Hintergrund

Geschlechtsinkongruenz/Transidentität/„Transgender“ beschreibt ein Geschlechtsempfinden abseits der heteronormativen, geschlechtsbinären Grundhaltung und umfasst Personen, die sich ihrem biologischen Geschlecht nicht bzw. nur teilweise zugehörig fühlen, sei es, dass das entgegengesetzte Geschlecht (Frau-zu-Mann, FzM; Mann-zu-Frau, MzF), ein Geschlecht dazwischen, beide Geschlechter empfunden werden oder eine herkömmliche Geschlechtskategorisierung überhaupt abgelehnt wird [1,2,3]. Ob der weltweit zu verzeichnende Zuwachs einem realen Anstieg entspricht oder durch öffentliche Wahrnehmung, mediale Präsenz und Einrichtung spezieller Transgender-Gesundheitsprogramme gefördert wird, wird kontrovers diskutiert. Bei Jugendlichen im Alter der Sekundarstufe fanden sich Inzidenzraten von 1,2 % für Transgender bzw. 2,7 % für Personen, deren Selbstkonzept von typischen männlichen/weiblichen Geschlechtsrollen bzw. -zuschreibungen abweicht („gender non-conforming“) [4, 5]. Bei Erwachsenen liegen diese Zahlen bei 0,3 % (Transgender) bzw. 0,8 % (gender non-conforming) [6]. Auffälligerweise hat sich das Geschlechtsverhältnis zwischen MzF und FzM in den letzten Jahren bei Kindern und Jugendlichen zugunsten von FzM umgekehrt (MzF zu FzM: 1 zu 1,2) [7].

Die Wahl, in welchem Geschlecht man leben will, ist als Grundrecht anerkannt. In Österreich ist seit 2009 die Personenstandsänderung auch ohne Durchführung von geschlechtsangleichenden Maßnahmen möglich. Die bisherige Regelung bezüglich somatischer Behandlung (Hormontherapie, geschlechtsangleichende Operation) ab 18 Jahren nach durchlaufener Pubertät führte v. a. bei MzF-Personen zu einer „Stigmatisierung“ durch Körpergröße, männlichen Habitus, tiefe Stimme und Bartwuchs. Eine Reihe zusätzlicher medizinischer Maßnahmen wie logopädische Anhebung der Sprechstimme bis hin zu operativer Verkürzung der Stimmlippen, Mamma-Augmentationsplastik, Laserepilation, gesichtschirurgische Eingriffe etc. wurden in der Folge angestrebt [8].

Nachdem in einigen Ländern, allen voran die Niederlande, bereits seit den späteren 90er Jahren positive Erfahrungen mit der pubertätsarretierenden und gegengeschlechtlichen Behandlung von transidenten Jugendlichen gemacht wurden, hat die Endocrine Society 2009 erstmals „Clinical Practice Guidelines“ publiziert (revidierte Fassung 2017), die im Einklang mit den „Standards of Care“ der World Professional Association for Transgender Health (WPATH) unter der Voraussetzung einer stringenten psychiatrisch-psychologischen Diagnostik eine frühzeitige hormonelle Behandlung ab Pubertätseintritt empfehlen [9, 10]. Geschlechtsangleichende Operationen sollen weiterhin Patient_innen >18 Jahren vorbehalten bleiben.

„Gender-Team“/therapeutische Begleitung

Nicht die Transidentität per se, sondern die Dysphorie vor allem in Zusammenhang mit der Akzeptanz im Lebensumfeld besitzt Krankheitswert und ist Ziel therapeutischer Bestrebungen. Die Diagnosestellung obliegt „Gender-Teams“, bestehend aus Fachärzt_innen für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psycholog_innen und Psychotherapeut_innen. Dafür wurden spezielle Fragebögen zur Erfassung von Geschlechtsdysphorie bei Kindern und Jugendlichen entwickelt [11, 12]. Psychiater_innen stellen gemeinsam mit Psycholog_innen und Psychotherapeut_innen letztlich auch die Indikation für eine Hormontherapie. Ebenso beraten sie bezüglich Zeitpunkt der Vornamens- und Personenstandsänderung, die mit entsprechenden Gutachten bereits in diesem Alter vorgenommen werden kann. Die Aufgabe der pädiatrischen Endokrinolog_innen besteht einerseits im Ausschluss einer Variante der Geschlechtsentwicklung und andererseits in der Evaluierung von Risikofaktoren für eine spätere Hormontherapie. Weiters geht es um die Beurteilung der Pubertätsentwicklung, Zeitpunkt des Therapiebeginns sowie klinisches, hormonelles und metabolisches Monitoring unter Therapie. Vor jedem Behandlungsschritt findet eine interdisziplinäre Fallkonferenz aller beteiligten Fachpersonen statt, d. h., dass die Indikation zur Behandlung mit GnRH-Analoga bzw. Sexualsteroiden jeweils gemeinsam im Konsens gestellt wird. Das Vorgehen ist in den Behandlungsempfehlungen des Gesundheitsministeriums 2017 festgehalten [13].

Hormonelle Behandlung von Jugendlichen

Eine Synopsis des hormonellen Behandlungsweges in Abhängigkeit vom Alter ist in Abb. 1a (FzM) und Abb. 1b (MzF) dargestellt.

Abb. 1
figure 1

Synopsis des hormonellen Behandlungsweges in Abhängigkeit vom Alter bei Frau-zu-Mann (FzM) (a) und Mann-zu-Frau (MzF) (b) Transgender Jugendlichen

Pubertätsarretierende Therapie: GnRH-Analoga

In den 90er Jahren wurde eine Therapie zur Arretierung der Pubertätsentwicklung mittels GnRH-Analoga erstmals an Jugendlichen mit Transidentität angewendet (Übersicht in [14]). Bei Beginn ab einem frühen Pubertätsstadium stoppt sie den weiteren Fortschritt von unerwünschten körperlichen Veränderungen. In der medizinischen Literatur öfter als „prolonged diagnostic phase“ bezeichnet, kann sie zu einer psychischen Druckentlastung führen und als reversible Maßnahme einen Zeitgewinn zur weiteren diagnostischen Reevaluierung und psychotherapeutischen Langzeitbeobachtung bewirken, bevor irreversible Veränderungen durch die gegengeschlechtliche Therapie induziert werden. Die Behandlung wird frühestens ab einem Pubertätsstadium Tanner 2–3 begonnen. In der Praxis überwiegt allerdings – zumindest bis dato – das Kollektiv der älteren Jugendlichen mit fortgeschrittener Pubertätsentwicklung (Tanner 4–5). Dies ist teilweise darauf zurückzuführen, dass der diagnostische Prozess nicht selten längere Zeit benötigt, oder auch, dass Jugendliche selbst bezüglich einer frühen körperverändernden Intervention öfter kritisch bis zurückhaltend sind [15].

Zur Behandlung wird üblicherweise ein GnRH-Analogon (z. B. Triptorelin; Leuprorelin), das im Kindesalter zur Behandlung der Pubertas praecox etabliert ist, in vierwöchentlichen Abständen subkutan oder intramuskulär injiziert. Es stehen auch Präparate in höherer Dosierung mit zwölfwöchentlichem Injektionsintervall zur Verfügung. Durch langwirkende Bindung an die GnRH-Rezeptoren der Hypophyse wird die für die Ausschüttung von LH und FSH notwendige pulsatile GnRH-Stimulierung unterbunden, dadurch kommt es zu einer Herabregulierung der Gonadotropine. In der Folge wird die gonadale Testosteron‑/Östrogenproduktion gedrosselt mit Stopp der weiteren Pubertätsentwicklung, Rückgang des Hodenvolumens und sexueller Funktionen (z. B. Erektionen bei MzF), Sistieren der Brustentwicklung und der Menstruation bei FzM (oft Abbruchsblutung nach der ersten Gabe) [16].

Da die Keimzellreifung blockiert wird, führt ein frühzeitiger Beginn dazu, dass keine Fertilität erreicht wird. Bisher ist es nicht möglich, präpubertäres Gonadengewebe in Zellkultur zu differenzieren, sodass eine – zudem höchst invasive – operative Entnahme von Hoden‑/Ovargewebe vor Behandlungsbeginn nicht angeboten wird. MzF-Jugendlichen in einem fortgeschrittenen Pubertätsstadium sollte eine Spermienasservierung bzw. FzM-Jugendlichen die Möglichkeit einer Eizell- bzw. Ovarkryokonservierung angeboten werden. Bei erwachsenen Transgender-Personen aus Deutschland lag der Wunsch nach einem eigenen biologischen Kind bei 25–35 % [17]. Dagegen wurden in einer retrospektiven US-Studie an 73 Transgender-Jugendlichen von nur 2 Jugendlichen (3 %) tatsächlich fertilitätsasservierende Maßnahmen vor Behandlungsbeginn ergriffen [18].

Neben Kopfschmerzen und Gewichtszunahme/Zunahme der Fettmasse kann die GnRH-Analoga-Therapie zu Beginn Auswirkungen auf die Stimmung haben, die auf die induzierte hormonelle Umstellung zurückzuführen sind. Bei Behandlung in einem fortgeschrittenen Pubertätsstadium können bei FzM prämenopausale Symptome auftreten (z. B. Hitzewallungen). Die Behandlung führt einerseits zu einer Wachstumsverlangsamung, andererseits zu einer Verzögerung der Knochenreifung, sodass Auswirkungen auf die Endgröße möglich, aber bisher nicht systematisch untersucht sind [16, 19].

In mehreren Studien wurde – entsprechend der essenziellen Bedeutung der Sexualsteroide für die Knochengesundheit – ein Ausbleiben des weiteren Zuwachses der Knochenmineraldichte während der Behandlung beobachtet [16]. Dieses Defizit wurde in den wenigen vorliegenden Studien unterschiedlicher Designs variabel bei FzM und MzF unter Therapie mit Sexualsteroiden wieder weitgehend, aber nicht restlos aufgeholt, insbesondere wenn der Behandlungsbeginn vor einem Knochenalter von 14–15 Jahren lag. In einer Untersuchung an Adoleszenten, die nach GnRH-Therapie seit zwei Jahren eine geschlechtsangleichende Therapie mit Östrogen bzw. Testosteron erhielten, lag die volumetrische Knochendichte an der Lendenwirbelsäule (Z-Score) bei −1,1 und −0,66 (Knochenalter < bzw. >15 Jahre bei MzF) bzw. −0,15 und −0,06 (Knochenalter < bzw. >14 Jahre bei FzM) [20]. Zur Frage, ob individuell eine maximale Knochenmineraldichte entsprechend der Normalbevölkerung später erreicht wird, gibt es noch keine Studien.

Negative Auswirkungen auf die Hirnentwicklung wurden bisher nicht festgestellt, die exekutiven Hirnfunktionen unterschieden sich nicht zwischen einer GnRH- und einer unbehandelten Transgender-Vergleichsgruppe [21]. Allerdings war die untersuchte Kohorte klein (20 Teilnehmer pro Gruppe); zudem war die neuropsychologische Testung nicht umfassend und wurde nur während der Adoleszenz erhoben. Studien bezüglich sozialer Entwicklung/Kompetenz unter GnRH-Analogatherapie fehlen bisher völlig. Daher müssen auch hier das Fehlen von Langzeitdaten und mögliche bisher unbekannte Auswirkungen in der Aufklärung berücksichtigt werden [22].

Bezüglich psychologischer Effekte zeigen die bisher vorliegenden Studien eine signifikante Verbesserung durch GnRH-Analogatherapie. Insbesondere internalisierende psychiatrische Störungen traten zurück, was im Behandlungsverlauf retrospektiv auf eine auf die Transidentität zurückführbare Komorbidität und nicht auf eine unabhängige zugrundeliegende psychiatrische Störung hindeutete [23, 24]. Das Ausmaß der Geschlechtsdysphorie selbst änderte sich nicht.

GnRH-Analogon-Alternative bei FzM

Progesteron-Präparate

Desogestrel oder Lynestrenol, im Langzyklus eingesetzt, kann die Menstruation weitgehend, wenn auch nicht immer komplett, unterdrücken. Außer Müdigkeit, Kopfschmerzen oder Hitzewallungen wurden keine besonderen Nebenwirkungen beobachtet. Die HDL/LDL-Ratio verschob sich in Richtung eines ungünstigeren Lipidprofils. Während die fettfreie Körpermasse zunahm (+8,6 %), fand sich kein signifikanter Effekt auf die Knochendichte [25, 26]. Zielgruppe einer solchen Therapie sind ältere FzM-Jugendliche ab Tanner-Stadium B4, die vor allem die Menstruation als schwer belastend erleben. Dagegen findet sich kein bremsender primärer Effekt auf das Brustwachstum.

GnRH-Analogon-Alternative bei MzF

Antiandrogen wirksames Gestagen: Cyproteronacetat

In der medizinischen Literatur existiert lediglich eine Arbeit, in der die Anwendung von Cyproteronacetat als Monotherapie über 6 Monate bei MzF Jugendlichen ab Tanner-Stadium G4 systematisch untersucht wurde [27]. Entsprechend dem Wirkmechanismus als Antagonist am Androgenrezeptor und der Minderung der LH-Sekretion kam es zu einer verminderten Testosteronausschüttung und -wirkung mit Nachlassen der sexuellen Funktionen (Erektionen, Libido) und Wachstumsrückgang der Körperbehaarung. Bei einem Drittel wurde eine Gynäkomastie, einem Tanner-Stadium B2–3 entsprechend, beobachtet. Nebenwirkungen umfassten Müdigkeit, Hitzewallungen und vermehrte Emotionalität. Die Körperfettmasse nahm um 9,4 % zu. Im Gegensatz zu Lynestrenol bei FzM kam es zu einer signifikanten Hemmung der physiologischen Knochendichtezunahme (Z-Score −0,76 bis −1,15 nach 10,6 Monaten Behandlung) [26]. Da Cyproteronacetat von der FDA nicht zugelassen ist, wird in den USA oft der Mineralkortikoidrezeptor-Antagonist Spironolacton eingesetzt, der zusätzlich antiandrogene Eigenschaften besitzt.

Geschlechtsangleichende Hormontherapie: Östrogen, Testosteron

Die Behandlung mit Östrogen (MzF) bzw. Testosteron (FzM) erfolgte bisher üblicherweise ab einem Alter von 16 Jahren unter Beibehaltung der GnRH-Therapie bzw. der Gestagen- oder antiandrogenen Therapie, nachdem vom betreuenden Gender-Team die Indikation gestellt und von somatischer Seite eine Kontraindikation ausgeschlossen wurde. Je nach Pubertätsstadium bei Behandlungsbeginn wird eine schrittweise Dosisadaptierung in sechsmonatlichen Intervallen, einem klassischen Pubertätsinduktionsschema entsprechend, über einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren vorgenommen [9]. Bei Jugendlichen in einem fortgeschrittenen Pubertätsstadium liegt die Anfangsdosis höher und erfolgt die Aufdosierung entsprechend rascher. Testosteron (z. B. Testosteronenantat) wird mittels vierwöchentlicher intramuskulärer Injektion oder täglich transdermal verabreicht, Östrogen als Tablette, z. B. 17-beta-Estradiol, Estradiolvalerat, oder ebenfalls transdermal, insbesondere, wenn eine Thrombophilieneigung besteht. Nach Erreichen der Volldosierung ist bei FzM üblicherweise Testosteron alleine ausreichend, um die Menstruation zu unterdrücken, und kann das GnRH-Analogon abgesetzt werden. Dagegen ist bei MzF weiterhin eine GnRH-Analoga- bzw. antiandrogene Therapie erforderlich, da eine komplette Suppression der endogenen Testosteronwirkungen mit Estradiol allein meist nicht gelingt [9, 19]. Die spezifischen Wirkungen, Zeitpunkt des Einsetzens und Dauer bis zum Erreichen des maximalen Effekts sind in Tab. 1 angeführt, Nebenwirkungen in Tab. 2. Abhängig vom Alter, den klinischen Wirkungen und den Östrogen‑/Testosteronwerten wird die Therapie bezüglich Dosis bzw. Verabreichungsintervall (Testosteroninjektionen) adaptiert. Langzeitmorbidität und -mortalität wurden an Erwachsenenkollektiven untersucht und zeigten eine erhöhte Rate an thromboembolischen Ereignissen (0–5 %) bei MzF unter Östrogentherapie. Inwieweit die testosteronassoziierte Senkung des HDL-Cholesterins bei FzM das kardiovaskuläre Risiko im Langzeitverlauf erhöht, ist bisher unklar [28]. Die bei MzF um 51 % erhöhte Mortalität gegenüber der Allgemeinbevölkerung war überwiegend nicht direkt therapieassoziiert (Substanzmissbrauch, Infektionen, Suizid). Testosteron bei FzM in üblicher Hormonersatzdosis war mit keiner erhöhten Mortalität verbunden [29]. Psychologische Follow-up-Studien an hormonbehandelten Erwachsenen zeigten – wobei nicht ganz einheitlich und signifikant nur bei MzF – eine verbesserte Lebensqualität (Übersicht in [30]). Bezüglich mittelfristiger Effekte bei Transgender-Jugendlichen existiert bisher eine Outcome-Studie an 55 holländischen Patient_innen (MzF: 22; FzM: 33), die vor Beginn der Pubertätsarretierung (13,6 Jahre), vor Beginn der gegengeschlechtlichen Therapie (16,7 Jahre) sowie ein Jahr nach geschlechtsangleichender Operation (20,7 Jahre) untersucht wurden. Subjektives Wohlbefinden und Lebensqualität hatten sich im Therapieverlauf bis zur Abschlussuntersuchung signifikant verbessert und waren gleich oder besser, verglichen mit einem nicht-transidenten, altersgematchten Vergleichskollektiv [23].

Tab. 1 Spezifische Wirkungen, Zeitpunkt des Einsetzens und Dauer bis zum Erreichen des maximalen Effekts der geschlechtsangleichenden Hormontherapie mit Östrogen bzw. Testosteron. Adaptiert nach [9]
Tab. 2 Nebenwirkungen der geschlechtsangleichenden Hormontherapie. Adaptiert nach [9]

Follow-up und Transition in die Erwachsenenbetreuung

Laut Guidelines werden zu Beginn der pubertätsarretierenden Therapie drei- bis sechsmonatlich klinische Kontrollen mit Erhebung von Wirkungen und Nebenwirkungen, Anthropometrie, Blutdruck und biochemischen Parametern (Blutbild, Leberwerte, Fettstoffwechsel, LH, FSH, Testosteron/Östrogen) erhoben [9]. In der Praxis hat sich die Hormonbestimmung knapp vor der nächsten GnRH-Analogon-Verabreichung bewährt, um die Adäquatheit der Suppression gegen Ende der Wirkphase zu evaluieren. Abhängig vom Alter erfolgen jährlich Knochenalterbestimmungen, bei klinischer Relevanz Messung der Knochendichte in ein- bis zweijährlichen Intervallen. Bei unzureichender Pubertätsarretierung müssen Compliance und Verabreichungsintervall hinterfragt werden. Bei besorgniserregender Abnahme der Knochenmineraldichte kann gegebenenfalls ein früherer Beginn der geschlechtsangleichenden Hormontherapie erwogen werden [19]. Sollten im Rahmen der geschlechtsangleichenden Therapie der Pubertätsfortschritt inadäquat sein, unerwünschte Nebenwirkungen auftreten oder die Östrogen‑/Testosteronspiegel außerhalb des Zielbereichs liegen, kann ein Wechsel des Präparats oder der Dosis erwogen werden. Ausgeprägte Erythrozytose (Hämatokrit über 50 %) oder Anstieg der Leberparameter über das Dreifache der Norm können eine vorübergehende Unterbrechung der Hormontherapie erforderlich machen.

Im Rahmen der pädiatrischen Betreuung soll bereits eine kontinuierliche Aufklärung über das notwendige medizinische Langzeitmonitoring erfolgen, sodass ausreichend Selbstständigkeit und Selbstfürsorglichkeit vor der Übergabe in die Erwachsenenbetreuung gewährleistet sind. Je nach Bedarf organisiert das multidisziplinäre Team die weitere psychologische/psychotherapeutische Betreuung und erfolgt idealerweise die Übergabe von der pädiatrischen Endokrinologie direkt an die Erwachsenenendokrinologie bzw. gynäkologische Endokrinologie. Neben den medizinischen Aspekten der Hormonbehandlung, Monitoring auf kardiovaskuläre Risikofaktoren, Knochendichtemessung und gynäkologischen Vorsorgeuntersuchungen (Brustkrebs-Screening bei MzF wie bei Cis-Gender Frauen) steht die Beratung über gewünschte chirurgische Behandlungen oder bei Fragen zu assistierter Reproduktion bei Kinderwunsch im Fokus der Betreuung.

Ethische Herausforderungen

Eines der oberen Prinzipien der Medizin – „primum non nocere“ – bzw. das Kindeswohl geraten in Anbetracht des vorliegenden Spannungsfeldes in ein besonderes Licht und konfrontieren das Betreuungsteam unweigerlich mit moralischen Dilemmata und Fragen: Fügen wir Schaden zu, wenn wir frühzeitig intervenieren? Oder fügen wir durch Abwarten mehr (seelischen) Schaden zu, wenn ein/eine Jugendliche_r, die/der sich im falschen Körper erlebt, die eigene unerwünschte Pubertät und dadurch Stigmatisierung im abgelehnten Geschlecht durchlaufen muss? Steht die Gefahr der weitreichenden Beeinträchtigung der seelischen Gesundheit bzw. des glücklichen Aufwachsens über dem Risiko, vor Erlangen der psychosexuellen Reife körperverändernde, lebensbestimmende Entscheidungen zu treffen, deren Langzeitfolgen, z. B. auf Knochenmineraldichte oder psychoneurologische Entwicklung, derzeit noch ungewiss sind? In welche Richtung ist das Argument des Rechts auf eine offene Zukunft auszulegen, das biologische oder das Wunschgeschlecht? Wie steht es um Entscheidungskompetenz bei heranwachsenden Jugendlichen? Inwieweit kann ein/eine Jugendliche_r zu Beginn der Pubertät Langzeitauswirkungen einer Hormonbehandlung auf sein/ihr Leben abschätzen, insbesondere beispielsweise keine eigenen biologischen Kinder bekommen zu können? Ist ein gültiges informiertes Einverständnis im eigentlichen Sinn überhaupt möglich, wenn Langzeiterfahrungen gar nicht bekannt sind? Muss bei elterlicher Ablehnung bzw. fehlender Unterstützung dem Behandlungswunsch des/der Jugendlichen im Sinne der Patient_innenautonomie Priorität gegeben werden [19, 22]?

Konklusion

Im Sinne der Gleichstellung und Chancengleichheit ist die Medizin gefordert, Transgender-Personen ein glückliches, erfülltes Leben zu ermöglichen. Obgleich die frühzeitige hormonelle Intervention immer wieder auch außerhalb des medizinischen Diskurses in den Medien kritisch und kontrovers diskutiert wird, sollte anerkannt werden, dass Geschlechtsdysphorie großes persönliches Leid bedeutet, verbunden mit psychiatrisch relevanten Komorbiditäten bis hin zu Selbstverletzung und Suizid. Bei der Abwägung von Nutzen einer Hormontherapie und allen Vorbehalten kann im individuellen Fall daher die befürwortende Seite überwiegen. Wesentlich ist eine standardkonforme, multiprofessionelle, teamgetragene Entscheidungsfindung. Bei komplexen Fällen sind interdisziplinäre Boards mit Einbeziehung der Medizinethik zu fordern. Kontinuierliche begleitende Forschung mit Etablierung von Datenregistern sowie multizentrischen prospektiven Studien, wie etwa dem laufenden Trans Youth Research Network [31], müssen auf den Weg gebracht werden.