Lernziele
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kennen Sie 3 prädominante Rahmenmodelle.
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identifizieren Sie die Personen, die aktiv zur Wirksamkeit der Psychotherapie beitragen.
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kennen Sie die Eckpfeiler der professionellen evidenzbasierten Praxis.
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können Sie zentrale allgemeine Wirkfaktoren unterscheiden.
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können Sie die Evidenzbasierung allgemeiner Wirkfaktoren einordnen.
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können Sie zentrale Argumentationslinien zur Begründung wirksamer Psychotherapie unterscheiden.
Einleitung
Prädominante Rahmenmodelle
Heilkräfte-Rahmenmodell
Störungsspezifisches, medizinisches Rahmenmodell
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Die Anwendung der strikt störungsspezifischen Logik führt in der Psychotherapie teilweise zu paradoxen Behandlungsempfehlungen.
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Die „Present Centered Therapy“ wird in den USA auf der Liste der evidenzbasierten störungsspezifischen Behandlungen für die Posttraumatische Belastungsstörung aufgeführt, obschon sie bewusst auf alle störungsspezifischen Inhalte verzichtete und voll und ganz störungsunspezifisch konstruiert wurde (Frost et al. 2014; https://www.div12.org/diagnosis/posttraumatic-stress-disorder/).
Biopsychosoziales Rahmenmodell
Medizinisches Modell | Biopsychosoziales Modell | |
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Träger der Evidenz | (Störungs-)spezifische Behandlungsmethode, Manual | Multidimensionale Behandlungsprinzipen und Wirkmodelle |
Funktion des Therapeuten | Lege-artis-Anwendung der Behandlungsmethode | Breite, multidimensionale und kollaborative Mitberücksichtigung aller an der Therapie beteiligten Personen und deren Perspektiven |
Funktion des Patienten | Empfänger der Psychotherapie | Aktive Partizipation von der Auswahl der Behandlung bis hin zum Behandlungsabschluss |
Therapieziel | Primärer Endpunkt, zumeist Reduktion der spezifischen psychischen Störung | Breite psychosoziale Integration im Sinne der WHO-Gesundheitsdefinition |
Behandlungsqualität | Einhaltung einer vorbestimmten Behandlungsqualität (Behandlungsintegrität) | Die Frage nach der „guten Qualität“ ist grundsätzlich eine multifaktorielle empirische Frage; für andere Fachpersonen begründbares, nachvollziehbares und ethisch vertretbares Vorgehen |
Forschungszweck | Überprüfung der Wirksamkeit eines (invarianten) Behandlungspakets | Hinweise auf essenzielle und/oder vernachlässigte Behandlungsaspekte |
Mitwirkung an der Therapie beteiligter Personen
Patient*in als Akteur
Therapeut*in als Akteur
Forscher*in als Akteur
Mitpatient*in und Behandlungsort als Akteur
Evidenzbasierte Praxis als Rahmen wirksamer Psychotherapie
(1) | Psychodiagnostik und deren Integration in eine differenzierte Fallkonzeption und Behandlungsplanung |
(2) | Klinische Expertise bei der Durchführung und Anpassung der Behandlungsverfahren im Verlauf einer Therapie, Adaptation der Behandlungen an Patientenfortschritte und -rückschläge |
(3) | Interpersonale Expertise |
(4) | Kontinuierliche Selbstreflexion und Erwerb von breiten therapeutischen Fertigkeiten |
(5) | Professionell-akademische Auseinandersetzung mit Grundlagen der Psychologie im Rahmen einer systematischen Grundausbildung und Weiterbildung |
(6) | Verständnis und Sensibilisierung für den Einfluss von individuellen und kulturellen Unterschieden von Personen auf die Behandlung |
(7) | Interdisziplinäre Zusammenarbeit mit anderen Professionen im Sinne des Patientenwohls |
(8) | Rational begründbare klinische Entscheidungsfindung und rational begründbares klinisches Handeln |
Allgemeine Wirkfaktoren als transdiagnostische und/oder schulenübergreifende Konzepte
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Vielleicht haben Sie sich soeben beim Lesen der 3 Wirkprinzipien gefragt, inwieweit diese Wirkprinzipien nicht einfach auch etwas dem Common Sense entsprechen und möglicherweise sogar als etwas trivial erscheinen?
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Eine Veranschaulichung einer (Pseudo‑)Therapie, in der diese Faktoren nicht erkannt werden, finden Sie hier: https://www.youtube.com/watch?v=4BjKS1-vjPs.
Grenzen der therapeutischen Kompetenz
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Spezifische Wirksamkeit von Psychotherapiemethoden. Fragen Sie in Diskussionen über den „Beweis“ der Wirksamkeit einer spezifischen Psychotherapiemethode in einer randomisierten, klinischen Wirksamkeitsvergleichsstudie nach;(a) inwieweit die Therapeut*innen in den unterschiedlichen Gruppen selegiert worden sind, und inwieweit Unterschiede in der spezifischen Aus- und Weiterbildung bestehen (Fallstrick: Vorselektion der Therapeut*innen bevorzugt eine Behandlungsgruppe),(b) inwieweit die Institution (und/oder Forscher*innen) sich einer der Therapierichtungen verpflichtet fühlten. (Fallstrick: Allegiance der Forscher ist zwischen den Behandlungsgruppen nicht ausbalanciert);(c) inwieweit die allfällige Therapiekontrollbedingung mit Verboten belegt wurde. (Fallstrick: Die Verbote verunmöglichen eine einigermaßen realistische Therapie, wie beispielsweise das Verbot bei Posttraumatischer Belastungsstörung über traumatische Erlebnisse zu sprechen, z. B. Foa et al. 1991).Diese kleinen, feinen und empirisch bedeutsamen Unterschiede werden eher in den Nebensätzen von Publikationen und Vorträgen erwähnt – falls sie überhaupt Erwähnung finden. Durch diese Fragen werden Sie erkennen, welche Wirksamkeitsannahmen das Gegenüber oftmals implizit annimmt.
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Wer und was wirkt? Achten Sie in Diskussionen darauf,(a) wie allgemeine Wirkfaktoren und Wirkprinzipien (z. B. Remoralisierung, Bereitschaft zu Veränderung, Allianz, Feedback) konnotiert werden. Werden sie als Selbstverständlichkeit dargestellt oder als fundamentale Faktoren?(b) Wie störungsspezifische oder schulenspezifische Argumente konnotiert werden.(c) welche möglichen Akteure nicht mitberücksichtigt werden.Mit diesen Fragen werden Sie erkennen, welche möglichen Wirksamkeitsdiskurse Ihr Gegenüber nicht anspricht und möglicherweise auch ganz bewusst aktiv umschifft.
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Wie würden Sie sich selbst einschätzen:(a) Sind Sie ein/eine unterdurchschnittlich erfolgreicher/erfolgreiche Therapeut/Therapeutin?(b) Sind Sie bereit, jede Ihrer Therapien mithilfe eines Wirkfaktoren-Feedbacksystems und Ergebnis-Monitorings täglich zu reflektieren?(c) Leben Sie in der Überzeugung, dass Sie eine evidenzbasierte (oder sonst wie „wirksame“) Therapiemethode anwenden und deshalb sowieso erfolgreich sind?(d) Haben Ihnen allgemeine Wirkfaktoren im Gegenzug auch schon als (vermeintliches) Argument gedient, den Einzelfall nicht ganz genau anzuschauen zu müssen (z. B. „Ist doch egal, Hauptsache die Beziehung stimmt.“)?Diese Punkte zeigen auf, dass Fragen zur eigenen Wirksamkeit durchaus etwas unbequem sein können.