Leukämien werden als systemische Erkrankungen primär chemotherapeutisch behandelt. Trotzdem ist die Radiotherapie aufgrund der Strahlensensibilität der Leukämiezellen eine sinnvolle Ergänzung im Behandlungsrepertoire. Die Ganzkörperbestrahlung ist fester Bestandteil verschiedener Therapieprotokolle vor allogener Stammzelltransplantation (SCT) und bereits seit Jahrzehnten etabliert. Technische Neuerungen ermöglichen neben der herkömmlichen Großfeldbestrahlung mittlerweile gezieltere Strategien mit Limitation der Bestrahlung auf das Knochenmark und/oder lymphatische Organe.

Rationale der Ganzkörperbestrahlung

Der Einsatz der Radiotherapie (RT) bei Leukämien lässt sich biologisch mit der hohen Strahlensensitivität der lymphoiden Stamm- und Progenitorzellen begründen: So beträgt die Strahlendosis, bei der 63 % der Zellen abstarben, im Mausmodell lediglich zwischen 0,7 und 2,4 Gray (Gy) [12]. Außerdem weisen myeloische Stammzellen radiobiologisch keine relevante Reparaturkapazität auf, sodass ihr Überleben exponentiell mit der eingesetzten Strahlendosis schon bei geringen Dosen absinkt; dieser Effekt persistiert auch bei Aufteilung der Strahlendosis auf subletale Einzeldosen (Fraktionierung) [25].

Bereits in den 1950er- und 1960er-Jahren wurde im Tierexperiment gezeigt, dass eine Regeneration des Knochenmarks nach radiogener Schädigung durch Transplantation allogenen Knochenmarks (von „Stammzellen“) möglich ist [22].

Die Wirkung der TBI erfolgt unabhängig von Perfusion und Pharmakokinetik

Entsprechend finden strahlentherapeutische Behandlungen auch in der klinischen Routine Anwendung. Am häufigsten wird hierbei die Ganzkörperbestrahlung („total body irradiation“, TBI) als wichtige Konditionierungsmodalität vor autologer oder allogener Stammzelltransplantation (SCT) eingesetzt [20, 22, 28]. Bei dieser Großfeldtechnik stellt, namensgebend, der gesamte Körper (und damit auch das komplette lymphatische System und Knochenmark) das Zielgebiet dar. Die Wirkung der TBI erfolgt unabhängig von Perfusion und Pharmakokinetik, sodass auch Organe adressiert werden, die von einer Chemotherapie nicht erreicht werden (z. B. Hirn, Hoden). Zudem besteht die Möglichkeit, chemotherapierefraktäre maligne Zellen durch eine zusätzliche Strahlenbehandlung abzutöten.

Dies führte zu klinischer Implementierung kombinierter Konditionierungsregime aus Strahlen- und Chemotherapie. Eine frühe Studie aus den 1970er-Jahren evaluierte den Wert einer vorgeschalteten Chemotherapie, meist Cyclophosphamid, vor einmaliger 10-Gy-TBI als Kobaltbestrahlung in der Behandlung akuter Leukämiepatient*innen [23]. Hierbei wurde für einige Patient*innen ein Langzeitüberleben erzielt, bei jedoch insgesamt hoher Mortalität (> 80 %) im Kollektiv und unklarem Vorteil durch die zusätzliche Chemotherapie [23]. Sowohl Strahlen‑, System- als auch Supportivtherapie wurden seitdem kontinuierlich weiterentwickelt.

Erst kürzlich wurde für pädiatrische Patient*innen mit akuter lymphatischer Leukämie die Überlegenheit quoad vitam einer Kombination aus 12-Gy-TBI und Etoposid gegenüber einer reinen Chemotherapiekonditionierung gezeigt [21]. Hingegen wurde in einem retrospektiven Vergleich der European Society for Blood and Marrow Transplantation (EBMT) ein Vorteil einer TBI-Konditionierung (8 Gy/Fludarabin vs. Busulfan/Fludarabin) im Hinblick auf leukämiefreies Überleben und Gesamtüberleben nur bei Patient*innen mit akuter myeloischer Leukämie (AML) unter 50 Jahren nachgewiesen [11].

Die Behandlung mittels TBI verfolgt 2 grundsätzliche Ziele: Zum einen sollen die malignen Zellen eliminiert werden, zum anderen soll ein immunsuppressiver Effekt erzielt werden, um eine Abstoßung des allogenen Donormarks zu verhindern [20, 28]. Bezüglich der Intensität wird zwischen den beschriebenen myeloablativen (MA) und Non-MA-Regimen unterschieden, die bei älteren, komorbiden oder stark vorbehandelten Patient*innen Anwendung finden [2, 28]. MA-Therapien erzielen eine anhaltende irreversible Zytopenie, die eine Stammzellinfusion bei ansonsten infauster Prognose zwingend erfordert, und gehen mit höherer therapieassoziierter Toxizität und Mortalität einher [2]. Dagegen wirken Non-MA-Konzepte immunmodulatorisch und verursachen nur eine geringe Zytopenie, die keine SCT erfordert [2]. Konditionierungsregime reduzierter Intensität (RIC) nehmen eine intermediäre Position zwischen MA- und Non-MA-Therapiekonzepten ein. In einer Phase-III-Studie wurden Patient*innen mit einer AML zwischen einer 8‑Gy-TBI mit 120 mg/m2 Körperoberfläche Fludarabin (RIC) sowie einer 12-Gy-TBI mit 120 mg/kg Cyclophosphamid (MA) randomisiert [10]. Hierbei ergab sich nach einer medianen Nachbeobachtungszeit von 9,9 Jahren in beiden Gruppen eine identische Rezidivrate von 30 % ohne signifikante Unterschiede im krankheitsfreien und Gesamtüberleben. Die therapieassoziierte Mortalität war insgesamt nicht signifikant verschieden, bei jedoch signifikantem Unterschied in der Gruppe der 41- bis 60-jährigen Patient*innen zugunsten der weniger intensiven Konditionierung: 13 % (RIC) vs. 32 % (MA); p = 0,034 [10].

Insgesamt wird der Behandlung mit TBI auch im Kontext der aktuellen SARS-CoV-2-Pandemie („severe acute respiratory syndrome coronavirus type 2“) eine hohe Bedeutung zugemessen: In einem Empfehlungspapier der strahlentherapeutischen Expertenpanel der German Lymphoma Alliance und der Deutschen Hodgkin Studiengruppe stimmten nur 20 % der Befragten dafür, TBI-Behandlungen (selbst bei kritischer Ressourcenverknappung) zu reduzieren [16].

Durchführung

Die RT kann entweder als Einzeitbestrahlung oder (häufiger) fraktioniert, d. h. auf einzelne Sitzungen aufgeteilt, erfolgen. Letztere zielt auf eine bessere Verträglichkeit und Toxizitätsreduktion bei gleichbleibender Effektivität ab [22]. Nach einer Latenz von etwa 6 h bietet sich für gesundes Gewebe die Möglichkeit zur kurzfristigen Regeneration, sodass dieses Zeitintervall zwischen den Radiotherapiesitzungen angestrebt wird.

Die Radiotherapie erfolgt i. d. R. fraktioniert, d. h. aufgeteilt

In der praktischen Durchführung befindet sich der/die Patient*in einer liegenden oder sitzenden Position in großer Entfernung (2–6 m) vom Bestrahlungsgerät und wird in einem einzigen Feld mit 6–15 MV Photonen behandelt, das den gesamten Körper umschließt ([18, 20, 27]; Abb. 1a,b; Abb. 2a). Kritische Organe wie die Lungen können über Bleiblöcke in ihrer Dosis begrenzt werden, sodass ein Anstieg der Toxizitätsrate vermieden wird [18,19,20, 27]. Die Dosis einer MA-TBI beträgt bei fraktionierter Durchführung zwischen 8 und 16 Gy in Einzeldosen von 1,2–2 Gy und mindestens 5 Gy bei unfraktionierter Applikation [2, 22, 27]. Beispiele für Non-MA-TBI sind ≤ 2 Gy in Kombination mit einem Purinanalogon oder eine „total lymphoid irradiation“ mit Antithymozytenglobulin Die tatsächlich in der Patientin/im Patienten deponierte Strahlendosis wird zudem durch die Physis, Dichteunterschiede im Körper, die Lagerungsreproduktion bei der Bestrahlung sowie technische Faktoren beeinflusst [22]. An dem hämatologischen Zentrum der Autoren haben sich Behandlungen mit 8 bzw. 12 Gy etabliert, die an 2–3 aufeinanderfolgenden Tagen in Einzeldosen von 2 Gy 2‑mal täglich appliziert werden.

Abb. 1
figure 1

Bestrahlungsanordnung für eine Ganzkörperbestrahlung („total body irradiation“, TBI) in Liegendposition. a Patient*innenliege mit davor montierter Plexiglassplatte. b Blick vom Fußende der Liege in Richtung Bestrahlungsgerät

Abb. 2
figure 2

Bestrahlungsplanung. Exemplarische Dosisverteilung einer Ganzkörperbestrahlung („total body irradiation“, TBI) in Liegendposition in axialer Schicht auf Höhe der Brustwirbelsäule (Minimum: 80 % Strahlendosis); analoge Dosisverteilung einer „total marrow TBI“ in IMRT-Technik (intensitätsmodulierte Bestrahlung) bei der gleichen Patientin; Darstellung der Dosisverteilung der „total marrow TBI“ in koronarer Schichtführung

Mit technischen und konzeptionellen Innovationen in der Strahlentherapie wird eine weitere Reduktion von (Langzeit‑)Nebenwirkungen angestrebt [13]: Die Einführung moderner intensitätsmodulierter Bestrahlungstechniken (IMRT) ermöglicht eine gezielte Behandlung des malignen Gewebes (Knochenmark bzw. lymphatische Organe) und damit eine Weiterentwicklung der klassischen Großfeldbestrahlung zu selektiveren Ansätzen („total marrow irradiation/total lymphoid irradiation“) ([20, 28]; Abb. 2b,c). Hierdurch ist nicht nur eine bessere Schonung der gesunden Nachbarorgane, sondern auch eine Dosiseskalation möglich [20, 22, 28]. Allerdings müssen diese Vorteile gegenüber einer komplexeren Bestrahlungsplanung und -durchführung abgewogen werden, die sich fehleranfälliger zeigt [20, 28]. In einer multizentrischen Analyse zur Patientenpositionierung bei einer „total marrow irradiation“ ergaben sich zwischen der Planungs-Computertomographie (CT) und der Kontrollbildgebung unmittelbar vor RT (in diesem Fall: „megavoltage CT“) relevante Dosisunterschiede im Niedrigdosisbereich der Lungen von z. T. über 10 % [29].

Toxizität

Als Großfeldtechnik umfasst das mögliche Nebenwirkungsspektrum nach TBI verschiedene akute und chronische Nebenwirkungen [20, 22, 27, 28]. Zu den (sub)akuten Nebenwirkungen zählen Fatigue, Appetitverlust, Nausea/Emesis, Hauterythem, Alopezie, Mukositis, Dysphagie, Parotitis, Ösophagitis, Diarrhöen, Xerostomie und Pneumonitis. Dagegen gehören Schädigungen des muskuloskeletalen, endokrinen, renalen, kardiopulmonalen und okulären Systems, Zweittumoren sowie die hepatische Venenverschlusserkrankung zu den Langzeitnebenwirkungen [20, 22, 27, 28].

Die Tab. 1 gibt einen Überblick über die Häufigkeit verschiedener Organtoxizitäten in Kollektiven mit Langzeitnachbeobachtung. Hierbei zeigt sich ein konsistentes Auftreten pulmonaler Toxizitäten, deren Häufigkeit (oftmals nur als Pneumonitis angegeben) zwischen 8 und 70,5 % divergiert [1, 4, 5, 7, 8, 15, 18, 19, 24]. Sie haben relevante Auswirkungen auf Morbidität und Mortalität nach SCT.

Tab. 1 Übersicht über mit „total body irradiation“ (TBI) behandelte Kollektive mit Langzeit-Follow-up. (Mod. nach [19])

Pulmonale Nebenwirkungen nach Stammzelltransplantation beeinflussen Morbidität und Mortalität

Strahlentherapeutische Einflussgrößen zur Auslösung einer Pneumonitis sind die eingesetzte Dosisrate, Fraktionierung und Gesamtstrahlendosis [14]. In der bereits zitierten Vergleichsstudie zwischen RIC- und MA-Konzepten bei AML-Patient*innen waren im Langzeitverlauf allerdings keine Unterschiede im Hinblick auf kardiale und pulmonale Nebenwirkungen festzustellen [10].

Eine biophysikalische Risikorechnung ermittelte bei Durchführung einer 8‑ oder 12-Gy-TBI (Letztere mit Lungenblockung) eine Gesamthäufigkeit für eine Pneumonitis von 20,3 %, im Unterschied zu 0,6 % für die symptomatische Pneumonitis [18]. Letztlich ist von einer Untererfassung dieser Komplikation in der klinischen Routine auszugehen, bedingt durch die unspezifische Dyspnoesymptomatik mit zahlreichen möglichen Differenzialdiagnosen sowie fehlende radiologische Verlaufsbildgebungen [18].

Extramedulläre Leukämiemanifestationen – myeloide Sarkome

Die Diagnose „myeloides Sarkom“, vormals granulozytisches Sarkom oder Chlorom, bezeichnet eine extramedulläre Blastenproliferation mindestens einer myeloiden Zelllinie unter Aufhebung der physiologischen Gewebestruktur [26]. Die extramedullären Befälle können im Kontext einer AML auftreten, dieser Diagnose aber auch vorausgehen [26]. Jede Körperregion kann betroffen sein; häufig berichtet wird über Befälle an Haut, Rücken, Kopf-Hals-Region, Knochen, Weichgewebe/Extremitäten, Lymphknoten oder zentralem Nervensystem [3, 6, 9, 17, 26]. Eine RT kann sinnvoll bei Vorliegen einer isolierten, symptomatischen oder chemotherapierefraktären Manifestation eingesetzt werden [3]. Jedoch sollte die Therapieentscheidung aufgrund der komplexen Krankheitsverläufe der Patient*innen im Rahmen einer interdisziplinären hämatoonkologischen Tumorkonferenz konsentiert werden.

Mit geringen Strahlendosen von 20 bis < 30 Gy können komplette Remissionsraten von 71–97 % erzielt werden

Myeloide Sarkome sind strahlensensibel, sodass bereits mit geringen Strahlendosen von 20 bis < 30 Gy komplette Remissionsraten von 71–97 % erzielt werden können (Abb. 3; [3, 6, 9, 17]).

Abb. 3
figure 3

Patient mit pleuraler Manifestation einer akuten myeloischen Leukämie (AML) in Form einer apikodorsalen Verdickung von bis zu 2 cm. a,Aufnahmen mittels Magnetresonanztomographie (MRT) und Positronenemissionstomographie-Computertomographie (PET-CT) vor Therapie. PET-CT-Bild mit eingeblendeter Bestrahlungsdosisverteilung (95 % Strahlendosis) als intensitätsmodulierte Bestrahlung. d,PET-MRT- und PET-CT-Bilder 6 Monate nach Therapie mit Nachweis einer kompletten Remission der Manifestation. (Aus [17])

Hierbei treten allenfalls leichtgradige Toxizitäten wie ein radiogenes Erythem Grad 1/2, Fatigue oder Nausea/Emesis auf [3, 9, 17]. Es ist unklar, ob eine zusätzliche Dosiseskalation mit Therapiedosen jenseits von 26 bzw. 30 Gy prognostische Vorteile birgt, jedoch kann diese je nach Befallsmuster oder Krankheitssituation sinnvoll sein [3, 6, 9, 17].

Ausblick

Der prinzipielle Wirksamkeitsnachweis der TBI im Kontext akuter Leukämien ist Ausgangspunkt für eine dezidierte Subgruppenanalyse. In der bereits zitierten Auswertung der EBMT wurde für AML-Patient*innen im Alter von 50 Jahren oder älter bei Durchführung einer TBI ein signifikanter Anstieg der therapieassoziierten Mortalität nach 2 Jahren festgestellt (11 vs. 26 %; p = 0,002) [11]. Insofern ist eine individuelle Risikoanalyse der Vor- und Nachteile einer TBI-gestützten Konditionierung vor dem Hintergrund patienten- und erkrankungsspezifischer Faktoren unerlässlich. Zukünftige Studien werden hierzu weitere Daten liefern, auch im Hinblick auf Langzeitnebenwirkungen. Technisch erfolgt eine Weiterentwicklung der RT hin zu stärker individualisierten, sog. adaptiven, Bestrahlungsplänen, die der tagesaktuellen Patientenanatomie Rechnung tragen [13]. Hierbei soll der Bestrahlungsplan als „plan of the day“ unmittelbar am Linearbeschleuniger auf die per Bildgebung erfasste Situation angepasst werden und dadurch Lagerungsunsicherheiten ausgeglichen werden. Noch sind die entsprechenden Möglichkeiten aufgrund der notwendigen hohen Rechenleistung limitiert, doch es ist zu erwarten, dass auch TBI-Patient*innen im Rahmen intensitätsmodulierter „total marrow/total lymphoid“-Konzepte von dieser Innovation profitieren werden.

Fazit für die Praxis

  • Die Ganzkörperbestrahlung (TBI) ist eine etablierte Konditionierungsmodalität vor Stammzelltransplantation.

  • Es existieren unterschiedliche Konzepte im Hinblick auf Gesamtstrahlendosis und Fraktionierung, die in ihrer Intensität entweder eine Reduktion der malignen Zellen oder eine komplette Myeloablation des Knochenmarks erzielen sollen.

  • Neue Methoden der TBI nutzen moderne Bestrahlungstechniken zur Aussparung von Risikoorganen wie der Lunge, sind jedoch aufwendiger und potenziell fehleranfälliger.

  • Es können relevante (Langzeit‑)Nebenwirkungen in verschiedenen Organsystemen auftreten, die eine strukturierte Nachsorge durch Radioonkolog*innen und Transplantationsmediziner*innen erfordern.

  • Extramedulläre Manifestationen von Leukämien (myeloide Sarkome) sind strahlensensibel und können durch Niedrigdosiskonzepte (20–30 Gy) effektiv kontrolliert werden.