Erschienen in:
01.06.2005 | Leitthema
Das präoperative „Rauchverbot“
Ein überholtes Dogma* in der Anästhesie?
verfasst von:
Prof. Dr. med. B. Zwissler, A. Reither
Erschienen in:
Die Anaesthesiologie
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Ausgabe 6/2005
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Zusammenfassung
Seit vielen Jahren wird angenommen, dass Zigarettenkonsum innerhalb von 6 Stunden vor Anästhesie die Inzidenz kardiopulmonaler Komplikationen und hier v. a. das Risiko der Aspiration erhöht. Patienten werden daher angewiesen, das Rauchen spätestens am Vorabend der Operation zu beenden. Ein Verstoß gegen dieses Verbot führt meist solange zur Verschiebung der Anästhesie, bis die Nüchternheitsgrenze (6 h) wieder eingehalten ist. Ziel dieser Übersicht ist es, den wissenschaftlichen Hintergrund des kurzfristigen präoperativen ‚Rauchverbots‘ (der Nutzen einer langfristigen Nikotinkarenz ist unbestritten) kritisch zu hinterfragen. Der Einfluss einer kurzfristigen (6 h) präoperativen Nikotinkarenz auf die perioperative pulmonale Morbidität ist bislang nicht untersucht. Ein mittelfristiger Rauchstop (<1-2 Monate) scheint die Inzidenz perioperativer pulmonaler Komplikationen nicht zu senken, sondern sogar zu steigern. In Hinblick auf das Aspirationsrisiko erhöht ‚akutes’ Rauchen weder Volumen noch Azidität des Magensafts. Eine Abnahme des Tonus des unteren Ösophagussphinkters ist bereits wenige Minuten nach Ende des Rauchens nicht mehr nachweisbar. Auch die Entleerung von flüssigem Magensaft bleibt unbeeinflusst. Feste Nahrung wird zwar nach Zigarettenkonsum langsamer aus dem Magen befördert als bei Nicht-Rauchern. Für Patienten, die meist am Vorabend der Operation die letzte feste Mahlzeit zu sich nehmen, dürfte dieser Effekt jedoch keine klinische Relevanz besitzen. Das in der Anästhesie bis heute dogmatisch vertretene präoperative Rauchverbot ist somit nicht mit einem sonst erhöhten Risiko für Aspirationen oder pulmonalen Komplikationen begründbar. Allerdings scheint akutes Rauchen (u. a. durch Erhöhung von COHb) die Inzidenz von Myokardischämien zu erhöhen. In Hinblick auf kardiale Komplikationen erscheint es daher sinnvoll, speziell Patienten mit kardialem Risiko nicht nur mittel- und langfristig, sondern auch kurzfristig präoperativ vom Zigarettenkonsum abzuraten.