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03.04.2022 | Kardiologie | Nachrichten

Blutungsprophylaxe bei OPs: Tranexamsäure schützt, ohne Thromboserisiko bedeutend zu erhöhen

verfasst von: Philipp Grätzel

Tranexamsäure als Blutungsprophylaxe ist in der Traumachirurgie gesetzt. Jetzt zeigt die POISE-3 Studie, dass auch andere chirurgische Patienten profitieren – ohne dass das kardiovaskuläre Risiko stark steigt.

Perioperative Blutungen sind nicht selten, insbesondere bei Patienten mit einem erhöhten Blutungsrisiko. Blutungshemmenden Medikamenten freilich wird nachgesagt, dass sie das Herz-Kreislauf-Risiko steigern, weswegen sie ungern prophylaktisch genutzt werden – es sein denn, dass Blutungsrisiko ist sehr hoch, wie etwa bei Patienten mit Polytrauma. Die perioperative Gabe von Tranexamsäure ist in diesem Bereich evidenzbasierter Standard. Auch bei Blutungen nach Entbindung kommt das Medikament zum Einsatz, außerdem in der Herzchirurgie.

Tranexamsäure gegen postoperative Blutungen

Die POISE-3 Studie hat Tranexamsäure jetzt in einem breiten chirurgischen Kollektiv evaluiert. Die Ergebnisse wurden von Dr. Philip James Devereaux vom Population Health Research Institute im kanadischen Hamilton bei der ACC-Tagung vorgestellt und zeitgleich im „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht. POISE-3 ist eine noch laufende, randomisierte Studie im Faktorialdesign, die auch unterschiedliche perioperative Strategien des Blutdruckmanagement untersucht. In Washington vorgestellt wurden jetzt erst einmal nur die Ergebnisse zu Tranexamsäure.

Breites Spektrum an Operationen

Randomisiert wurden insgesamt 9.535 Patientinnen und Patienten, von denen die eine Hälfte Tranexamsäure und die andere Hälfte Placebo erhielt. Appliziert wurden zwei Boli zu je 1 g intravenös zu Beginn und am Ende der jeweiligen Operation. Die Patienten kamen aus 114 Krankenhäusern in 22 Ländern und waren mindestens 45 Jahre alt, im Mittel 69 Jahre. Sie mussten Risikofaktoren für Blutungen aufweisen, konkret eine bekannte atherosklerotische Erkrankung, einen blutungsträchtigen operativer Eingriff, Alter ab 70 Jahre oder Serum-Kreatinin > 2,0 mg/dl. Das Spektrum der Operationen war breit: ein gutes Drittel Allgemeinchirurgie, ein knappes Viertel Orthopädie, je ein Siebtel Gefäß- und urologische Chirurgie und viele weitere. Herzoperationen waren nicht erlaubt.

Organblutungen wurden verhindert

Devereaux erläuterte in Washington, dass die Studie zwei primäre Endpunkte gehabt habe, einen primären Sicherheitsendpunkt – vaskuläre Komplikationen innerhalb von 30 Tagen – und einen primären Effektivitätsendpunkt – lebensbedrohliche, schwere oder kritische Organblutungen innerhalb von 30 Tagen. Letzterer Endpunkt sagt etwa darüber aus, wie effektiv Tranexamsäure Blutungen verhindert, ersterer beantwortet die Frage, ob das durch ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko erkauft wird. Entsprechend war der Effektivitätsendpunkt auf Überlegenheit konzipiert, der Sicherheitsendpunkt auch Nichtunterlegenheit.

Doch minimal mehr vaskuläre Komplikationen

Im Ereignis zeige sich, dass Tranexamsäure Blutungen verhindern kann: 11,7% der Patienten in der Placebo-Gruppe gegenüber 9,1% in der Verumgruppe hatten ein relevantes Blutungsereignis. Das war statistisch signifikant (HR: 0,76; 95%-KI: 0,67–0,87), und es entspricht einer Number-Needed-to-Treat in diesem Risikokollektiv von 38. Beim Sicherheitsendpunkt gab es dagegen mit 13,9% in der Placebo-Gruppe gegenüber 14,2% in der Verum-Gruppe nur einen sehr geringen Unterschied von absolut 0,3 %. Der war aber groß genug, um dazu zu führen, dass Tranexamsäure den Nachweis der Nichtunterlegenheit nicht erreichte. Die Number-Needed-to-Harm liegt bei 333.

"Wahrscheinlichkeit, dass Risiko substanziell steigt, ist gering"

Devereaux wies darauf hin, dass sich die Gesamtzahl kardiovaskulärer Sicherheitsereignisse mit 649 zu 639 tatsächlich nur um zehn Ereignisse unterschied. „Die Wahrscheinlichkeit, dass das Risiko substanziell steigt, ist ausgesprochen klein“, so Devereaux. Gleichzeitig gebe es einen eindeutigen Nutzen, der zudem durch Studien bei anderen Indikationen, Trauma und Entbindung, untermauert werde. 

Bluttransfusionen können eingespart werden

Der Arzt betonte auch, dass eine Verringerung perioperativer Blutungen Operationen nicht nur für Patienten sicherer mache, sondern dass dadurch in Zeiten knapper Blutkonserven auch Transfusionen eingespart würden. Insgesamt sei zu erwarten und zu hoffen, dass Tranexamsäure künftig bei Risikopatienten häufiger als bisher eingesetzt werde. Dem schloss sich auch der Herzchirurg Prof. Joseph Cleveland von der Universität Colorado an: Insbesondere Patienten mit Bauchoperationen, intrathorakalen Operationen und Gefäßeingriffen aller Art sind für ihn geeignete Kandidaten.

Literatur

Devereaux PJ. POISE-3: Tranexamic Acid Reduces Severe Bleeding Risk in Patients Undergoing Noncardiac Surgery. Late-Breaking Clinical Trials I, American College of Cardiology 2022 Scientific Session, 2. April in Washington

Devereaux PJ et al. Tranexamic Acid in Patients Undergoing Noncardiac Surgery. N Engl J Med 2022; 2. April 2022; doi: 10.1056/NEJMoa2201171

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