Chronische Lyme-Borreliose: Unsichere Diagnose, wirkungslose Therapien

Viele Patienten, die glauben, die Ursache ihrer unklaren Symptome sei eine chronische Lyme-Borreliose, verlassen früher oder später frustriert das Terrain der Schulmedizin und hoffen auf Hilfe aus dem alternativen Spektrum. US-Mediziner haben sich jetzt einen Überblick über entsprechende Angebote verschafft – auf der Suche nach evidenzbasierter Wirksamkeit. Ziehen sich belastende Symptome wie bleierne Müdigkeit oder unerklärbare Schmerzen lange hin, werden Patienten zuweilen mit der Diagnose „chronische Lyme-Borreliose“ bedacht. Doch diese Diagnose steht offenbar oft auf sehr wackeligen Füßen und wird zunehmend für alle möglichen ätiologisch unklaren, unspezifischen Symptome missbraucht. Expertenmeinungen zufolge sind therapieresistente chronische Verläufe extrem selten [1]. Da bei persistierenden Beschwerden auch eine Langzeit-Antibiotikabehandlung offenbar nicht besser wirkt als Placebo, versuchen entnervte Patienten oft ihrem Leiden durch alternative Therapien zu begegnen. Paul Lantos von der Duke University in Durham und Kollegen haben jetzt nach wissenschaftlicher Evidenz für nicht antimikrobielle Behandlungsmethoden gesucht. Sie fanden Angebote zu über 30 verschiedenen Therapiemaßnahmen zur Behandlung von Borrelien-Infektionen. Sauerstofftherapien Eine Sauerstofftherapie wird Patienten mit Lyme-Borreliose vorwiegend in Form von hyperbarem Sauerstoff, Wasserstoffperoxid oder Ozon angeboten. Hyperbarer Sauerstoff wird mittels Druckkammer verabreicht und soll die Immunantwort auf B. burgdorferi stärken. Wasserstoffperoxid erhält der Patient per Infusion, für die Ozontherapie existieren vielfältige Varianten. Strahlung und Energie Therapieoptionen in diesem Bereich beinhalten Behandlungen mit Licht, Laser, Hitze oder Magneten. Maßnahmen laufen unter Bezeichnungen wie „Rife-Frequenztherapie“ oder „Photonentherapie“. Bei der Photonentherapie etwa sollen die Borrelien durch äußere Lichteinwirkung aus den Zellen vertrieben werden, um sie letztlich mithilfe eines gestärkten Immunsystems zu eliminieren. Im Rahmen einer Magnettherapie wird empfohlen, über einer Anordnung von 70 Magneten zu schlafen. Am kostengünstigsten kommen mit etwa 1000 US-Dollar noch Selbstanwender von Rife-Zappern weg. Für Apparaturen zur heimischen Photonentherapie, die eine Heilungsrate von 96% versprechen, legt man schon mal 13.000 US-Dollar hin. Schwermetalle ausleiten oder zuführen Immer wieder wird im Zusammenhang mit der Lyme-Borreliose auch die Schwermetallbelastung des Körpers diskutiert, insbesondere mit Quecksilber, was zu diversen Ausleitungsmanövern führt. Neben der Entfernung aller Amalgamfüllungen werden u. a. Therapien mit verschiedenen chemischen Chelatbildnern oder pflanzlichen Substanzen wie Knoblauch, Koriander oder Chlorella zur Entgiftung empfohlen. Doch es geht auch umgekehrt: So sollen Borrelien bzw. deren Zysten beispielsweise durch die Zufuhr von Wismutverbindungen oder Silberkolloiden abgetötet werden. Weit verbreitet ist auch der Glaube an die Wirkung von Vitamin C und B12, Fischöl oder verschiedenen Kräuterprodukten bis hin zu Marihuana. Als wahres Wundermittel gegen Borrelien wird eine Mischung aus Salz und Vitamin C angeboten. Selbst die asiatische Moxibustion macht vor der Borrelienaustreibung nicht halt. Und natürlich existieren zahlreiche Empfehlungen zur Ernährungsumstellung wie etwa ein Glutenverbot oder eine proteinreiche Kost. Biologische und Pharmakotherapien In die Rubrik der biologischen und sonstigen Pharmakotherapien reihen sich neben dem Trinken des eigenen Urins oder Kräuter- und Kaffeeeinläufen zur Entgiftung Empfehlungen zur Einnahme von Olmesartan, Naltrexon, Lithiumsalzen, Dimethylsulfoxid oder Steroiden etc. ein. Als „miracle mineral solution“ wird eine 28%ige Natriumchloritlösung für den oralen oder transdermalen Gebrauch angepriesen, zudem Bienengiftpräparationen, intravenöse und subkutane Immunglobulingaben und Apherese. Selbst über Stammzelltransplantationen wird im Rahmen der Lyme-Borreliose-Therapie berichtet. Versagen auf breiter Front Für keines der Verfahren fanden Lantos und Kollegen in der medizinischen Fachliteratur ausreichende Belege zur Wirksamkeit bei der Behandlung der Lyme-Borreliose. Auch plausible Erklärungen zu möglichen Wirkmechanismen waren nicht erkennbar. Aussagekräftige Erfolge bei der Bekämpfung von B. burgdorferi zeigten sich lediglich für die Therapie mit hyperbarem Sauerstoff. Allerdings wurden in dieser Studie neben Zellkulturen lediglich infizierte Mäuse behandelt. Nach der Sauerstoffbehandlung hatten in den Mäuseblasen nur 20% der Borrelien überlebt, während bei den unbehandelten Mäusen 90% wieder kultiviert werden konnten. Zu entsprechenden Versuchen bei Menschen liegen keine Daten vor. Zudem wäre eine Therapie mit hyperbarem Sauerstoff nicht nur zeit- und kostenintensiv, sondern würde auch gewisse Risiken bergen, etwa das eines Barotraumas im Mittelohr oder einer Myopie. Obwohl die meisten der angebotenen Behandlungsoptionen offenbar schlichtweg wirkungslos sind, darf nicht übersehen werden, dass einige die Gesundheit der Patienten auch gefährden können. Darunter fallen etwa die Therapien mit reaktivem Sauerstoff, die Chelattherapie, die intravenöse Silberinfusion und die Stammzelltransplantation. Vor dem Einsatz von Wismut zur Behandlung der Lyme-Borreliose warnt die US Food and Drug Administration ausdrücklich. Verlegenheitsdiagnosen gehen mit der Zeit Patienten, die glauben, an einer chronischen Lyme-Borreliose erkrankt zu sein, so Lantos und Kollegen, haben in der Regel entweder eine andere medizinische Diagnose, leiden unter chronischen, medizinisch nicht erklärbaren Symptomen oder haben zusätzlich Antikörper-Befunde gegen B. burgdorferi. In diesem Zusammenhang weisen Experten wie Prof. Peter Herzer, München, darauf hin, dass bei 5–25% der gesunden Erwachsenen Antikörper gegen B. burgdorferi infolge einer früheren, meist asymptomatisch verlaufenen Infektion gefunden werden. Solche Antikörperbefunde, so Herzer, seien ohne klinische Hinweise auf eine Lyme-Borreliose keine Indikation für eine Therapie. Lantos und Kollegen machen darüber hinaus eine Chronik der Modediagnosen bei unerklärbarer Müdigkeit auf. Während zwischen den 1930er- und 50er-Jahren gerne eine chronische Brucellose für die Symptome verantwortlich gemacht wurde, zog man in den 60er- bis 80er-Jahren eher die chronische Epstein-Barr-Virusinfektion in Erwägung, gefolgt von der chronischen Candidiasis in den 70er bis 90ern oder einer toxischen Pilzexposition, die bis heute propagiert wird. Ergänzt wurde die Reihe dieser Verlegenheitsdiagnosen zwischen 2009 und 2011 durch eine vermeintliche Infektion mit dem „xenotropic murine leukemia virus-related virus“ (XMRV), und seit den 1980ern muss eben die chronische B.-burgdorferi-Infektion als Erklärung für so manche ungeklärte Symptomatik herhalten. Literatur: [1] Herzer, P. et al. Lyme-Borreliose. Internist 2014;55:789-804

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