Die Aufnahme eines 35-jährigen Patienten erfolgte mit progredienter Niereninsuffizienz bei vorbekannter Immunglobulin-A(IgA)-Nephropathie. Klinisch imponierte eine Allgemeinzustandsverschlechterung mit Beinödemen und schaumigem Urin seit einigen Monaten. Die Erstdiagnose einer IgA-Nephropathie war 2014 mittels Nierenbiopsie gestellt worden. Das Kreatinin lag damals bei 1,5 mg/dl. Nach zunächst erfolgter supportiver Therapie waren aktuell fehlende Medikamentenadhärenz und ausgebliebene ambulante nephrologische Betreuung in den letzten 2 Jahren eruierbar.
Klinische Befunde
Es präsentierte sich ein Patient in reduziertem Allgemein- und leicht adipösem Ernährungszustand. Klinisch zeigten sich bis auf dezente periphere Beinödeme keine Auffälligkeiten. Bei Aufnahme war der Blutdruck mit 180 mm Hg systolisch deutlich erhöht. Das initiale Serumkreatinin lag bei 10,50 mg/dl. Weiterhin zeigte sich der Hämoglobin(Hb)-Wert mit 8,1 g/dl erniedrigt. In der venösen Blutgasanalyse (BGA) lagen der pH-Wert bei 7,21 und das standardisierte Bikarbonat bei 15,6 mmol/l. Es lag eine Hyperphosphatämie mit 2,63 mmol/l vor. Das Parathormon (PTH) war mit 929 ng/l ebenfalls deutlich erhöht. Es bestand eine Albuminurie mit 1051 mg/g Kreatinin. Im Urinsediment zeigten sich keine Auffälligkeiten. Sonographisch lag die Nierengröße an der unteren Normgrenze mit verdichtetem Parenchym ohne Harnstau.
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Weiteres Prozedere
Aufgrund der deutlichen Progredienz der chronischen Niereninsuffizienz mit drohender Dialysepflichtigkeit und zur Evaluation der Möglichkeit, mittels einer immunsuppressiven Therapie die Nierenfunktion zu verbessern, führten wir eine sonographisch gesteuerte Nierenbiopsie durch. Abb. 1 zeigt eine PAS(„periodic acid-Schiff“)-Färbung und eine IgA-Immunhistochemie der Biopsie 2014, Abb. 2 die aktuelle Biopsie.
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Diagnose
In der Nierenbiopsie 2014 zeigt sich in der PAS-Färbung und in der Immunhistochemie eine klassische mesangioproliferative Glomerulonephrits vom IgA-Typ (M0, E0, S1, T1) (Abb. 1). Die Ergebnisse der aktuellen Histopathologie zeigen dahingegen eine Vernarbung mit Nephrosklerose sowie einen chronischen tubulointerstitiellen Schaden (35 % des erfassten Tubulointerstitiums). Erstaunlicherweise zeigte sich die aktuelle Probe im Vergleich zu der der Nierenbiopsie 2014 jetzt ohne glomeruläre IgA-Ablagerungen. Dies war auch nach wiederholter Färbung der Fall. Auch war keine Mesangioproliferation mehr darstellbar (Abb. 2).
Therapie und Verlauf
Aufgrund der fehlenden Aktivität in der Histologie ergab sich keine Indikation zur immunsuppressiven Therapie. Supportiv leiteten wir eine antihypertensive Therapie mit Bisoprolol (10 mg 1‑0-0) und Amlodipin (10 mg 1‑0-0) ein. Weiterhin erhielt der Patient Bikarbonat zur Behandlung der schweren metabolischen Azidose. Eine Therapie der renalen Anämie mit Eisensubstitution und Erythropoetin (EPO) wurde etabliert. Eine Therapie mit Sevelamerkarbonat wurde begonnen. Bei bestehendem sekundären Hyperparathyreodismus erhielt der Patient eine Vitamin-D-Substitution.
Klinische Urämiesymptome konnten nicht festgestellt werden. Es ergaben sich keine Indikationen für eine Notfalldialyse. Bedauerlicherweise zeigten sich die Nierenretentionsparameter auch im längeren Intervall und unter der oben genannten Therapie stark erhöht, sodass die Anlage eines Shunts und die langfristige Planung einer Dialyse erfolgten.
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Diskussion
Die IgA-Nephropathie stellt die häufigste primäre Glomerulonephritis weltweit dar [1]. Der klinische Verlauf ist variabel. Möglich sind neben einem häufig langsamen Fortschreiten der Nierenfunktionsverschlechterung bis hin zur Dialysepflichtigkeit auch eine klinische Remission oder ein RPGN(rasch progrediente Glomerulonephritis)-Verlauf [1]. Risikofaktoren für ein Fortschreiten der IgA-Nephropathie sind eine persistierende Proteinurie, eine eingeschränkte Nierenfunktion bereits bei Diagnosestellung und ein schlecht eingestellter Bluthochdruck [1]. Die histopathologische Stratifizierung erfolgt mittels der Oxford-Klassifikation, in welcher die Gewebeproben nach mesangialer Proliferation (M), endokapillärer Hyperzellularität (E), segmentaler Glomerulosklerose (S) sowie interstitieller Fibrose und Tubulusatrophie (T) eingeteilt werden [2]. In der neueren Version der Klassifikation wird zusätzlich das Vorhandensein von glomerulären Halbmonden (= „crescent“, C) bewertet.
Die Therapie der IgA-Nephropathie hat eine Verlangsamung der Progredienz der Nierenfunktionsverschlechterung zum Ziel. Sie umfasst bei allen Patient*innen eine nephroprotektive Therapie mit RAAS(Renin-Angiotensin-Aldosteron-System)- und SGLT2(„sodium-glucose linked transporter 2“)-Inhibitoren, eine optimale Blutdruckkontrolle sowie Lebensstilmaßnahmen, welche Nikotinabstinenz, Gewichtsabnahme und körperliche Aktivität beinhalten [3]. Weiterhin ist eine strikte Einstellung der kardiovaskulären Risikofaktoren von hoher Relevanz.
Diagnose: histopathologische Remission bei Z. n. IgA-Nephropathie (Erstdiagnose 2014) mit aktuell progredienter, terminaler Niereninsuffizienz G5A3
Bei Patient*innen mit hohem Risiko für eine progrediente Nierenfunktionsverschlechterung (Albuminurie > 1 g/g Kreatinin trotz optimaler supportiver Therapie) kann nach ausführlicher Risiko-Nutzen-Abwägung eine immunsuppressive Therapie mit Kortikosteroiden erwogen werden [4, 5]. Jedoch sollte bei bereits höhergradig eingeschränkter geschätzter glomerulärer Filtrationsrate (eGFR) (< 30 ml/min) in Hinblick auf die nebenwirkungsreiche Therapie von einer Immunsuppression in den allermeisten Fällen abgesehen werden.
Wir präsentierten hier den Fall eines jungen Mannes mit progredienter Niereninsuffizienz bei bekannter IgA-Nephropathie. Die Erstdiagnose war 2014 mittels Nierenbiopsie gestellt worden. Die Entscheidung zur Rebiopsie erfolgte vor dem Hintergrund einer möglichen Indikation zur immunsuppressiven Therapie bei RPGN-Verlauf. In der nun erfolgten Rebiopsie konnten überraschenderweise keine glomerulären IgA-Ablagerungen mehr nachgewiesen werden. Eine komplette Remission des histopathologischen Befunds bei IgA-Nephropathie ist in der Literatur bislang nur bei Patient*innen mit auch klinischer und laborchemischer Besserung beschrieben worden [6].
Insgesamt ist aus diesem ungewöhnlichen Fall zu lernen, dass eine Rebiopsie insbesondere vor drohendem Dialysebeginn auch bei bekannter Grunderkrankung neue, mitunter therapierelevante Erkenntnisse bringen kann. Dies kann nicht nur der Evaluation der Indikation für eine etwaige immunsuppressive Therapie dienen, sondern, wie in diesem Fall, grundlegend veränderte histopathologischer Befunde diagnostizieren. Besonders aufgrund der Heterogenität der klinischen Verläufe und der unterschiedlichen therapeutischen Möglichkeiten sollte eine Rebiopsie bei bekannter IgA-Nephropathie niedrigschwellig erwogen werden, um ggf. Änderungen im Therapieregime vornehmen zu können. Zudem kann bei Nachweis von irreversiblen chronischen Schäden eine potenziell schädliche immunsuppressive Therapie abgewendet werden.
Das in diesem Fall beobachtete spontane Ausheilen der Mesangioproliferation und das Verschwinden der IgA-Positivität ohne vorangehende Immunsuppression sind sehr selten und müssen zwingend weiter untersucht werden. Ein besseres Verständnis der Spontanheilung könnte zur Entwicklung neuer Therapieoptionen für die IgA-Nephropathie beitragen.
Fazit für die Praxis
Bei Patient*innen mit deutlichem Progress einer bekannten Nierenerkrankung sollte, insbesondere vor Beginn einer Dialyse, eine Rebiopsie diskutiert werden.
Eine Rebiopsie ermöglicht die Diagnostik histopathologischer Befundveränderungen, die teilweise zu neuen prognostischen Einschätzungen und Therapiemöglichkeiten führen oder eine nebenwirkungsreiche immunsuppressive Therapie verhindern.
Das spontane Ausheilen der Mesangioproliferation und das Verschwinden der Immunglobulin-A(IgA)-Positivität ohne Immunsuppression sind sehr selten und müssen zwingend weiter untersucht werden. Ein besseres Verständnis der Spontanheilung könnte zur Entwicklung neuer Therapieoptionen für die IgA-Nephropathie beitragen.
Die lückenlose ambulante Betreuung von Patient*innen mit IgA-Nephropathie ist für die frühe Einleitung und Fortführung einer optimalen supportiven Therapie unerlässlich.
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Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
L. Dreher, J.-E. Turner, U.O. Wenzel und M. Noriega geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patient/-innen zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern/Vertreterinnen eine schriftliche Einwilligung vor.
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