Laryngorhinootologie 2013; 92(03): 205-206
DOI: 10.1055/s-0033-1333725
Leserbrief
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Leserbrief

J. Schipper
1   Direktor der Univ.-HNO-Klinik Düsseldorf
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Publication Date:
21 February 2013 (online)

Leserbrief zur Veröffentlichung von A. Wienke, A. Stenger: „Ersatzansprüche bei Verletzung der Schädelbasis im Rahmen einer Nasennebenhöhlenoperation“ In: Laryngo-Rhino-Otologie 2012; 91: 794–795

Die Autoren erläutern als Fachanwälte für Medizinrechtfragen aus juristischer Sicht ein aktuelles Urteil des Landgerichts München I. Sie skizzieren dazu den Sachverhalt und die sich daraus ergebenden Entscheidungsgründe.

Demnach seien die Richter aufgrund der Sachverständigengutachten zu dem Schluss gekommen, „dass der behandelnde Arzt mit seinem Instrument nicht die von der Schädelbasis gebildete Grenze hätte überschreiten können, wenn er tatsächlich – wie von ihm behauptet – nur vorsichtig Knochenzellen abgezupft hätte. (…) Zwar könne es auch bei einer regulären Operation ausnahmsweise zu einer Verletzung der Hirnhaut kommen. Jedoch seien vorliegend keine Umstände erkennbar, die eine solche Verletzung nachvollziehbar machen könnten.“

Selbstverständlich bewerten und entscheiden die Richter als medizinische Laien nur den Sachverhalt in der Weise, wie er von den medizinischen Sachverständigen vorgetragen wird. Andererseits kann der medizinische Sachverständige als juristischer Laie nicht vorhersehen, wie seine Darlegungen juristisch bewertet werden. Zudem wird nicht selten der Sachverständige aus Gerichtskostengründen vorzeitig nach seiner mündlichen Anhörung entlassen, sodass er häufig auch keine Kenntnis hat, über die juristische Bewertung seiner Ausführungen zu dem medizinischen Sachverhalt. Ebenso wenig darf man Teilaspekte der juristischen Bewertung einzeln betrachten, sondern sie sollten immer im Gesamtkontext des vorliegenden Sachverhaltes ge­sehen werden. Doch häufig dienen solche juristischen Bewertungen als Grundlage für nachfolgende Richtersprüche und verändern so bisher medizinisch legitimierte Behandlungsmaßnahmen. Solche Urteile nehmen daher auch zwangsläufig Einfluss auf zukünftige mögliche medizinische Leitlinien.

Als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Schädelbasis- und Kraniofaziale Chirurgie (ASKRA) der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie e. V. kann man daher eine solche juristische Bewertung des Sachverhalts so nicht unkommentiert lassen. Denn dies könnte dann unter Umständen bedeuten, dass fälschlicherweise eine Verletzung der Schädelbasis bei einem Nasennebenhöhleneingriff anstatt einer Komplikation zukünftig als ein Verstoß gegenüber elementaren Regeln der ärztlichen Heilkunst ausgelegt wird, der schlechterdings nicht unterlaufen darf.

Hierzu bedarf es aus Sicht des interdisziplinär mit den Neurochirurgen zusammenarbeitenden Schädelbasischirurgen einer detaillierten Aufschlüsselung und Präzisierung des strittigen operativen Vorgehens. In Übereinstimmung mit der aktuellen internationalen Lehrmeinung ist eine Verletzung der Schädelbasis einschließlich der Dura grundsätzlich möglich bei einem Nasennebenhöhleneingriff im Bereich des Siebbeins, auch bei einer unkomplizierten Anatomie (z. B. Keros I) oder anderer fehlender Umstände, die eine solche Verletzung nachvollziehbar erscheinen lassen könnten. Eine Verletzung der Schädelbasis kann beispielsweise auch entstehen, wenn die Wände der Siebbeinzellen nur abgezupft werden, ähnlich wie bei einem Hausabriss trotz vorsichtigem Entfernen der Siebbeinwände mit Wegbrechen des Siebbeindachs. Hierbei handelt es sich um eine mögliche operative Komplikation, die mit wenigen Ausnahmen noch während des laufenden Eingriffs für den Patienten folgenlos korrigiert bzw. repariert werden kann. Auch eine Verletzung der venösen Perforatorgefäße im Subarachnoidalraum stellt noch keinen Verstoß gegenüber elementaren Regeln der ärztlichen Heilkunst dar, sondern wären gutachterlicherseits aus Sicht eines Schädelbasischirurgen als Komplikation zu werten, wenn der Operateur ähnlich wie für die Verletzung der knöchernen Schädelbasis die geeigneten Korrekturmaßnahmen ergreift. Hierfür gibt es zwar im HNO-Bereich noch keine Leitlinien jedoch Analogien als Empfehlungen von unseren neurochirurgischen Kollegen, wie man solche Komplikation ohne Schaden für den Patienten beherrschen kann. Das Abtasten des perforierten Endokraniums mit einer Sonde ohne Sicht wie laut o.g. Urteil des LG München I ist bei einer fraglichen Verletzung der venösen subarachnoidalen Perforatorgefäße wenig hilfreich, im Gegenteil sogar kontraindiziert, da hierdurch weitere Gefäße rupturiert werden könnten. Entsprechend den Empfehlungen unserer neurochirurgischer Kollegen sollte in so einem Fall die Operation unterbrochen werden, und der narkotisierte Patient unverzüglich ein Schädel-CT erhalten, um dann nach Sicherung der Diagnose die entsprechenden Gegenmaßnahmen wie eine Nottrepanation, eine Hirnödemprophylaxe oder eine neuroradiologische Intervention einzuleiten. Wenn die erforderlichen neuroradiologischen oder neurochirurgischen bzw. schädelbasischirurgischen Kompetenzen nicht vor Ort zur Verfügung stehen, sollte der Patient unmittelbar in eine entsprechende Einrichtung notärztlich ohne Zeitverzögerung verlegt werden. Nicht die Verletzung der knöchernen Schädelbasis und der darüber unmittelbar anhaftenden Dura mit möglicher Eröffnung des Subarachnoidalraumes, sondern das Unterlassen der erforderlichen diagnostischen und therapeutischen Gegenmaßnahmen aus neuro- bzw. schädelbasischirurgischer Sicht stellt einen Verstoß gegenüber elementaren Regeln der ärztlichen Heilkunst dar, der schlechterdings einem Arzt nicht unterlaufen darf.

Eine Komplikation ist darüberhinaus nur in soweit medizinisch legitimiert, sofern die Indikation zur operativen Intervention ­gemäß dem Europäischen Positionspapier für Rhinosinusitis (EPOS2012: http://www.rhinologyjournal.com/supplement_23.pdf) gutachterlicherseits nachvollziehbar erscheint.

Alternativ könnte bei einer Verletzung der Dura mit einer artifiziell nachweislichen venösen endokranialen Blutung in Zusammenhang mit einer Siebbeinoperation auch der Schädelbasisdefekt dahingehend erweitert werden, dass man das blutende venöse Gefäß chirurgisch erfassen und legieren kann unter endoskopischer Sicht. Endokraniale Hämatome müssen dann nach Möglichkeit gemeinsam mit einem Neurochirurgen endoskopisch ausgeräumt werden und der Patient nach einer suffizienten mehrschichtigen Duraplastik am besten mit einem gestielten Schleimhautlappen intensivmedizinisch und neuroradiologisch mit einer entsprechenden Hirnödemprophylaxe postoperativ nachbeobachtet werden. Dies setzt jedoch eine entsprechende interdisziplinäre schädelbasischirurgische Fachkompetenz Vorort voraus.

Möglicherweise haben die Richter nicht die eigentliche Verletzung der Schädelbasis als einen Verstoß gegenüber elementaren Regeln der ärztlichen Heilkunst verstanden, sondern die möglicherweise soweit es gutachterlicherseits rekonstruierbar erschien, die in einem Zug zu vermutende unkontrollierte Perforation und Penetration des Endokraniums trotz endoskopischer und haptischer Kontrolle mit einer möglichen Verletzung einer Arterie des Circulus Willisii im Bereich der Hirnweichteile. ­Somit müsste für die juristische Bewertung die gutachterlicherseits aufgrund der Datenlage zu vermutende chirurgische Manipulationsweise ob abzupfend, weg von der Schädelbasis oder wider besseren Wissens mit Kraft durch die Schädelbasis hindurch penetrierend, präzisiert werden, eventuell unter Berücksichtigung der durchgeführten rechtsmedizinischen Autopsie. Sowohl die Art des Knochendefektes (gebrochene Knochensegmente der Schädelbasis nach endo- oder extrakranial verlagert), die Art der Duraverletzung (Dura sternförmig perforiert; artifizieller Duralappen infolge der chirurgischen Perforation nach endo- oder extrakranial verlagert) oder die geometrische Linearität zwischen dem Schädelbasisdefekt und dem anzunehmenden verletzten Gefäß wären für die gutachterliche Rekonstruk­tion des Herganges von Bedeutung.

Als medizinische Gutachter sind wir daher immer aufgefordert aufgrund der vorhandenen Datenlage ein belastbares objektives Bild von dem strittigen Hergang nach besten Wissen und Gewissen zu skizzieren ohne jede juristische Wertung. Wir sind aber auch aufgefordert den urteilenden Juristen bei ihrer juristischen Bewertung und Urteilsfindung wertfrei zu unterstützen und ­darauf zu achten, dass die Juristen als medizinische Laien nicht wider besseren medizinischen Wissens und nicht aufgrund fehlenden Verständnis für den medizinischen Gesamtzusammenhang anerkannte Therapieverfahren aus reinen juristischen Verfahrensgrundsätzen fälschlicherweise in Frage stellen.

J. Schipper

Direktor der Univ.-HNO-Klinik Düsseldorf