen 01.01.2004 und 31.12.2007 wurden im Institut für Rechtsmedizin München 48 einer IPH zuzuordnende Tötungsdelikte untersucht; dies macht einen prozentualen Anteil von 37,5 % an allen in diesem Zeitraum autoptisch untersuchten Tötungsdelikten aus. In 44 Fällen (91,7 %) lag eine typische „Täter:Mann“-“Opfer:Frau“-Konstellation vor.
Es besaßen 39 Paare (81,3 %) untereinander die gleiche Staatsangehörigkeit, darunter 31 Paare die deutsche Nationalität. Zum Zeitpunkt der Tat waren 29 Paare (60,4 %) verheiratet. In etwa der Hälfte aller Fälle war eine konkrete Trennungsproblematik bekannt. Dreizehn Paare (27,1 %) lebten zum Zeitpunkt der Tat bereits räumlich getrennt. Bei 38 Tätern (79,2 %) waren Eifersucht, Wut und Rache, z. T. wegen der Trennung des Opfers die wesentliche Tatmotivation. In nur 3 Fällen war Habgier und in 4 Fällen Pflegebedürftigkeit und/oder Krankheit der treibende Faktor. Bei 38 Paaren (79,2 %) fanden sich in den Ermittlungsakten Hinweise auf vorangegangene physische und/oder psychische Gewalt in der Beziehung. Es waren 15 Täter (31,3 %) vorbestraft, davon 7 Täter einschlägig. Innerhalb geschlossener privater Räume wurden 40 IPH (83,3 %) verübt. Zum Tatzeitpunkt waren 13 Opfer und 16 Täter alkoholisiert oder standen unter dem Einfluss anderweitiger auf das zentrale Nervensystem wirkende Substanzen. Zweiundzwanzig Täter (45,8 %) hatten sich auf die Tat vorbereitet; in 7 Fällen bestand ein genauer Tatplan. Als Tatwaffen wurden vorrangig Stich-/Schneidewerkzeuge (überwiegend Küchenmesser) verwendet, gefolgt von Hiebwerkzeugen und Handfeuerwaffen. Verletzungen durch eine einzige Art der Gewalteinwirkung wiesen 32 Opfer (66,7 %, vorrangig scharfe Gewalt) auf. In 27 Fällen (56,3 %) trat der Tod infolge des Blutverlusts ein. Im Anschluss an die Tat nahmen 21 Täter (43,8 %) suizidale Handlungen vor; dabei verstarben 15. In 15 Fällen ergingen Urteile wegen Mordes, in weiteren 11 Fällen wegen Totschlags. Bei 12 Tätern (40 %) wurde eine urteilsrelevante verminderte Schuldfähigkeit gutachterlich bejaht.

Schlussfolgerung

Der Anteil der IPH im untersuchten Kollektiv an der Gesamtzahl der Tötungsdelikte betrug 37,5 %. Die Merkmale haben sich im Wandel der Zeit und damit der Gesellschaftsnormen nicht wesentlich verändert. Die vorliegende Studie zeigt, dass Opfer im Vorfeld oft über viele Monate gewalttätigen Übergriffen durch die Täter der späteren Tötung ausgesetzt gewesen sind, ohne dass dies dem äußeren Umfeld bekannt wurde. Dieser Umstand ist in zukünftige Überlegungen zur Schaffung suffizienter Präventivstrategien im flächendeckenden Gewaltopferschutz zwingend einzubeziehen.
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Metadaten
Titel
Intimizid in Bayern in den Jahren 2004–2007
verfasst von
PD Dr. E. Mützel
A. Auberlen-Pacholke
G. Lindemaier
J. Schöpfer
Publikationsdatum
01.12.2014
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Erschienen in
Rechtsmedizin / Ausgabe 6/2014
Print ISSN: 0937-9819
Elektronische ISSN: 1434-5196
DOI
https://doi.org/10.1007/s00194-014-0982-1

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