Zusammenfassung
Lehrerinnen und Lehrer erscheinen in der Forschung zur Belastung und Beanspruchung im Lehrerberuf nicht nur als Informanten über die Belastungsquellen sowie über die Wirkungen und Folgen der beruflichen Beanspruchungen. Sie werden zugleich durch die – in diesem Beitrag kritisierte – dominierende Erfassung individueller Persönlichkeitsmerkmale in der Forschung implizit selbst als maßgeblicher Faktor der Belastung und Beanspruchung im Beruf behandelt und empirisch erfasst. Da jedoch in der bisherigen Forschung – so der Kern der Kritik – systematisch in erster Linie nur personenbezogene Merkmale erfasst werden, kann ein Primat dieser Faktoren vor personenunabhängigen, bedingungs- bzw. verhältnisbezogenen Aspekten sowie die einseitige konzeptionelle Ausrichtung der Forschung nicht empirisch begründet werden. Als Konsequenz aus der diagnostizierten Einseitigkeit werden im Anschluss an arbeits- und organisationspsychologische Zugänge Forschungsbemühungen gefordert, die sich der Erfassung struktureller, berufsspezifischer Merkmale des Arbeitsplatzes Schule und des beruflichen Handelns von Lehrerinnen und Lehrern und damit einer situations- bzw. bedingungsbezogenen Analyse der Berufstätigkeit mit Blick auf Belastungen und Beanspruchungen widmen. Auf diese Weise sollte eine ausgewogene empirische Basis für eine differenzierte Analyse und Interpretation von Personenmerkmalen sowie Arbeits- bzw. Situationsmerkmalen geschaffen werden, die schließlich in den Versuch der Integration beider Betrachtungsweisen münden kann.
Abstract
In research on stress and strain within the teaching profession teachers appear not only as informants on the causes, effects and consequences of occupational stress and strain, but in the dominant personality-psychological analyses they are also viewed and treated empirically as central influence factors. However, as research only systematically collates person-related characteristics a primacy of these factors over person-independent, framework-related and relationship-based aspects cannot be empirically founded in this one-sided research. Therefore, it is argued here that organization-psychological approaches to research are required, which look at both the structural and profession-specific characteristics of schools as a workplace and of the professional work of teachers. These approaches would facilitate a situational analysis, including framework conditions, of stress and strain within the teaching profession. This would lead to a more balanced empirical basis for a differentiated analysis and an integration of personal characteristics – on the one hand – and work and situational conditions – on the other – and eventually enable attempts at integrating both approaches.
Notes
2000–2003: n = 7693, 2004–2006: n = 7846 deutsche Lehrkräfte
Aspekte der schulischen Rahmenbedingungen werden in der Potsdamer Lehrerstudie über Selbstauskünfte zu den als belastend wahrgenommenen Bedingungen (Verhalten schwieriger Schüler etc.) sowie über die Schulformen, die Fächerkombination, die Unterscheidung von vollzeit- und teilzeitbeschäftigten Lehrkräften, die Selbsteinschätzung des Pausenverhaltens der Lehrerinnen und Lehrer sowie die Wahrnehmung des sozialen Klimas erfasst (vgl. Ksienzyk/Schaarschmidt 2005), ohne dass Aussagen zu den Wirkungen dieser Aspekte im Sinne kausaler Zusammenhängen gemacht werden können. Es bleibt bspw. offen, ob die Lehrkräfte, die den riskanten Mustern arbeitsbezogenen Verhaltens und Erlebens zuzuordnen sind, das Verhalten schwieriger Schüler im Vergleich zu den unbedenklichen Mustern als belastender oder das soziale Klima als schlechter aufgrund ihres persönlichen Erlebens und Verhaltens wahrnehmen – oder weil sie vielleicht häufiger in Klassen mit ‚schwierigen Schüler‘ unterrichten und das soziale Klima an ihrer Schule tatsächlich schlecht ist etc.
Der Blick auf die Schülerleistungen auf Klassenniveau zeigt im Übrigen keinen direkten Zusammenhang zwischen den gesundheitsrelevanten arbeitsbezogenen Verhaltens- und Erlebensmustern der Lehrkräfte und den Schülerleistungen im Fach Mathematik (Klusmann et al. 2008).
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Rothland, M. Das Dilemma des Lehrerberufs sind … die Lehrer?. ZfE 12, 111–125 (2009). https://doi.org/10.1007/s11618-008-0045-z
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DOI: https://doi.org/10.1007/s11618-008-0045-z
Schlüsselwörter
- Forschung zum Lehrerberuf
- Belastung und Beanspruchung im Lehrerberuf
- Personenbezogene Einflussfaktoren
- Arbeits- und situationsbezogene Einflussfaktoren
- Beanspruchungsfolgen
- Intervention und Prävention