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Die Konstruktion der Realität

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Die Realität der Massenmedien

Zusammenfassung

Wir kehren nunmehr zum Leitproblem dieser Abhandlung, zur Frage der Konstruktion der Realität der modernen Welt und ihres Gesellschaftssystems zurück. Im Alltag setzt man normalerweise voraus, daß die Welt so ist, wie sie ist, und daß Meinungsverschiedenheiten ein Resultat verschiedener „subjektiver“ Perspektiven, Erfahrungen, Erinnerungen seien.1 Die neuzeitliche, posttheologische Wissenschaft hat diese Annahme noch verstärkt und hat versucht, sie methodologisch abzusichern. Während die Naturwissenschaften dieses Jahrhunderts sie bereits in Frage gestellt haben, scheinen die Sozialwissenschaften, auch wo sie von „Chaostheorie“ und Ähnlichem reden, methodologisch immer noch auf der Suche nach „der“ Realität zu sein und nur einen historischen, ethnischen oder kulturell bedingten Relativismus zuzulassen.2 Damit überhaupt geforscht werden kann, müsse doch irgend ein „Gegenstand“ angenommen werden, so läuft das Argument, auf den die Forschung sich beziehe; denn sonst rede man ständig über vieles und immer anderes zugleich.

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Referenzen

  1. Daß so argumentiert wird und daß Alltagswelt, Lebenswelt, folklore etc. als wissenschaftliche Begriffe vorgeschlagen werden, findet man dagegen erst seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts, also zeitgleich mit dem Zusammenbruch metaphysischer Weltkonstruktionen und der Suche nach anderen Grundlagen für eine Beobachtung von „Realität“.

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  2. Siehe dazu Debra E. Meyerson, Acknowledging and Uncovering Ambiguities in Cultures, in: Peter J. Frost et al. (Hrsg.), Reframing Organizational Culture, Newbury Park Cal. 1991, S. 254–270.

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  3. Vgl. Niklas Luhmann, Das Risiko der Kausalität, Ms. 1995.

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  4. „to cut corners to catch the criminals“, wie Jonathan Culler, Framing the Signs: Criticism and its Institutions, Oxford 1988, S. 50 das formuliert — mit Oliver North in der Iran-Contra Affaire als Beispiel.

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  5. Eine gute Untersuchung über die noch tribal bestimmten Moraleinstellungen des damaligen Jugoslawien, die nur durch die über Massenmedien verbreitete, offizielle marxistisch-titoistische Ideologie überdeckt wird, ist die Bielefelder Dissertation von Dusan Vrban, Culture Change and Symbolic Legitimation: Functions and Traditional Meaning of Symbols in the Transformation of Yugoslav Ideology, Ms. 1985. Es war seinerzeit nicht möglich, dafür einen Verleger zu finden.

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  6. Siehe mehrere Beiträge in: Odo Marquard, Aesthetica und Anaesthetica: Philosophische Überlegungen, Paderborn 1989.

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  7. So in: Traum eines bösen Geistes vor seinem Abfalle, zit. nach: Jean Pauls Werke: Auswahl in zwei Bänden, Stuttgart 1924, Bd. 2, S. 269–273 (269).

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  8. Vgl. René Girard, Des choses cachées depuis la fondation du monde, Paris 1978.

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  9. In der soziologisch-sozialpsychologischen Gerechtigkeitsforschung, die ebenfalls unter diesem Eindruck mitzuleiden scheint, steht denn auch dieses Verteilungsproblem im Vordergrund und weder das alte „suum cuique“, das eine ständische Differenzierung voraussetzt, noch die Regel, daß gleiche Fälle gleich und ungleiche ungleich entschieden werden sollten, die sich auf das Rechtssystem bezieht. Zur sozialwissenschaftlichen Gerechtigkeitsforschung siehe etwa Elaine Walster/G. William Walster/Ellen Berscheid, Equity: Theory and Research, Boston 1978;

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  10. Michael Walzer, Spheres of Justice: A Defence of Pluralism and Equality, Oxford 1983;

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  11. Volker H. Schmidt, Lokale Gerechtigkeit — Perspektiven soziologischer Gerechtigkeitsanalyse, Zeitschrift für Soziologie 21 (1992), S. 3–15;

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  12. Bernd Wegener, Gerechtigkeitsforschung und Legitimationsnormen, Zeitschrift für Soziologie 21 (1992), S. 269–283.

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  13. „Das Romanlesen hat, außer manchen anderen Verstimmungen des Gemütes, auch dieses zur Folge, daß es die Zerstreuung habituell macht“, meinte noch Immanuel Kant, Anthropologie in pragmatischer Hinsicht § 45. Diese Zerstreuung tritt nach Kant trotz der Systematik der Darstellung, also trotz ihrer inneren Plausibilität dadurch ein, daß der Leser bei der Lektüre „abschweifen“ kann — und dies vermutlich in Richtungen, die ihm Rückschlüsse auf die eigene Lebenssituation erlauben.

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  14. Vgl., zur Vorsicht ratend, Jacques du Bosq, L’honneste femme, Neuauflage Rouen 1639, S. 17 ff. oder kritischer Pierre Daniel Huet, Traité de l’origine des romans, Paris 1670. Diese Stellungnahmen beziehen sich allerdings auf eine Literaturgattung, die damals „romance“ hieß und die sich von dem, was wir seit dem 18. Jahrhundert als Roman kennen, erheblich unterscheidet — nicht zuletzt durch Idealisierung der Helden und der Situationen unter den Bedingungen des „decorum“ und der „vraisemblance“. Der moderne Roman wird dann viel stärker, aber auch indirekter, verführerisch wirken.

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  15. Dies wird oft mit negativen Konnotationen dargestellt als ein Leben aus zweiter Hand, ein Wissen auf Grund von Sekundärerfahrungen. Im übrigen ein altes Thema. Siehe z.B. Walter Lippmann, Public Opinion, New York 1922. Hinzu kommt die Ununterscheidbarkeit von eigenen und nur angeeigneten Erfahrungen. Aber da man sich ohnehin ein Wissen ohne Kommunikationsteilnahme nicht vorstellen kann, bedarf dieses Werturteil selbst der Analyse. Wieso beobachtet man die Effekte der Massenmedien mit gerade dieser Unterscheidung von nichtauthentisch/authentisch, ohne zu sehen, daß der Wunsch, authentisch aus sich selbst heraus zu erleben, seinerseits ein durch diese Unterscheidung suggerierter Wunsch ist?

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  16. So eine heute weit verbreitete Auffassung. Siehe nur Jean Baudrillard, Die Agonie des Realen, Berlin 1983 oder

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  17. Martin Kubaczek, Zur Entwicklung der Imaginationsmaschinen: Der Text als virtuelle Realität, Faultline 1 (1992), S. 83–102.

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  18. Dies übrigens ein klares Paradox, das zu Kants Zeiten aber verdeckt werden konnte: Der Begriff der Selbstreferenz widerspricht der Generalisierbarkeit in der Perspektive des selbstreferentiellen Systems — nicht natürlich: als Thema eines externen Beobachters.

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  19. Zum Vergleich: in schriftlosen tribalen Gesellschaften scheint Kommunikation primär dem laufenden Solidaritätstest zu dienen, also Zugehörigkeit, guten Willen, Friedfertigkeit zu dokumentieren. Der Schwerpunkt liegt in der Selbstcharakterisierung des Mitteilenden (und dies gerade deshalb, weil dies nicht Mitteilungsinhalt, nicht „Text“ wird). Wer schweigt, macht sich verdächtig, macht einen gefährlichen Eindruck — so als ob er Böses im Sinn habe, über das er nicht reden könne. Siehe auch Text und Literaturhinweise Kap. 3 bei Anm. 9.

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  20. Ein Ausdruck von Roman Ingarden, Das literarische Kunstwerk (1931), 4. Aufl. Tübingen 1972, S. 261 ff.

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  21. etwa im Sinne von Karl Mannheim, Ideologie und Utopie, 3. Aufl. Frankfurt 1952.

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  22. Siehe für viele den Roman von Peter Schneider, Paarungen, Berlin 1992 — focussiert auf den Erzählort Kneipe, der für die ständige Unterbrechung von Erzählungen sorgt, die von etwas erzählen wollen, das seinerseits unterbrochen wird, nämlich der Liebe.

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  23. für Tourismus siehe z.B. Dean MacCannell, The Tourist, New York 1976.

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  24. Vgl. B. Dean MacCannell, Staged Authenticity: Arrangement of Social Space in Tourist Settings, American Journal of Sociology 79 (1973), S. 589–603.

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  25. Als ich bei einem Besuch der Wallfahrtskirche von Rocamadour an einer zweiten Pforte zum zweiten Male Eintritt bezahlen mußte, erklärte mir der Pförtner, der mein Erstaunen bemerkte: Hier gibt es schon seit Jahrhunderten nichts mehr umsonst!

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Luhmann, N. (1996). Die Konstruktion der Realität. In: Die Realität der Massenmedien. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-01103-3_11

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  • DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-663-01103-3_11

  • Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden

  • Print ISBN: 978-3-531-12841-2

  • Online ISBN: 978-3-663-01103-3

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