Therapieausbildung

Zusammenfassung

Trotz der mangelhaften epidemiologischen Daten zieht heute niemand in Zweifel, daß sexuelle Funktionsstörungen weit verbreitet sind und insofern ein großer Bedarf an qualifizierten Beratern bzw. Therapeuten besteht. Neu an dieser Situation ist wohl weniger der Umstand, daß Funktionsstörungen so häufig auftreten, als vielmehr der hohe Rang, der der Sexualität in der Glücksskala des Menschen der westlichen Industriegesellschaften in den letzten Jahrhunderten zugewachsen ist. Noch vor etwa dreihundert Jahren gab es kein Begriffssystem für Sexualität (van Ussel 1970). Inzwischen ist sie zum allgegenwärtigen Thema geworden, zum Projektionsfeld für die Befürchtung, die Kultur könne an ihr zugrunde gehen, ebenso wie für die Hoffnung, daß in ihr das wahre Glück greifbar sei. Es scheint, als hätten Funktionsstörungen, sofern sie nicht die Fortpflanzung betreffen, erst erkannt und zum Problem werden können, seitdem die Sexualität so ins Zentrum der Vorstellung eines erfüllten Lebens gerückt wurde. Freuds Rekurs auf die psychosexuelle Entwicklung als Schaltstelle der Reifung thematisiert lediglich eine seit langem angebahnte Entwicklung und schafft die Voraussetzung für die dann langsam einsetzende Entwicklung von Behandlungstechniken. Seit etwa 20 Jahren sind Funktionsstörungen und ihre Behandlung das zentrale Thema der Sexualwissenschaft geworden. Im Sog immer detaillistischerer Diskussion geriet dabei die weitaus wichtigere Frage fast völlig aus dem Blickfeld, inwieweit die Sexualwissenschaft mit ihrem psychotherapeutischen Impetus nicht der Augenwischerei Vorschub leistet, daß die Sexualität auch das zentrale Movens des Glückes sei, und damit im Endeffekt zur besseren Manipulierbarkeit des Menschen beiträgt (Foucault 1977).

Friedemann Pfäfflin, Margret Hauch und Ingelore Wickert