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30.06.2020 | Kardiologie | Nachrichten

Herzinfarkt: Welcher Plättchenhemmer wirkt in der Akutphase am besten?

verfasst von: Veronika Schlimpert

In der Akutphase eines Herzinfarktes ist eine rasche Hemmung der Thrombozytenaggregation entscheidend. Forscher haben jetzt getestet, welcher Plättchenhemmer dafür am besten geeignet ist.

Die Leitlinien empfehlen bei Patienten mit einem ST-Hebungsinfarkt (STEMI), die potenten P2Y12-Inhibitoren Ticagrelor oder Prasugrel einzusetzen. Der Wirkeintritt dieser Substanzen ist allerdings verzögert, weil sie oral zugeführt und deshalb zunächst absorbiert werden müssen. Wie lässt sich die Therapielücke bis zu deren Wirkeintritt schließen?

Orale P2Y12-Inhibitoren wirken verzögert

Prof. Marco Valgimigli und seine Arbeitsgruppe haben die pharmakologische Eignung unterschiedlicher Therapieansätze verglichen. Die Ergebnisse dieser Studie mit dem Namen FABOLUS FASTER hat der am Inselspital Bern tätige Kardiologe beim diesjährigen Onlinekongress PCR e-Course vorgestellt.

Insgesamt 122 STEMI-Patienten, bei denen eine perkutane Koronarintervention (PCI) geplant war, wurden in fünf verschiedene Therapiearme randomisiert:

  • Tirofiban als 25 µg/kg-Bolus plus 0,15 µg/kg/min-Infusion für 2 Stunden oder bis zum Ende der PCI, gefolgt von einer Prasugrel-Aufsättigungsdosis (60 mg),
  • Cangrelor als 30 µg/kg-Bolus plus 4 µg/kg/min-Infusion für 2 Stunden oder bis zum Ende der PCI, gefolgt von einer Prasugrel-Aufsättigungsdosis (60 mg),
  • sofort Prasugrel 10 bis 15 Sekunden lang zerkaut als 60 mg-Aufsättigungsdosis, und
  • sofort Prasugrel als ganze Tablette als 60 mg-Aufsättigungsdosis.

Glykoprotein-IIb/IIIA-Rezeptorantagonist hat Nase vorn

Zumindest aus pharmakologischer Sicht hat der Glykoprotein-IIb/IIIA-Rezeptorantagonist Tirofiban diesen Vergleich gewonnen. Der i.v. verabreichte Plättchenhemmer bewirkte in den ersten 30 Minuten die stärkste Thrombozytenaggregationshemmung (95,0% +/- 9,0%, gemessen mit Lichttransmissionsaggregometrie [LTA] nach ADP-Stimulation [20 μmol/L] des plättchenreichen Plasmas). 

Deutlich geringer war dagegen die Wirkung des ebenfalls i.v. zugeführten P2Y12-Antagonisten Cangrelor (34,1% +/- 22,5%).

Am schlechtesten schnitten die beiden Prasugrel-Regime ab (10,5% +/- 11,0% bei zerkauter Tablette und 6,3% +/-11,4% mit der üblichen Zufuhr).

Parenteral wirkt schneller als oral

Was lässt sich aus diesen Ergebnissen nun schließen? Erstens, die beiden parenteralen Therapiestrategien haben sich unter pharmakologischen Aspekten als wirksamer erwiesen als eine Behandlung mit einem oralen P2Y12-Inhibitor. Somit unterstütze die Studie den Einsatz parenteraler Substanzen, um eine sofortige Plättchenaggregationshemmung zu erreichen und die initiale Lücke, die mit den oralen P2Y12-Inhibitoren entstehe, zu schließen, resümieren die Studienautoren in der zeitgleich veröffentlichten Publikation in Circulation.

Einige Patienten sprachen auf Cangrelor nicht wirklich an

Beim Vergleich der beiden parenteralen Plättchenhemmern hatte wiederum Tirofiban die Nase vorn. Die Studienhypothese, dass Cangrelor dem Glykoprotein-IIb/IIIA-Inhibitor nicht unterlegen ist, konnte somit nicht belegt werden.

Einige Patienten wiesen innerhalb der ersten zwei Stunden nach Cangrelor-Gabe weiterhin eine hohe Plättchenaktivität auf (definiert als >59% nach 20 μmol/L ADP, >46% nach 5 μmol/L ADP oder >46 U im ADP-Test) auf, während das mit Tirofiban bei keinem Patienten der Fall war.

Die Studienautoren vermuten deshalb, dass Tirofiban akute ischämische Komplikationen besser verhindern kann als Cangrelor. Die Studie sei allerdings nicht dafür gepowert gewesen, Unterschiede in klinischen Endpunkten aufzuzeigen, relativieren sie ihre Annahme. Ob diese Hypothese also wirklich zutrifft, muss erst in weiteren klinischen Studien gezeigt werden.

Die Strategie, durch das Zerkauen der Prasugrel-Tablette den Wirkeintritt zu beschleunigen, hat sich in dieser Studie nicht wirklich bewährt. Zwar war die Konzentration des Metaboliten bei diesem Vorgehen tatsächlich größer, die letztlich erreichte Thrombozytenaggregationshemmung war allerdings dieselbe wie bei der üblichen Darreichungsform.

Doch wie hoch ist das Blutungsrisiko?

Als Einschränkung weisen die Studienautoren darauf hin, dass die Dosis von Cangrelor für STEMI-Patienten womöglich nicht ausgereicht hat. Keine Aussage erlaubt die Studie zudem über das Risiko von unerwünschten Effekten unter den jeweiligen Plättchenhemmern, konkret wie häufig es darunter zu Blutungskomplikationen kommt.

In den letzten Jahren sei der Einsatz von Glykoprotein-IIb/IIIA-Rezeptorantagonisten zurückgegangen, hauptsächlich wegen der Annahme, dass die Blutungsrisiken den Nutzen der Substanzen aufwiegen, erläutern die Kardiologen die verbreitenden Bedenken. Die Daten hierzu wurden allerdings im Kontext einer verlängerten Post-Bolus-Infusion und der Anwendung des femoralen Zugangsweges erhoben. Welche der jeweiligen Plättchenhemmer das beste klinische Nutzen-Risiko-Profil aufweist, gilt es also noch zu evaluieren – und erst dann lassen sich Therapieempfehlungen ableiten.  

Literatur

Gargiulo G et al. Cangrelor, Tirofiban and Chewed or Standard Prasugrel Regimens in Patients with ST-Segment Elevation Myocardial Infarction: Primary Results of the FABOLUS FASTER Trial. Circulation; DOI: 10.1161/CIRCULATIONAHA.120.046928

Valgimigli M: Facilitation through aggrastat or cangrelor bolus and infusion  over prasugrel: a multicenter randomized open-label triak in patients with ST-elevation MI referred fpr pPCI, vorgestellt am 28.06.2020 beim PCR e-Course 

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