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Erschienen in: Psychotherapeut 3/2015

01.05.2015 | Psychotherapie aktuell

Zivilrechtlicher Vergleich als Lösungsweg nach sexueller Grenzverletzung in der Psychotherapie

verfasst von: Dr. med. Andrea Schleu, Prof. Dr. jur. Thomas Gutmann

Erschienen in: Die Psychotherapie | Ausgabe 3/2015

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Auszug

Sexueller Missbrauch in der Psychotherapie ist seit 1998 nach § 174c Abs. 2 des Strafgesetzbuchs (StGB) strafbar. Die strafrechtlichen Verfahren sind jedoch für die geschädigten, meist weiblichen Patientinnen regelmäßig retraumatisierend. Ziel eines Strafverfahrens ist es, den Täter zu sanktionieren und damit sekundär präventive Wirkung zu entfalten. Das Opfer der Straftat wird hierbei zur Zeugin in einem Verfahren, in dem der Verteidiger des Beschuldigten im Sinne seines Mandanten versuchen muss, die Glaubwürdigkeit des Opfers zu erschüttern. Dies berührt den verletzlichsten Punkt einer geschädigten Patientin, die durch ihre Traumatisierung in ihrer Wahrnehmungs-, Denk- und Mentalisierungsfähigkeit eingeschränkt sein kann. …
Fußnoten
1
Die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs für den möglichen Täterkreis des § 174c StGB ist äußerst restriktiv. Der BGH entschied mit Beschluss vom 29.09.2009 (BGHSt 54, 169 = NStZ 2010, 212), dass unter die Norm des § 174c Abs. 2 StGB nur Behandlungen durch Personen fallen, die gemäß § 1 Abs. 1 S. 4 Psychotherapeutengesetz (PsychThG) zur Führung der Berufsbezeichnung Psychotherapeut berechtigt sind, nicht hingegen Heilpraktiker. Außerdem müsse sich der Behandelnde wissenschaftlich anerkannter psychotherapeutischer Verfahren bedienen, um Störungen mit Krankheitswert, bei denen Psychotherapie indiziert ist, festzustellen, zu heilen oder zu lindern (vgl. die Legaldefinition des § 1 Abs. 3 PsychThG).
 
2
Aus Vertrag, §§ 630a, 280 Abs. 1 und Abs. 3, 253 Abs. 2 BGB, und aus Delikt, §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 sowie § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 174c StGB.
 
3
Vgl. etwa Art. 2 Abs. 1, 65 BayHKaG.
 
4
VG Berlin, Urt. v. 21.04.2006 – 90 A 5.04 („Wer sich als Therapeut von einer Patientin in eine sexuelle Beziehung mit dieser hineinziehen lässt, macht sich eines schweren Berufsvergehens schuldig“); Nieders. OVG, GesR 2003, 356 (Urt. v. 15.07.2003 – 8 ME 96/03) und VG Minden, Beschl. v. 17.11.2004 – 7 L 905/04, jeweils zur Frage der sofortigen Vollziehbarkeit der Anordnung des Ruhens der Approbation wegen sexuellen Missbrauchs eines Patienten durch einen Arzt. Siehe aber andererseits exemplarisch das Landesberufsgericht für Heilberufe Koblenz (LBGH E 10372/14) vom 24.07.2014, dem zufolge eine strafgerichtliche Entscheidung (hier: ein Strafbefehl) regelmäßig für die Wahrung (auch) der berufsrechtlichen Belange ausreichend sein soll.
 
5
BSG, Beschl. v. 02.09.2009 – B 6 KA 14/09 B (Entziehung der Zulassung als Vertragspsychotherapeut; Vorinstanz LSG Bayern, Urt. v. 08.10.2008 – L 12 KA 354/07).
 
6
Vgl. OLG Düsseldorf, NJW 1990, 1543 (Urteil vom 12.10.1989 – 8 U 10/88).
 
7
LAG Niedersachsen, Urteil v. 01.10.2007 – 3 TaBV 123/06 (außerordentliche Kündigung eines Krankenpflegers wegen angeblicher Vornahme sexueller Handlungen an Patientinnen).
 
8
BGHSt 54, 169 (Beschl. v. 29.09.2009 – 1 StR 426/09: möglicher Täterkreis des § 174c Abs. 2 StGB); BGH, NStZ 2009, 324 (Beschl. v. 28.10.2008 – 3 StR 88/08: zum Begriff des Missbrauchs i.S.d. § 174c Abs. 1 StGB); LG Offenburg, NStZ-RR 2005, 74 (Beschluss v. 30.11.2004 – 3 Qs 121/04: Definition des Anvertrautseins i.S.d. § 174c Abs. 2 StGB); daneben OLG Hamm, Beschluss v. 06.09.2007 – 3 Ss 262/07; VGH Baden-Württemberg (Beschluss v. 31.08.2010 – 9 S 2530/09: einem wegen sexuellen Missbrauchs unter Ausnutzung eines Behandlungsverhältnisses strafrechtlich verurteilten Psychotherapeuten ist grundsätzlich die Approbation zu entziehen).
 
9
Vgl. etwa die Ethical Principles of Psychologists and Code of Conduct 2010 Amendments der American Psychological Association, die insoweit als Referenz gelten dürfen (zu finden unter http://​www.​apa.​org/​ethics/​code/​index.​aspx; 16.03.2014), hier: Standards 3.02 („sexual harassment“), 3.03. („other harassment“), 3.04 („avoiding harm“), 3.05 („multiple relationships“), 3.08 („exploitative relationships“), 7.07 („sexual relationships with students and supervisees“); 10.05 („sexual intimacies with current therapy clients/patients“); 10.06 („sexual intimacies with relatives or significant others of current therapy clients/patients“); 10.07 („therapy with former sexual partners“) and 10.08 („sexual intimacies with former therapy clients/patients“). Siehe bereits American Psychological Association, „Ethical Principles of Psychologists and Code of Conductô, American Psychologist 47 (1992), 1597–1611.
 
10
BT-Drs. 13/2203S. 4 und 13/8267S. 5 sowie Becker-Fischer et al. 1995, 25. Zur Inzidenz des sexuellen Missbrauchs s. Schleu et al. 2007, sub 9.5.2.
 
11
Nach der Strafverfolgungsstatistik des Statistischen Bundesamts waren es z. B. 6 im Jahr 2004, je 4 in den Jahren 2005 und 2006, 3 im Jahr 2007, 14 im Jahr 2010, 6 im Jahr 2011, 2 im Jahr 2013 und jeweils 1 in den Jahren 2008, 2009 und 2012, vgl. jeweils Statistisches Bundesamt, Strafverfolgung – Fachserie 10 Reihe 3 (jüngste Ausgabe 2013), https://​www.​destatis.​de/​DE/​Publikationen/​ (16.03.2014).
 
12
§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB.
 
13
KK-StPO/Griesbaum, StPO, § 158 Rn. 25: „Eine Verpflichtung zur Anzeige begangener Straftaten, auch solcher schwerster Art, besteht für Privatpersonen nicht.“
 
14
BeckOK StGB/Heuchemer, StGB, § 138 Rn. 3. Siehe auch MüKoStGB/Hohmann, StGB, § 138 Rn. 1. Außerdem ist § 174a StGB keine der dort genannten Katalogstraftaten. Im Jahr 2003 sollten die Straftatenkataloge des § 138 Abs. 1 S. 1 StGB (Nichtanzeige geplanter Straftaten) und des § 140 StGB (Belohnung und Billigung von Straftaten) um sexuellen Missbrauch von Kindern in bestimmten Fällen, die sexuelle Nötigung; Vergewaltigung und den sexuellen Missbrauch widerstandsunfähiger Personen (§§ 176, 176a und 176b) erweitert werden (vgl. BT-DrS. 15/350); dies scheiterte aber u. a. am Widerstand der Opfervertreter (vgl. http://​www.​taz.​de/​!48859/​). Auch dies hätte aber nichts daran geändert, dass eine Jedermann-Pflicht für die Anzeige bereits begangener Straftaten nicht besteht.
 
Literatur
Zurück zum Zitat Bauriedl T (2007) Auch ohne Couch. Klett Cotta, Stuttgart, S 81 ff Bauriedl T (2007) Auch ohne Couch. Klett Cotta, Stuttgart, S 81 ff
Zurück zum Zitat Becker-Fischer M, Fischer G, Heyne C, Jerouschek G (1995) Forschungsbericht „Sexuelle Übergriffe in Psychotherapie und Psychiatrie“, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Materialen zur Frauenpolitik Nr. 51 Becker-Fischer M, Fischer G, Heyne C, Jerouschek G (1995) Forschungsbericht „Sexuelle Übergriffe in Psychotherapie und Psychiatrie“, Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Materialen zur Frauenpolitik Nr. 51
Zurück zum Zitat Becker-Fischer M, Fischer G (2008) Sexuelle Übergriffe in Psychotherapie und Psychiatrie, Asanger Verlag, Kröning, S 63 f, 148 ff Becker-Fischer M, Fischer G (2008) Sexuelle Übergriffe in Psychotherapie und Psychiatrie, Asanger Verlag, Kröning, S 63 f, 148 ff
Zurück zum Zitat Benjamin J (2005) Das moralische Dritte als Ausweg aus der Täter-Opfer-Beziehung: Wirkung, Initiative und Verantwortung in der Psychoanalyse. In: Springer et al: Macht und Ohnmacht. Psychosozial Verlag, Gießen, S 417–439 Benjamin J (2005) Das moralische Dritte als Ausweg aus der Täter-Opfer-Beziehung: Wirkung, Initiative und Verantwortung in der Psychoanalyse. In: Springer et al: Macht und Ohnmacht. Psychosozial Verlag, Gießen, S 417–439
Zurück zum Zitat Birnbacher D, Kottje-Birnbacher L (2007) Ethik in der Psychotherapie und der Psychotherapieausbildung. In: Senf W, Broda M (Hrsg), Praxis der Psychotherapie: Ein integratives Lehrbuch. Thieme Verlag, Stuttgart, S 749ff Birnbacher D, Kottje-Birnbacher L (2007) Ethik in der Psychotherapie und der Psychotherapieausbildung. In: Senf W, Broda M (Hrsg), Praxis der Psychotherapie: Ein integratives Lehrbuch. Thieme Verlag, Stuttgart, S 749ff
Zurück zum Zitat Endrass J, Rossegger A, Braunschweig M (2012) Wirksamkeit von Behandlungsprogrammen. In: Endrass et al (Hrsg) Intervention bei Gewalt- und Sexualstraftätern, MWV, Berlin, S 45 ff Endrass J, Rossegger A, Braunschweig M (2012) Wirksamkeit von Behandlungsprogrammen. In: Endrass et al (Hrsg) Intervention bei Gewalt- und Sexualstraftätern, MWV, Berlin, S 45 ff
Zurück zum Zitat Fietzek E (2014) Symposium des Ethikvereins, persönliche Mitteilung Fietzek E (2014) Symposium des Ethikvereins, persönliche Mitteilung
Zurück zum Zitat Gast U, Wabnitz P (2014) Dissoziative Störungen erkennen und behandeln, in Lindauer Beiträge zur Psychotherapie und Psychosomatik. In: Ermann M (Hrsg) Kohlhammer Verlag, Stuttgart, S 123 ff Gast U, Wabnitz P (2014) Dissoziative Störungen erkennen und behandeln, in Lindauer Beiträge zur Psychotherapie und Psychosomatik. In: Ermann M (Hrsg) Kohlhammer Verlag, Stuttgart, S 123 ff
Zurück zum Zitat Gutmann T (2007) Rechtliche Fragen des Missbrauchs in der Psychotherapie. In: Grundriss der Psychotherapieethik, Hutterer-Krisch (Hrsg), Springer Verlag Wien, S 388–401 Gutmann T (2007) Rechtliche Fragen des Missbrauchs in der Psychotherapie. In: Grundriss der Psychotherapieethik, Hutterer-Krisch (Hrsg), Springer Verlag Wien, S 388–401
Zurück zum Zitat Jakl B, Gutmann T (2011) Der Grundrechtsschutz des Patienten als Aufgabe der Ärzte- und Psychotherapeutenkammern am Beispiel der Überwachung des Abstinenzgebotes durch die Psychotherapeutenkammern. Medizinrecht 29:259 ffCrossRef Jakl B, Gutmann T (2011) Der Grundrechtsschutz des Patienten als Aufgabe der Ärzte- und Psychotherapeutenkammern am Beispiel der Überwachung des Abstinenzgebotes durch die Psychotherapeutenkammern. Medizinrecht 29:259 ffCrossRef
Zurück zum Zitat Schleu A (2014) Wenn Psychotherapien entglitten sind.... In: Schleu A, Schreiber-Willnow K, Wöller W (Hrsg), Verwickeln und Entwickeln, Ethische Fragen in der Psychotherapie. VAS-Verlag, Waldkirchen, S 39–58 Schleu A (2014) Wenn Psychotherapien entglitten sind.... In: Schleu A, Schreiber-Willnow K, Wöller W (Hrsg), Verwickeln und Entwickeln, Ethische Fragen in der Psychotherapie. VAS-Verlag, Waldkirchen, S 39–58
Zurück zum Zitat Schleu A, Hillebrand V, Gutmann T (2007) Kapitel Deutschland. In: Hutterer-Krisch R (Hrsg), Grundriss der Psychotherapieethik. Springer Verlag, Wien, S 363–401 Schleu A, Hillebrand V, Gutmann T (2007) Kapitel Deutschland. In: Hutterer-Krisch R (Hrsg), Grundriss der Psychotherapieethik. Springer Verlag, Wien, S 363–401
Zurück zum Zitat Schoener GR et al (1989) Assessment and developement of rehabilitation plans for the therapist. In: Psychotherapists’ sexual involvement with clients: Intervention and prevention. Walk-in Counseling Center, Minneapolis, S 401–449 Schoener GR et al (1989) Assessment and developement of rehabilitation plans for the therapist. In: Psychotherapists’ sexual involvement with clients: Intervention and prevention. Walk-in Counseling Center, Minneapolis, S 401–449
Zurück zum Zitat Wöller W (2006) Trauma und Persönlichkeitsstörung. Schattauer, Göttingen, S 25 ff., 450–463 Wöller W (2006) Trauma und Persönlichkeitsstörung. Schattauer, Göttingen, S 25 ff., 450–463
Metadaten
Titel
Zivilrechtlicher Vergleich als Lösungsweg nach sexueller Grenzverletzung in der Psychotherapie
verfasst von
Dr. med. Andrea Schleu
Prof. Dr. jur. Thomas Gutmann
Publikationsdatum
01.05.2015
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Erschienen in
Die Psychotherapie / Ausgabe 3/2015
Print ISSN: 2731-7161
Elektronische ISSN: 2731-717X
DOI
https://doi.org/10.1007/s00278-015-0026-7

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